Wien, Österreich
Mein Name ist Friedrich Bogner, geboren am 17. April 1928 in Wien. Meine Mutter hieß Elisabeth Anna Bogner und mein Vater Matthias Walter. Ich bin ein uneheliches Kind und wurde von der Gemeinde Wien zu Pflegeeltern gegeben, weil meine Mutter als Dienstmädchen in Stellung war und mich nicht bei sich haben durfte. So wurde ich drei Jahre lang bei einer Familie Kutschera als Kind versorgt. An was ich mich dunkel erinnern kann ist, dass ich rote Haare hatte, die immer mit Papier mit Feuerzuckerwasser als Locken eingedreht wurden. Dann bekam ich eine Mittelohrentzündung und musste ins Krankenhaus.
Die Pflegeeltern hatten mich nicht gut behandelt, und ich schrie und weinte viel. Dadurch bekam ich einen doppelten Hoden- und Leistenbruch und musste operiert werden. Ich bekam dann eine neue Pflegemutter. Ich nannte sie Tante Reh. Sie hieß Leopoldine Reh. Als ich dann gesundet war, holte sie mich mit ihrem Mann Rudolf Reh vom Krankenhaus ab, und ich blieb in dieser Familie für zehn Jahre als Pflegekind. Von der Gemeinde Wien wurde ich einmal im Jahr eingekleidet mit Ruderleibchen, Hosen, Mantel und Schuhen. Meine leibliche Mutter hatte alle vier Wochen Ausgang. Sie war in Stellung bei russischen Juden, die im Pelzhandel tätig waren. Von ihnen brachte sie mir oft verschiedene Sachen wie Spielzeug und andere Dinge mit, wenn sie den Sonntagnachmittag mit mir verbringen konnte. Und wir vertrieben uns die Zeit mit ihnen, bis sie wieder in den Dienst musste.
Ich habe bei meinen Pflegeeltern eine sehr gute katholische Erziehung genossen, ich war Ministrand und wollte als Junge immer Priester werden. Doch meine Mutter war arm, und wir hatten kein Geld für das Priesterseminar. So lebte ich als Ministrand und war ein nicht immer braver Junge. Als ich zehn Jahre alt war, hat sich mein Vater aus Berlin in Deutschland, wo er als akademischer Kunstmaler ein Atelier hatte, gemeldet, um mich einmal kennen zu lernen. Die Vormundschaft hat dann nach Rücksprachen mit meiner Mutter und meinen Pflegeeltern eingewilligt, dass ich nach Berlin zu meinem Vater fahren könne. Als zehnjähriger Junge wurde mir ein Schild mit meinem Namen umgehängt, und auf jeder Station kam eine sogenannte Stationsschwester und kontrollierte, dass ich auch im Zug war. Das war im Jahre 1938, als ich in Berlin ankam.
Mein Vater war ein Mitglied in der NSDAP, zwar kein überzeugtes Mitglied, aber aus seiner Situation heraus war ihm nichts anderes möglich. Seine Frau, ich nannte sie immer Tante Helene, hat mich scheinbar nicht sehr gemocht, weil sie wahrscheinlich Angst hatte, dass mein Vater durch mich mit meiner Mutter wieder in Beziehung treten könnte. Aus diesem Grund hat sie mich immer ein wenig wie ein Stiefkind behandelt. Als Kind spürt man das, und ich war nicht sehr glücklich. Doch mein Vater hat mich in Berlin sehr viel herum geführt und mir viel gezeigt, und bevor ich nach den Ferien nach Hause fuhr, hat er mir eine komplette Jungvolkuniform mit Tornister und allem drum und dran gekauft. So kam ich dann wieder nach Wien, aber nicht mehr zu meinen Pflegeeltern, weil sie schon zu alt waren, sondern in ein Waisenheim auf die Hohe Warte, wo ich nationalsozialistisch erzogen wurde, dann ein Mitglied beim deutschen Jungvolk und später bei der Hitlerjugend wurde. Ich wurde Jungvolkführer und später Scharführer. Ich war als Junge begeistert, doch später ist die Begeisterung verflogen.
Meine Mutter war sehr krank. Sie hatte Brustkrebs, ihr wurde eine Brust abgenommen. Sie wurde aber weiter behandelt; man hatte ihr gesagt, sie hätte eine Nervenentzündung. Doch es war Knochenkrebs. Sie lag im Krankenhaus und hat Morphium bekommen. Ich war im Waisenhaus und wollte meine Mutter besuchen, doch ich hatte nur einmal im Monat Ausgang. Durch die wenigen Kontakte zu meiner Mutter, die ich so gerne besucht hätte, fing ich an, meine Fantasie spielen zu lassen. Und mir kam in den Sinn, dass ich vorgeben musste, in die Schulzahnklinik zu fahren. Von der Schulzahnklinik bin ich dann in die Wohnung meiner Mutter gefahren und habe für sie eingekauft und verschiedene Dinge erledigt, bis man eines Tages darauf gekommen ist. Es ist fast ein Jahr gut gegangen. Dieser Schwindel wurde dann aufgedeckt, und ich wurde sehr streng bestraft und hatte keinen Ausgang mehr. Meine Mutter habe ich erst wieder gesehen, als sie im Krankenhaus war. Ich habe sie kaum erkannt, weil ihr Kopf so stark verformt war. Sie ist dann auch kurze Zeit darauf verstorben. Ich war zu der Zeit vierzehn Jahre alt. Das Begräbnis wurde von der Schwester meiner Mutter und ihrem Mann ausgerichtet.
Ich wollte gerne eine Ausbildung beginnen. Ich schwärmte, wie man mit vierzehn Jahren schwärmt, Filmschauspieler, Sänger, Detektiv oder Förster werden. Da ich aber immer schlechte Noten im Rechnen hatte, konnte ich kein Förster werden. Der Direktor des Waisenheims, ein gewisser Herr Hopfner, hat mich dann zu einem Freund, der Besitzer einer Eisenhandlung war, in die Lehre geschickt, wo ich dann alle Aufgaben, die in so einem Betrieb anfallen, wie Schrauben zählen, Ofenrohre tragen usw. ausführen musste. Das hat mir überhaupt nicht gefallen, und ich habe die erste Dummheit in meinem Leben begangen, indem ich ein Rasiermesser gestohlen habe. Als man das entdeckte, wurde ich natürlich entlassen und kam in ein Strafjugendheim in der Wasnergasse, wo eine sehr strenge NS-Erziehung war. Meine Mutter hatte mir von ihrem Ersparten eine kleine Ziehharmonika gekauft. Ein Zimmerkamerad hatte sie sich von mir ausgeliehen, aber sie mir nie mehr zurückgegeben. Und da geschah meine zweite Dummheit. Ich habe seinen Schrank aufgebrochen und mir meine Ziehharmonika geholt. Das war in der damaligen Zeit Kameradschaftsdiebstahl. Daraufhin wurde ich öffentlich bestraft, indem ich völlig nackt auf einem Tisch stehen musste. Ich wurde mit Riemen geschlagen und anschließend in Ketten in die Juchgasse in eine Strafanstalt geschickt. Dort musste ich, wie in einem Gefängnis, Tüten kleben. Das war fürchterlich. Aber ich hatte einen Bekannten meiner Mutter, der war ein NSKK [Nationalsozialistische Kraftfahrkorps]-Sturmführer, und der hat sich meiner angenommen und in dem Heim interveniert. Und so konnte ich wieder in eine Lehre gehen.
Ich kam dann in ein italienisches Restaurant als Koch in die Ausbildung; denn ich wollte Schiffskoch werden. Man sagte mir, ich müsse erst die Ausbildung an Land machen, um dann als Schiffskoch zur See fahren zu können. Zwei italienische Brüder, die Inhaber dieses Restaurants waren Mario und Silvio Castagnola. Sie kannten meine Situation und haben sich meiner angenommen. In diesem Strafheim waren SS-Erzieher, die nicht an die Front wollten und die Jugendlichen sehr geschlagen und schlecht behandelt haben. Die Italiener sagten zu mir: „Du beginnst morgens um neun Uhr und arbeitest bis um ein Uhr. Von ein Uhr bis sechs Uhr hast du frei, und von sieben Uhr bis um zehn Uhr hast du wieder Dienst.“ So hatte ich das Glück, dass ich immer erst um halb elf nach Hause gekommen bin und morgens dann früh wieder in den Dienst ging.
Ich hatte guten Erfolg, ich war im Reichsberufswettkampf Zweitbester und habe von Baldur von Schirach eine Silbermedaille bekommen und ein Diplom. Doch ich wollte mehr und habe mich freiwillig als Offiziersanwärter gemeldet, um Offizier zu werden. Zu der Zeit war ich noch immer sehr begeistert von dem Regime. Ich durfte dann das Heereszivilabzeichen tragen und wurde in verschiedene Wehrertüchtigungslager geschickt.
Ich wurde mit gut sechzehn Jahren das erste Mal an die Front gegen Russland geschickt. In Stuhlweißenburg habe ich das erst Mal im Kampf gelegen. Ich war voller Angst, ich habe geweint, ich habe gebetet, ich habe nach der Mutter gerufen, es war fürchterlich. Die Russen haben mit dieser sogenannten Stalinorgel geschossen. Und ich habe immer in die Luft geschossen. Doch als sie dann auf mich zukamen, musste ich mich verteidigen und zurück schießen. Ich habe dann auch mit der Panzerfaust ein oder zwei Panzer abgeschossen. Auch den ganzen Rückzug bis Wien habe ich miterlebt. In Wien wurden wir am Laerberg in Stellung gebracht, um die Russen aufzuhalten. Die SS ist zurückgegangen, und wir Jungen mussten dort liegen bleiben. Ein Kamerad von mir wurde von einer Granate in den Rücken getroffen. Er wurde völlig zerfetzt. Es war grausam, und ich habe bitterlich geweint. Wir durften nicht fliehen, denn wenn jemand erwischt wurde, wurde er sofort an die Wand gestellt und erschossen.
Beim Rückzug haben wir bei den Häusern angeklopft und gefragt, ob wir als Jugendliche reinkommen können. Als Antwort haben die Leute heißes Wasser aus den Fenstern herunter geschüttet und geschrien: „Ihr Naziburschen, euch brauchen wir nicht.“ So musste ich über Wien am brennenden Stephansdom vorbei nach Floridsdorf, wo sie gerade drei Offiziere, die mit den Russen paktiert hatten, aufgehängt haben. Das musste ich auch noch mit ansehen. Dann bin ich hinauf geführt worden Richtung Niederösterreich. Dann traf ich den großen Tross mit Herrn von Schirach und den ganzen Parteibonzen, die die Lkws hoch bepackt hatten mit all ihren Sachen. Ich bin dann wieder über Niederösterreich hinunter nach Perg an der Donau und wurde dort in einem Waldlager mit anderen Jungen zusammen geführt. Dort gab es zwei große Lager mit Lebensmitteln und ein großes Lager mit Waffen.
Uns wurde dann gesagt, wir wären Wehrwölfe und müssten als Partisanen gegen die Amerikaner und die Russen kämpfen. Man hat uns das Wehrbuch weggenommen und uns mit Munition, Gewehren und Handgranaten ausgestattet. Die Lebensmittellager wurden in die Luft gesprengt, und dann hat man uns los geschickt. Wir waren so verbittert, dass wir sagten: „Die können uns mal!“ Und wir sind einfach zu den Amerikanern übergelaufen. Von den Amerikanern wurden wir in Steyr gefangen und nach Mauerkirchen in Lkw verfrachtet und in ein großes Sammellager mit sechsundzwanzigtausend Gefangenen gebracht. Das ganze Lager war unter freiem Himmel. Wir hatten nur das, was wir am Leibe trugen und mussten so im Freien kampieren. Über Tag bekamen wir ein Stück Brot und einen viertel Liter heißes Wasser, in dem ein paar Erbsen schwammen. Die Amerikaner sind dann dahinter gekommen, dass die deutschen Offiziere, die die Lagerverwaltung hatten, die Lebensmittel verkauft haben und uns nur mit den Resten versorgten. Diese Offiziere wurden vor unseren Augen sofort erschossen.
Es gab eine Möglichkeit, sich bei den Amerikanern zum Arbeiten zu melden. Man musste sich dazu um zwei Uhr nachts bei den Eisenbahnwaggons anstellen. Ich hatte das Glück, bei der ersten Partie dabei zu sein. Wir wurden nach Ranzhofen zu der Aluminiumfabrik geführt, wo wir zwischen den Fabrikhallen Latrinen, das sind offene Klosetts, graben mussten; denn in den Fabrikhallen lagen ruhrkranke Russen. Wir waren teilweise so schwach, dass wir in die völlig verschmutzten Löcher fielen. Es war fürchterlich, wir wurden dann heraus gezogen, mit Wasser abgespritzt und mit DDT eingestaubt. Danach sahen wir aus wie Mehlmännchen. Da kam ein älterer Mann, ein Offizier vorbei, er sah mich an und bedeutete mir, ich solle mit ihm kommen. Er hat mich in das Verwaltungsgebäude, wo er seine Wohnung hatte, mitgenommen. Er gab mir den Auftrag, die Dinge die dort lagen, zusammen zu räumen. Dort sah ich auf dem Tisch Dinge liegen, dir für mich den Himmel bedeuteten. Es war dort Geld, Zigaretten, Schokolade, einfach alles, was ich entbehrte. Aber ich widerstand der Versuchung, etwas davon zu nehmen. Er hatte mich von einem Nebenraum aus beobachtet. Es hatte ihn wohl sehr beeindruckt, dass ich dem allem widerstanden habe. So hat er mir nach meiner Arbeit, die ich gewissenhaft verrichtet hatte, einen ganzen Karton mit Lebensmitteln, Zigaretten und Schokolade gegeben und mich aufforderte, am nächsten Tag wieder zu kommen. Ich wäre von nun an sein Boy, meinte er. Als ich ins Lager zurückkam, wurde ich fast erschlagen, als man sah, was ich mitgebracht hatte. Menschen werden zu Hyänen, wenn sie Hunger haben. Ich sagte nur zu ihnen: „Streitet nicht, ich werde morgen wieder etwas mitbringen.“ Und ich habe alles gerecht verteilt. Wir bekamen dann ungarische Soldaten ins Lager. Diese waren voll mit Läusen, und wir haben alle diese Filzläuse bekommen. Die Folge war, dass wir uns wieder nackt ausziehen mussten. Wir wurden wieder mit dem DDT-Puder abgestäubt und gespritzt.
Es passierte aber, dass ich zwei Männer wieder traf, die ich vom Lehrlingsheim her kannte. Sie hießen Meierschmidt. Es waren zwei Brüder. Einer von ihnen hieß Rolf. Den anderen Namen weiß ich nicht mehr. Es kam dann der Tag, an dem man entlassen werden konnte. Ich habe mich auch angestellt, um entlassen zu werden. Die Vernehmungsoffiziere, welche zum größten Teil Juden waren, saßen dort. Als ich an der Reihe war und hinein kam und sie mich fragten wo ich hin wolle, sagte ich ihnen, dass ich zu den beiden Brüdern, die vorhin hier waren wolle. Sie seien in Dachau zu Hause und dass ich selbst habe keine Eltern mehr habe. Man sagte mir, ich könne zu den Brüdern gehen und zeigte mir die Tür, durch die hinausgehen sollte. Doch da waren schon zwei Männer und rundherum waren Maschinengewehre und ich fragte: „Was ist denn jetzt los, werden wir erschossen?“ Nein, nein wir standen auf der Kriegsverbrecherliste. Darauf antwortete ich: „Das kann nicht wahr sein. Wie kann man mit siebzehn Jahren ein Kriegsverbrecher sein. Das gibt es doch nicht.“
Wir mussten dann bei glühender Hitze in ein SS-Straflager marschieren. Dort gab es überhaupt nichts zu essen. Ich habe dann gelernt, Grass zu essen wie eine Kuh. Ich lernte auch zu unterscheiden zwischen bitterem und süßem Grass. Nach vierzehn Tagen bekamen wir endlich etwas zum Essen. In dem Bach, der dort am Lager vorbei floss, haben wir uns Fische gefangen und einfach roh gegessen, obwohl die Männer am oberen Teil des Baches ihre Notdurft erledigten. Auch mussten wir uns unten in dem Bach waschen. Die Frauen haben auf der gegenüberliegenden Seite des Baches gestanden und uns ausgelacht, weil wir uns dort nackend waschen mussten und versucht haben, mit Erde anstatt Seife die Haut zu reinigen. Ich habe dort eine große Wut auf diese Frauen bekommen, die mit den amerikanischen Soldaten sich herum trieben. Dann wurde ich wieder vorgeladen vor eine Kommission und gefragt, warum ich hier sei. Ich antwortete: „Ja, ich bin als ein Kriegsverbrecher eingestuft worden. Ich weiß nicht, ob ich erhängt oder erschossen werde.“ Die beiden Männer aus dieser Kommission schauten sich an und fragten mich, wie alt ich sei. Ich antwortete, dass ich siebzehn Jahre alt sei. Sie haben den Kopf geschüttelt und mich in das Lager zurückgeschickt, aus dem ich gekommen war. Ich kam also wieder in dieses Lager.
Dann gab es den Erlass, dass wer im Umkreis von fünfzig Kilometern irgendwelche Verwandte hatte, entlassen werden konnte. Ich erklärte ihnen, dass ich in diesem Umkreis eine Tante hätte, die Bäuerin sei und dass ich dort hingehen möchte. So bekam ich die Entlassungspapiere. Ich bin mit einem ehemaligen Schulkameraden zuerst zu einem Bauern gegangen und habe gefragt, ob wir etwas zum Essen bekommen könnten. Doch die Bauern hatten kaum selbst etwas zum Essen. Wir kamen dann in eine Ortschaft, wo ein Bauer zu uns sagte: „Wenn ihr mähen könnt, könnt ihr auch etwas zum Essen haben.“ Wir sagten natürlich ja, obwohl ich noch nie eine Sense in der Hand hatte. Er schickte uns auf ein sehr tief liegendes Graßstück, das voller Binsengras war. Da wir barfuß gehen mussten, zerschnitt und zerstach uns dieses Gras die Fußsohlen. Am Abend saßen wir am Tisch, auf dem eine Schüssel mit Suppe stand. Außerdem bekamen wir einen Knödel und ein Stückchen Fleisch auf unseren Teller. Und das war alles. So haben wir vierzehn Tage dort gelebt und waren nicht glücklich. Mein Freund meinte dann, dass wir uns krank melden konnten, und das taten wir auch. An dem Morgen sagte der Bauer zu uns: „Aber am Nachmittag kommt ihr aufs Feld!“ Als alle aushäusig und auf dem Feld waren, sind wir in die bis oben hin gefüllte Speisekammer gegangen, haben unsere Rucksäcke gefüllt und sind einfach weg gegangen. Wir haben später herausgefunden, dass dieser Bauer der Ortsbauernführer aus der NS Zeit war und ein NSDAP Chef gewesen ist. Dieses Wissen hat unser Gewissen etwas beruhigt.
Auf unserem Marsch hat mein Schulfreund eine Freundin gefunden, und ich bin allein weiter bis nach Munderfink gegangen. Dort kam mir ein älterer Mann entgegen und fragte mich, was ich so vorhabe. Ich erklärte ihm, dass ich irgendwo unterkommen wolle und habe ihm meine bis ganze Geschichte erzählt. Er sagte darauf: „Ich leite hier ein Flüchtlingslager mit Frauen und Kindern. Wenn du Holz hacken und heizen kannst, dann kannst du zu mir kommen.“ Nach dem ich kurze Zeit dort war, war ich der Liebling der Frauen, die mich Bubi nannten und mir geholfen haben, mit den einfachen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, Zivilkleidung für mich anzufertigen. Dann machte ich die Bekanntschaft einer jungen Lehrerin. Ich erinnere noch, dass sie Elfie hieß, eine junge hübsche Frau die sagte, dass sie nach Wien wolle. Und ich sagte, dass ich mit ihr gehen wolle. Die Frauen haben sich zusammen getan und uns ausgestattet mit Lebensmitteln und lebensnotwendigen Dingen.
Wir sind per Autostopp nach Linz gekommen und dort über die Brücke gegangen. Da sah ich, dass die Russen dort waren, und meine Angst war wieder da. Als wir auf dem Wege zum Bahnhof waren, hielt plötzlich ein Lkw neben uns und ein russischer Offizier sprang heraus, ich dachte: „Nun ist es zu Ende.“ Doch er sprach uns auf Deutsch an und fragte: „Was machen sie hier?“ „Wir wollen nach Wien“, war die Antwort. Nach ein paar weiteren Fragen sagte er zu uns: „Steigt auf den Wagen, aber haltet den Mund.“ Er hat uns mit bis nach Persenbeugg an die Donau genommen, wo wir hinüber setzen mussten, um zur Westbahn zu kommen. Doch dort an der Donau waren die Russen, die jedes männliche Wesen, dessen sie habhaft werden konnten, in ein Lager gesteckt haben und von dort aus nach Sibirien schickten. Als mir das bewusst war, fing ich an zu weinen. Der russische Offizier sagte zu mir: „Sei still.“ Er hat sich den russischen Kommandanten rufen lassen, der ein russischer Oberst, ein Partisanenführer aus Wien war, und zu ihm gesagt: „Wenn der Junge und das Mädchen nicht ans andere Ufer gelangen, wirst du an den Galgen kommen.“ Der hat sofort salutiert und zwei Leute geschickt, die uns mit dem Boot über die Donau nach Persenbeugg zum und Bahnhof gebracht haben.
Die Züge dort waren alle völlig überfüllt; doch die beiden Männer haben einfach eine Tür geöffnet und mich hinein geschoben. So war ich dann in dem Zug, wo ich auf dem Schoß von älteren Frauen lag, die nicht sehr angenehm rochen. Doch auf diese Weise bin ich zum Westbahnhof in Wien gekommen. Dort war natürlich alles zerbombt. Ich bin in den fünften Bezirk gegangen, wo mein ganzes Hab und Gut war, all die Dinge wie mein Lehrdiplom, meine Preise, meine Kochausrüstung, meine Bücher und meine Dokumente. Aber alles war fort oder vernichtet. Ich besaß nichts mehr. So habe ich in Ruinen und auf Parkbänken geschlafen, immer mit der Angst, dass mich bloß niemand von der Militärpolizei erwischt.
Doch dann kam mir der Gedanke, ich könne ja zu meiner alten Pflegemutter gehen. Als ich dort an der Tür klingelte und die Tür sich öffnete, wurde ich freudig begrüßt, denn sie war der Meinung, ich sei tot. Sie war schon über neunzig Jahre alt. Dort konnte ich wenigstens erst einmal gut schlafen. Aber es war sehr wenig zum Essen vorhanden, so dass ich nicht lange bleiben konnte. Ich bin dann zur Schwester meiner Mutter gegangen. Diese wartete auf ihren Sohn, der auch aus der Gefangenschaft kommen sollte. Dort habe ich acht Tage gelebt und dann wieder im Park geschlafen. Dann habe ich mich daran erinnert, dass ich in dem Lehrlingsheim eine Liebste hatte. Wir hatten uns damals heimlich verlobt. Ihre Eltern hatten mich schon kennen gelernt, und wir waren mit deren Genehmigung auch schon ausgegangen. Ich bin also in die Tigergasse, wo die Eltern wohnten, gegangen und habe an die Tür geklopft.
Obwohl man sehr viel Angst vor den Russen hatte, wurde mir die Tür geöffnet. Heraus schaute eine blonde Dame und ich rief: „Hallo Poldi, bist du verrückt, du hast so schöne schwarze Haare gehabt!“ Mir wurde geantwortet: „Ich bin nicht die Poldi, ich bin die Lilli, ich bin ihre Schwester.“ So habe ich meine erste Frau kennen gelernt. Sie hat mich dann hinein geführt. Die Eltern kannten mich ja schon. Ja und die Lilli hatte großes Mitleid mit mir und sagte zu ihren Eltern: „Er kann ja in meinem Zimmer schlafen, und ich schlafe bei euch.“ Daraus ist dann meine erste Ehe entstanden.
Damit unser erstes Kind nicht unehelich geboren wurde, musste ich zu meinem Vormund gehen, um mir die Genehmigung zur Heirat zu holen, da ich zu dem Zeitpunkt noch nicht volljährig war. Vom Vormund wurde von mir gefordert, die Person zu bringen, die mich verführt haben soll. Wir sind zusammen am nächsten Tag zu ihm gegangen. Er war wie umgewandelt, als er meine zukünftige Frau sah. Es gab überhaupt keine Schwierigkeiten mehr, und innerhalb von acht Tagen hatte ich die Volljährigkeitserklärung und die Genehmigung zum Heiraten. Wir haben am siebzehnten Mai 1949 geheiratet, und am siebenundzwanzigsten Mai kam das Kind zur Welt. Zu meiner Frau habe ich gesagt: „Ich habe dich nur wegen des Kindes geheiratet, damit es nicht unehelich geboren wird und Ähnliches durchmachen muss wie ich. Wir lassen uns wieder scheiden.“ Meine Frau war damit einverstanden und meinte, sie werde mit dem Kind schon durch kommen. Aber wie es so ist, ich habe mich nicht scheiden lassen. Es kam ein zweites Kind, und wir waren in Liebe einander zugetan.
Als meine erste Tochter fünf Jahre alt war, ist sie an einem sogenannten Kruppverdacht erkrankt und beim Transport ins Krankenhaus in den Armen meiner Frau gestorben. Unsere zweite Tochter ist am selben Tag schwer an Scharlach und Diphtherie erkrankt und musste auch ins Krankenhaus. Da habe ich Gott verflucht; das Liebste was ich hatte, das hat er mir genommen. Er kann mich nicht lieben. Zwei Wochen später fuhren zwei Missionare durch unsere Gasse. Wir wohnten derzeit im achten Bezirk in der Tigergasse, und die Missionare hatten direkt vor unserem Haus eine Reifenpanne. Der Missionar Elder Christensen sagte zu seinem Mitarbeiter: „Ich habe ein bestimmtes Gefühl, dass wir in diesem Haus an eine ganz bestimmte Tür klopfen sollen.“ So kamen sie an unsere Tür und haben sich meiner Frau als Missionare vorgestellt. Sie fingen an, von der Kirche zu erzählen, und meine Frau hat sie herein gebeten. Meine Frau hat mir am Abend davon berichtet. Ich antwortete ihr darauf: „Du kannst dich taufen lassen, ja du kannst Mormonin werden; doch mich lass damit in Ruhe. Für mich ist der Herr Gott gestorben. Ich brauche derartiges nicht mehr.“ Unsere Ehe stand auf sehr wackeligen Füßen. Ich trank sehr viel Alkohol, und ich rauchte. Ich war völlig am Boden zerstört. Aber meine Frau war sehr lieb und hatte sehr viel Verständnis für mich. Sie sagte: „Bleib doch heute einmal hier.“ Ich bin daraufhin geblieben, und der Missionar Bruder Schauperl hat mich belehrt. Er hat mir den Stehbildfilm „Das Holz Juda“ gezeigt. Und da ich immer für Indianer geschwärmt habe, hat mich die Geschichte der Lamaniten sehr interessiert. Als sein Nachfolger kam, ein Bruder Robert Weatherford, erhielt ich das Buch Mormon und er forderte mich auf, es zu lesen. Ich benötigte sechzig Tage dazu, und als ich an die Stelle: Alma 34:32 kam: „denn sehet, dieses Leben ist die Zeit, wann der Mensch sich vorbereiten soll Gott, zu begegnen; ja, siehe, der Tag dieses Lebens ist der Tag, da der Mensch seine Arbeit verrichten soll,“ da hat es bei mir geklickt. Ich habe angefangen, mich mehr für die Dinge des Glaubens zu interessieren.
Als dann die Brüder meinten, wir sollten doch einmal ein gemeinsames Gebet sprechen, haben wir uns hingekniet. Als ich so betete, wie es die Missionare mich gelehrt hatten, hatte ich das Gefühl, die Decke öffnet sich über mir. Es fuhr wie ein Blitz durch meinen Körper, und ich wusste, das Buch Mormon ist das Wort Gottes. Mir war klar, die Kirche ist wahr. Und ich wusste, die Missionare sind von Gott zu mir gesandte Engel, um mich zu Gott zu führen. Von dem Moment an wusste ich auch, dass Joseph Smith ein Prophet war. Als die Missionare mich dann in das damalige Versammlungshaus in der Seidengasse einluden, habe ich mich geweigert, dorthin zu gehen. Die Missionare fragten, warum ich denn nicht dort hingehen wolle. Ich sagte zu ihnen: „Wenn ich einmal dort hingehe, dann komme ich nie wieder dort weg. Aus diesem Grund will ich nicht dort hingehen.“ Ich wusste genau, was auf mich zukommen würde, und ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Dann bin ich doch eines Tages in die Seidengasse gegangen, wurde dort freundlich begrüßt und habe in der GFV im Theater mitgespielt. Ich wusste, dass ich mich taufen lassen würde und habe davon Zeugnis gegeben. Danach habe ich um die Taufe gebeten.
Der damalige Zweigpräsident Bruder Robert von Vacano fragte mich: „Haben die Missionare ihnen auch etwas vom Zehnten erzählt?“ „Ja, erwähnt haben sie etwas darüber.“ Darauf sagte er zu mir: „Lieber Herr Bogner, zahlen sie mir einmal für einen Monat den Zehnten ihres Einkommens, und dann reden wir über die Taufe.“ Das waren für mich einhundertfünfzig Schillinge. Ich habe damals mit der Kinderbeihilfe tausendfünfhundert Schillinge verdient. Das war für mich sehr viel Geld und hat mich sehr geschmerzt. Denn ich habe zu der Zeit nur mit Schulden gelebt. Wenn ich einen Anzug benötigte, ging ich in das jüdische Kaufhaus Haber. Und wenn der Anzug bezahlt war, war er auch so abgetragen, dass ich einen neuen benötigte. Aber ich habe damals den Zehnten bezahlt und zahle ihn heute auch noch und habe immer noch ein brennendes Zeugnis vom Zahlen des Zehnten. Ich wurde dann am 24. April 1955 im Magarethenbad getauft. Auf dem Weg zur Taufe war ich so aufgeregt und nervös, dass ich mir eine Zigarette anzündete. Meine Frau sagte: „Bist du wahnsinnig, wenn dich die Leute sehen!“ Bei der Taufe hatte ich ein Gefühl, als wenn ich in einen Schacht hinein geworfen werde, finster und gruselig war es. Und auf einmal war alles hell, und da war ich auch schon draußen.
Ich hatte damals zusammen mit meinen Arbeitskollegen eine elektrische Eisenbahn. Wir haben am Sonntag immer damit gespielt. Als meine Arbeitskollegen dann zu Rauchen anfingen, wurde mir so schlecht, dass ich auf die Toilette gegangen bin und gedacht habe ich muss sterben. Als ich dann zurück ins Zimmer kam und meine Arbeitskollegen bat, mit dem Rauchen aufzuhören, weil ich es nicht mehr vertrug, hatten sie dafür überhaupt kein Verständnis. Ich habe sie dann gebeten, das Zimmer zu verlassen. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen. So hat der Herr an mir ein Wunder vollbracht. Ich hatte zuvor vielleicht schon einhundert Mal mit den verschiedensten Methoden versucht, das Rauchen auf zu geben. Von dem Zeitpunkt an, habe ich nie mehr geraucht oder Alkohol getrunken.
Drei Monate später wurde ich schon als Ratgeber in die Zweigpräsidentschaft berufen. Danach folgte eine Berufung der anderen bis ich zehn oder elf Berufungen zur gleichen Zeit innehatte. Der jetzt noch in der Gemeinde lebende Bruder Husz war mein Pfadfinderjunge. Ich war damals nämlich auch Pfadfinderführer. Ich habe ihn auch getauft. Vor kurzem sagte er zu mir: „Im nächsten Jahr sind es einundfünfzig Jahre her, dass du mich getauft hast.“ Fünfundzwanzig Jahre lang war ich Sonntagschullehrer. Ich hatte die verschiedensten Berufungen inne. Im Distriktsvorstand war ich Ratgeber. Ich war Sekretär, Gemeindepräsident, Gemeindeleiter in Sankt Pölten. Zwei Jahre lang musste ich mit dem Moped immer dorthin fahren, weil die Kirche das Geld nicht hatte, um mir die Bahnfahrt zu bezahlen. Es war eine schöne Zeit. Ich habe vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber ich habe vielen Menschen helfen können. Es war ein sehr erfülltes Leben.
Es sind jetzt einschließlich der Bekehrungszeit im März vierundfünfzig Jahre her, dass ich mich der Kirche angeschlossen habe. Von meinem schönsten Erlebnis möchte noch berichten. Ich habe mit im Chor gesungen. Ich sollte ein Solo singen. Aber kurz davor habe ich eine Stirnhöhlenvereiterung bekommen. Ich sollte dieses Solo in der Distriktskonferenz singen. So habe ich mich am Samstag aufgemacht und bin mit der Straßenbahn in die Seidengasse gefahren, weil ich wusste, Präsident Körtis hat dort eine Besprechung mit den Brüdern des Distriktes. Ich wollte um einen Krankensegen bitten. Als die Brüder mich sahen, haben sie mich ausgeschimpft. Sie meinten, wie ich nur so dumm sein könne, um mit einer derartigen Erkältung aus dem Hause zu gehen. Ich sagte zu ihnen: „Ich möchte doch nur einen Krankensegen haben.“ Der Präsident sagte: „Wenn er es wünscht, dann geben wir ihm doch einen Segen.“ Anschließend wurde ich mit dem Auto nach Hause gebracht. Ich musste sofort ins Bett. In der Nacht, um 24 Uhr, bin ich aufgewacht. Ich war schweißnass, und als meine Frau das Licht anmachte, war das Kopfkissen voll mit Blut und Eiter. Doch am Sonntag habe ich mein Solo im Chor gesungen. Präsident Curtis sagte noch, dass es das erste Mal sei, dass er eine Krankensegnung auf diese Weise erlebt hat.
Wir hatten einen Hund. Wenn ich mit dem Hund spazieren ging, habe ich mich immer mit dem Vater im Himmel unterhalten. Einmal sagte ich: „ Vater im Himmel, du weißt, ich habe keine Söhne. Ich bin allein, und ich würde gern die Arbeit für meinen Vater machen. Aber ich weiß nicht, ob er gefallen ist. Ich weiß nur, dass er vermisst ist. Ich muss einhundert und zehn Jahre warten, bis ich die Arbeit tun kann. Lass mich bitte so alt werden, 72 Jahre, dass ich die Arbeit für ihn tun kann, und danach kannst du mich gerne heimholen.“ Auf diese Weise habe ich immer mit ihm gesprochen. Dann kam 1988–1989 die Regelung von der Genealogischen Gesellschaft, dass die Tempelarbeit für im Krieg vermisste Männer getan werden könnte. Zu der Zeit war ich schon Tempelarbeiter und auch im Hohen Rat. Pfahlpräsident Husz gab mir den Rat, da Bruder Ringger (Präsident vom Tempel in der Schweiz) in Wien war, mich seiner anzunehmen und ihm Wien zu zeigen. Wir entwickelten ein sehr gutes Verhältnis zu einander. Ich erklärte ihm die Situation mit meinem Vater. Worauf er zu mir sagte: „Wenn du im August in die Schweiz in den Tempel kommst, werden wir alles für die Verordnungen deines Vaters tun.“
So bin ich dann für meinen Vater getauft und konfirmiert worden, habe die Begabung für ihn empfangen und als erster Europäer als uneheliches Kind an die Eltern gesiegelt worden. An dem Tag, als das durchgeführt wurde habe ich nur geweint. Ich hatte aber noch einen Herzenswunsch. Als ich mit meiner Frau am vierten April 1958 im Schweizer Tempel von Präsident Trauffer gesiegelt worden bin, wurde der Wunsch in mir wach, auch einmal so etwas tun zu dürfen. Es muss herrlich sein, Menschen für ewig aneinander zu siegeln. Doch bis 1992 musste ich darauf warten. Dann wurden mir von Präsident Hunter die Hände aufgelegt. Und es kam wieder dieses Gefühl, und es ging durch und durch, als mir die Siegelungsvollmacht übertragen wurde.
Als meine erste Frau 1998 starb, sie hatte Alzheimer, hatte ich sie vier Jahre lang gepflegt. Ich hatte auch nicht das Geld, um sie in ein Heim zu geben. Ein Jahr lang trauerte ich um sie. Danach habe ich mich bei der Leitung des Frankfurttempels nach einer Kurzzeitmission erkundigt. Mir wurde gesagt, ich könne jederzeit kommen und arbeiten, da ich ein Siegler sei. Ich sagte ihnen, ich hätte noch Geld von der Beerdigung übrig behalten und könne für ein halbes Jahr eine Tempelmission erfüllen. Sie waren davon sehr angetan und meinten, sie würden immer Leute gebrauchen. Ich wurde dann aus meiner Pfahlberufung entlassen und bei der Fahrt zum Tempel sagte ich zum Himmlischen Vater: „Du weißt, ich bin jetzt einem Jahr allein. Wenn du willst, so lass mich im Tempel eine Frau finden. Ich möchte nicht mehr allein sein.“ Bruder Glück, der zu der Zeit auch auf Tempelmission war, hat mich auf die Trude aufmerksam gemacht: „Ich sagte: „Was soll ich alter Esel mit der hübschen Amerikanerin?“ Aber wenn man gemeinsam im Tempel arbeitet, hat man zumindest Augenkontakt. Sie hat mich immer wieder angelächelt. Beim Siegeln hat sie unter dem Schleier so besonders hervor geschaut. Ich sagte mir: „Aha, irgendwo scheine ich Anklang gefunden zu haben.“ Auf den Missionartreffen hat man sich auch schon einmal geneckt. Und ich habe auch geschummelt, damit sie gewinnt oder verliert. Dann kam sie am elften August 1999, das war zwölf Tage vor meiner Entlassung, setzt sich neben mich und fragte: „Kannst du treu sein?“ Ich antwortete ihr: „Was heißt treu sein. Ich war mit meiner Frau 49 Jahre verheiratet. Warum sollte ich nicht treu sein?“ Doch da merkte ich, was los war. Ich habe mir gedacht, am nächsten Tag fragst du sie, ob sie deine Frau werden will. Mehr als „nein“ kann sie ja nicht sagen. Am nächsten Tag im Tempel sah ich sie auf einer Bank sitzend in einen Liahona lesen. Ich bin auf sie zugegangen, vor ihr stehen geblieben, habe ihre Hand genommen und sie geküsst und sie gefragt: „Würdest du einen so alten Esel wie mich heiraten? “Sir sagte „Ja.“ Daraufhin habe ich einen roten Kopf bekommen und bin weggelaufen. Am liebsten hätte ich sie geküsst; aber das ging im Tempel ja nicht. Am Abend sind wir dann auf dem Tempelgrundstück spazieren gegangen, und ich sagte: „Weißt du Trude, ich bin ein armer Rentner und ich habe nicht viel Geld. Ich kann dir auch keinen Verlobungsring kaufen. Aber ich habe eine Siegelring, den ich dir geben möchte, als Zeichen meiner Liebe.“ Diesen Ring hat sie lange um den Hals getragen.
Zu der Zeit hatte ich den goldenen Schlüssel, was bedeutet, dass ich morgens als erster im Tempel sein musste, um alles zu öffnen, damit die Tempelarbeit getan werden kann. Als dann die Missionare kamen und fragten, ob es etwas Neues gäbe, da sagte ich ihnen, dass die Trude und ich uns verlobt haben. Ihre Freude war groß, und sie meinten, so hätte ihr Fasten und Beten dafür doch etwas genützt. Dann habe ich den Tempelpräsidenten Bruder Borcherding angerufen, um auszuschließen, dass er über andere Kanäle davon erfährt. Ich bat ihn auch, dass er seiner Frau mitteilte, dass Schwester Ews und ich im nächsten Jahr am sechsten April 2000 in Wien heiraten werden. Alle waren sehr erfreut. Am achtundzwanzigsten August wurde ich entlassen und bin mit den Jugendlichen aus Wien mit dem Autobus zurück nach Wien gefahren. Der Abschied voneinander war von Tränen begleitet. In der Zeit bis zur Entlassung meiner Verlobten aus dem Missionsdienst im Tempel haben wir sehr viel miteinander telefoniert. Wir hatten lange Gespräche. Sie hat mich einmal in dieser Zeit besucht, weil ich mich ins Krankenhaus begeben musste, um mich einer Gallenoperation zu unterziehen. Sie hat sich alle Papiere schicken lassen, die für eine Eheschließung erforderlich sind und wir erledigten alle Vorbereitungen für die standesamtliche Trauung. Die Standesbeamtin war so freundlich und hat keine Übersetzung der amerikanischen Papiere verlangt. Sie hat alles so akzeptiert.
Ich bin noch für die Monate Februar-März zum Tempel gefahren, weil ihre Kinder Ende März kommen wollten, um ihre Mutter abzuholen. Doch es war ja nun so, dass sie mit mir gehen würde. Es musste auch noch ein Kennenlernen zwischen den Kindern und mir stattfinden. Als wir auf dem Flugplatz waren und die Kinder ankamen, wäre ich am liebsten davon- gelaufen. Doch ich bin geblieben. Die Freude der Kinder war nicht gerade überschwänglich, was man ja verstehen kann. Aber man nahm mich an. Heute bin ich das Liebchen der Familie und pendele zwischen Wien und Amerika hin und her, denn meine Frau hat fünf Kinder, und ich habe eine Tochter. Und wir wollen gerne allen gerecht werden. Für mich gibt es immer die Schwierigkeit, dass ich in Amerika nicht versichert bin. So muss ich alle meine gesundheitlichen Dinge immer in Wien erledigen. Doch wenn das geregelt ist, freue ich mich immer darauf, zu dieser hübschen Dame nach Amerika in Oregon zu fahren.
Ich danke dem Herrn für diese wunderbare Gefährtin mit der ich gemeinsam seit 2000 jedes Jahr zwei bis drei Monate im Frankfurt Tempel als Siegler und Tempelverordnungsarbeiter dienen darf solang mir der Vater im Himmel die Gesundheit schenkt dies tun zu dürfen in seinem Werk die Unsterblichkeit und das ewige Leben der Menschen zustand zubringen. Ich bin dankbar für die große Familie, die ich nun haben darf und es ist mein Wunsch meine geliebte Frau wieder in die Gegenwart unseres Vaters zu bringen, obwohl wir nicht gesiegelt sind, weil ein Teil der Kinder es nicht erlaubt. Ehre sei dem Herrn, dass er mir einen Engel an die Seite gestellt hat, um meine Arbeit in seinem Werk tun zu dürfen. Danke für alles und Ihm sei alle Ehre im Namen Jesu Christi. Amen
Lieber Br. Bogner,
es hat mich sehr berührt Deine Geschichte zu lesen. Ich musste manchmal stoppen und darüber nachdenken, so sehr ist es mir unter die Haut gegangen. Vielen Dank, dass Du Dein Leben teilst und für das Vorbild das Du immer gegeben hast. Für mich warst Du als junges Mädchen ein Vorbild, obwohl ich mich manchmal ein wenig vor Dir gefürchtet habe, habe ich Dich immer wieder beobachtet und Deinen Worten zugehört. Einen Lieben Gruß aus den Niederlanden.
A.-Alexandra van Duin (Petersell)
Hallo Br. Bogner!
Hab mit großem Interesse deine Lebensgeschichte gelesen, ja das was kein leichtes Leben! Aber du hast es geschafft und das ist das Wichtigste. Mit der Hilfe lieber Menschen, die du immer wieder getroffen hast und vor allem als Mitglied der Kirche! Ich wünsche Dir noch viel Glück und schöne Stunden, Gesundheit und ein „leichtes“ Hinübergehen!
Herzlich
Ingrid Jelinek
Lieber Friedrich, Liebe Trudi,
Heute Sonntag 07.12.2014, ist meine geliebte Christel, friedlich eingeschlafen.
Liebe Grüße
Rolf