Rostock, Vorpommern

Mein Name ist Rolf Wilhelm Ernst Maichel. Ich bin der älteste Sohn des staatlich geprüften Landwirts Wilhelm Max Johann Gustav Maichel und seiner Ehefrau Ursula Anna Emma Momber und wurde am 13. August 1941 in Rostock geboren. Meine Eltern waren Domänenpächter der Staatsdomäne Althof im Kreis Bad Doberan in Mecklenburg. Mein Vater (Jahrgang 1913) ist gleich zu Kriegsbeginn eingezogen worden. Er hatte schon in den dreißiger Jahren eine erste militärische Ausbildung bei der sogenannten Schwarzen Reichswehr bekommen und hat dann als Wehrpflichtiger seine militärische Laufbahn bei dem Kavallerie Regiment Reiter 14 in Ludwigslust begonnen. Während des Krieges war er eine Weile in Frankreich eingesetzt und war dort sogar mal Stadtkommandant der Stadt Carcassonne. Die meiste Zeit war er aber in Russland eingesetzt. Ungefähr zur Zeit meiner Geburt bekam er einen Kniedurchschuss. Als Invalide ist er dann bis zur völligen Genesung nach Hause geschickt worden. Als er schon fast wieder gesund war, hat er in der Scheune bei der Arbeit geholfen und ist dabei vom ersten Stock herunter gestürzt. Dabei ist seine Wirbelsäule so schwer verletzt worden, dass er sieben cm kleiner wurde. Von diesem Sturz und seinen Folgen hat er sich aber auch noch so weit erholt, dass er wieder kriegsdienstverwendungsfähig wurde und erneut nach Russland geschickt wurde. Zuletzt hat er dort als Hauptmann gedient.

Wohl als Folge seiner Wirbelsäulenverletzung kam es dann zu epileptischen Anfällen, die zu einem erneuten Heimaturlaub führten. Das muss ungefähr im Dezember 1944 gewesen sein. So haben meine Eltern die letzten Monate des Krieges zusammen erlebt. Die Domäne Althof wurde gemeinsam von meinem Großvater Wilhelm Leonhard Maichel und meinem Vater bewirtschaftet. Da mein Großvater schon lange im Rentneralter war, hat meine Mutter mit ihm zusammen während der Abwesenheit meines Vaters den Betrieb auf dem Gut in Gang gehalten. Wir hatten mehrere französische und russische Kriegsgefangene, die uns für die Arbeit zugeteilt worden waren. Mit den Franzosen hatten meine Eltern ein sehr gutes Verhältnis, weil sie mit ihnen auf Französisch kommunizieren konnten. Meine Mutter stammte von der Staatsdomäne Bredentin bei Güstrow. Meine Großmutter Irmgard Momber war Witwe und hat uns in Althof oft besucht. So war sie auch kurz vor dem Zusammenbruch noch einmal in Althof und hat dort mit meinen Eltern besprochen, was sie tun würde, um nach Westen zu fliehen.

Später haben wir erfahren, dass sie ihrer Schwester einen Brief geschrieben hatte, in dem sie sagte „Der Kapitän verlässt sein Schiff nicht!“ So hat sie also Bredentin ganz bewusst nicht verlassen, wohl auch in der Hoffnung, dass es nicht so schlimm kommen würde, wie es dann kam. Wie viele andere Menschen zu der Zeit hatte sie jedoch auch Gift im Haus und hat letzten Endes beim Einmarsch der Russen ihrem Leben ein Ende bereitet. Zu dem Zeitpunkt war sie nicht im sogenannten Herrenhaus, sondern bei der Dienerfamilie in deren kleinem Haus. Sie ist also an dem Gift gestorben. Die Familie des Dieners hatte Angst, dass sie Probleme bekommen würden, wenn man den Leichnam bei ihnen finden würde und hat meine Großmutter in den Garten gebracht. Die Russen haben sie dort später gefunden und selbst den Leichnam noch vergewaltigt. In dem Buch „DIE JUNKER – Adel und Bauer im deutschen Osten“ von Walter Görlitz (1964) wird das Schicksal meiner Großmutter bei der Vielzahl von ähnlichen Geschichten nur mit einem Satz erwähnt: „Frau Momber-Bredentin wurde völlig nackt, von zahlreichen Bajonettstichen durchbohrt, im Park ihres Gutes aufgefunden.“ (S. 423) Die ersten Hinweise auf dieses schreckliche Ende haben wir erst ein Jahr später erhalten.

Meine Eltern wollten eigentlich schon nach Westen fliehen, aber in Mecklenburg bestand Treckverbot, was bedeutete, dass man seinen Wohnort nicht verlassen durfte. Bei uns kamen aber viele Trecks aus Ostpreußen und Pommern an, die jeweils für eine Nacht oder wenige Tage bei uns untergebracht und so gut wie möglich versorgt werden mussten. Diese Trecks hatten alle Treckpapiere, aus denen hervorging, wie viele Menschen, wie viele Tiere und wie viele Wagen zu dem Treck gehörten, damit man alle mit dem Nötigen versorgen konnte, denn schließlich gab es alle Nahrung nur auf Lebensmittelmarken. Einmal war ein Treck aus Ostpreußen bei uns, der auf den Papieren fünf Wagen, aber in Wirklichkeit nur noch drei Wagen hatte. Die Leiter dieses Trecks luden meine Eltern ein, sich ihnen anzuschließen, denn so würden wir doch gar nicht auffallen. Anfangs zögerten meine Eltern, weil mein Vater zu krank war, um einen Wagen vorzubereiten und richtig zu beladen, geschweige denn die Pferde zu versorgen auf dem weiteren Weg. Da meldeten sich unsere französischen Kriegsgefangenen zu Wort und boten an, mit uns zu gehen und alle notwendige Arbeit zu tun. So wurde beschlossen, dass wir einen großen Gummiwagen für uns fertig machen würden, und ein weiterer Wagen würde meiner Tante Annemarie Mattfeld, der Schwester meines Vaters, deren Mann im Balkan vermisst war und die auf der anderen Seite von Bad Doberan in Kühlingsborn wohnte, angeboten werden. Der Stellmacher auf dem Gut zimmerte schnell ein Gerüst als Dach für die Wagen, die mit Teppichen behängt wurden zum Schutz vor Wind und Wetter. Mein Vater sagte: „Alle Soldaten tarnen ihre Wagen mit grünen Zweigen. Das sollten wir also nicht tun.“ So wurden außen um das Gerüst Leinen gespannt, auf die die Windeln von meiner Schwester Karin, die 1943 geboren worden war, zum Trocknen gehängt wurden.

Unser Wagen war so groß, dass er von vier Pferden gezogen werden musste. Der Wagen meiner Tante war etwas kleiner und wurde von zwei Pferden gezogen. Als Reserve hatten wir noch ein zusätzliches Pferd an ihren Wagen hinten angebunden. Die Wagen wurden in aller Eile mit Lebensmitteln für einige Tage aus den Vorräten des Kellers und mit Bettzeug und etwas Kleidung beladen. Später zeigte sich, dass meine Eltern sich ihrer Meinung nach bei vielen Dingen falsch entschieden hatten, aber es musste schnell gehen, und viel Platz war schließlich auch nicht. So bestand unser kleiner Treck also aus zwei Wagen mit sieben Pferden. Meine Tante hatte ihre beiden Söhne (12 und 10 Jahre alt) und ihre Stieftochter (16) bei sich. Wir hatten die Wirtschafterin des Gutes (22), vier französische Kriegsgefangene und meine Eltern, meine Schwester und mich auf dem Wagen. Meine Großeltern konnten sich nicht vorstellen, dass die Russen bis zu uns kommen könnten, und wenn sie denn doch kämen, würden sie so schnell wieder verschwunden sein, wie sie gekommen sind. So wollten sie zu Hause bleiben.

Die nächste Sorge meines Vaters hatte mit der Straßensperre in Bad Doberan zu tun, bei der alle Trecks kontrolliert wurden. Man würde unsere Wagen als aus der Nachbarschaft stammend erkennen und uns zurückschicken. Die Franzosen fanden auch dafür eine Lösung. Sie weihten andere französische Gefangene in ihren Plan ein, und die verursachten einen kleinen Auflauf an der Sperre, der nicht so wichtig war, dass die Wachsoldaten hätten schießen müssen, aber sie doch so weit ablenkte, dass wir mit den ostpreußischen Wagen inzwischen unkontrolliert durch die Sperre fahren konnten.

An mein Elternhaus habe ich nur noch vage Erinnerungen, könnte aber auf einem Grundriss zeigen, wo unsere Zimmer waren und wo meine Großeltern wohnten. Ich kann mich noch an das letzte Weihnachtsfest erinnern, bei dem ich einen sehr großen Teddybär geschenkt bekam, und an einen Nachtalarm, bei dem wir alle in den Keller gehen mussten, weil über unser Haus zahllose Flugzeuge flogen, entweder auf dem Weg nach Berlin oder auf dem Heimweg. Das sind so ziemlich meine einzigen Erinnerungen an Althof.

Wir haben später ausgerechnet, dass wir diese Flucht am1. Mai 1945 angetreten haben müssen, denn meine Mutter konnte sich nicht mehr an das Datum erinnern. Auf unserer Flucht haben wir aber einen Fixpunkt erlebt, von dem man immer wieder in den Medien hört und auf den ich später noch zu sprechen komme. Wir haben noch zweimal in Mecklenburg übernachtet, einmal in einer Scheune, die meine Eltern später noch einmal gesehen haben. An der Stelle, an der wir geschlafen haben, war ein großes Loch im Dach, das von einer Bombe stammte. Diese Bombe muss kurz nach unserem Aufbruch auf die Scheune gefallen sein, denn schon zwei Tage danach wurden alle Kampfhandlungen eingestellt, und es durften eben auch keine Bomben mehr abgeworfen werden. Von Unterwegs kann ich nur zwei Dinge erinnern. Unser Weg führte uns durch Wismar, und die Glocken der Hauptkirche läuteten sehr laut. Da ich auf dem Lande gelebt hatte, war mir dieser mächtige Klang fremd und hat sich entsprechend tief eingeprägt. Außerdem erinnere ich noch, dass wir in einer sehr lang gestreckten Kurve auf der Seite acht erschossene Pferde liegen sahen, was mich als Kind natürlich auch sehr bewegt hat.

Wir kamen schließlich nach Travemünde. Auf dem Weg dorthin hatte es immer mal wieder Fliegeralarm gegeben, weil die Trecks von englischen Tieffliegern angegriffen wurden. Wir mussten dann schnell die Wagen verlassen und in den Straßengräben Schutz suchen. Uns ist aber nichts passiert, vielleicht, weil wir durch die Windeln auf der Leine doch auch von weit her als ziviles Fahrzeug zu erkennen waren.

Um in den eigentlichen Ort Travemünde zu gelangen, musste man mit einer Fähre die Trave überqueren. Vor dem Fähranleger war die Straße so breit, dass es drei Fahrspuren gab, die alle mit Flüchtlingswagen und Militärfahrzeugen hoffnungslos verstopft waren. Es war also abzusehen, dass es noch sehr lange dauern würde, bis wir auf die Fähre kämen. An dem Anleger dirigierte ein Leutnant den Verkehr. Mein Vater hat sich dann seine Hauptmannsuniform angezogen und ist zu dem Leutnant gegangen, um mit ihm zu besprechen, wie man das Durcheinander ordnen könne. Da mein Vater den höheren Dienstgrad hatte, konnte er dem Leutnant Anweisungen geben. Er schlug ihm vor, eine Spur frei zu räumen, indem die Fahrzeuge auf dieser Spur bevorzugt auf die Fähre geleitet würden, damit auch der Gegenverkehr, den es noch immer gab, ungehindert abfließen konnte. Unsere beiden Wagen standen in der mittleren Spur. Mein Vater hatte mit meiner Mutter verabredet, dass sie, sobald die eine Spur frei sei, in diese Spur vorpreschen sollte, was sie auch tat.

Mein Vater spielte den entsetzten und verärgerten Leiter und beauftragte den Leutnant, „die Frau“ zur Rede zu stellen und auszuschimpfen. Dann einigte er sich mit dem Leutnant, dass die beiden Wagen nun wohl auch „gegen seine Überzeugung“ auf die Fähre dirigiert werden müssten, weil ein Umdrehen eines so langen Gespannes bei dem beschränkten Platz nicht möglich war und die Spur doch frei sein sollte. So kamen unsere beiden Wagen auf die Fähre. Mein Vater fuhr mit der gleichen Fähre mit, „um auf der anderen Seite nach dem Rechten zu sehen.“ So sind wir über die Trave gekommen. Zehn Minuten später wurde die Fähre bombardiert und ist versunken. Wir sind also gerade noch vor einem großen Unglück bewahrt worden.

Nun waren wir auf der schleswig-holsteinischen Seite. Wir wollten zu Verwandten nach Flensburg fahren und zogen also schnell weiter nach Norden. Der nächste Ort war Niendorf/Ostsee. Zwischen den beiden Orten liegt ein Endmoränenrücken, von dem aus man einen schönen Blick auf die Lübecker Bucht der Ostsee hat. In dieser Bucht lagen drei große Schiffe, die „Cap Arcona“, die „Thielbeck“ und die „Deutschland IV“, die mit KZ-Häftlingen aus dem KZ Neuengamme und mit deren Wachmannschaften beladen waren. Als wir Richtung Niendorf unterwegs waren, konnten meine Eltern sehen, wie die Schiffe von Flugzeugen der RAF angegriffen, in Brand geschossen und versenkt wurden. Bei Wikipedia heißt es, dass „rund 6.400 der etwa 7.000 Insassen dieser Schiffe verbrannten, ertranken oder erschossen wurden.“ Da dieser Angriff am 3. Mai stattfand, konnten wir zurückrechnen und so den Tag unserer Flucht ermitteln. Warum die Schiffe angegriffen wurden, konnte bis heute nicht ermittelt werden. Die RAF hält sich da mit Informationen sehr bedeckt. Der Untergang dieser Schiffe gehört jedenfalls zu den verlustreichsten Schiffsuntergängen der Weltgeschichte. Die „Thielbek“ konnte nach einigen Jahren gehoben und wieder instand gesetzt werden. Die anderen beiden Schiffe waren wegen der geringen Wassertiefe nicht völlig versunken, und ihre Wracks lagen noch jahrelang weithin sichtbar in der Bucht, wo ich sie später täglich auf meinem Schulweg sehen konnte, bis auch sie ca. 1953 beseitigt wurden.

Wir kamen an dem Tag noch bis Scharbeutz und wollten eine Pause einlegen, weil die Pferde neue Hufeisen brauchten. Wir wurden zu einem Bauernhof am Ortsrand, dem Friedrichshof, gewiesen und kamen dort erst einmal in der Scheune unter. In der folgenden Nacht sind dann die Engländer eingerückt und haben jede weitere Ortsveränderung verboten. So mussten wir auf diesem Bauernhof bleiben und erhielten die Veranda des Bauern, einen großen Raum von ca. 35 m2 und riesigen Glasfenstern. Diese Fenster waren in der warmen Jahreszeit sicher sehr schön, aber im Winter wurde es sehr kalt. Mein Vater hat sich dann Bretter beschaffen können und den Raum geteilt in einen Schlaf- und einen Wohnraum. Im Schlafzimmer wurde das eine Kinderbett aufgestellt, das wir mitgebracht hatten. Darin schliefen meine Schwester und ich. Meine Eltern bekamen ein Bett, das sie sich auch teilen mussten. Im Winter war es dann oft so kalt, dass wir erst das Eis von der Waschschüssel entfernen mussten, bevor wir uns waschen konnten. Nur der Wohnraum konnte mit einem kleinen Kanonenofen geheizt werden. Das Holz für den Ofen durfte mein Vater sich aus dem Wald holen. Außerdem hat mein Vater sich mit Brettern und viel Stroh Platten zum Abdecken der riesigen Fenster gebaut, um etwas Schutz vor der Kälte zu haben. Er wurde mit der Zeit wieder arbeitsfähig und hat erst bei dem Bauern auf dem Hof gearbeitet und dann als Feldhüter für alle Bauern im Ort die Felder bewacht, denn bei der allgemeinen Not wurde viel von der zu erwartenden Ernte von den Feldern gestohlen. Wir haben ungefähr zwei Jahre in dieser Veranda gewohnt.

Meine Großeltern waren in Althof geblieben, weil sie nicht glauben konnten, dass die Russen im Lande bleiben und sich die Lebensbedingungen völlig ändern würden. Mein Großvater hat unter schwierigsten Bedingungen versucht, den landwirtschaftlichen Betrieb weiter in Gang zu halten, wurde aber nach ca. zwei Monaten vom Hof vertrieben. Er hatte jedoch noch ein Haus in Bad Doberan, wo sie dann die nächsten Monate auf engstem Raum gelebt haben. In diesen ersten Monaten wurde mein Großvater mehrfach an die Wand gestellt, um erschossen zu werden. So weit ist es dann aber zum Glück aus mir unbekannten Gründen nie gekommen. Im November begannen die Russen, Gutsbesitzer zu verhaften. An dem Tag, an dem mein Großvater abgeholt werden sollte, war er gerade nicht zu Hause. Die Männer, die ihn holen wollten, sind also erst einmal wieder fortgegangen. Als mein Großvater abends im Dunkeln zurückkam, hat man ihm gesagt, dass er gesucht und wahrscheinlich verhaftet werden würde. Er hat sich daraufhin einen Rucksack gepackt und ist auf irgendwelchen Schleichwegen aus Doberan fortgegangen und hat sich nach Hamburg zu seinem Schwager durchgeschlagen. Von dem erfuhr er, dass wir inzwischen in Scharbeutz lebten. Ich kann mich daran erinnern, wie er dann eines Tages vor uns stand. Meine Großmutter wurde verhört, und, da sie nicht half oder helfen konnte, ihn zu finden, wurde sie verhaftet und sollte nach Sibirien gebracht werden. Ich weiß nicht, wie es möglich war, aber sie durfte noch einen Ziehwagen mit Dingen beladen, die sie wahrscheinlich in Sibirien gebrauchen würde. Zusammen mit diesem Wagen wurde sie in einen Güterzug verladen. Da durch die Kriegshandlungen die Eisenbahnverbindungen direkt nach Osten noch zerstört waren, fuhr der Zug zuerst Richtung Westen über Wismar nach Bad Kleinen, wo es ihr gelang, auf der falschen Seite mit samt dem Wagen auszusteigen und zu fliehen, ohne dass sie von den Wachleuten gesehen wurde. Wie durch ein Wunder geriet sie an einen Zug mit englischen Soldaten, wo man Mitleid mit ihr hatte und sie bis nach Hamburg mitnahm. Von dort wurde sie dann auch zu uns verwiesen und kam dann kurz vor Weihnachten bei uns in Scharbeutz an. So waren meine Großeltern väterlicherseits wieder mit uns vereint. Mein Großvater mütterlicherseits war schon 1937 gestorben und hat daher den Krieg und den Zusammenbruch nicht mehr miterlebt.

Die Franzosen, die uns so viel geholfen hatten bei der Flucht, waren bis Scharbeutz bei uns geblieben. Zwei Wochen nach unserer Ankunft kam dann ein Befehl von der englischen Besetzungsverwaltung, dass sich alle französischen Kriegsgefangenen in Lübeck einfinden sollten. So fuhren sie dort hin und wurden dann in einem Sammeltransport mit der Bahn in ihr Heimatland zurückgebracht. Meine Eltern haben später versucht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, haben aber nie einen erreichen können. Bei der Auflösung des Nachlasses meiner Mutter habe ich dann die Ausweispapiere der Franzosen gefunden. Einer von ihnen kam aus der Bretagne, dem Teil Frankreichs, in dem wir immer unseren Urlaub verbringen. Ich stellte fest, dass der Schreiber des Ausweises den Wohnort falsch geschrieben hatte. So hatten meine Eltern in Unkenntnis der geographischen Verhältnisse immer an einen Ort geschrieben, den es gar nicht gab. Ich konnte 2004 noch Angehörige des gesuchten Mannes finden und erfuhr von ihnen, dass unser Helfer heil nach Hause gekommen war. Er hatte aber in der Bretagne keine Arbeit gefunden, war nach Paris verzogen und hatte dort geheiratet. Leider war er aber inzwischen verstorben, so dass ich ihn auch nicht mehr selbst sprechen konnte.

Mein Vater hatte dann das Glück, 1947 eine Anstellung als landwirtschaftlicher Verwalter auf dem Augustushof in Scharbeutz zu bekommen. Dieser Hof war sehr heruntergewirtschaftet worden und stand in seiner wirtschaftlichen Leistung an letzter Stelle im ganzen Landkreis. Durch großen Einsatz und seine gute Berufserfahrung ist es ihm gelungen, den Hof wieder in eine angesehene Position zu bringen. 1949 sind dann meine Brüder Gert und Harald und 1954 meine jüngste Schwester Renate geboren. Meine Mutter war voll mit in die Arbeit auf dem Hof integriert. Beide Eltern haben immer bis zur Erschöpfung gearbeitet. Mein Vater bekam für seine Arbeit ein Monatsgehalt von 125 DM und zusätzlich Naturalleistungen aus der Produktion des Hofes. Wir hatten somit nie viel Geld, und unsere Eltern hatten auch nicht so viel Zeit für uns Kinder. Trotzdem haben wir die Jahre auf dem Hof in bester Erinnerung. Zu dem eigentlichen Bauernhof gehörte noch eine Reihe von anderen Gebäuden, die alle mit Flüchtlingen völlig überbelegt waren. So gab es auf dem Gelände des Hofes über 60 Kinder und somit nie Mangel an Spielkameraden. Wovon die Eltern der Kinder gelebt und in den ersten Jahren ihre Familien versorgt haben, weiß ich nicht. Zeitweilig fanden sie Arbeit bei uns auf dem Hof, besonders in der Erntezeit. Nach und nach zog eine Familie nach der anderen fort; sie wurden umgesiedelt in die Industriegebiete Westdeutschlands und bis nach Baden-Württemberg, und ich habe meine Spielkameraden nie wieder gesehen.

Ich bin 1948 in die Volksschule eingeschult worden und habe nach der 4. Klasse die Aufnahmeprüfung zum Gymnasium in Timmendorfer Strand bestanden, das ich dann zwei Jahre lang besuchen durfte. Diese Schule war gut 4 km entfernt, und ich bin immer mit einem kleinen Fahrrad zur Schule gefahren, entweder auf der Straße am Strand entlang, von wo aus ich die „Cap Arcona“ und die „Deutschland“ immer noch sehen konnte, oder aber durch einen größeren Wald. Damals machte sich niemand Sorgen, dass ich auf dem Weg entführt oder sonst in eine Gefahr kommen könnte, wie das heute zumindest bei kleineren Kindern der Fall ist. Ich war ein etwas kränklicher und schwächlicher Junge. Meine Eltern machten sich daher Sorgen um meine Entwicklung und beschlossen, dass ich ein Internat besuchen sollte, indem ich gezielt gefördert werden könnte und in dem die Verpflegung wesentlich besser sein würde. So kam ich in das evangelische Alumnat in Ratzeburg, das der Lauenburgischen Gelehrtenschule angeschlossen war. Durch gute schulische Leistungen bekam ich ein Stipendium, so dass meine Eltern auch finanziell nicht so belastet wurden. Die folgenden dreieinhalb Jahre waren eine herrliche Zeit für mich, und die Hoffnungen meiner Eltern für meine Entwicklung haben sich erfüllt.

Mein Vater ist 1953 längere Zeit in der Klinik gewesen und wurde dann mit Multipler Sklerose diagnostiziert. In der Zeit der Abwesenheit meines Vaters hat meine Mutter den Hof weiter geführt. Als mein Vater zurückkam, ist sie unter der Last der vergangenen Jahre und vor allem der letzten Monate zusammengebrochen und erlitt einen Nervenzusammenbruch. Sie wurde in die Nervenheilanstalt in Neustadt/Holstein eingeliefert und ist dort mit Elektroschocks und anderen – aus heutiger Sicht – Steinzeitmethoden behandelt – oder besser – gequält worden, ohne dass man ihr hat helfen können. Sie ist von da an fast regelmäßig alle zwei Jahre mit den gleichen Symptomen für 6 Monate ausgefallen, aber wir haben sie dann zu Hause behalten und die Last der Pflege und der Aufrechterhaltung des Haushaltes gemeinsam als Familie getragen. 1955 musste mein Vater die Arbeit auf dem Hof aufgeben. Die Familie zog in ein winziges Häuschen, wo sie sich unter ärmlichsten Verhältnissen durchschlagen mussten, während ich – „wie die Made am Speck“ – weiter im Internat sein konnte. 1957 hat mein Vater dann bei Kappeln/Schlei eine Anstellung als landwirtschaftlicher Berater in einem Beratungsring von 90 Bauern angenommen. Er fand ein altes Strohdachhaus, welches vor unserem Einzug ein Deputatarbeiter-Haus gewesen war. Das Haus hatte nur drei Zimmer, eine Küche und keine sanitären Einrichtungen. Über die Hälfte der Grundfläche wurden von dem Scheunenteil und einem Kuhstall eingenommen. In der Küche gab es einen Wasserhahn und darunter im Fußboden ein Loch, durch das das Wasser in Nachbars Garten abfließen konnte. Als wie dieses Haus bezogen, wurde meine Hilfe gebraucht, weil ich inzwischen alt genug war, um zu helfen. Wir haben mit sehr vielen Eigenleistungen dieses Haus umgebaut und Stall und Scheune in Wohnraum umgewandelt. Endlich gab es auch ein richtiges Badezimmer und eine Zentralheizung. Die Arbeit begann allerdings erst ein Jahr nach dem Umzug. Bis dahin gab es so viele Löcher in den Wänden, dass ich im ersten Winter allein über 60 Mäuse gefangen oder erschlagen habe.

Ich bin in der Zeit in Kappeln auf das Gymnasium gegangen und habe dann meine Schulzeit 1961 mit dem Abitur beendet. Nach dem Abitur war ich zwei Jahre bei der Bundeswehr. Ich hatte mich zur Topographietruppe gemeldet und war die meiste Zeit in Münster/Westfalen stationiert. Am Ende meiner Dienstzeit wurde ich als Leutnant der Reserve entlassen. Anschließend bin ich mit einem Kohlenfrachter nach USA gefahren und habe dort verschiedene Freunde und Verwandte besucht, einige Zeit auf einer Farm in Minnesota gearbeitet und bin viel per Anhalter herumgefahren, so dass ich in der Zeit 22 Staaten kennen lernen und viel Englisch lernen konnte. Danach habe ich begonnen, in Kiel an der Universität Englisch und Geographie zu studieren, um Lehrer am Gymnasium zu werden. Nach drei Semestern habe ich die Universität gewechselt und war dann drei Semester in Göttingen. Dann wurde meine Hilfe zu Hause wieder mehr gebraucht, so dass ich mich entschloss, nach Kiel zurückzukehren, um schneller erreichbar zu sein. 1970 habe ich mein Studium mit dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen.

Nach einem erneuten dreimonatigen Besuch in den USA habe ich dann die Referendarausbildung in Lübeck begonnen. Nach 1½ Jahren lag auch das zweite Staatsexamen hinter mir. Ich konnte mir meinen ersten regulären Arbeitsplatz suchen und kam als Studienassessor nach Schenefeld am Stadtrand von Hamburg. 1978 habe ich noch einmal die Schule gewechselt und bin an ein neues Gymnasium in Halstenbek gekommen. Dort bin ich bis zu meiner Pensionierung im Jahr 2005 geblieben. Ich wurde dort befördert und gehörte ab 1982 zur Schulleitung als Studiendirektor. Da in einer Zeit der „knappen Kassen“ zwar neue Lateinlehrer gebraucht wurden, aber keine neuen Lehrer eingestellt werden durften, erhielt ich die Möglichkeit, eine Zusatzausbildung neben der Schule her zu machen und habe dann auch noch Latein unterrichten dürfen. Im Schuljahr 1986/87 erhielt ich ein Fulbright Stipendium für einen Lehreraustausch nach USA. So habe ich mit meiner Frau und vier Kindern ein Jahr in Pierre in South Dakota leben dürfen und dort an einer High School unterrichtet. Das war ein besonders schönes Jahr, an das wir alle noch gern zurückdenken.

Während der letzten Studentenjahre in Kiel fand ich eines Tages im Fahrstuhl des Englischen Seminars ein Poster, das einlud zu einem „Hootenanny“. Wahrscheinlich hat außer mir niemand gewusst, was das heißen sollte. „Hootenanny“ war der Name einer beliebten Fernsehsendung Anfang der 60er Jahre in den USA, in der viel Country- und Western-Musik zu hören war. Ich hatte bei meinem ersten USA-Besuch die Sendung oft gesehen und auch einmal selbst so ein „Hootenanny“ auf einem Universitätscampus besucht. Das hatte ich noch in guter Erinnerung. Diesmal sollte die Veranstaltung in der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ stattfinden, einer Kirche von der ich noch nie gehört hatte. Das störte mich aber nicht weiter. Ich ging hin und erlebte das wohl traurigste „Hootenanny“, das die Welt je gehört hat, denn die amerikanischen Missionare kannten die deutschen Lieder nicht und die deutschen Mitglieder nicht die amerikanischen Lieder, so dass man nicht recht zusammen kam. Ich war der einzige Gast. Am Schluss wurde der Stehbildfilm „Des Menschen Suche nach Glück“ gezeigt und mir dann die üblichen Fragen gestellt, ob ich schon mal etwas von den Mormonen gehört hätte und ob ich jetzt etwas hören wollte. Diese Fragen führten zu einem Termin mit den Missionaren in meiner Studentenbude, wo wir dann einen Abend zusammengesessen haben. Da ich Englisch studierte, bat ich die Missionare, mir ihre Botschaft auf Englisch vorzustellen. Das ging aber so schlecht, dass sie nach 5 Minuten abbrachen und baten, weiter Deutsch reden zu dürfen. Sie hatten ihre Diskussionen auf Deutsch auswendig gelernt und konnten sie daher nicht in ihrer Muttersprache vortragen. In ihren Vorlagen stand auch, was der Untersucher „Bruder Braun“ sagen und fragen würde. Da mir diese Texte natürlich nicht bekannt waren, brachte ich sie mit meinen Fragen völlig aus dem Konzept, und der Abend war eigentlich ein einziger Reinfall. Was sie mir erzählt hatten, klang in meinen Ohren so merkwürdig, dass ich mich fragte, wie man solche Lehren im 20. Jahrhundert wohl noch glauben könnte. Sie waren aber nette Kerle und mir sympathisch. Daher kaufte ich ihnen dann auch ein Buch Mormon ab. Am folgenden Tag fuhr ich in Urlaub und habe in den kommenden Wochen mit vielen Freunden und Bekannten über meine Eindrücke von dieser „merkwürdigen Religion“ gesprochen. Als das neue Semester begann, war ich auch wieder in Kiel und beschloss, mir einmal anzusehen, wie bei so einer Kirche ein Gottesdienst abläuft. Ich ging also am ersten Sonntag im November 1967 in die Gemeinde. Ich wusste nicht, dass das eine besondere Bedeutung hatte, denn es gab wie üblich, die Fasten- und Zeugnisversammlung. Die Gemeinde war in der vorausgehenden Woche im Tempel in der Schweiz gewesen. Damals war so eine weite Reise noch etwas Besonderes für viele Teilnehmer, und daher hatte man beschlossen, den letzten Tag für eine kleine Rundreise zu nutzen, um noch etwas von der Schweiz zu sehen. Danach musste der Busfahrer allerdings erst einmal eine Ruhepause einlegen, bevor er die Rückfahrt nach Kiel antreten konnte. Das hatte der Missionspräsident mitbekommen und die Gemeinde verärgert zur Rede gestellt, weil sie nun erst nach Mitternacht zu Hause sein würden. Diesen Ärger wiederum verstand die Gemeinde nicht, und jeder, der sein Zeugnis gab, musste seinen Kommentar dazu abgeben. Diese Zusammenhänge waren für mich einigermaßen unverständlich, und entsprechend war mein Eindruck von dieser Versammlung auch wieder eher negativ. Allerdings traf ich in der Versammlung eine amerikanische Fulbright-Stipendiatin aus Utah, die uns unser Professor in der vorausgegangenen Woche vorgestellt hatte. Sie hatte mir gleich einen sehr netten Eindruck gemacht, und so war ich überrascht, sie ausgerechnet hier wiederzusehen. Ich sprach sie also an und geriet mit ihrer Hilfe dann an Missionare, die mir vieles, was unverständlich geblieben war, erklären konnten. Im Laufe von drei Jahren war ich dann endlich so weit, dass ich sagte: „Wenn ich Amerikaner wäre, würde ich mich wohl taufen lassen, aber ich bin Deutscher und möchte auch weiter in Deutschland leben. Da kann ich mir schwer vorstellen, dass es richtig sein soll, mich so einer amerikanischen Kirche anzuschließen.“

Nach meinem Examen 1970 bin ich jedoch nach Utah gefahren, um dort herauszufinden, ob diese Kirche nun nur amerikanisch oder wirklich für die ganze Welt ist. Ich habe dort die ehemalige Fulbright-Stipendiatin besucht, die inzwischen in Provo verheiratet war mit einem ehemaligen Missionar, der auch in Kiel gedient hatte und mir ein Freund geworden war. Sie trauten sich anfangs nicht recht, mich gleich auf das Evangelium anzusprechen, hatten aber eine Führung auf dem Tempelplatz für mich organisiert und ein Gespräch mit Präsident Hartman Rector jun., den ich ein Jahr vorher durch Vermittlung eines Missionars schon einmal bei einer Zonenkonferenz in Kiel gesprochen hatte. Wir hatten für gut eine Stunde ein sehr nettes Gespräch. Er fragte mich am Ende, ob ich denn den Wunsch hätte, mich taufen zu lassen. Ich winkte aber ab, worauf er mir sagte, wenn ich meine Meinung während meines Aufenthaltes in Utah noch ändern würde, dann sollte ich ihn anrufen, und er würde alles organisieren. An dem Abend habe ich noch einen Brief nach Hause geschrieben und unter anderem gesagt: „Die Leute sind hier alle sehr nett, aber macht Euch keine Sorgen: Mormone werde ich bestimmt nicht!“ Das war an einem Dienstag. Am Abend hatte mich mein Freund und Gastgeber noch gefragt, ob ich überhaupt Interesse hätte, mich noch weiter über das Evangelium zu unterhalten. Als ich ihm sagte, dass das mein Wunsch sei und ich aus diesem Grund nach Utah gekommen sei, haben wir verabredet, dass wir am Donnerstag gemeinsam fasten und er sich einen Tag frei nehmen würde, um mit mir alle offenen Fragen zu klären. Er war Lehrer an der LTM (heute MTC) und hatte – ohne mein Wissen – seinen Distrikt gebeten, auch mit uns zu fasten. Wir haben also den ganzen Tag sehr intensiv mit einander gesprochen. Am Abend habe ich gesagt: „Ich kann jetzt nicht mehr, ich muss erst einmal eine Nacht darüber schlafen.“ In der Nacht habe ich sehr wenig geschlafen, aber sehr viel gebetet, und am nächsten Morgen wusste ich, dass ich mich taufen lassen müsste. Wir haben dann Hartman Rector angerufen, und er hat mich eingeladen, zu einem Taufinterview am Nachmittag nach Salt Lake City in sein Büro zu kommen. Das Ergebnis war dann, dass er für den nächsten Tag, Samstag, den 13. Juni 1970, meine Taufe in der Taufkapelle unter der Tabernakel-Orgel (die es heute nicht mehr gibt), angesetzt hat. Ich wurde von meinem Freund Doyle Buchanan getauft und von Hartman Rector konfirmiert. Das war also mein ziemlich umständlicher Weg in die Kirche.

Ich konnte nach der Taufe noch nicht sagen, in welcher Gemeinde ich einmal leben würde, denn ich hatte mich gerade beworben für einen Ausbildungsplatz als Referendar. Man hatte meine Taufe dann der Norddeutschen Mission gutgeschrieben, was aber in Hamburg wohl nicht richtig verstanden worden war. So gab es keinen Taufschein für mich. Als ich dann meinen Platz in Lübeck erhielt, rief ich gleich in der Gemeinde an und stellte mich dort vor. Für 9 Monate hatte man aber nur mein Wort, dass ich ein getauftes Mitglied sei, und konnte mich daher weder im Priestertum ordinieren noch mir eine Berufung geben. An den Wochenenden war ich häufig unterwegs, aber zur GFV bin ich regelmäßig gegangen und hatte bald auch sehr guten Kontakt zum damaligen Bischof in Lübeck, Bruder Detlef Süfke.

Damals gab es noch vier Pfahlkonferenzen im Jahr und vor jeder Pfahlkonferenz eine Pfahl-Priestertumsversammlung. Während dieser Versammlung wurden die Brüder immer nach Kollegien gezählt. Nachdem alle Priestertumsträger gezählt worden waren, wurden die Brüder ohne Priestertum gebeten, aufzustehen. Da war ich dann dabei, und jedes Mal nach der Versammlung kamen die Missionare zu mir und fragten mich, was ich denn bloß getan hätte, dass ich immer noch kein Priestertum hätte. Nach 9 Monaten wurde die Sache dann endlich aufgeklärt und ein Taufschein für mich ausgestellt. Darauf wurde ich sehr schnell zum Diakon und dann Lehrer und Priester und schließlich zum Ältesten ordiniert. Ich wurde dann als „Generalsekretär des Aaronischen Priestertums“ berufen (was man früher wohl sehr viel schlichter GFV-Leiter genannt hat). Die Berufung hat mir viel Freude gemacht. Ich konnte sie allerdings nur ein halbes Jahr ausfüllen, weil ich dann mein zweites Staatexamen machte und an die Schule in Schenefeld versetzt wurde. Ich besuchte von dort die sehr kleine Gemeinde Wedel, wo ich gleich als 2.Ratgeber des Gemeindepräsidenten berufen wurde. In Wedel bin ich dann sechs Jahre geblieben.

Da ich nun Lehrer mit vollem Gehalt war, konnte ich mir Geld sparen für eine Mission. Ich ging also im Alter von 30 Jahren zum damaligen Pfahlpräsidenten Dietmar Matern und sagte ihm, dass ich bereit sei, auf Mission berufen zu werden. Der sah mich von oben bis unten an und meinte dann: „Du bist zu alt. Du solltest lieber heiraten!“ So bin ich in ganz Deutschland herumgefahren auf der Suche nach einer Frau. Auf einer Jugendtagung in Bern habe ich eine Österreicherin entdeckt, die so ganz meinen Vorstellungen von meiner zukünftigen Frau entsprach. Ich habe sie zweimal in Salzburg besucht, doch dann stellte sich heraus, dass sie sich in einen feurigen Italiener verliebt hatte und ich ihr nicht feurig genug war. So kehrte ich ohne Erfolg nach Hamburg zurück.

Da ich gern singe, schloss ich mich dem Pfahlchor unter Rolf Glück an und ging regelmäßig zu den Proben in die Wartenau. Dort lernte ich dann auch meine spätere Frau, Monika Imbeck, kennen. Sie war schon einmal verheiratet gewesen mit einem Nichtmitglied und hatte aus dieser ersten Ehe einen Sohn. Nach ihrer Scheidung kam sie auch zu den Chorproben. Wir haben dann im Oktober 1974 geheiratet. Ihren Sohn Marcus habe ich später adoptiert. Wir haben zuerst kurze Zeit in Farmsen gewohnt und uns dann ein erstes kleines Haus in Pinneberg-Waldenau gekauft. Uns wurden dort vier Kinder geboren (Eckart 1975, Ulrike 1977, Marie-Luise 1979 und Annegret 1980). So wurde unser Haus uns langsam zu klein, und wir haben dann 1982 unser jetziges Heim in Moorrege gekauft. Marcus hat sich nach seinem Schulabschluss viel mit Techno-Musik beschäftigt und sich in ein Milieu begeben, dass wenig mit Kirche zu tun hat. So hat er sich von der Kirche entfremdet und ist inaktiv geworden. Er möchte aber nicht ausgeschlossen werden. Eckart war auf Mission in Calgary in Kanada und hat dann Jura studiert. Er hat inzwischen auch 4 Kinder und lebt bei Darmstadt. Ulrike begann eine Ausbildung zur Grundschullehrerin, die sie aber abbrechen musste, um sich ihren zwei Kindern voll widmen zu können. Inzwischen erwartet sie das dritte Kind. Sie wohnt jetzt in Wedel, und wir haben viel Freude an ihren Kindern, da sie häufig bei uns sein können. Marie-Luise machte eine Ausbildung zur Industriekauffrau und ging dann auf Mission nach Toronto in Kanada. Anschließend hat sie geheiratet und hat nun auch schon zwei Kinder. Unsere jüngste Tochter Annegret hat sich etwas schwerer mit ihren Entscheidungen für die Zukunft getan. Sie war einmal verheiratet und hat aus der Ehe eine Tochter. Diese Ehe wurde dann geschieden, und jetzt hat sie gerade wieder geheiratet. Sie hat sich zu unserem Kummer auch entschlossen, inaktiv zu sein.

In Wedel gehörte ich sechs Jahre zur Gemeindeleitung. Dann kam zum 1. Januar 1978 die Regelung, dass jedes Mitglied in die Gemeinde gehen soll, in der er oder sie wohnt. Da wir in Pinneberg wohnten, gehören wir von dem Tag an bis heute zur Gemeinde Pinneberg. Ich wurde in den Hohen Rat des Pfahles Hamburg berufen. Nach 2½ Jahren gab es eine neue Pfahlpräsidentschaft mit Detlef Süfke, meinem früheren Bischof aus Lübeck, als Präsident. Er nahm mich als 2. Ratgeber. Nach einem Jahr wurde dann der Pfahl Hamburg geteilt, und es entstand neu der Pfahl Hamburg-Nord, der später umbenannt wurde in Pfahl Neumünster. Karl-Heinz Danklefsen wurde der erste Pfahlpräsident und ich sein 1. Ratgeber. Sechs Jahre haben wir gut zusammen gearbeitet. Dann ging ich für ein Jahr nach Pierre, South Dakota, wo ich 1. Ratgeber des MP-Kollegiumsleiters wurde. Nach meiner Rückkehr wurde ich 1987 als Bischof der Gemeinde Pinneberg berufen. 1992 wurde ich entlassen und wurde dann Pfahlsekretär für Präsident Otzmann, dann Hoherrat und schließlich Gemeindemissionsleiter in der Gemeinde Pinneberg. Im Jahr 2000 wurde ich dann 2. Ratgeber in der Missionspräsidentschaft unter Präsident Wayne Kühne. In dieser Berufung, die mir viel Freude gemacht hat, wurde ich von Präsident Lynn Hansen und dann Präsident Lowell Barber übernommen. Gleich nach meiner Pensionierung wurde ich dann Pfahl-Führungssekretär unter Präsident Hans-Werner Stank. Ein Jahr später wurden meine Frau und ich als CES-Missionare für das Outreach Center in Hamburg berufen, eine Berufung, die auch die Berufung in den Hohen Rat des Pfahles Hamburg mit sich brachte. In dieser Zeit war ich weiterhin in der Missionspräsidentschaft. Aus all diesen Berufungen wurde ich dann entlassen, um Präsident Stank zwei Jahre als Ratgeber zu dienen. Am 31.Mai 2009 ging auch diese Berufung mit einem Wechsel in der Pfahlpräsidentschaft zu Ende.

Alle diese Berufungen haben mir viel Freude gemacht und mir zu einem festen Zeugnis vom Sühnopfer Jesu Christi und seiner Rolle als Erretter und Erlöser verholfen. Ich bin glücklich, ein Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zu sein. Mir hat auch mein Beruf als Lehrer viel Freude gemacht, aber jetzt genießen meine Frau und ich die Zeit als Pensionäre und Großeltern von bald 11 Enkelkindern.