Kreisau, Breslau, Schlesien

Mormon Deutsch Erna Anna Lisbeth BurkertMein Name ist Erna Anna Lisbeth Burkert, geborene Weidner. Geboren bin ich am 25. Oktober 1920 in Kreisau, Kreis Militsch, Trachenberg, Breslau. Mein Vater hieß Oskar Otto Wilhelm Weidner und meine Mutter Anna Ida Keller. Meine Geschwister sind: Erika Else Weidner, Charlotte Frieda Weidner, Margot Liesbeth Weidner und Ernst Eberhard Weidner, der in Russland gefallen ist. Mein Bruder war 6 Jahre später, den 25. Oktober 1926 geboren. Wir hatten am gleichen Tag Geburtstag,

Mein Vater ist 1888 geboren in Brauchitschdorf, Kreis Lüben. Meine Mutter ist geboren in Kreisau, Kreis Welitsch Trachenberg und geheiratet haben sie in Freyhan, Kreis Militsch Trachenberg. Ich habe das Werk für meine Eltern im Schweizer Tempel getan.

Mein Vater war beim Grenzschutz an der polnischen Grenze. Als Soldaten hatten sie ja nichts zu essen. Dann sind sie über die Dörfer gegangen und haben um Essen gebeten. Und da kam mein Vater auch in das Haus, wo meine Mutter wohnte.

Meine Großmutter hatte auf dem Hof selbst gebuttert und Quark gemacht. Da hatte sie meinem Vater, so ein kleines Tuch mit Quark mitgegeben, damit er auf Brot was zu essen habe. Da hat damals Papa zur Mama gesagt: „Aber das Säckl (den Beutel) bring ich wieder “. Und so haben sie sich kennengelernt und am 16. Mai 1920 in Freyhan, Kreis Militsch-Trachenberg geheiratet. Meine Oma hieß Karoline Zeugner, verheiratete Keller und mein Großvater hieß Gustav Keller.

Der Name meines Mannes ist Ernst Karl Burkert. Er ist am 25. Januar 1910 in Grüneiche, Kreis Krotoschin geboren. Am 15. März 1942 haben mein Mann und ich durch „Ferntrauung“ geheiratet. Mein Mann bekam ja keinen Urlaub. Aber ich musste zuerst zum Standesamt gehen und dann erst wurde die Urkunde an die Kompanie geschickt, erst daraufhin wurden wir getraut, vorher nicht. Wir waren 10 Jahre auseinander.

Ich bin in der Landwirtschaft groß geworden. Mein Vater hatte einen Hof von 48 Morgen (12 ha). Ich war zu Hause der erste Kutscher und habe in der Landwirtschaft gearbeitet. Mit 18 Jahren bin ich in einen städtischen Haushalt gegangen, um noch etwas dazu zu lernen. Nachher hatte ich meine eigene Wohnung in Liegnitz, sechs Kilometer entfernt von meinem Elternhaus. 1945 mussten wir aber alles stehen und liegen lassen, weil der Russe kam und wir flüchten mussten. Es brannte schon überall und wir mussten nachts um zwei raus aus den Wohnungen, quer über die Eisenbahnschienen zum Zug.

Auf die Flucht nahm ich nur einen Kinderwagen mit, weil ich ja wusste, dass unser Kind im Februar geboren werden sollte. Mein Sparbuch von zu Hause war auch damit drin, aber in der Bahn ist alles weggekommen. Da hatten wir gar nichts mehr in den Händen.

Da haben mich die [deutschen] Soldaten – ich war ja hochschwanger – auf den Lkw aufsitzen lassen und sind mit mir weggefahren. Ich war ja in anderen Umständen und hatte als Schwangere nichts anzuziehen, da hat mir ein Soldat seinen Pelzmantel geliehen. Das deutsche Wehrmachtsauto hat mich bis nach Hoyerswerda gebracht, in der Oberlausitz, in Sachsen. Von Hoyerswerda bin ich aber wieder von meinem Onkel nach Liegnitz gebracht worden, ins Krankenhaus. Am 10. Februar habe ich dann in Neustadt entbunden. Sechzig Stunden hat es gedauert. Ja, es war keine Hilfe da. Nur die Panzerfäuste standen neben meinem Bett. Das Kind hat nur ganz kurz gelebt und starb bald darauf. Es liegt nun in Neustadt an der Spree begraben. Ich hatte ihm den Namen Detlef gegeben.

Alle mussten weg, weil der Russe kam. Drei Mal hatte man mich zur Bahn gebracht. Ich war nicht transportfähig. Beim dritten Mal musste ich aber doch weg, sie waren ja schon in Lüben. So kam ich mit der Bahn nach Steppach, Landkreis Höchststadt an der Aisch in Oberfranken.

Da war ich von Februar bis Oktober in Steppach bei einer Familie Hack; die hatten auch vier Kinder und das Fünfte ist im April geboren worden. Am 15. April kamen gerade die Amerikaner durch das Dorf.

Weil mein Mann Soldat war, hatte ich immer an die alte Feldpostnummer geschrieben. So habe ich auch Post von meinem Mann bekommen, worin er berichtete, dass er verwundet war und im Lazarett in Elmshorn lag (Schleswig-Holstein). Das war bis zum November so, dann schrieb ich ihm, dass ich ihn besuchen würde. Von Steppach bin ich dann mit dem Zug nach Elmshorn gefahren, doch da war mein Mann bereits beim Bauern in Grüneiche, nicht weit von Itzehoe.

Aber o Schreck, o Graus. Andere Länder, andere Sitten. Wir waren doch ganz was anderes gewohnt. Mein Vater war streng doch sehr ordentlich, aber so etwas kannte ich nicht. Wo war ich da nur hingekommen? Ich war so enttäuscht! Ich komme auch aus der Landwirtschaft, aber so eine Wirtschaft, wie ich sie bei diesem Bauern gesehen habe, kenne ich nicht. Da standen die Kühe bis zum Bauch im Wasser und mein Mann musste im Schweinestall schlafen. Ich war ganz aus dem Häuschen, wie ich das gesehen habe. Kein Mensch hat sich um ihn gekümmert. Er war nur da und musste sehen, wie er fertig wurde. Ich kam da hin und sie hatten mir gesagt, ich solle die Kühe melken. Da hab ich gesagt: „Die Kühe melke ich nicht; das sind fremde Tiere für mich. Wenn mich eine kaputtschlägt, wer haftet dafür”? In Bayern war es auch eine Landwirtschaft gewesen, da habe ich auch geholfen. Die hatten die Kühe als Zugtiere, wir hatten bei uns zu Hause ja Pferde dafür. In der Landschaft wusste ich gut Bescheid, da konnten sie mich überall gebrauchen. Ich konnte ja auch alles.

Mein Vater war kriegsbeschädigt gewesen, hatte einen Lungensteckschuss bekommen im Ersten Weltkrieg und im Laufe der Jahre Leberverwachsungen. Er konnte nicht mehr alles machen. Ich war die Älteste und deshalb hatte ich mit den Pferden Ackerbau gemacht. Ich hatte das ganze Getreide mit der Sense gemäht. Beide Pferde hatten sie uns ja genommen für die Wehrmacht, obwohl mein Vater eine Flügelmaschine hatte, die die Garben vom Tisch raffte und ablegte. Aber ohne Pferde ging das nicht. Da habe ich das ganze Getreide mit der Sense gemäht. Das ging dann bis zum Januar. Im Januar musste mein Vater zum Volkssturm. Er war ja schon 1888 geboren und 1945 war er somit 57 Jahre alt.

Im Zweiten Weltkrieg war er in Gefangenschaft gewesen bei den Russen. Im Januar 1945 kam mein Vater dann zum Volkssturm und meine Mutter ist mit dem Pferdegespann und den beiden Schwestern nach Meltewitz, Kreis Oschatz, Sachsen gefahren. Ich bin da mit dem Zug hingefahren und traf dort meinen Vater. Ihm war nichts geschehen.

In Meltewitz haben wir dann versucht wieder eine Wirtschaft aufzubauen. Dabei hat sich meine Mutter kaputt gemacht. Und dann ist sie auch noch TB krank geworden (Lungentuberkulose). In den Sechziger Jahren habe ich meine Eltern dann hier nach Stade geholt, denn in der Ostzone bekamen sie ja keine Rente. Meine Mutter war am 21. Januar1896 geboren und starb 1969. Drei Jahre später, ist mein Vater 1972 ebenfalls in Stade verstorben.

Das werde ich nie vergessen. Ich habe mich mit meinem Vater immer gut verstanden, ja ich habe ihn verehrt. Zu meiner Schwester Erika hatte er gesagt: „Ich bin schon so lange bei der Erna, aber noch nie ist ein böses Wort über ihre Lippen gekommen“. Ich habe ihm auch von der Kirche erzählt. Er war ja auch schon über 80, als er zu uns kam. Und er sagte zu mir: “Weißt du, was ihr da macht, ist nicht verkehrt “.und es war herauszuhören, dass er über irgendetwas traurig war. Da er sich aber nicht taufen lassen wollte, sagte ich ihm er solle nur nicht auf dumme Gedanken kommen, das ist nicht gut. Ich weiß bis heute nicht, warum er so früh starb.

In Bassenfleth, bei Stade, war ein Kriegskamerad von meinem Mann. Bei Militär war mein Mann Futtermeister gewesen und dieser Mann war zu der Zeit Gefreiter und so hatte er ihn besucht. Er sollte auch Flüchtlinge aufzunehmen und hat deshalb zu meinem Mann gesagt: „Weißt du was Ernst, da komm du doch zu uns “. Sie kannten sich ja. Er war ein Obstbauer und so sind wir nach Bassenfleth gekommen. Da waren wir auch von Februar bis zum September, dann ist mein Mann nach Stade gekommen.

In Stade hat mein Mann als Heizer angefangen in der Gummifabrik. Der Besitzer hat ihn auf einen Lehrgang nach Cuxhaven geschickt, um das Heizsystem zu erlernen, weil es sich hier ja um Kohle handelte. So war mein Mann vier oder fünf Jahre bei „Gummischmidt“ als Heizer tätig. Dann ist er zur „EDEKA“ gegangen und hat da die Waren ausgefahren – die Kaufhäuser mit Waren zu beliefern.

1947 bin ich nach Bützfleth gegangen, da wohnten meine Tante, die Schwester meiner Mutter und mein Neffe, den ich als Kind ja nicht kannte. Wie ich da hinkomme, da ist auch eine Flüchtlingsfrau da, eine große Frau aus Pommern. Die kannte aber die Kirche Jesu Christi schon und war Mitglied. Da hat sie mir so allerhand von der Kirche erzählt und dann sagte sie zu mir: “Frau Burkert, am Sonntag ist Gottesdienst, ich komme Sie abholen.“ Und das hat sie dann auch gemacht. Da war der Kirchenraum noch in der „Großen Schmiedestraβe“. Es waren zwei so große Räume nebeneinander. Der Gemeindevorsteher war der Bruder Gellersen und das schon seit 13 Jahren.

Die haben mich alle ganz freundlich begrüßt. Der Gemeindevorsteher hatte den Tag gerade eine Ansprache über den Zehnten gehalten. In der Schule im Religionsunterricht hatten wir damals Maleachi gelesen und zwar etwas über den Zehnten. Und dann am nächsten Sonntag hatte ich schon einen Teil vom Zehnten mitgenommen. Ja, nicht den vollen Zehnten; ich wusste ja nicht, wie mein Mann darauf reagieren würde, wenn ich das tat.

In der ersten Zeit sagte mein Mann zu mir: „Sag mal, was macht ihr denn da eigentlich in der Kirche?“ Worauf ich sagte: „Du brauchst nicht ängstlich zu sein, wir rutschen nicht auf den Knien herum “ Und da hab ich ihm so einiges über die Kirche erzählt. Von einer Schwester der Gemeinde hatte ich „Lehre und Bündnisse“ bekommen und in L&B 1:1-5 gelesen, und als ich das las, habe ich gesagt: „Ich lass mich sofort taufen”! Das hat mich so begeistert und dann hab ich den Zehnten mitgenommen. Eine ganze Zeit lang habe ich das Buch mit nach Hause bekommen und morgens sind wir nicht so zeitig aufgestanden und ich habe meinem Mann aus dem Buch Lehre und Bündnisse Abschnitte vorgelesen, die mich so sehr interessiert haben.

Ich musste damals nach der Gemeinde ja auch immer noch wieder zurück ins Alte Land fahren. Aber oft hat mich mein Mann auch abgeholt und so ging das bis 1948. Die Frau des Gemeindevorstehers hat das oft beobachtet und eines Tages sagte sie mir, wie sie meinen Mann wieder einmal sah: „Ach, der kommt nie zur Kirche”! Solche Aussagen sollte man lieber nicht machen, man weiß das nicht. Es hat allerdings eine ganze Zeit gedauert.

Mein Mann konnte nicht immer kommen; er war ja Heizer. Er hatte Spätschicht, er hatte Nachtschicht und er hatte Frühschicht. Und wenn er Frühschicht hatte, dann hatte er Dienst bis nachmittags um 2 Uhr. Und die Versammlung begann bereits am Nachmittag um 2 Uhr. Und wenn er nach Hause kam, da war ich ja schon weg. Eine Zeit ging das ja ganz gut so, aber einen Sonntag war ihm das alles zu viel. Und er hat mich angeschrien: „Immer, wenn ich nach Hause komme, bist du weg“. Und da sagte ich: „Heute bleibe ich zu Hause, auf Deine Verantwortung“!

Und wissen Sie, wie ich das gesagt habe, ist mein Mann bald umgefallen. Der hat nie wieder was gesagt und ist ab dem ersten Januar 1948 mitgekommen zur Kirche. Jedenfalls hat ihn das so berührt, dass er gar nicht anders konnte. Von da an kam er immer mit, aber erst im August 1948 ist er hier in der „Weddern“ getauft worden; wo auch ich getauft worden bin. („Weddern“ ist ein alter Plattdeutscher Ausdruck für einen kleinen Entwässerungsgraben.)

Ich war schon ein Jahr vorher Mitglied, doch dann sind wir regelmäßig gemeinsam zur Kirche gegangen. Als er 14 Tage getauft war, kam damals der Bruder Gellersen zu ihm – wir waren zu der Zeit ja nicht so viele Mitglieder. Die meisten waren ja noch in Kriegsgefangenschaft. Da sagte Bruder Gellersen zu ihm: „Können Sie nicht eine Ansprache geben, nächsten Sonntag“? Da hat er jedenfalls nicht „Nein“ gesagt.

Ich habe ihm seine Ansprache aufgeschrieben, dann ging er auf das Podium, und hat sie gegeben. Und dann war das Eis gebrochen, er konnte das ohne weiteres. Wir hatten ja als Kind auch nicht die freie Rede gelernt. Mir ging es ja auch so. Ich bin getauft worden. Wir hatten mittwochs FHV und die FHV-Leiterin beauftragte mich gleich zum Gebet. Mich hatte das so bedrückt. Ich wollte schon sagen. „ich kann das nicht“. Aber ich hab zwei Sätze gesagt und seitdem konnte ich immer beten.

Mein Mann hatte die Arbeit zuletzt in der Edeka, bis er 63 Jahre alt war. Dann hatte er sich in der Firma noch das Bein gebrochen und ist zum Arzt gegangen. Wir hatten einen vernünftigen Arzt und der sagte: „Was hast Du denn gemacht?“ „Ich hab mir das Bein gebrochen“. „Du arbeitest nun nicht mehr, bis Du 65 Jahre alt bist! Du hast monatlich nur eine Mark Rente mehr, da bleibst du ab jetzt lieber zu Hause und schonst Dich “. Da ist mein Mann zu Hause geblieben.

Dann war hier ein Grundstücksmakler Köfer, der suchte einen Mann, der immer in seinem Büro war. Und da sagte ich zu meinem Mann, „geh‘ doch einmal hin. Mehr wie „Nein“ kann er ja nicht sagen “ Mein Mann ging hin und er hat ihn sofort angenommen. Da war er drei Jahre im Büro und hat Grundstücke mit vermakelt und dadurch konnten wir uns über Wasser halten. Wir hatten ja nichts zum Anziehen. Mein Mann ist in der Reithose der Wehrmacht, zum Taufen gegangen, weil wir ja nichts anderes hatten. Es gab ja nichts und Bezugscheine bekamen wir ja nicht. Dann war er beim Grundstücksmakler tätig und da ging es uns besser. Wir hatten vorher ja überhaupt nichts. Das war viel Geld für uns. Darauf haben wir uns erst ein bisschen eingekleidet. (Am 11. Januar 2002 ist mein lieber Mann dann in Stade verstorben.)

1951 war unsere Volckardt Oskar Ernst Burkert geboren, der älteste Sohn. Heute hat Volckardt es bis zum Justizinspektor beim Amtsgericht gebracht. Und am 21 August 1955 ist unser Gilbrecht geboren; er ist Schichtleiter beim Kraftwerk Brockdorf drüben in Holstein.