Forst in der Lausitz

Mormon Deutsch Hildegard Ilse DzierzonMein Name ist Hildegard Ilse Dzierzon, geborene Gäbler. Ich bin am 11. Juni 1928 in Forst in der Lausitz, Brandenburg, Deutschland geboren. Ich bin das Vierte von sieben Kindern – eines ist mit vier Jahren gestorben. Mein Vater ist Bruno Alfred Fritz Gäbler und meine Mutter Martha Schreiber.

Ich bin sehr dankbar für meine Eltern, die uns das Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi ins Herz gepflanzt haben. Mein Vater war viele Jahre in der Forster Gemeinde Gemeindepräsident und durch seine tuberkulöse Krankheit und durch eine Stimmbandlähmung konnte er nicht laut sprechen, aber er hat dieses Amt gerne ausgeführt. Durch seine Krankheit konnte er fast nicht laufen, weil er kaum Luft bekam und meine Brüder haben ihn auf ein Fahrrad gesetzt, weil wir ja kein Auto hatten, und haben ihn die Gemeinde geschoben, um dort seine Berufung auszuüben. Nach meinem Vater wurde mein Bruder Günther Gemeindepräsident in der Gemeinde, dies war auch über zwölf Jahre. Mein Bruder Eberhard war auch Distriktspräsident vom Distrikt Dresden, auch über viele Jahre.

Sie können ja sehen, dass die Erziehung und das Zeugnis der Eltern auch bei den Kindern verwurzelt war und dass alle meine Geschwister in der Kirche verwurzelt sind und gute, große und treue Familien haben. In der Gemeinde in Forst haben wir uns sehr, sehr wohl gefühlt. Wir waren circa dreißig Jugendliche und haben uns alle sehr gut verstanden. Wir hatten auch gute Kirchenführer, die uns viel Liebe entgegengebracht haben.

Als ich aus der Schule kam, 1942, musste ich, wie es damals üblich war, das Pflichtjahr ableisten, wobei ich bei einer Familie mit zwei Kindern war, die ich betreuen musste. Danach begann ich eine Lehre als Stepperin und war bei einer Regenmantelfirma beschäftigt bis zum Februar 1945, als die Front kam und die Russen uns überrollt haben.

Mitte Februar 1945, als die Front näher kam, wurden wir aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Unser Vater rief uns alle zusammen. Meine Mutter, meine Schwester Anni (im 7. Monat schwanger), ich Ilse 16 Jahre alt, mein Bruder Horst 14 Jahre alt und meine Schwester Helga 10 Jahre alt. Mein Vater sagte, wir werden den Herrn fragen, was wir tun sollen. Nach einem langen und in brünstigem Gebet fragte er uns einzeln, welches Gefühl wir hätten. Einstimmig sagten wir: ,,Wir bleiben”. Trotz der aufregenden Dinge, die ein Krieg mit sich bringt. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass der Zug, mit welchen wir die Heimat verlassen sollten, in Cottbus einem Bombenangriff zum Opfer gefallen war. 400 Menschen fanden den Tod und es gab auch viele Verletzte. So wurden wir durch den Geist des Herrn vor großem Unglück bewahrt.

Am 21. Februar 1945 begannen die Kampfhandlungen und die Russen besetzten unser Haus. In unserem Haus befand sich auch Tante Dora, welche meinen Bruder Horst nach Hause zurückgebracht hatte. Sie durfte nicht mehr in ihr Heim zurück, welches in der Stadt lag, so musste sie bei uns bleiben. Unser Keller war nicht sehr groß (15qm). Wir hatten kein Tageslicht, weil das Kellerfenster tief im Schacht lag. So saßen wir bis zum 25. Februar fast im Dunkeln. Wir hatten nur Wasser und trockenes Brot als Nahrung. Am 25. Februar mussten wir vormittags unser Haus verlassen. Wir durften etwas Handgepäck mitnehmen und kamen nun in ein größeres Haus, das Haus des Kaufmanns Friedens, welches wir gegen 16 Uhr, mit anderen Familien, welche auch in diesem Haus waren, wieder verlassen mussten.

Mein Vater hatte eine Aktentasche mit Kirchenbüchern, unserem Familienstammbuch und den genealogischen Urkunden unserer Vorfahren gepackt. Er sagte uns allen, dass wir auf diese Tasche aufpassen müssen, weil sie nicht mehr zu ersetzen war. Nun mussten wir dieses Haus plötzlich ganz schnell verlassen, sodass wir noch nicht mal unseren Mantel anziehen konnten. Dabei ging in der Eile auch noch diese wichtige Aktentasche verloren. Als wir merkten, dass wir die Tasche nicht mehr bei uns hatten, wurden wir sehr traurig. In der Eile konnte keiner daran denken, es ging alles viel zu schnell. Nach einer zweistündigen Wanderung durch den Wald entstand plötzlich ein Tumult vor uns. Plötzlich rief jemand aus: ,,So ein Blödsinn, die Leute müssen doch verrückt sein, auch noch in dieser Not eine Aktentasche mit Büchern rumzutragen”. Wir schauten uns an: ,,Dies kann doch nur unsere Tasche sein”. Und sie war es tatsächlich! Ein andere hatte diese für uns so wichtige Tasche mitgenommen. Als wir sie wiederbekamen, waren wir glücklich und unser Vater meinte: ,,Nun wird alles gut! Wir brauchen uns nicht zu fürchten, der Herr verlässt uns nicht”. Dies war ein großes Zeugnis für uns. Wir fühlten trotz der Schrecken und Grausamkeiten des Krieges, dass der Herr mit uns war.

Nach Stunden des mühseligen Wanderns kamen wir in Leipe an, wo wir in einer Scheune übernachteten. Am nächsten Morgen ging der Marsch weiter. Wir zogen fast nur, unter Führung eines zuvor ernannten Treckführers, durch den Wald, denn die Straßen waren voller russischer Soldaten, Autos, Panzern und Geschützen. Von Leipe aus ging es nach Niewerle. Hier war der nächste Lichtblick, denn es gab dort einen guten Kommandanten. Als er unseren Treck sah – es waren ja auch Kinder und alte Leute dabei – veranlasste er, dass wir im Ort verteilt wurden. Er wies einen Bäcker an, extra für uns Brot zu backen. Und die Leute, bei denen wir übernachteten, kochten uns noch eine Suppe dazu. Dafür waren wir sehr dankbar, denn wir hatten schon einige Tage nichts Warmes gegessen. Das war wieder ein Zeugnis für uns, dass der Herr mit uns war.

Leider mussten wir weiterziehen, und so kamen wir nach Droßkau. In Droßkau durften wir bei einer Schwester, aus unserer Gemeinde, bleiben, die dort ihren Wohnsitz hatte. Sie brachte uns viel Liebe entgegen, denn wir waren ja immerhin acht Personen und sie hatte nur eine kleine Küche und eine kleine Stube. Sie besorgte Stroh für uns, und wir schliefen auf dem Fußboden. Wir waren froh, ein Dach über dem Kopf zu haben, denn es war ja noch Winter. Wenn auch in diesem Ort Vergewaltigungen und Untaten begangen wurden, waren wir doch zu dieser Zeit unbelästigt und hatten etwas Warmes zu essen. Uns schien es so, als ob ein Engel Gottes an der Haustür Wache hielt. Nur einmal kam ein Russe herein. Er brachte ein geschlachtetes Huhn und wollte ein Essen daraus gekocht haben, und wir durften sogar mitessen. Leider mussten wir diesen Ort am 1. März 1945 wieder verlassen, und es ging weiter ostwärts bis Sorau. Papa kannte sich dort sehr gut aus, und wir schliefen dort im Gasthaus ,,Haus Vaterland“. Am nächsten Tag ging es über Sagan nach Petersdorf, wo wir bleiben konnten. Dort in der Schmiede, sie war auch Gaststätte mit Zimmern, wurden wir alle untergebracht. Papa, der sich ja immer zu helfen wusste, besichtigte erst alle Räume und führte uns in das allerletzte Zimmer. Vor unserem Zimmer war wahrscheinlich eine Bodenkammer mit so viel Krempel und Gerümpel, dass wir darüber steigen mussten. Es war unser Glück, denn in dieser Nacht gingen die Russen wieder auf Frauensuche. Wir hörten sie schreien, aber der

Engel des Herrn und das vollgestopfte Zimmer waren unser Schutz. Am nächsten Tag suchten die Russen Arbeiter. Wir hatten erst Angst und Bedenken, aber Papa sagte uns, dass wir uns bereit erklären sollten, etwas zu tun. Wieder für uns ein Segen; denn wir erhielten gleich neben der Kommandantur ein Haus zugewiesen. Tante Dora und ich mussten Hosen nähen. Papa spielte Friseur und schnitt allen, ob Freund oder Feind, die Haare und Opa Tursch, den ja die Russen bei uns mit in den Keller gesteckt hatten, besohlte Stiefel, welche die Russen uns brachten.

Durch die Arbeit standen wir unter dem Schutz dieser Kommandantur und bekamen auch zu essen. So habe ich einmal eine ganze Rindskeule nach Hause tragen müssen, wo wir viele Tage davon essen konnten. Einer dieser Russen. Wir nannten ihn den Adjutanten, er wollte mich heiraten. Aber er meinte, ich sei noch zu klein und zu jung, und deshalb wollte er noch drei Jahre warten. Er passte gut auf uns auf, dass kein anderer uns was zuleide tun konnte. Einmal wollten zwei andere Russen von der GPU Papa mitnehmen. Ich rannte schnell zur Kommandantur und holte den Adjutanten. Da ich ja nicht russisch sprechen konnte, zehrte ich ihn am Ärmel mit. Ich schrie nur: ,,Russki Kammerad – mei Papusch”! Er erfasste sehr schnell die Lage. Es gab einen großen Streit unter den Russen, dabei erfuhren wir auch, dass unsere Kommandantur auch von der GPU war, aber es waren höhere Offiziere dabei, und so mussten die Zwei wieder abziehen und so konnte Papa bei uns bleiben. Wir sahen auch darin wieder die Führung des Herrn.

Die Zeit verging so einigermaßen erträglich für uns bis so gegen Ende März 1945. Da wurde unsere Kommandantur versetzt und der Kommandant gebot, dass Tante Dora, ich, Opa Tursch und noch ein Mann mit ihm gehen musste. Das war natürlich ein riesen Schock für uns. Mit einigen Pferdewagen ging es dann los Richtung Osten. Ich habe den ganzen Tag nur geweint und gebetet und Tante Dora desgleichen. Man bot uns zu essen an, aber ich wollte lieber sterben. Wir waren den ganzen Tag lang unterwegs und es regnete auch noch in Strömen. Das passte zu unserer Stimmung. An diesem Tag kamen wir bis Kreibau, einem Ort zwischen Liegnitz und Bunzlau. Dort wurde uns ein Haus zugewiesen. Die zwei Männer bekamen ein eigenes Zimmer und wir beide ein anderes. In dieser Nacht kam einer der Russen, der eigentlich unser Haus bewachen sollte, in unser Zimmer und versuchte Tante Dora zu überreden, mit ihm zu schlafen. Aber wir hielten uns beide fest umschlungen und er musste wieder gehen.

Die nächste Nacht verlief dann ohne Störung. Und früh um 6 Uhr stand der Adjutant in unserem Zimmer. Er streichelte mich, und weil ich gleich wieder zu heulen anfing, sagte er, wenn ich damit aufhören würde, dürften wir wieder nach Hause, was wir natürlich nicht glaubten. Wieder ging es mit einem Pferdewagen fort, bis in den späten Abend. In einem großen Haus wurde übernachtet, zum Glück ungestört. Am nächsten Morgen ging es wieder weiter, und so wurde es tatsächlich wahr. Am 1. April 1945 gegen 10 Uhr trafen wir wieder in Petersdorf ein. Helga spielte auf der Straße und ich rief sie. Erst beim zweiten Zuruf erkannte sie mich, sprang auf und lief zu unseren Eltern. Mutti glaubte es nicht und meinte, dass Helga einen Aprilscherz machen würde. Inzwischen waren wir aber doch angekommen und die Wiedersehensfreude war unbeschreiblich. Der Adjutant sah zu und lächelte still vor sich hin.

In der kommenden Nacht ging die Aufregung, wenn auch anderer Art, weiter. Bei Anni setzten die Wehen ein. Was nun? Keine Hebamme oder Arzt in der Nähe. Wir beteten nur, dass alles gut vorübergehen sollte. Eine Bauersfrau aus dem Ort hatte uns versprochen, zu helfen. Sie wurde von uns schnell herbeigeholt. Mit Tante Dora und der Bauersfrau, zusammen mit Muttis Erfahrung (Sie hatte ja schon sieben Kinder geboren), wurde auch diese schwierige Situation gemeistert. Gegen Morgen hörten wir Peters Schrei und alle waren erleichtert. So wurde Peter am 2. April 1945 in Petersdorf geboren. Die nächsten Tage drehten sich nur um das Baby, denn es war sehr schwierig, das Baby zu ernähren, denn es gab ja sehr wenig.

Nun war ein neuer Kommandant im Ort, er wohnte im dortigen Gut, im Herrenhaus. Das war weiter weg von uns. Wir meldeten uns wieder zum Arbeiten und mussten von morgens von 6 Uhr bis abends 6 Uhr Wäsche auf dem Waschbrett waschen, gemeinsam mit russischen Frauen. Es war alles sehr primitiv. Der Waschkessel wurde nur mit langen Brettern und Balken gefeuert, welche immer wieder nachgeschoben wurden. Aber das war uns ja egal. Uns ging es nur darum, einen Schutz und Essen zu haben. Die Frauen und Soldaten in der Waschküche waren sehr freundlich zu uns. Zu essen gab es Bortzsch.

Eines Morgens kam ein Russe mit schussbereitem Gewehr zu uns und zwang mich, mit ihm zu gehen. Ich gab Tante Dora einen Wink, und sie lief zum Kommandanten, um Hilfe zu holen. Voller Zittern und Beten ging ich ja nun mit, denn ich wollte ja unsere Familie nicht in Gefahr bringen. Er führte mich zu einem Lastauto, wo schon einige Mädchen oben waren. Ich weigerte mich hinaufzuklettern und erntete dafür Prügel. So laut ich konnte schrie ich, denn von weitem sah ich Tante Dora mit Hilfe kommen. Man hatte mich ja inzwischen aufs Auto gezerrt, aber kurz vor dem abfahren, kam Tante Dora sogar mit dem Kommandanten heran. Durch die Waschküche kannte er uns. Nun schrien sich die Russen gegenseitig an und unser Kommandant befahl mir dann, herunterzusteigen und nahm mich mit. Ich wäre ihm am Liebstem um den Hals gefallen. Mein Gesicht sah ziemlich demoliert aus und ich konnte fast nicht mehr aus den Augen schauen, so war alles geschwollen. Von diesem Tag an stand immer ein Posten in der Nähe unseres Hauses, und wir hatten endlich ein paar Tage Ruhe.

Am 20. April kam jemand zu uns und sagte, dass wir wieder nach Hause gehen dürften. Am 21. sammelten wir Deutsche uns wieder und es ging heimwärts. Diesmal mehr auf Straßen. Einmal kamen wir in eine schwierige Situation. Hinter uns war ein Trupp Russen und entgegen kamen uns Polen. Wir spürten ihren Hass schon von weitem. Sie drohten mit den Fäusten und fluchten und schimpften. Uns wurde ganz bange zumute. Sie kamen auf uns zu und wollten uns alles wegnehmen. Ich hatte irgendwo eine Mandoline gefunden, die hatten sie schon in der Hand wollten alles andere auch nehmen. Da kamen plötzlich von den Russen hinter uns ein paar angelaufen, und sie kamen uns zu Hilfe und verjagten die Polen. Vor Wut warf dieser die Mandoline auf die Erde und trat mit den Füßen darauf herum. Wir atmeten auf und blieben jetzt in der Nähe der Russen.

Als es langsam finster wurde und wir von der Straße weg mussten, fragte uns ein Offizier dieses Trupps, wo wir schlafen würden. Wir zuckten mit den Schultern und wussten nicht wohin. Im nächsten Dorf war eine Schule als Lazarett eingerichtet, und dort durften wir übernachte, ohne belästigt zu werden. Er kam uns noch fragen, ob wir ihm helfen könnten, ein Soldat hatte ziemlich hohes Fieber. Tante Dora machte Wadenwickel und hatte auch irgendwo noch ein paar Tabletten, und so ging es dem Soldaten wieder besser. Als Dank erhielten wir einen Eimer voll Kartoffelbrei mit Butter. Wieder hatten wir gemerkt, dass der Vater im Himmel uns begleitete.

Endlich, am 24. April, kamen wir von der Triebeler Straße aus nach Forst. Tränen der Freude, aber auch der Trauer über die zerstörte Stadt, liefen uns über das Gesicht. Tante Dora lud uns gleich ein, mit in die Fruchtstraße zu gehen. Sie sagte: ,,Wenn meine Wohnung noch steht, könnt ihr bei mir bleiben“! Und sie stand noch. Über Trümmerhaufen und Panzersperren waren wir dort angelangt und konnten endlich etwas ausruhen. Nach ein paar Tagen wurde auch der Stadtteil Berge freigegeben. Papa, Mutti, sowie Horst und Helga, zogen nach Berge und Anni mit Peter und ich blieben bei Tante Dora. Wir mussten uns anmelden. Zu dieser Zeit waren ungefähr 1000 Leute in der Stadt. Ich musste in den ersten Tagen Aufräumungsarbeiten mitmachen, aber durch Glück kam ich in eine Küche, wo jeder Mitarbeiter eine Schöpfkelle warmes Essen erhielt. Diese Küche war in der Cottbusser Straße im Hinterhof bei der Eisdiele. Im Vorderhaus war eine Meldestelle eingerichtet. Dort habe ich dann auch zu meiner größten Freude Kätchen, meine Schulfreundin, wieder getroffen. So musste ich nun den ganzen Tag Kartoffeln schälen.

Aber dieses Glück dauerte nicht lange. Ausgerechnet die Fruchtstraße wurde zum Durchgangslager für Serben, Rumänen usw. erklärt, und wir mussten die Wohnung von Tante Dora wieder räumen. Die Serben waren auch nicht gerade die Freundlichsten und jede Wohnung, die sie benutzten, wurde zu einem Saustall. Sie demolierten und verschleppten die Möbel. Läuse und Wanzen zogen mit ein.

Seit dem 8. Mai war ja nun endlich der Krieg vorbei, aber der Lebenskampf ging weiter. Ende Mai zogen dann Anni und ich mit nach Berge, wo Papa und Mutti einstweilen in Herdins Haus gezogen waren, weil ja unser Haus abgebrannt war. Dort schmiedeten wir wieder Pläne, wie wir unser Haus wieder aufbauen könnten. Papa hatte Eisenbahnschwellen geholt, damit wir für den Winter was zu heizen hätten. Aus einigen abgebrannten Häusern, wo noch die Keller standen, hatten wir Kohlen mit dem Handwagen geholt und wir hatten auch Kartoffeln und Eingewecktes gefunden. Den Garten hatten wir auch wieder gut bearbeitet, und die Bohnen waren schon fast zum Ernten, als es hieß: Die Neiße wird Grenze. Die Brücke war gesperrt, und wir gehörten zu Polen. Wir konnten es gar nicht fassen. Ungläubig liefen wir am Neißedamm hin und her. Wir durften nicht in die Stadt und die anderen nicht zu uns. Es war ein schreckliches Gefühl. Von den Polen haben wir nicht viel gemerkt, aber wir kamen uns eben eingesperrt vor. Bis der 3. Juni 1945 kam und wir, früh dreiviertel vier aus dem Haus gejagt wurden. Wir konnten fast nichts mitnehmen, da wir aus dem Schlaf gerissen wurden. Auf der Straße wurden wir gesammelt und wurden über die Neißebrücke nach Forst abgeschoben. Schwester Kolo aus Noßdorf nahm uns sehr freundlich auf und teilte Bett und Tisch mit uns, bis wir später eine eigene Wohnung fanden.

Im Oktober 1951 wurde ich auf Mission berufen und war in Köthen, danach in Erfurt, dann in Leipzig und im damaligen Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz. Ich habe eine sehr schöne Zeit erlebt. Meine Eltern konnten mich nicht finanziell unterstützen. Ich kann heute nicht sagen, wie ich die Mission bestanden habe, finanziell gesehen, aber ich habe keinen Hunger gelitten, und war auch immer angezogen und habe immer alles erhalten, was ich gebraucht habe, durch die Liebe der Mitglieder oder wo wir waren. Irgendwie war dies eine wunderbare Zeit für mich.

Bei einem Jugendtreffen 1954 in Dresden habe ich durch Offenbarung meinen Mann kennengelernt. Im April 1955 haben wir dann geheiratet. Wir führen eine glückliche Ehe. Wir haben vier Kinder und sind jetzt dreiundfünfzig Jahre verheiratet. Am 10. Juni 1957 hatten wir Gelegenheit, im Schweizer Tempel für Zeit und Ewigkeit gesiegelt zu werden. Da hatten wir erst ein Kind und alle anderen drei Kinder sind im Bund geboren. Unsere Tochter Ilona wurde am 24. Juli 1985 im Freiberg-Tempel an uns gesiegelt. Ich hatte auch Gelegenheit, an meine Eltern gesiegelt zu werden. Durch die Ehe bin nach Plauen ins Vogtland gezogen und gehöre nun hier zu dieser Gemeinde und dieser Stadt.

Ich kann immer wieder bestätigen, der Herr lebt und er hat uns auch in schwierigen Zeiten geholfen, auch in der Ehe, denn wir waren nicht sehr reich, aber glücklich und er hat uns immer das gegeben, was wir gerade notwendig brauchten. Jederzeit möchte ich Zeugnis gebe, dass der Herr lebt.