Erlenau, Masuren, Ostpreußen
Ich bin Marlene Konietz geb. Moysich, bin am 4.03.1936 in Erlenau Masuren geboren. Masuren ist ein Teil Ostpreußens. Meine Eltern sind Adolf geboren am 21. Februar 1909 in Selbongen. Meine Mutter Luise Moysich geboren Heyduck ist am 20. Februar 1910 auch in Selbongen geboren. Mein Vater war schon Mitglied der Kirche durch seine Eltern. Meine Mutter ist mit sechzehn Jahren zur Kirche gekommen in Köln. Sie war dort als Hausmädchen angestellt.
Mein Vater war Schuhmachermeister, er war ein lustiger und fleißiger Mann. Meine Eltern waren liebenswerte Menschen und ich hoffe, dass ich einen Teil von Ihnen mitbekommen habe. Wir wohnten damals in Erlenau, einem kleinen Ort in Masuren, Ostpreußen, ungefähr 30 Kilometer von Selbongen, wo meine Großeltern lebten. Meine Großmutter Luise Heyduck geborene Welt, mein Großvater Adolf Heyduck. Wir waren anfangs oft in Selbongen in der Gemeinde. Ich habe mit drei Jahren schon gerne gesungen und durfte während der Abendmahlsversammlung oft was vorsingen.
1940 ist meine Großmutter schwer krank geworden so zogen wir nach Selbongen zu meinen Großeltern, 1939 wurde mein Vater zum Militär eingezogen, im Dezember 1939 ist mein Bruder Dieter in Selbongen auch geboren. Meine Großmutter starb 1942 im Mai, ich war sehr traurig denn ich hatte sie sehr lieb. Nun blieben wir auch weiterhin bei meinem Großvater und lebten dort. Ich hatte eine schöne Kindheit.
Als 1945 der Russe kam war alles anders. Als der Russe in unser Dorf einmarschierte waren auch wir geflüchtet, aber nur ungefähr 1,5 Kilometer ins Feld, da sind wir bei einem Bauern auf seinem Hof untergekommen Da blieben wir vier oder fünf Tage. Großvater und noch andere Älteren Männer sind ins Dorf gegangen um zu sehen, ob die Russen schon durch das Dorf gegangen waren, es wurde der Bahnhof, das Wirtshaus und einige Häuser abgebrannt. Wir wussten was sich da tat, denn der Himmel über dem Dorf war ganz rot. Dann kam Großvater und sagte die Front ist durch, wir können nach Hause. Mit Pferd und Schlitten beladen mit unseren Sachen sind wir dann nach Hause gefahren. Als wir in unser Haus kamen waren zwei Polnische Frauen da, sie haben Brot gebacken. Die Frauen haben bei Deutschen Familien gedient, sie waren sehr nett zu uns, sprachen auch gut Deutsch, als sie gingen ließen sie uns ein warmes Brot und einen warmen Ofen zurück. Ich setzte mich auf die Ofenbank um meinen Rücken anzuwärmen, meine Mutter saß neben mir, ganz plötzlich kam ein wirklich irrer Kerl herein, er war auch einer von denen die bei den Deutschen im Dienst gewesen war, er hatte es sicher nicht gut gehabt deshalb war er voller Zorn. Er kam also herein, schrie und tobte. In der Küche hat er alles was in Tüten war wie Erbsen, Bohnen, Mehl, Farbe auf den Küchenboden ausgeschüttet, goss einen Eimer Wasser darüber und trampelte mit den Füßen darauf herum. Meine Mutter sagte zu ihm: „Meine Güte, ich habe dir doch nichts getan, warum machst du das“? Er hatte in der Hand eine dicke zerbrochene Rute damit schlug meiner Mutti ins Gesicht, über den Augenbraun hatte sie davon eine Platzwunde war richtig schlimm.
Meine Mutti weinte; ich hatte auch große Angst. Mutter hielt sich ein Tuch vor die Blutende Wunde und sagte zu ihm: „Du bist doch nicht zu mir gekommen und hast von mir Brot verlangt ich hätte es dir doch gegeben warum tust du mir das an“? Er schrie meine Mutti an: „Halte deinen Mund du deutsche Hure, gerade haben sie einen erschossen kannst ihn begraben gehen“. Er tobte herum und ging dann von Haus zu Haus weiter, er hat nicht gestohlen aber kaputt gemacht. Eine Frau die hoch Schwanger war trat er in den Bauch. Plötzlich kam ein Russe herein; wir hatten sehr viel Angst, mein Bruder weinte und ich auch. Wir hoben unsere Hände hoch. Er sagte aber nein, nein die Hände runter. Er ging zu meiner Mutti und fragte was sie hätte, mein Großvater konnte etwas Russisch und erzählte ihm wer es getan hatte. Er nahm aus seiner Manteltasche eine kleine Flasche Alkohol und säuberte die Wunde. Er meinte wir sollten zwei, drei Tage von hier weggehen bis alles ruhiger währe. Wir sind dann für vier Tage zu meiner Tante gegangen. Später haben wir erfahren, dass der Russe diesen tobenden Polen am Dorfrand erschossen hatte. Nun waren noch einige Polen und Russen im Ort als wir wieder nach Hause kamen.
Nachts kamen oft Männer, die plünderten und nahmen alles mit was sie konnten. Nahmen Gardinen von den Fenstern, wollten die Oberbetten nehmen was meine Mutti versuchte zu verhindern. Einer der Männer war sehr nett, wir sagten später er war ein Mann mit Herz. Ich saß im Bett und weinte, er kam zu mir streichelte mir über den Kopf und sagte, “Ich habe auch vier Kinder“. Einer der Männer hatte ein paar Schuhe in der Hand, ich sah, dass es meine waren und fing an zu schreien: “Meine Schuhe er nimmt meine Schuhe“. Der Mann mit Herz nahm die Schuhe gab sie mir unter das Oberbett und sagte: „Versteck sie“ Ein anderer der Männer hatte eine gute Nase, er schnupperte, ging zu einem Korb mit Kartoffelschalen schüttete ihn aus und holte eine Seite Speck heraus, wollte sie in einen Sack legen, aber der Mann mit Herz nahm ein Messer, teilte den Speck gab eine Hälfte meiner Mutter, die andere dem Mann.
Meine Mutter hatte eine Schrank Nähmaschine, ein Kerl schraubte den Maschinenkopf ab und tat ihn in einen Sack. Der Mann mit Herz nahm den Sack, gab ihn meinem Großvater und deutete mit der Hand das Großvater damit raus gehen sollte. Großvater versteckte den Sack mit der Nähmaschine hinterm Stall. Ja die Männer hatten vieles mitgenommen, aber nicht so viel wie sie dachten, denn der Mann mit Herz hatte uns vieles zurückgegeben. Als sie alle dann weg waren sagte meine Mutter: „Möge der Vater im Himmel diesen Mann segnen der so gut zu uns war“. Selbst die Gardinen und die Oberbetten mussten sie lassen, so sind wir ganz gut davon gekommen.
Als sich alles so langsam normalisierte bekamen wir im Dorf einen Russen als Bürgermeister, er hieß Iwan. Iwan wohnte im Dorf. Eines Tages waren wir alle zu Hause, meine Tante war auch bei uns und auch ein Flüchtlings Ehepaar, da kam eine Kutsche vorgefahren, sie kamen in die Wohnung, Gewehre am Anschlag, einer ging auf den Hof. Meine Mutter sagte mir ich solle zum Iwan rennen – wie ich aus dem Hause kam weiß ich nicht, ich glaube Mutti ließ mich durch das Kellerfenster – ich rannte so schnell ich konnte und rief Iwan: „Komm sie klauen bei uns“. Iwan hatte gerade sein Mittagsschläfchen gehalten, er griff sein Fahrrad und radelte ohne Schuhe nur auf Socken durch das Dorf zu uns. Ich kam langsam wieder übers Feld nach Hause. Die Männer hatten unsere Hühner in den Sack gesteckt, ein anderer hatte unsere zwei Schweine erschossen und waren gerade dabei alles auf die Kutsche zu laden, als Iwan kam. Er schimpfte feste und sie mussten alles wieder abladen und er zeigte ihnen Eindeutig den Weg nach Hause. Meine Mutter musste nun die Hühner und das Schweinefleisch kochen und braten und in Weckgläser einkochen, es war viel Arbeit.
Am Anfang erwähnte ich, dass ich in Erlenau in Masuren Ostpreußen geboren bin und wir zogen dann 1940 nach Selbongen, wo das Gemeindehaus stand. Als ich zehn Jahre alt war ist mein jetziger Mann Erich oft als Junge zu uns nach Milch gekommen, wir hatten einen kleinen Hof. Damals wusste ich noch nicht, dass er mein Mann werden würde, wer denkt schon mit zehn Jahren daran. Als Jugendliche haben wir als Dorfjugend viel unternommen, wir hatten Tanzabende, Spaziergänge, die Polnische Jugend machte auch alles mit. Als Erich dann zum Polnischen Militär eingezogen wurde habe auch ich schon ernster daran gedacht ob wir doch uns anfreunden und auch das wir vielleicht Heiraten würden. Einmal besuchten seine Schwester und ich ihn in Warschau. Und da wusste ich, dass wir zusammen gehören. Als die Militärzeit vorbei war haben wir dann am 28.0kt.1955 geheiratet. Wir wohnten im Haus meines Vaters in Selbongen, als meine Mutter 1957 nach Westdeutschland zu meinem Vater auswanderte, zogen wir in meiner Mutter Haus und lebten dort bis 1971 wo wir dann mit unseren fünf Kindern, vier Jungs und ein Mädchen auch nach Westdeutschland auswandern durften.
Präsident Percy Fetzer [zu dieser Zeit war er Patriarch] war mit seiner Frau 1970 bei uns in Selbongen. Wir hatten gerade eine Gemeindekonferenz und es waren auch Geschwister aus Pommern und Schlesien gekommen. Bruder Fetzer sagte er möchte gerne einigen Geschwistern einen Patriarchalischen Segen geben. Er erklärte uns was ein solcher Segen bedeutet. Da einige älteren Geschwister aus Schlesien da waren, sagten wir das die älteren Geschwister einen Segen haben könnten, wir wollten warten bis zum nächsten treffen. Präsident Fetzer sprach nachher auch noch mit unserem Ältesten Sohn Folkhard über den Patriarchalischen Segen und meinte er sollte einen Segen erhalten. Dieser Segen war großartig unserem Sohn wurde eine große Mission verheißen. Ja wie sollte diese Verheißung geschehen wir lebten in Polen. Die Verheißung ging in Erfüllung als wir in Westdeutschland waren, Folkhard hatte in den Jahren 1976- 1978 eine Mission in England erfüllt. Wir sind dankbar für unsere Familie. Unsere Söhne Folkhard, Wolfgang, Norbert und Roland haben dem Herrn zwei Jahre gedient, unsere Tochter Daria heiratete einen zurückgekehrten Missionar, wir sind mit 34 Enkeln und 4 Urenkeln gesegnet und es werden noch mehr. Ich bin dem Vater im Himmel dankbar für jedes dieser Kinder.