Selbongen, Sensburg, Ostpreußen

Ich heiße Werner Skrotzky und bin 1937 in Selbongen in eine Familie geboren, die der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage angehörte. Ich habe in meiner Familie das Beten gelernt und habe erfahren, was Jesus Christus für uns getan hat. Mein Vater hieß Emil Skrotzky und seine Frau Emilie Grabowski.

Eines Tages wollte mein Vater nach Selbongen zu einem Tanzabend gehen. Vor dem Restaurant, in dem der Tanzabend stattfand, war eine Tafel mit Bekanntmachungen, was so alles im Dorf passierte. Dabei war eine Bekanntmachung von der Kirche Jesu Christi, genannt die Mormonen, dass sie in der Schule ein Krippenspiel vorführten. Mein Vater ging nicht zu dem Tanzabend, sondern zur Schule und hat sich alles angehört. Danach ging er nach Hause und hat gesagt, dass die Kirche wahr ist. Erst sagte er das zu seiner Mutter und nachher zu einem Bruder Fischer, der das Evangelium schon angenommen hatte. Er wollte sehr schnell getauft werden. Weil Bruder Fischer das nicht alleine schaffen konnte, bat er um Hilfe. Amerikanische Brüder kamen und haben meinen Vater getauft.

Meine Mutter war alleine und wohnte bei einer Familie. Sie hat etwas vom Evangelium gehört und kam den weiten Weg nach Selbongen. Sie war ein junges Mädchen und hörte sich in Selbongen das Evangelium an. Nach kurzer Zeit hat sie sich taufen lassen. Meine Mutter hatte ein ganz festes Zeugnis.

Dann kam eine ganz schwierige Zeit, nämlich der bittere Krieg. Mein Vater war damals in einer sehr kleinen Gemeinde Zweigpräsident. Leider ist er im Krieg sehr früh gefallen und meine Mutter blieb mit sechs kleinen Kindern zurück. Ich habe niemals gehört, dass sie gejammert, oder etwas bedauert hat. Jeden Sonntag gingen wir zur Sonntagsschule, zu jedem Essen haben wir gebetet. Immer haben wir das getan. Während meiner langen Zugehörigkeit zur Kirche habe ich gelernt, dass der Himmlische Vater den Vater brauchte, deshalb hat er ihn in das Jenseits geholt, auch wenn es die Mutter mit sechs kleinen Kindern sehr schwer hatte zu überleben. Meine älteste Schwester war von den Russen nach Russland verschleppt worden und war in russischer Gefangenschaft, aber sie kam zurück.

Nachdem der Krieg ausbrach, hatten wir keine Verbindung mehr nach Amerika. Wir waren uns selbst überlassen. Wir hatten keinen Kontakt mehr. Die Versammlungen haben wir dann selbst mit Opa Skrutzka abgehalten, wir hatten keine Priestertumsträger. Wir waren alles junge Leute, auch meine Geschwister.

Ich weiß nicht, wann mein Vater eingezogen worden ist. Er wurde als Polizist nach Polen geschickt, er hatte dort die Aufsicht. Dann kam er nach Russland. Meine Tante hat erzählt, dass er nach dem Gesetz gar nicht gehen brauchte, weil er vier Söhne hatte. Mein Vater ist am 27. Oktober 1942, morgens, in Baku gefallen. Mein Onkel, der Unteroffizier war, ist nachmittags mit seiner Kompanie einmarschiert und hat gehört, wie die Namen der Gefallenen aufgerufen wurden. Da war mein Vater dabei. Die Gefallenen wurden in einem Massengrab beerdigt. Der Onkel ist vom Krieg zurückgekommen.

Meine Eltern hatten sechs Kinder. Die Älteste, eine Schwester, dann ein Bruder und dann noch eine Schwester und dann komme ich. Ich bin das vierte Kind, dann kommt ein Bruder, der in München wohnt.

Im Januar 1945 kamen die Russen. Sie waren nicht so, wie die Polen. Die Polen haben alles von den Deutschen genommen und bis zuletzt geplündert. Wenn die Russen Kinder in den Familien gesehen haben, haben sie die Ställe von den geflohenen Bauern offen gelassen und gesagt, dass wir die Kuh nehmen sollen. Wir wohnten zur Miete bei dem Bauern und da war ein bisschen Land, sodass die Kuh Futter hatte. Die Polen haben uns aber die Kuh mit Gewalt gestohlen.

Wir konnten nicht aus Selbongen fliehen, wir hatten gar keine Möglichkeit dazu. Auch haben sie uns nicht weggejagt. Meine Tante und Familie sind geflüchtet, aber sie kamen nicht weit und sind wieder zurückgekommen. Viele sind unterwegs erfroren, vor allem Kinder. Wir blieben in dem Dorf.

Nach dem Krieg kamen sie eines Tages von der Zeitung zu uns und haben uns über die Kirche ausgefragt. Leider hatten wir damals keine polnischen Schriften. Die Bibel ja, die war Polnisch, aber nicht das Buch Mormon. Der Geist hat mir aber gesagt, dass es nicht lange dauern wird, dann wird das Buch Mormon in Polnisch verfügbar sein. Nach kurzer Zeit ist ein Wunder passiert.

Eine junge polnische Schwester, Maria Kulakowska, wollte die englische Sprache lernen und ist dafür nach England geflogen. Dort hat sie Menschen getroffen, die ihr gesagt haben, wenn sie Lust hätte, könne sie zur Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage kommen, zu einer Abendmahlsversammlung. Am Ende der Abendmahlsversammlung ging sie zu den Missionaren und sagte ihnen, dass sie getauft werden möchte. Die Missionare sagten ihr, dass das nicht möglich sei, sie müsse erst belehrt werden. Sie wollte aber doch getauft werden. Na gut. Sie haben sie belehrt, sie wurde getauft und dann hat sie sogar gleich ihren Patriarchalischen Segen bekommen.

Eines Tages, als ich auf dem Weg zur Sonntagsschule war, kam eine ganz junge Dame und hat gefragt, wo die Kirche der Heiligen der Letzten Tage sei. Ich sagte ihr, dass sie gleich mitkommen könne, ich ginge auch dort hin. Sie kam aus Warschau, hat uns ihre Geschichte erzählt – sie hatte auch ihren Taufschein. Ein paar Mal hat sie uns noch in Selbongen besucht, dann ist sie nach Kanada ausgewandert und hat dort das Buch Mormon ins Polnische übersetzt. Das war Schwester Maria Kulakowska.

Leuten mit „zehnfachem Doktortitel“ war es nicht möglich, das Buch Mormon vom Deutschen ins Polnische zu übersetzen. Das ging nicht. Es gab einige Brüder aus Amerika, die das übernehmen wollten. Es wurde so schlecht übersetzt, dass man nichts mehr verstehen konnte. Aber dann hat Maria Kulakowska das Buch Mormon ins Polnische übersetzt. Ich habe gehört, dass Schwester Kulakowska von Kanada aus auf Mission gegangen ist, nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war. Ihre Eltern waren streng katholisch. Sie war eine ganz liebe Schwester und sie war treu.

Für das Vorstellungsgespräch bei Shell musste ich mich beim Arzt untersuchen lassen. Nachdem ich ihm sagte, dass ich nie getrunken habe, auch nicht trinken werde und auch nicht rauche, sagte er zu mir: „Dann sind sie bei Shell schon angenommen“. Ich musste noch zum Personalchef und wurde abgefragt, wie es eben so ist. Er sagte dann zu mir: „Jetzt fahren sie nach Hause und wir geben ihnen Bescheid“.

Es dauerte nicht lange und es kam der Bescheid, dass ich mich in der Firma melden soll. Ich wurde für sechs Monate auf Probe in der Chemie eingestellt. Die sechs Monate in der Chemie waren vorbei. Es gab auch noch andere Arbeiter und es war nach dem Krieg und ich hatte noch keine Schule besucht, aber sie sagten, dass ich alles bestanden hätte und sie mich behalten wollen. Ich habe das große Glück gehabt, diese Stelle zu bekommen. In der Firma habe ich fünfundzwanzig Jahre gearbeitet und bekomme dafür eine sehr gute Rente.

Ich war zweiundvierzig Jahre alt, als ich nach Deutschland kam. In Polen habe ich auch gearbeitet und habe dafür auch die Papiere. Zusammen habe ich zweiundfünfzig Jahre gearbeitet. Als ich heranwuchs, erhielt ich das Aaronische Priestertum. Ich durfte dann schon das Abendmahl segnen. Wir sind auch von der Gemeinde aus sogar zu katholischen Nonnen gefahren und haben auch von dem Evangelium erzählt, weil sie davon wissen wollten.

Ich habe immer meinen Zehnten gezahlt und es heißt, dass der Vater im Himmel die Fenster des Himmels aufmachen wird. Ich kann nur sagen, dass das stimmt, darüber habe ich nicht den kleinsten Zweifel.

Unser Sohn war in Österreich auf Mission gewesen. Wir haben noch fünf Töchter. Außer einer sind die anderen alle sehr aktiv und treu in der Kirche.

Über Selbongen kann ich sagen, dass das Gemeindehaus an die Katholiken gegangen ist. Damals hat Bruder Kruska dieses Grundstück der Kirche geschenkt. Das wurde aber nicht schriftlich bei der Behörde festgehalten. Die Katholiken haben dieses Grundstück jetzt übernommen. Der katholische Pfarrer hat gesagt: „Ihr könnt eure Sonntagsschule da abhalten“. Sie haben einen Raum zur Verfügung gestellt und vorne das Kreuz aufgehängt. Wir haben gesagt, dass wir an den lebendigen Jesus glauben und deshalb kein Kreuz haben.

Dieses kleine Häuschen haben die Geschwister in zweieinhalb Monaten alleine aufgebaut. Bruder Pietrowsky war Tischler und hatte eine Firma. Er hat alle Fenster und Türen gemacht und innen die einfachen Bänke sowie die Bühne. Es war ein großer Raum und er hat das alles gemacht und dafür kein Geld genommen. Bruder Fischer war Straßenbauunternehmer und hatte einen großen Bauernhof. Er hat alle Transporte übernommen. Mein Vater und meine Onkels, die nichts hatten, haben dort gearbeitet. Als das Haus eingeweiht wurde, waren sechshundert Leute da. So viele Leute gab es nicht einmal im ganzen Dorf.