Frankfurt an der Oder
Ich heiße Margrit Waltraud Krause und bin am 25.September 1933 in Frankfurt/Oder geboren. Meine Eltern sind Walter Erich Krause und Margarete Martha, geborene Liebelt. Wir haben bis 1945 in Frankfurt/Oder gewohnt. Im Februar 1945 mussten wir aus der Stadt raus, weil Frankfurt/Oder Festung wurde. Das hieß, dass alle Frauen mit Kindern aus der Stadt raus mussten.
Wir hatten die Geschwister Henkel in Frankfurt/Oder, die gebürtig aus Annaberg im Erzgebirge waren. Sie hatten auch drei Kinder zu der Zeit und wir sind mit ihnen gemeinsam nach Annaberg-Buchholz im Erzgebirge gegangen. Zu dieser Zeit war unser Vater im Krieg, er war von 1939 bis 1945 Soldat.
Wir mussten über Dresden fahren. Kurz vor den großen Angriff auf Dresden (13 Februar 1945)waren wir in Annaberg. Ich war bei Geschwistern in Schlettau. Die Kinder wurden verteilt, weil eine Familie nicht vier Personen aufnehmen konnte. Auf dem Feld haben wir gesehen, wie Dresden gebrannt hat. Annaberg-Buchholz hat in dieser Nacht auch noch ein paar Bomben abbekommen.
Meine Familie hat in Februar 1945 bis zum Kriegsende im Mai 1945 in Annaberg gelebt und ich habe in Schlettau gewohnt. Von Schlettau nach Annaberg-Buchholz waren es etwa fünf Kilometer. Man musste über eine Bergkuppe gehen, die ohne Bäume war. Zu der Zeit gab es ständig Tiefflieger, so dass man jedes Mal Angst hatte, wenn man über diese Kuppe gehen musste. In Annaberg-Buchholz ist jemand durch Tiefflieger umgekommen.
Nach Kriegsende Mai 1945 sind wir nach Cottbus gefahren und auch gelaufen. Verbindungen waren schwierig. Unsere Eltern hatten wohl ausgemacht, dass sich die in Cottbus treffen, die aus dem Krieg zurückkommen. In Cottbus war Bruder Fritz Lehnig. In der Lausitzerstraße 53 war die Gemeinde und dort hat er auch mit seiner Familie gewohnt. Oben war ein großer Raum, in dem die Versammlungen waren. Als wir hinkamen, war das ein großes Lager mit etwa einhundert bis einhundert-zwanzig Personen. Bruder Lehnig hatte eine Strickerei, und mit dieser Strickerei hat er Tauschgeschäfte gemacht. Damit hat er die Leute ernährt. Es war eine ziemlich schwierige Zeit. In der Strickerei in Cottbus hat auch unsere Mutter gearbeitet. Dort gab es vier oder fünf Räume, in denen einige Familien zusammen wohnten. Unsere Mutter mit ihren drei Kindern hatte einen Raum. Grünewald, Lehnig ebenso und andere waren oben im Lager.
Ich hatte einmal mit Bruder Joachim Lehnig gesprochen und ihn gefragt, wieso wir oben das Lager hatten. Er sagte mir, dass der Raum, in dem jede Menge Betten standen, während des Krieges wahrscheinlich für Flüchtlinge beschlagnahmt worden war. Deshalb konnten sie das für die Mitglieder nutzbar machen. Das waren einhundert-fünfzig Personen.
Wo unser Vater im Krieg gewesen ist, steht in seinem Buch „Walter Krause in seiner Zeit“. (Seite 73) Durch die Russen ist er irgendwie nach Cottbus gekommen. Er wusste, dass wir dort waren. 1946 ist er wieder Missionar geworden und war in Nauenburg an der Saale. 1947 ist er als Missionar nach Wolgast gekommen.
1947 sind wir hier her [nach Prenzlau] gezogen, in die sogenannte Rote Kaserne, das ist heute die Kreisverwaltung. 1949 wurde in der DDR die kasernierte Volkspolizei eingerichtet. Das war schon der Vorläufer für die Armeen. In der Kaserne hatten wir auch Gemeinderäume, die unser Vater hergerichtet hatte. Mein Bruder ist 1948 in der Kaserne geboren. Alle, die dort gewohnt haben, mussten aus diesem Komplex raus. Wir sind 1949 an die Schnelle gezogen. Dort hatten wir auch ein Zimmer mehr. Familie Krause musste immer dort hinziehen, wo man wohnen konnte und gleichzeitig Gemeinderäume zur Verfügung standen. Das war unser Los.
1949 habe ich für drei Jahre meine Lehre als Gärtnerin begonnen. 1952 habe ich für dreieinhalb Jahre in Wolgast als Gärtnerin und Blumenbinderin gearbeitet. 1955 bin ich nach Annaberg-Buchholz gegangen und habe dort einige Jahre gearbeitet. 1958 bin ich zurückgekommen und habe zwischenzeitlich genealogische Arbeit gemacht, weil ich fast ein Jahr nicht gearbeitet habe. In Schwerin habe ich in den Archiven gesucht und teilweise auch in den Kirchenbüchern in der Dörfern. Das war eine ganz interessante Arbeit. Zwischenzeitlich hatte unser Vater das Haus gekauft, in dem bis zum Schluss Vater und Edith gewohnt haben.
Ab 1958 war ich wieder in Prenzlau und habe 1959 in Augustenfelde als Technische Hilfskraft angefangen. Die Station wurde seinerzeit gerade aufgebaut. Dann habe ich mich qualifiziert, also die Fachschule in Halle an der Saale absolviert, und war danach Versuchs-Techniker.
Prenzlau war zu achtzig/fünfundachtzig Prozent zerstört. Mein Vater hat dann wieder angefangen aufzubauen, so dass wir wieder Gemeinderaum hatten. Erst war er klein und nachdem man wieder ein paar Steine hatte, wurde er größer gemacht. Ab 1955 waren wir in der Ernst Thälmannstraße in der heutigen Neustedt. Das Problem war, dass wir keine Leitfäden hatten. Die Leitfäden haben wir mit der Schreibmaschine abgeschrieben. Das Papier stellte Bruder Richter aus Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt) zur Verfügung. Damals gab es nicht alles zu kaufen, auch das Papier war limitiert. Abends, nach der Arbeit, habe ich Leitfäden geschrieben. Das Abschreiben von Leitfäden war eigentlich nicht erlaubt.
Als ich anfing zu arbeiten, habe ich keine Forschungen mehr gemacht. Allerdings habe ich die Bögen noch mit korrigiert. Kurz nachdem der Vater verstorben war, wurden die Räume gekündigt und seitdem sind wir in der Stadt in gemieteten Räumen. Bisher waren es immer unsere eigenen Räume.
Nach der Wende gab es auch einige Probleme, die wahrscheinlich mit unserer Mentalität zu tun hatten, was die Kirche betrifft. Manche meinten, sie müssten uns das Evangelium erst bringen. Bis sie gemerkt haben, dass wir auch einiges wussten. Dass man das Evangelium heute nur noch auf das Buch Mormon bezieht, ist für mich auch sehr schwierig. Ich denke, die Bibel und das Buch Mormon gehören zusammen und dass die Bibel an erster Stelle stehen sollte. Da gab es manchmal Diskrepanzen. Ich arbeite in der Gemeinde nicht mit. Wenn sie mich etwas fragen wollen oder zum Saubermachen brauchen, bin ich bereit. Aber ich habe kein Amt in der Gemeinde. Das möchte ich nicht, weil es für mich viele Dinge gibt, mit denen ich nach wie vor Probleme habe.
Während des Krieges, als Berlin bombardiert wurde, sind sie grundsätzlich über Frankfurt/Oder gekommen. Das heißt, sobald Fliegeralarm war, musste man in den Luftschutzkeller rein gehen. Es gab damals diese Suchscheinwerfer, die die Flieger gesucht haben. Ich hatte es nicht weit von der Schule nach Hause. Solange noch Voralarm war, durften wir nach Hause gehen. In Frankfurt/Oder sind auch ein paar Bomben gefallen, das war schon 1945. Das war mehr ein Versehen, wenn sie nach Berlin flogen und es wurden sogenannte Tannenbäume gesenkt.
Als wir von Annaberg weg gingen, sind wir mit offenen Loren gefahren. Ich war elf, noch nicht ganz zwölf Jahre alt und meine jüngste Schwester war sechs Jahre alt. Mit den offenen Loren musste man sehen, wie man weiterkommt und es ging durch Dresden. Dann waren auch die Russen da, die Brot wollten. Denen, die nichts gegeben haben, haben sie alles weggenommen. Unsere Mutter hat etwas gegeben und gesagt, dass sie das andere Brot für die Kinder braucht. Dann haben sie es auch so gelassen. Als Kind habe ich mit den Russen keine schlechten Erfahrungen gemacht.]
Nach dem Krieg waren wir auch noch einmal in Frankfurt. Unsere Großmutter war auf der heute polnischen Seite und sie war noch in unserer Wohnung. Unsere Mutter hat dort eine ganze Zeit mit gewohnt, weil die Oma sehr krank war. Wir haben auch noch verschiedene Sachen aus der Wohnung mitgenommen. Meine Mutter hatte ihre Nähmaschine mitgenommen, wie die aber nach Cottbus und dann nach Prenzlau gekommen ist, dass weiß ich nicht.
Es gab eine Gemeinde in Frankfurt/Oder. Von unserer Mutter weiß ich, dass die amerikanischen Missionare während des Krieges raus mussten. Wir hatten auch Missionare aus Holland, die dann aber auch raus mussten. Die Brüder waren fast alle im Krieg. Ich weiß nicht mehr, wie das mit dem Abendmahl war. Das meiste haben dann die Schwestern gemacht.
Ich glaube nicht, dass mein Vater freiwillig zur Armee gegangen ist. Er hat auch nicht über seine Kriegserlebnisse gesprochen. Er sagte, dass es besser sei, wenn wir nicht alles wissen. Er hatte eine schwere Kopfverletzung gehabt. Malaria hatte er auch gehabt. Im Kopf muss noch etwas gewesen sein. Ich weiß nicht, wie das geklärt wurde. Ich war dann nicht mehr zu Hause und kam nur alle Viertel Jahre heim. Zwischenzeitlich war auch die Scheidung unserer Eltern. Als ich zurück nach Prenzlau gekommen bin, hatten wir das Haus schon. Da habe ich in meinem eigenen Zimmer gewohnt. Wir mussten sehen, wie wir miteinander auskamen. Aber ich war den ganzen Tag nicht zu Hause, weil ich gearbeitet habe. Es war ganz schwierig dort eine Wohnung zu bekommen. Ich habe meine erste Wohnung bekommen, als ich schon etwas über vierzig Jahre alt war. Das ist jetzt meine dritte Wohnung.
Meine Mutter kannte die Edith. Ich kann aber weiter nichts darüber sagen. Unsere Mutter hat nie darüber gesprochen und unser Vater hat auch nie darüber gesprochen. Wir haben auch nie danach gefragt. Auch wir Geschwister haben nie untereinander darüber gesprochen. Meine zweite Schwester kam anfangs mit Edith überhaupt nicht zurecht. Es war wie es war.
Als wir nach Prenzlau kamen, gab es hier eine Gemeinde, das wusste unser Vater. Da waren Schwester Eckert, Schwester Loose, Schwester Neumann. Bruder Blume war wohl später da. Zanders sind auch erst später von Wolgast nach Prenzlau gezogen, weil der Vater dort eine Arbeit hatte.
Später gab es einige Taufen. Das waren Schades, also die Schwägerin von Edith, und ihr Bruder. Sie sind von Dresden nach Prenzlau gezogen. Sie hatten vier Kinder. Dadurch war auch die Primar Vereinigung gut besucht. Dann kam mein Bruder, er war verheiratet und sie hatten drei Kinder. Manchmal waren wir nur drei oder vier Leute. Aber die Gemeinde Prenzlau hat immer bestanden.
Als Gemeinde sind wir nach Neubrandenburg zur Konferenz gefahren. 1948 war in Dresden die große Pionier-Konferenz. Jedes Jahr an Silvester/Neujahr sind wir entweder in Wolgast, in Neu-Brandenburg oder in Rostock gewesen. Wir waren zu der Zeit eine Truppe, die auch zusammengehalten hat. Später ging der eine weg und dann der andere. Dann lief das auseinander.
Ich war nicht bei Freudecho. Als der Krieg zu Ende war, war ich erst zwölf Jahre alt. Es gab auch noch andere Zusammenkünfte. Der Prophet war ja auch einmal in Dresden. Bis 1961 waren wir öfters in West-Berlin. Bis zu der Zeit war das kein Thema. In Leipzig hatten wir auch einige so schöne Versammlungen. Die Mitglieder in der DDR kannten sich alle mehr oder weniger.
Wir hatten Religionsfreiheit in der DDR, das muss einmal ganz deutlich gesagt werden. Aber man konnte unter Umständen mit Repressalien rechnen.
Die Leute, die nach dem Krieg kein Gewehr in die Hand nehmen wollten, nannte man Spatensoldaten. Sie waren teilweise in der Kaserne untergebracht, in der wir zuerst gewohnt haben. Wir mussten jede Versammlung anmelden, das war klar. Es gab ein Hausbuch, in das sich jeder der kam eintragen musste. In den fünfziger Jahren bis 1961 gab es schon manchmal ein paar Probleme. Meine jüngste Schwester durfte erst keine Fachschule besuchen. Gerade auch wenn die Söhne oder Töchter studieren sollten, war es manchmal problematisch. Ich hatte im Betrieb nie Probleme. Wir waren die sogenannten Mittleren Kader, welche doch mal ein Wort mehr riskieren konnten, das heißt, einer musste die Arbeit machen. Es gab in unserem Betrieb etwas, das hätte mein Chef nicht machen können und unser Ober-Chef auch nicht. Gearbeitet habe ich ein einer landwirtschaftlichen Versuchsstation. In Wolgast und Annaberg war ich in einem Blumengeschäft tätig.
Ich war nicht gebunden, weder parteilich noch sonst etwas. So konnte man manche Dinge klären. Es war problematisch, aber es hat uns niemand etwas getan. Wenn wir in Leipzig oder irgendwo waren, saßen gewisse Leute mit drin, das wusste man. Wenn wir keine Leitfäden bekamen, durfte man die auch nicht schreiben, das war ganz klar. Das wusste man und irgendwie hat man sich damit arrangiert.