Hamburg
Mein Name ist Lilly Rosa Auguste Eloo, geborene Koch. Ich bin am 20. März 1923 in Hamburg geboren: Mein Vater heißt Emil Martin Wilhelm Koch (seine Mutter stammte aus Litauen). Meine Mutter heißt Lilli Seehusen (Erzeuger „Haberecht“, ein altes Bauerngeschlecht) Meine Eltern wohnten in Hamburg-Horn. Ich habe folgende Schwestern: Carla (20. August 1924, verstorben 1981 in den USA), Ruth (10. Januar 1928), Irmgard (10 Januar 1928) und Astrid (2 August 1932, wohnt in den USA).
Die Kriegsjahre 39-45 erlebten wir in Hamburg. 1941, gleich nachdem ich 18 geworden war, hat man mich in einem Rüstungsbetrieb, in Moorfleet in der Lackiererei dienstverpflichtet. Als junges Mädchen war ich dort mit anderen jungen Mädchen zusammen und so war das ganz nett.
1941-42 fing das an mit der Judenverfolgung und meine Schwester Irmgard – damals 13 – sah ein bisschen jüdisch aus. An der Nase erkennt man das ja meistens, da hat ihre Lehrerin zu ihr gesagt: „Deine Mutter, muss mal kommen“ und meine Mutter ging dann zum Direktor und der sagte ihr: „Ja, die Mutter sieht ja auch ganz jüdisch aus. Jetzt müssen Sie mir aber einmal einen arischen Nachweis bringen“. Da musste mein Vater – der ja bei der Stadt beschäftigt war – Nachforschungen anstellen und da stellte sich heraus, dass meine Mutter ein uneheliches Kind ist, weil ihr leiblicher Vater ihre Mutter nicht geheiratet hatte.
„Ich war ja nun schon erwachsen“, sagte meine Mutter, „da musste ich doch wirklich zu meiner Großmutter gehen und meinen Erzeuger ausfindig machen, weil ich den arischen Nachweis bringen musste, denn meine Großmutter war eine geborene Seehusen und zu der Zeit nicht verheiratet, hatte aber zwei Kinder. „Ach“, sagte meine Großmutter „den Nachweis gebe ich dir”. Und da hat sich herausgestellt, dass der Erzeuger aus einem ganz alten Bauerngeschlecht „Haberecht“ stammte. Dann war das von den Behörden auch alles so akzeptiert und in Ordnung. Nur in der Schule wurde meine kleine Schwester weiter „gehänselt“ indem sie beim Spiel ausgeschlossen wurde und dabei sagten sie: „Nee, du bist ja Jüdin”. Man durfte ja mit den Juden nichts zu tun haben. Und meine Schwester hat oft geweint, weil sie nie mitspielen durfte. Und in den Geschäften hat man ihr nichts verkauft, weil die Leute an Juden nichts verkaufen durften. Das war so furchtbar, weil wir das alles so hautnah in der Familie miterlebt haben.
Um die Zeit 1943 sind wir auch noch mal weggefahren, nach. Pulsnitz zwischen Dresden und Bautzen, in Sachsen. Meine jüngste Schwester Astrid kam zur Kinderlandverschickung weil sie es wirklich nötig brauchte und ich hatte sie dort hingebracht. Aber kaum war ich von Dresden wieder zu Hause angekommen, heulten die Sirenen und es gab Fliegeralarm und wir sind in den Keller geflüchtet, da sind wir dann auch an der Horner Rennbahn ausgebombt und abgebrannt. Es war der zweite Tag der Angriffswelle auf Hamburg. Teilweise waren auch Soldaten mit in den Bunkern oder Kellern, aber die hatten auch Angst und sind über uns hinweg gesprungen, wenn die Wände wackelten oder der Putz von den Wänden rieselte. Die sagten immer: „Nee, da gehen wir lieber an die Front, da haben wir den Feind direkt vor uns, aber hier in den Kellern ist das ja fürchterlich“.
Mein Onkel war zu der Zeit gerade hier in Urlaub von der Ostfront und hat das alles miterlebt, die Bombennächte, die ganze Zerstörung und das Feuer. Der sagte auch öfters: „Oh, wie ist das bloß schrecklich. Woanders kann man weglaufen, aber hier muss man im Keller sitzen und warten“. Wir hatten im dritten Stock eine drei Zimmer Wohnung mit Narak-Heizung. Das waren alles ganz moderne und neue Häuser in Horn. Die waren noch nicht einmal ganz fertig. In den Bädern waren noch die Thermen nicht angebracht und standen in den Bädern noch eingepackt. Wir konnten aber schon im Keller ganz durchlaufen von einem Haus zum anderen. Das war extra so gebaut für den Fliegeralarm. Unser Haus war getroffen worden. Wir kamen nun aus dem Luftschutzkeller im Nachbarhaus und konnten von der Straße aus sehen, dass unser Haus in Flammen stand. Eine Brandbombe war da oben rein gegangen und alles brannte lichterloh. Und als wir nun auf der Straße standen, sagte meine Mutter ganz traurig: „Jetzt hab‘ ich kein Bett mehr, wo ich schlafen kann! Wo gehen wir denn nun hin“? – da sagte mein Vater: „Es kommen jetzt so viele Lastautos hier vorbei, komm, die nehmen uns mit”.
Ich hatte doch meine jüngste Schwester Astrid Anfang Juli nach Pulsnitz in Sachsen gebracht, und war gerade wieder zu Hause angekommen, da sagte ich also: „Wisst ihr was, da fahren wir wieder hin“. Ich hatte ja immer noch meinen großen Koffer mit meinen Sachen bei mir, der war noch nicht einmal wieder ausgepackt worden. So sind wir dann wieder hingefahren und da hat die Frau gesagt, von der wir das Zimmer hatten: „Wissen Sie, Fräulein Koch, das Zimmer, das sollten mal Ausgebombte kriegen“. Und so kamen wir da rein. Diese Leute haben uns sehr gut aufgenommen und uns Zeug und alles Notwendige gleich gegeben. Meine Mutter ist dort geblieben, aber wir mussten ja eines Tages wieder zurück. Mein Vater war ja bei der Stadt beschäftigt und ich im Rüstungsbetrieb. Der war allerdings ab Januar 1943 nach Brünn in Tschechien verlegt worden und es war schon nichts mehr zu tun, doch hatte ich da im Büro noch zu helfen für einige Arbeiten mit der Abwicklung der Verlegung.
Wir bekamen eine Wohnung in Harburg, und ab dann haben wir in Harburg gewohnt. Meine Mutter war nur mit nach Hamburg gekommen, um uns die Wohnung einzurichten und ist wieder zurückgefahren, sie wollte nicht hier in diesem Elend verbleiben. Sie hat uns allerdings Carla geschickt uns zu helfen mit allem zu Recht zu kommen, aber Carla war 19 und das klappte nicht so ganz. Sie war immer unterwegs.
Der Krieg war furchtbar. Wir sind immer wieder nur um unser Leben gerannt. Die Hälfte unserer Zeit verbrachten wir im Luftschutzkeller oder einem Bunker. Gelebt haben wir dabei immer nur vom Notdürftigsten. Der Notrucksack war dabei immer gepackt und stand griffbereit. Aber was wir damals zu der Zeit wirklich gefahrlos machen konnten – wir konnten da abends im Dunkeln auf die Straßen gehen und es passierte uns nichts. Da wurde keiner überfallen oder falsch angesprochen und es war wirklich Frieden und Sicherheit auf den Straßen. Das war wirklich schön. Solche Täter wurden immer sehr hart bestraft! Meine Mutter hatte gesagt: „Mir ging es mit meinen fünf Kindern nie so gut wie zur Hitlerzeit“. Das muss man dieser Zeit aber auch wirklich als gut anrechnen. Der Krieg aber, der hätte nicht kommen dürfen, das war nicht richtig, und was er so alles gemacht hat mit den Juden und so. Aber heute wird immer nur von unserem Land gesprochen, aber was die anderen Länder gemacht haben – und das tun sie jetzt noch – das wird nicht gerechnet. Da haben sie Millionen von Menschen umgebracht. Die normale Bevölkerung hat das damals bei uns ja überhaupt nicht gewusst. Dass hier in Hamburg [Neuengamme] auch so ein Lager existierte, war uns völlig unbekannt. Wir fühlten uns alle sicher in der bestehenden Ordnung. Bevor Hitler an die Macht kam gab es ja täglich Straßenkämpfe in Hamburg mit vielen Toten. Bis zu 80 Tote im Jahr und mehr. Man konnte nicht aus dem Haus gehen, ohne Angst haben zu müssen nicht wieder zurück zu kommen. Da hatte Hitler wirklich Ordnung und Sicherheit geschaffen, das machte ihn ja zu Anfang auch so beliebt, weil er für Ordnung sorgte. Wir können uns wirklich freuen, dass unsere ganze Familie – selbst durch den Krieg hindurch – heil geblieben ist und alle noch am Leben sind.
Mein späterer Mann, (Hans Theodor Eloo) geboren am 10. August 1915 in Hamborn-Duisburg und verstorben 1983 in Hamburg) war 1946 noch in der englischen Kriegsgefangenschaft gewesen, doch hatte ich ihn schon heiraten können. Er war in Harburg in der Kaserne, die Gefangenen konnten aber frei herumlaufen. 1947 bekam ich mein erstes Kind „Horst“, 1949 das zweite, „Harry“ und 1950 das dritte, „Joachim“. Da war ja in Wilhelmsburg die Gemeinde noch in der Schule in der die Kirche ein paar Räume gemietet hatte. Mit drei Kindern und dem Kinderwagen kam ich sehr schlecht dort hin und dann noch das Fahrgeld, dass wir nicht hatten. Das ging einfach alles nicht. 1954 aber sind meine Eltern dann von Wilhelmsburg nach Amerika ausgewandert. Mein Vater war im Wilhelmsburger Rathaus Hausmeister gewesen. Ich war seit 1954 ein ganz aktives Mitglied geworden. Das Gemeindehaus war in der Nähe wo ich wohnte und da habe ich meine drei Kinder immer mitgenommen. Die sind auch immer mitgegangen. Zwei sind getauft worden. Nur der eine nicht, Harry – er wurde nur gesegnet.
Und dann wurde 1962 in Wilhelmsburg das neue Gemeindehaus gebaut, als die große Flutkatastrophe in Hamburg war und ganz Wilhelmsburg unter Wasser stand. Das hat viele Tote gegeben. Da war das Gemeindehaus schon ausgeschachtet gewesen, aber durch die Flut trotzdem kein Wasser rein gelaufen. Da hat der Herrgott für aufgepasst, dass da nichts rein läuft. Und wie das Gemeindehaus in Wilhelmsburg dann fertig war, da mussten wir von Harburg aus nach Wilhelmsburg und mein Mann hat mich da auch immer hingebracht. Da hatten wir schon ein Auto. Da hat er von Harburg noch die Familie von Günther Wendt mit abgeholt. Der war zu der Zeit in der Bischofschaft und seine Frau hatte viel mit ihren Zwillingen zu tun.
Jetzt bin ich 85 Jahre alt und das sind nun 50 Jahre her, da kann man nicht mehr alles so gut behalten. Mein Neffe Klaus Buchholz fragt mich auch immer wieder nach Ereignissen von damals. Der will eine Chronik schreiben und ich habe ihn immer wieder an meine jüngste Schwester Astrid verwiesen. Die hat von meinen Eltern noch das Buch der Erinnerung, das mein Vater geschrieben hat. Meine Eltern hatten doch über tausend Totentaufen gemacht und mein Vater hatte alles schriftlich. Das Buch gibt mir meine Schwester aber nicht raus.
Seit 60 Jahren (seit 1948) besteht nun die Gemeinde Wilhelmsburg und wir hatten dieses Jahr die 60. Jahrfeier. Wir sind von Anfang an, also jetzt seit 60 Jahren in der Wilhelmsburger Gemeinde. Mein Mann ist 1983 gestorben und ich bin jetzt 25 Jahre schon Witwe. Mein Mann war ja nicht in der Kirche, aber er hat so viel für mich getan. Er hat immer gesagt: „Ich glaub das alles! Und wenn ihr nicht den Zehnten hättet, wäre ich schon lange Mitglied“. Er wusste, dass ich von meinem Anteil immer den Zehnten gab. Seit 1954 bin ich auch ganz aktiv. Ich bin in der FHV immerhin zweite Ratgeberin gewesen und Besuchslehrerin. Das habe ich noch gemacht bis ich 80 wurde. 50 Jahre hab ich jetzt aktiv Besuchslehre gemacht und jetzt am 6.September habe ich meinen 77 jährigen Tauftag. Ich bin mit 8 Jahren getauft worden. Meine Eltern sind schon in der Kirche gewesen und meine Großeltern auch schon.
Meine Kinder: Horst, Harry und Joachim habe ich gut erzogen, aber zwei von ihnen können schon gar nichts mehr machen. Horst: hatte einen Schlaganfall mit 49 Jahren und ist schon 12 Jahre zu Hause, Harry hatte einen schweren Herzinfarkt und wäre beinahe von uns gegangen und Joachim kann zwar noch arbeiten, hat aber bereits seine Frau verloren und ist schon Witwer. Das sind Schicksalsschläge und man fragt sich häufig warum, aber das muss wohl alles so sein. Wir sind ja hier auf der Erde um zu lernen.
Mein Mann hatte den Sekundentod und für mich war das furchtbar. Da habe ich aber gleich gesagt zu Oliver Mössner: „Und jetzt mache ich alles für meinen Mann! Jetzt warte ich das Jahr ab und dann mach ich alles für ihn“. Er hat auch immer alles für mich getan. Er hat mich immer zur Kirche gebracht und wieder abgeholt. Er hat gesagt – was soll ich Bohnenkaffee trinken – ich trinke deinen Karo-Kaffee mit (Getreide-Kaffee), er hat den Tisch gedeckt und uns Frauen wieder abgeholt und alles getan, was er tun konnte”. 1947 war mein Mann beim Engländer beschäftigt und hat die englischen Trucks bei Militär gefahren. Als dann die Lieferung der Wohlfahrts Carepakete aus Amerika kam, hat er bei den Engländern dafür gesorgt, dass er die Sachen mit dem Truck ausfahren konnte. Die Sachen sollten so aufgeteilt werden, dass je zu einem Drittel der katholischen Kirche etwas geliefert wurde, ein Drittel der evangelischen Kirche und das letzte Drittel unserer Kirche. Und dann hörte er hinterher häufig in der Bevölkerung, dass die katholische und evangelische Kirche den Mormonen etwas abgegeben haben, da hat er sich aber immer aufgeregt und das richtig gestellt, das das ja alles von den Mormonen gekommen ist und nicht umgekehrt.
In meinem patriarchalischen Segen wurde mir gesagt, dass ich in absehbarer Zeit im Tempel an meinen Mann gesiegelt werden würde und er sich darüber sehr freute. Nachdem er dann 1984 ein Jahr verstorben war, ist er mir im Traum erschienen und hat mir gesagt: „Das Jahr ist jetzt um“, damit ich auch die Arbeiten für ihn im Tempel machen konnte. Jetzt bin ich endlich in der Schweiz an meinen Mann gesiegelt worden und nun habe ich eine Tempelehe. Deshalb habe ich auch keine Angst mehr zu gehen. Ich bitte nur noch darum noch ein wenig zu bleiben für die Kinder, für die ich immer noch gerne da bin.