Insterburg, Ostpreußen
Mein Name ist Alfred Alfons Emil Buntfuß. Ich wurde am 22.Mai 1926 in Dortmund-Scharnhorst geboren. Aufgewachsen bin ich in Insterburg in Ostpreußen. Meine Jugend war schwer. Es gab große Arbeitslosigkeit. Mein Vater war von Beruf Tischler, aber Arbeit war schwer zu bekommen. Meine Jugend war eine strenge Zeit, da man uns Kinder oft verhauen hat. Wir bekamen von unseren Eltern, in der Schule von den Lehrern und auch in der Lehre vom Meister Prügel. Unsere Eltern kannten es nicht anders, sie waren auch so aufgewachsen. Wir wurden hart erzogen.
Ich bin in Insterburg zur Schule gegangen. Zuerst wohnten wir in der Gerichtsstraße. Das war nicht weit von der Schule entfernt. Wir mussten jedoch bald umziehen, da wir in einer kleinen Wohnung mit nur einem Raum lebten, denn meine Eltern waren arm. Wir hatten kein Bad und kein elektrisches Licht, nur Petroleumlampen. Das war früher so. Wir sind dann in eine neue Siedlung umgezogen, dort hatten wir ein Wohn-, ein Schlafzimmer und eine Küche. Es gab auch hier keinen Strom und kein fließendes Wasser. Das Wasser musste man in Eimern von der Pumpe holen, die 200 Meter entfernt war.
Mein Vater bekam auch eine Arbeit als Tischler, aber er musste weit zur Arbeit laufen. Erst viel später hatte er ein Fahrrad. Wenn er heimkam, war er oft müde und wurde schnell böse, wenn etwas nicht klappte. Meine Mutter hat damals nicht gearbeitet. Die Wäsche wurde draußen an der Pumpe mit dem Rubbelbrett gewaschen. Das war nicht so wie heute. Die Wäsche wurde erst gestampft, dann gerubbelt und mit der Hand ausgewrungen. Dann wurde die Wäsche bei schönem Wetter auf die Wiese zum Bleichen gelegt.
1930 kamen Missionare zu uns. Meine Mutter hatte bald den Wunsch sich taufen zu lassen, aber mein Vater brauchte ein bisschen länger, bis er bereit war. Am 29.April1931 wurden dann meine Eltern getauft und ich wurde gesegnet und so waren wir nun Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Zur Kirche mussten wir ca. 4 Kilometer laufen. Es gab zwei Versammlungen am Sonntag. Das war für mich sehr schwer, es gab keinen Bus und auch keine andere Fahrgelegenheit. Ich wurde mit acht Jahren, an meinem Geburtstag, am 22. Mai 1934, getauft. Dieses Jahr habe ich ein Jubiläum 75 Jahre Mitglied der Kirche. Die Taufe war politisch verboten zu dieser Zeit, so mussten die Taufen heimlich gemacht werden. Es war morgens um 5,00 Uhr. Meine Eltern und zwei Missionare und eine Kuh auf der Weide waren dabei. Ich habe damals noch nicht den Geist verspürt, ich glaube, ich habe mich aus Gehorsam zu meinen Eltern taufen lassen.
Die Kirche war in unserem Gebiet im Aufbau. Wir hatten kein eigenes Gemeindehaus und mussten oft die gemieteten Räume wechseln. Die Räume, die wir bekamen, waren immer in einem sehr schlechten Zustand. Da mein Vater Tischler war, hat er jedes Mal bei der Renovierung viel geholfen und ich musste auch mithelfen. Das war für mich sehr schwer. Es gab auch andere Kinder in der Gemeinde, aber es gab keine Primarvereinigung, aber eine Sonntagsschulklasse. Viele Freunde waren dabei, aber sie sind alle später nicht mehr gekommen.
Die Gestapo war oft in unseren Versammlungen und haben uns kontrolliert. Sie haben uns gesagt: „Wir verbieten euch nicht, wir dulden euch.“ Sie haben das immer wieder betont. Wir hatten vier Missionare, die auch viel zu uns nach Hause kamen, Sie hatten viel Zulauf von Freunden, das war früher so. Die Missionare haben auch viel Sport mit uns Kindern gemacht. Ich habe auch viele Bekannte und Freunde, bestimmt zwanzig, zur Kirche gebracht. Ich wurde sogar mit einem Buch ausgezeichnet. Mein Vater hat vor seiner Taufe getrunken und meine Mutter hat ihn nicht wichtig genommen, aber er hat sein Leben geändert und nach der Taufe hat er eifrig gedient. Er kam in die Führerschaft der Gemeinde (des Zweiges) und wurde später Zweigpräsident.
1933 ist Hitler an die Macht gekommen und 1939 begann der Krieg. In der Schule war es so, dass wir nach Hitlers Vorstellungen erzogen wurden. Die Lehrer waren sehr streng. Wir hatten auch Religionsunterricht, ich brauchte den Religionsunterricht nicht mitmachen. In meiner Klasse war ich der einzige Mormone und es gab einen Juden. Eines Tages war der Jude weg, den haben sie weggebracht. Uns haben sie gesagt, er hätte das Zeugnis gefälscht.
In dieser Zeit mussten die Jungen zum Jungvolk, da bin ich auch gewesen und später auch bei der Hitlerjugend. Zum Teil war ich begeistert. Das war früher so. Wir haben oft sportliche Spiele gemacht. Oft hatte ich aber keine Lust mitzumachen. Wir hatten einmal ein Zeltlager, da bin ich ausgerissen, es hat mir nicht gefallen. Da wurden wir streng erzogen und bei der Hitlerjugend wurden wir militärisch für den Krieg vorbereitet. Ich habe auch ein Vierteljahr Arbeitsdienst mitgemacht. Es hieß, wir werden mit dem Spaten arbeiten, aber wir wurden am Gewehr ausgebildet. Nach der Schule wurden wir alle einen Monat militärisch ausgebildet. Da musste ich nach Polen und kam in ein Lager nach Rozana. Es war eine Wüste, ein völlig kaputtes Dorf. Dort wurden wir ausgebildet. Da waren alles SS-Ausbilder. Es waren Männer, die verletzt oder verwundet waren und nicht mehr an die Front konnten. Diese Ausbilder haben uns ganz schön fertig gemacht. Sie haben uns richtig gequält.
1941 war meine Schulzeit beendet und ich wollte einen Beruf erlernen. Ich wollte Tischler werden, wie mein Vater. Mein Vater hat es mir verboten. Er wollte es nicht haben. Dann wollte ich Bäcker werden, aber dafür war ich zu klein. Dann habe ich angefangen Friseur zu lernen, das habe ich aber nicht gerne gemacht. Einmal musste ich Leichen rasieren. Das war früher Mode, dass der Friseur Leichen rasieren musste, das hat mir nicht gefallen.
Von meinem Meister habe ich nicht viel gelernt, er hatte selbst nicht viel Ahnung. Richtig gelernt habe ich privat Zuhause. Da waren französische und polnische Friseure, von denen habe ich nach Feierabend gelernt. Mein Meister war einer vom alten Fach. Ich musste oft Hilfsarbeiten während der Arbeitszeit erledigen, z. B. die Toilette putzen, Besorgungen machen oder anderes. Und das alles für 3,50 RM in der Woche im ersten Lehrjahr. Im zweiten Lehrjahr musste ich abends zur Ausbildung bei der Flak. Die Ausbildung fand am Flugplatz statt. Wir wohnten in der Nähe vom Flugplatz. Wir bekamen auch eine Uniform.
Ich konnte nur zwei Jahre lernen, konnte die Lehre nicht beenden, denn ich musste für ein Vierteljahr zum Arbeitsdienst. Drei Tage nach Ende dieser Ausbildung, am 22. November 1943, ich war gerade 17½ Jahre alt, bekam ich den Stellungsbefehl als Soldat. Ich musste mich in Königsberg (heute Kaliningrad), melden. Wir wurden in einen unheimlich langen Zug eingeladen. Der Zug bestand aus Viehwaggons, die mit Stroh ausgelegt waren. Die Fahrt ging erst nach Kiel in Holstein. Der Zug musste ein paar Mal anhalten, weil Flugzeuge kamen. Es war schrecklich in diesen Viehwaggons, als Toilette gab es nur Eimer. Es gab keine Privatsphäre.
In Kiel mussten wir aussteigen und kamen einen Tag in eine Halle. Dann ging es weiter nach Frankreich zur Ausbildung. Wir kamen in einer kleinen Stadt in eine große Kaserne. Als wir ankamen, bekam jeder einen Bett- und einen Kopfkissenbezug. Die mussten wir mit Stroh vollstopfen und dann in die Holzbetten legen, darauf konnten wir dann schlafen. Dann ging die Quälerei los. Wir wurden von den Ausbildern wie Vieh behandelt. Aber auf der anderen Seite habe ich auch Glück gehabt. Da ich Friseur war, kam ich zu zwei Maat‘ s — zwei Unteroffiziere der Marine, als Bursche. Ich musste zwar die Ausbildung mitmachen, aber als die anderen die Ausbildung machten, konnte ich teilweise Saubermachen, Stiefel putzen oder anderes tun. Wir bekamen damals knapp Brot. Ich habe reichlich Brot bekommen und konnte das für meine Kameraden auf die Stube mitnehmen.
Damals hatten wir viele verschiedene Uniformen. Die Marine hatte eigentlich mehrere Uniformen, einige in blau und auch in weiß, Stiefel, Schuhe und Turnschuhe. Einmal musste ich zur Strafe meine ganzen Sachen, die ich hatte, aus dem Spind ausräumen und in den Seesack packen, damit drei Etagen runter laufen, dort alles auf einen Tisch legen, alles wieder zurück in den Seesack stecken, die drei Etagen hochlaufen und alles wieder in den Spind legen. Und das Ganze musste ich drei Mal hintereinander tun. Da war ich ganz schön kaputt. Einige haben sich das Leben genommen. Die Ausbildung war für uns junge Menschen zu scharf gewesen. Wir wurden ständig beleidigt und gequält. Ich hatte den Mut durchzuhalten, aber es war doch schwer.
Nach der Ausbildung kam ich zur Marine und sollte auf ein U-Boot kommen, hatte aber wieder Glück, ich wurde noch vorher als Sanitäter ausgebildet. Dazu kam ich nach Holland in ein Kloster in Scherenberg. Das liegt an der Grenze bei Emmerich am Rhein. Das Kloster gibt es noch heute. Einen Teil des Klosters bewohnten die Mönche, im anderen Teil waren wir untergebracht. Ich wurde hart ausgebildet, weil ich ja zu den U-Booten sollte und dort gab es keinen Arzt an Bord. Ich musste spritzen lernen und auch kleinere Operationen durchführen können, z. B. kleinere Geschwüre behandeln.
Die Ausbildung dauerte vier Wochen. Danach kam ich für eine Woche nach Flensburg in ein Lazarett zur praktischen Ausbildung. Hier habe ich zum letzten Mal die Kirche besuchen können. Nun sollte ich auf ein U-Boot gehen, aber es kam wieder anders. Nach der Sanitätsausbildung musste ich nach Holland, von dort gingen die Schiffe nach Norwegen. Hier kam ich aber auf ein norwegisches Handelsschiff zur Flakbesatzung und auch als Sanitäter. Als wir in Oslo einlaufen wollten, kamen wir nicht hinein, weil der Oslofjord vermint war und erst geräumt werden musste. Wir mussten einen ganzen Tag warten und kamen dadurch mit Verspätung in Oslo an. Nun musste ich nach Trondheim, weil sich dort meine Befehlsstelle befand. Ich fuhr mit dem Zug dort hin. Der Diensthabende der Befehlsstelle sagte zu mir. „Du kommst zu spät. Dein Schiff ist schon weg. Du musst warten, bis das nächste Schiff kommt, du kannst dich amüsieren. Du hast Ausgang.“ Ich sagte ihm, dass mein Vater in Trondheim als Tischler in der Werft Charlottenlund arbeitet. Er sagte: „Wenn du mit der Bahn zwei Stationen ahnst, dann bist du in Charlottenlund.“ Ich fragte ihn: „Kann ich dorthin fahren und ihn besuchen?“ Ich bekam einen Urlaubsschein und konnte meinen Vater besuchen. Er war sehr erstaunt und auch erfreut. Es war für uns beide ein frohes Wiedersehen. Ich musste zwei Tage in Trondheim bleiben, dann kam mein Schiff und ich musste weg.
Ich wurde zwar als Sanitäter eingesetzt, war aber gleichzeitig bei der Flak. Bei der Flak hatten wir immer vier Stunden Dienst und dann vier Stunden Schlaf. Eines Tages wurde unser Schiff durch eine Mine leicht beschädigt, es wurde im Hafen repariert und die Fahrt ging weiter. Einige Zeit später, ich wollte mich zum Schlafen ausziehen, da sagte eine Stimme zu mir: „Zieh dich nicht aus!“ Die Stimme sagt das, und ich denke „Was ist denn nun kaputt? Da sagt einer meiner Kameraden zu mir- „Was hast du?“ Ich: „Nichts!“ Und ich wollte mich nun ausziehen. Wieder war die Stimme: „Zieh dich nicht aus!“ Ich habe gestutzt und wollte immer noch nicht hören. Ein drittes Mal höre ich: „Zieh dich nicht aus!“, und ich habe mich nicht ausgezogen. Eine Stunde später ist das Schiff auf eine Mine gelaufen. Ich habe alles angehabt, die anderen waren im Schlafanzug. Die Stimme war laut und deutlich gewesen. Wir mussten alle einige Zeit im Wasser schwimmen, dann wurden wir gerettet. Dieses Erlebnis war für mich ein großes Zeugnis, dass Gott stets bei mir war.
Wir wurden neu eingekleidet und bekamen Urlaub und ich konnte nach Ostpreußen, in meine Heimat fahren. Meine Mutter traf ich leider nicht mehr an, sie war bereits auf der Flucht. Da habe ich bei einer Bekannten gewohnt. Ich habe auch Schwester Braun getroffen, später war sie auch mit ihrer Familie auf der Flucht. Dann war mein Urlaub zu Ende und ich wollte nach Norwegen zurückfahren. Ich hatte Glück, wir waren die letzten Soldaten, die in Richtung Westen fahren konnten. Danach wurden viele Soldaten nach Russland transportiert. Ich hatte wirklich großes Glück. Ich bin mit einem Lazarettschiff, einem umgebauten Passagierschiff, bis nach Oslo gefahren und habe mich dann in Trondheim zurückgemeldet. Meinen Vater konnte ich auch noch einmal kurz besuchen. Dann kam ich auf ein sogenanntes Routenschiff. Das Schiff transportierte die Post und Passagiere. Es fuhr von Insel zu Insel. Es fuhr zwischen Trondheim und Tromsø hin und her. Es war ein norwegisches Schiff. Jedes norwegische Schiff fuhr in dieser Zeit mit deutscher Flak. Dieses Schiff fuhr wie zu Friedenszeiten, bloß, dass die Deutsche Flak mitfuhr.
Kurz vor Ende des Krieges kam ich auf ein anderes Schiff. Dieses Schiff sollte am 09.Mai 1945 nach Deutschland fahren. Am 08. Mai 1945 war die Kapitulation, wir wussten davon nichts und sind noch marschiert und haben gesungen. Ich habe es dann im Radio gehört. Schluss – der Krieg war aus! Dann bin ich zu unserm Schiff zurück und wir mussten da bleiben. Wir waren nicht gefangen und blieben erst einmal acht Tage auf dem Schiff. Dann kamen wir in Norwegen in ein großes Lager, aber ohne Wachen. Es gab nur eine deutsche Wache mit Gewehren. Wir haben uns selbst bewacht. Es kam bloß ein Amerikaner durch und hat nach versteckten SS-Soldaten gesucht.
Aus unserem Lager wurden acht Männer zum Holzfällen gesucht. Ich war auch dabei. Wir kamen für vierzehn Tage in ein schönes Waldgebiet mit einem großen See. Es war ein friedvoller Ort und die Arbeit war nicht schwer. Wir kamen danach wieder in unser Lager zurück und ein paar Tage später hieß es wieder: „Raus treten!“ Es wurden zwei Sanitäter gesucht und ich war wieder dabei. Wir kamen in ein Offizierslager und ich kam zu einem Zahnarzt als Sprechstundenhilfe. Der Zahnarzt fragte mich nach meinem Namen. Ich sagte: „Buntfuß“, er fragte weiter: „Haben Sie in Norwegen Verwandte? „Ja, meinen Vater“. Und der Zahnarzt sagte: „Den kenne ich, der ist bei mir in Trondheim Patient gewesen. Der Zahnarzt hat mir viel beigebracht. Ich lernte auch bohren. Er wollte sogar, dass ich später mal Zahnarzt studieren sollte. Er wollte es mir ermöglichen. Er fragte auch, ob ich noch Kontakt zu meinem Vater hätte und ich sagte, dass ich nicht weiß, wo er jetzt ist. Er sagte zu mir: „Moment, gehen Sie mal runter in die Funkstation und sagen Sie, dass Ihr Vater in Trondheim war, und nennen Sie den Namen und sagen Sie, dass Sie ihn suchen.“ Acht Stunden später kam ein Anruf für mich. Und wer war am Apparat? Mein Vater. Für mich war es wieder eine Fügung Gottes, dass ich meinen Vater sprechen konnte.
Es war ein großes Offizierslager, wo ich mich jetzt befand. Ich war der Einzige, der das Lager verlassen durfte, weil ich eine Rote-Kreuz-Binde trug. Keiner hat mich aufgehalten oder durchsucht. So war es wieder eine schöne Zeit für mich. Am Tag habe ich vier Stunden gearbeitet, das war alles, dann hatte ich Freizeit. Eines Tages, kurz vor Weihnachten 1945, kommt der Zahnarzt zu mir und fragt mich: „Willst Du in Urlaub fahren?“ „Was? Das ist doch nur Spaß?“ „Nee“ sagt er, „hast Du Verwandte oder ein Zuhause?“ „Ja, ich habe eine Tante in Düsseldorf, aber ich weiß nicht, ob sie noch da ist.“ „Ist egal!“, sagte der Zahnart. Ich bekam vier Wochen Urlaub, bekam einen Urlaubsschein in Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch. Geld habe ich auch bekommen. So fuhr ich gut ausgerüstet in den Urlaub und kam nach langer Fahrt nachts in Düsseldorf an. Am nächsten Morgen habe ich dann die Wohnung meiner Tante gesucht und sie war wirklich noch da, aber sie war ausgebombt und lebte in den Trümmern. Es war aber eine schöne Wiedersehenszeit.
Die Rückfahrt war ziemlich schwierig, die Züge fuhren oft nicht, es war ja vieles kaputt. An einer Bahnstation kam ich nicht weiter. Ich wollte zu den Amerikanern, Engländern oder Franzosen gehen, die sollten mit weiter helfen. Da hatte ich wieder großes Glück. Ich kam zu einem Kanadier und habe meinen Ausweis vorgezeigt und bat ihn um Hilfe. Am anderen Morgen stand ein Jeep da, er wurde mit Lebensmitteln beladen und dann ging die Fahrt nach Hamburg. Dort musste ich mich melden. Ich kam erst einmal acht Tage auf eine Quarantäne-Station. Dann ging es weiter nach Kiel. In Kiel war die Hölle los, alles war voll von Gefangenen. Es wurde gestohlen und geschlagen, es gab kaum Essen. Es war einfach schlimm.
Da habe ich einen Anschlag gelesen, darauf stand: Minen suchen! Das war zwar ein Himmelfahrtskommando. Das wollte keiner machen, aber mir war das egal. Ich habe mich gemeldet und bin auf ein Schiff gekommen. Dort bekamen wir genug zu essen. So habe ich dann geholfen im Fehrman-Belt Minen zu suchen. Jetzt kommt wieder ein Wunder! Wir kamen nach einer Woche Minensuche nach Kiel zurück, ich kam in die Kantine, dort lagen Karten. Auf der Vorderseite war ein entwaffneter Soldat, kein Gefangener, der seine Angehörigen sucht. So zum Spaß habe ich auf eine Karte meinen Namen und meinen Absender geschrieben und hab sie achtlos liegen lassen. Ungefähr nach drei Wochen stand plötzlich mein Vater vor mir. Ich konnte es kaum fassen und fragte ihn: „Woher weißt du, dass ich hier in Kiel bin und wie kommst du hier her?“ Er sagte: „Du hast doch eine Suchkarte geschrieben. In letzter Sekunde, bevor wir unser Lager in Trondheim verlassen mussten, bekam ich die Karte. Ich bin jetzt in Lübeck in einem Lager und bekam die Erlaubnis Dich zu besuchen.
Mehrere Wochenenden konnte ich dann meinen Vater in Lübeck besuchen. So hatten wir durch die ganze Kriegszeit in Abständen Kontakt zueinander. Eines Tages im Sommer 1946, ich war wieder bei meinem Vater zu Besuch, da sagte mein Vater, dass er nach Hause fahren möchte. Mein Vater war ja Zivilist und durfte jederzeit fahren. Bisher hatte er es nicht getan, weil die Lagerleitung die Menschen in dem Glauben ließen, es wäre zu gefährlich nach Hause zu gehen. Ich entschied mich spontan ihn zu begleiten, obwohl ich keine Entlassungspapiere hatte. Mein Vater sagte zu mir, dass wäre doch viel zu gefährlich. Ich blieb aber dabei und es ging alles gut. Wir kamen wohlbehalten bei meiner Mutter, in der Russischen Zone an. So war die Familie wieder vereint. Wir hatten zwar unsere Heimat Ostpreußen verloren, wir waren aber wieder gesund beisammen. Das war doch ein großer Segen.
Jetzt begann eine schwierige Zeit. Es war oft ein Kampf ums Überleben, es gab kaum Nahrung und es war schwierig Geld zu verdienen. Nach dem Krieg hatten wir weniger zu essen als während der Kriegszeit. Anfangs habe ich alle möglichen Arbeiten bei den Russen gemacht, später habe ich im Bergwerk und im Stahlwerk gearbeitet. Das war eine schwere Zeit. Wir lebten damals in Bützow bei Rostock in Mecklenburg, wo meine Mutter nach der Flucht aus Ostpreußen untergekommen war. Sie hatte damals noch ein Pflegekind auf der Flucht dabei. Das Mädchen blieb dann auch bei uns und war wie ein eigenes Kind in unserer Familie.
1948 heiratete ich meine erste Frau. Sie war kein Mitglied unserer Kirche, wurde aber später Mitglied. Zu dieser Zeit hatten wir auch noch keinen Kontakt zur Kirche. 1950 kam unsere Tochter zur Welt und wir waren eine glückliche kleine Familie. Wir lebten jetzt in Hennigsdorf bei Berlin bei der Familie meiner Ehefrau zur Untermiete. Ich habe das Klima in Mecklenburg nicht gut vertragen und war oft krank, in Hennigsdorf ging es mir dann besser.
1951 oder etwas später bekamen wir wieder Kontakt zur Kirche. Eines Tages sehe ich an einer Mülltonne leere Büchsen liegen. Ich habe eine Büchse aufgehoben und las „Salt Lake City Deseret“. Das waren Namen, die ich von früher kannte. Da sagte ich zu meiner Frau: „Wo kommen die Büchsen her?“ „Du“, sagte sie, „da wohnt eine Frau nebenan. Sie holt die Büchsen immer von einer Sekte.“ Ich bin zu dieser Frau gegangen und hab sie nach den Büchsen gefragt. Die Frau sagte: „Da gibt es keine Büchsen mehr“. Ich sagte: „Moment mal, ich will keine Büchsen“. Was wollen Sie dann?“ „Können Sie mir mal die Adresse geben?“ Sie fragte: „Sind Sie Mormone?“ „Ja, ich bin Mormone“. Darauf sagte sie: „Ich auch, aber ich gehe da nicht mehr hin.“ „Warum nicht?“ „Ich bin als Mädchen hingegangen, jetzt nicht mehr.“ Sie hat mir aber die Adresse gegeben. Das Missionsbüro war in Dahlem, in Westberlin. Ich bin hingefahren und traf Bruder Ranglack an. Ich sagte ihm meinen Namen und er sagte: Ihre Papiere sind hier.“ Er fragte: „Leben Ihre Eltern noch?“ Ich sagte: „Ja“. Sie bekamen dann auch Post und die Mitteilung, dass ihre Gemeinde in Rostock ist. So kamen wir durch diese Büchsen wieder als Familie zur Kirche. Dafür bin ich noch heute dankbar.
1961 hat sich mein Leben völlig verändert. Bis 1961 war ja zwischen Ost- und Westberlin noch keine Mauer und meine Frau hat in Westberlin gearbeitet und konnte dadurch Dinge kaufen, die es im Osten nicht gab. Was ich nicht wusste, sie hatte sich dort in einen anderen Mann verliebt und als am 14. August 1961 die Mauer gebaut wurde, war sie sehr verzweifelt. Sie wollte unbedingt in den Westen. Im Oktober 1961, ich war gerade im Krankenhaus, da ist sie mit unserer Tochter im Kofferraum eines Autos in den Westen geflohen. Sie hatte Glück, dass ihr und dem Kind nichts passiert ist. Wir wurden dann geschieden und ich musste allein leben.
Es gab eine Zeit, wo ich von der Kirche fern blieb, ich kam mit meinen Leben nicht mehr so gut zurecht. Eines Tages sagte ich mir so kann es nicht weitergehen, ich wusste ja, dass das Evangelium von Jesus Christus das wahre Evangelium war und so schrieb ich an die Gemeinde, dass ich zurückkommen möchte. Ich kam zur Gemeine Nord, wurde aber dann von Staaken, einer ganz kleinen Gemeinde, abgeworben. Der Zweigpräsident hieß Werner Dobke. Der Distriktspräsident war Bruder Zander. Im Zweig Staaken habe ich mich sehr geborgen gefühlt. In den 1980ziger Jahren wurde der Zweig Staaken aufgelöst und wir am zum Zweig Leest, wo ich meine jetzige Ehefrau fand. Ich hatte sie schon einmal, einige Jahre vorher bei einem Alleinstehenden Treffen gesehen, aber bevor ich sie ansprechen konnte, war sie weg und ich wusste nicht, zu welcher Gemeinde sie gehörte. Eines Tages, Anfang des Jahres 1986 lud mich Schw. Ursula Schwabe zum Mittagessen ein. Ich hatte zwar schon eine Einladung von Familie Bernd Richter, die sagte ich aber schnell ab. Mit Bruder Bernd Richter hatte ich auch schon einmal bei einer Fahrt nach Leipzig über Schwester Schwabe gesprochen, er wusste, dass ich mich schon lange verliebt hatte, aber nicht wusste, wie ich mit ihr in Kontakt kommen konnte. An diesem Sonntag haben wir uns lange unterhalten und wir spürten von diesem Tag an, dass wir zusammengehören. Ich denke der Herr wusste, dass wir uns gegenseitig brauchten. Wir haben am 22. September 1986 geheiratet und am 23. September 1986 den Bund der Ehe im Freiberg-Tempel gesiegelt.
Vor 5 Jahren bin ich an Krebs erkrankt, ich wurde operiert und sollte Chemo bekommen, was ich abgelehnt habe. Dank einer jahrelangen Misteltherapie, gesunder Lebensweise und vor allem durch Gottes Segen ist die Krankheit unter Kontrolle. Es geht mir meinem Alter gemäß gesundheitlich erträglich. Ich habe ein festes Zeugnis von der Wahrheit des Evangeliums und das mich der himmlische Vater in meinem Leben immer geführt hat, selbst als ich andere Wege ging, war er bei mir. Ich wusste immer die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist die einzig wahre Kirche auf dieser Erde.
Ich habe eine wunderbare Familie. Wir haben vier Kinder, elf Enkelkinder und fünf Urenkel. Vier unserer Enkelkinder haben bereits im Tempel den Bund der Ehe geschlossen und das macht mich sehr glücklich.