Heilbronn am Neckar, Baden-Württemberg
Mein Name ist Helga Margarete Seeber, geborene Hock. Ich wurde am 7.1.1934 in Heilbronn am Neckar geboren. Meine Eltern waren der Malermeister Heinrich Hock, geboren am 10. Juni 1896, und seine Frau Frida Karoline, geborene Christmann, geboren am 20. Okt.1901.
Die ersten 10 Jahre meines Lebens verbrachte ich in Heilbronn. Meine Eltern waren Mitglieder der Kirche Jesu Christi, der Heiligen der letzten Tage. Meine Großmutter Rosine Christmann, geborene Wild, war bereits 1905 oder 1906 getauft worden, zusammen mit ihrer Schwägerin Marie Christmann. Beide Frauen hatten kein leichtes Leben, sie hatten viele Kinder, mussten hart arbeiten, um das kleine Einkommen ihrer Ehemänner aufzubessern und beide Männer tranken gerne Alkohol. Wenn mein Großvater, der in einer Papierfabrik arbeitete, seinen Lohn erhielt, behielt er sich etwas Taschengeld zurück und wenn er genug beisammen hatte, betrank er sich. Das gefiel meiner Großmutter gar nicht und als ihre Schwägerin ihr berichtete, sie habe Leute von einer amerikanischen Kirche kennen gelernt, bei der Alkohol verboten sei, war sie sofort interessiert, und es gefiel den beiden Frauen so gut in dieser Kirche, dass sie sich beide taufen ließen. Sie waren beide treue, tätige Mitglieder, aber ihre Ehemänner nahmen das Evangelium nicht an, nur ihre Kinder. Meine Großeltern waren fleißig und sparsam und kauften sich ein Dreifamilienhaus in der Sicherstraße 80/1, in dem auch später meine Eltern im 1. Stock wohnten.
Ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Wir besuchten regelmäßig die Heilbronner Gemeinde. Mein Vater war dort Musikbeauftragter. Er leitete den Chor und den Gemeindegesang und spielte Geige. Ich erinnere mich an viele Mitglieder der Gemeinde: Emil Geist, der lange Zeit Gemeindeleiter war, Richard Geist, Lehrer in der Sonntagschule, zusammen mit Rosa Christmann, der Cousine meiner Mutter, die auch Harmonium spielte, Marie Christmann, Geschwister Schurr mit mehreren Kindern, Bruder Schubert (oder Schubart) mit Familie, Bruder Wacker, Schwester Lampe, die oft auf der Mandoline vorspielte, mein Onkel Otto Christmann mit seiner Frau Hilde und seinen Kindern Alexander, Eveline und Renate, Familie Mahler mit Kindern und andere, deren Namen ich nicht mehr weiß.
Der Krieg spielte in meinem Kinderdasein zuerst keine so wichtige Rolle. Ich erinnere mich nur an viele Hitlerreden im Radio, an viele Väter, die plötzlich in Uniform herumliefen und „ins Feld“ mussten, und dass wir für alles, was wir kaufen wollten, plötzlich „Marken“ brauchten. Es gab auch immer wieder Paraden und Aufmärsche. Einmal ging mein Vater mit mir zum Marktplatz. Es war am 1. Mai. Die Soldaten marschierten mit ihren Gewehren und blank geputzten Stiefeln und Panzer auf Panzer rollte mit Getöse vorbei. Mein Vater nahm mich auf die Schultern, damit ich überhaupt etwas sehen konnte, denn die Leute drängten sich in dichten Haufen. Vater mochte die Nazis nicht. Er sagte: „Die sind so brutal, die verprügeln alle, die anderer Meinung sind. Es ist nicht recht, was die Schlägertrupps alles mit den Juden anstellen.“ Aber das durfte man in der Öffentlichkeit nicht äußern. Meine Mutter beschwor Vater immer, den Mund zu halten. Übers Radio erfuhren wir, dass der Krieg angefangen hatte. Manche Nachbarn freuten sich und waren begeistert, aber mein Vater war sehr traurig, denn er hatte im ersten Weltkrieg drei seiner Brüder verloren.
Alle wehrtauglichen Männer mussten „einrücken“, mein Vater zum Glück nicht, denn er war schon vierundvierzig und sehr kurzsichtig. Bei der „Musterung“ behauptete er, ich kann auf die Entfernung keinen Freund von einem Feind unterscheiden und so wurde er zurückgestellt und durfte seinen Betrieb weiterführen. Ich kam in die Schule, lernte lesen und schreiben und es hat mir sehr viel Spaß gemacht, selbständig Bücher lesen zu können.
Ab und zu gab es mal eine „Fliegeralarm-Übung“, und das war ganz aufregend, wenn plötzlich die Sirenen ertönten und man musste in den Luftschutzkeller rennen. Aber dann gab’s richtigen Fliegeralarm und zwar immer öfter. Manchmal mitten im Schulunterricht, was eine lustige Unterbrechung brachte. Dann kam die Zeit, wo die Sirenen immer häufiger heulten und tausender von Bombern in langen Ketten über uns hinwegdonnerten. Wir gingen vor die Haustüre und zählten die Bomber. Mein Vater wunderte sich, dass die Bomber so unbehelligt über uns drüber fliegen konnten, obwohl Hitler doch so eine „gute Luftabwehr“ besaß. Hinterher erfuhren wir, dass es Angriffe auf Nürnberg, Dresden, Leipzig, Berlin und andere Städte gegeben hatte, aber Heilbronn blieb lange Zeit verschont.
So um 1943 fing es dann mit Überraschungsangriffen des „Bomben-Karle“ an. Das war ein Bomber, der sehr tief fliegen konnte und so die Warnsignale unterflog und der war dann ganz plötzlich da, ohne Vorwarnung. Er hatte Luftminen dabei und wenn er die abwarf, wurde gleich ein ganzes Stadtviertel platt gemacht. Die Wirkung war verheerend. Heilbronn, ehemals eine freie Reichsstadt, war ein wunderschönes, mittelalterliches Städtchen mit engen Gassen und reich verzierten Fachwerkhäusern. Drei oder vier dieser Angriffe rissen erhebliche Lücken und töteten viele Menschen. Natürlich hatten alle Angst. Uns wurde empfohlen, bei Voralarm gleich in die Luftschutzkeller zu gehen. Meine Eltern machten das dann auch. Nicht weit von uns befand sich ein Getränkegroßhandel mit einem gewölbten, gemauerten Keller. Es gab große Räume, in denen Luftschutzbetten aufgestellt waren, das waren Holzlattengestelle mit Strohsäcken. Unsere Familie ging ein oder zweimal dorthin. Der Keller war total überfüllt. Die ganze Nachbarschaft war dorthin gepilgert, weil sie alle selbst keine richtigen Luftschutzkeller besaßen. Als wir hinkamen, waren schon alle Betten und Sitzplätze belegt und wir mussten uns notdürftig dazwischendrängen. Mein jüngster Bruder, 1943 geboren, war also noch ein ganz kleines Baby, und unter den vielen Menschen weinte er oft.
Beim letzten Mal, als wir dort waren, wurde in der Nähe eine Luftmine abgeworfen. Der Luftdruck der Explosion ließ die Kellerwände wackeln und Staub und Dreck fielen von der Decke. Die Leute schrieen hysterisch und liefen durcheinander. „Da gehen wir nie mehr hin“, beschloss mein Vater. „Wir gehen in unseren eigenen Keller und vertrauen auf den Schutz des Herrn.“ Das war unser Glück, denn später sind in diesem „Luftschutzkeller“ fast über hundert Menschen ungekommen.
Am 4. Dezember 1944 wurde Heilbronn bei einem einzigen Luftangriff fast völlig zerstört. Es war am Abend. Mein 14-jähriger Bruder Werner. war mit seinem Freund Gerhard Andler ins Kino gegangen, meine Mutter bereitete das Abendessen vor, wie damals fast jeden Abend Bratkartoffeln, sie brutzelten gerade verführerisch in der Pfanne auf dem Gasherd, als die Sirene losheulte. Wir, mein Vater, meine Mutter mit dem Baby auf dem Arm, meine Schwester Elfriede und ich mussten alles zurücklassen und in den Keller eilen, obwohl wir so hungrig waren. Im Keller saßen auch schon meine Großmutter und die Metzgers, eine Familie, die über uns wohnte und aus Großmutter, Mutter, Tochter und Baby bestand. Kaum hatten wir Platz genommen, ertönte auch schon Vollalarm und man hörte das Brummen der Flugzeugmotoren. Klack, klack, klack machte es und Vater sagte, das seien wahrscheinlich Brandbomben, es klinge sehr nahe. Dann kam ein riesiger Schlag, der alles erzittern ließ. Mein Bruder und sein Freund, die vom Kino durch die ganze Stadt nach Hause gerannt waren, wurden durch den Luftdruck mitsamt der Haustüre die Kellertreppe heruntergeschleudert und sie berichteten aufgeregt, dass der ganze Himmel über der Stadt durch Leuchtraketen, so genannte Christbäume, erhellt sei. Und dann ging’s Schlag auf Schlag, 20 Minuten lang. Wir hielten uns die Ohren zu, kauerten uns zusammen und beteten. Der Luftdruck hatte die Schutzbleche vor den Kellerfenstern weggerissen, alles war offen. Meine Großeltern hatten neben dem Haus einen kleinen Garten mit Schuppen, in dem sie einige Hühner hielten, dort brannte es lichterloh und die Hühner liefen schreiend und gackernd im Feuer herum. Alles war voll Staub und Qualm.
Wir wussten, dass wir im Keller nicht länger bleiben konnten und als die Bombardierung etwas nachließ, ging mein Bruder nach oben um zu schauen, ob wir das Haus über die Haustüre verlassen könnten. Aber das ging nicht, denn direkt vor unserer Türe brannte eine riesige Phosphorbombe. So sagte mein Vater, wir sollten durch den Keller unseres Nachbarn gehen.
Während der ersten Kriegsjahre mussten alle die Trennwände zwischen den Häusern im Keller durchbrechen, um flüchten zu können. Weil ich die Kleinste war und leicht durchschlüpfen konnte, sagte mein Vater: „Geh mal da rüber und schau, ob wir dort durchkommen können“. Aber alles war dunkel und verwirrend dort und kein Mensch war zu sehen und ich konnte den Ausgang nicht finden. Mein Vater rief mich auch schon wieder zurück, weil das Feuer vor unserer Haustüre erloschen war. So warf uns mein Bruder nasse Mäntel und Decken, die er in den Waschkessel getaucht hatte, über den Kopf und meine Mutter mit dem Kleinen auf dem Arm, mein Bruder und ich verließen gemeinsam das Haus. Ringsum brannte alles und eine fürchterliche Hitze herrschte, dazu heulte ein starker Wind, der die Flammen immer wieder auflodern ließ.
Wir wohnten in einem Hinterhof. Als meine Mutter sagte: „Wir müssen die Großmutter und den Großvater mitnehmen“, antwortete ich: „Die Oma ist schon weg“, denn ich hatte sie gerade noch um die Ecke des Vorderhauses biegen sehen und wir nahmen natürlich an, Großvater sei bei ihr. Also rannten wir auch los in die Sichererstraße. Dort war alles voll fliehender Menschen, die hohen vier- und fünfstöckigen Häuser brannten lichterloh und gerade als wir weitergehen wollten, stürzten einige Fassaden unter lautem Getöse ein und die Menschen liefen kreischend auseinander. So bogen wir in die Gleichstraße ab, dort brannte es auch, aber die Häuser waren kleiner. Meine Mutter hatte nur Hausschuhe an den Füßen, sie stolperte über einen Schutthaufen und fiel hin, weil sie auch keine Luft mehr bekam. Wir zogen sie hoch, mein Bruder nahm ihr den kleinen Günter ab, der in eine dicke Decke gehüllt war, und jetzt konnte sie wieder aufstehen und mit uns weiterlaufen. Mein kleiner Bruder rührte sich nicht und ich bekam plötzlich eine panische Angst, er sei tot. Meine Mutter öffnete die Decke ein wenig, der Kleine schaute sie nur mit großen Augen an und sagte: „Mama, ade!“, was so viel hieß, wie: wir gehen spazieren. Das gab uns neuen Aufschwung, dass dem Kleinen nichts passiert war und wir schafften es, über Schutt und Gesteinsbrocken und was sonst noch so herumlag die Weinberge um den Wartberg zu erreichen.
Heilbronn ist eine Weinbaustadt. Diese Weinberge waren durch Hohlwege zu erreichen. Ein paar Weinbauern hatten sich Bunker gebaut, die man durch die Hohlwege auch erreichen konnte. Wir dachten, vielleicht können wir zu jemandem hineingehen, aber niemand machte uns auf. Es strömten ja hunderte von Menschen aus der Stadt. Wir entdeckten einen alten Schuppen, der Wind pfiff durch eine lose Wand, aber innen standen Bänke, wo wir uns hinsetzen konnten, allerdings waren schon über zwanzig Menschen darin. Man musste sich aneinanderschmiegen wie die Heringe, aber das gab ja auch etwas warm. Ich weiß nicht, ob das riesige Feuer die Ursache war, aber es hatte angefangen zu regnen. Unsere Kleider waren triefnass, denn mein Bruder hatte uns ja die nassen Mäntel über den Kopf geworfen, was uns sicherlich gegen den Funkenflug beschützt hatte, aber jetzt froren wir erbärmlich.
Wir wussten nichts von meinem Vater, meiner Schwester und meinen Großeltern. So hielt ich es nicht lange in der Hütte aus, ich stiefelte hinaus und spähte den Hohlweg entlang und entdeckte meinen Vater, der ganz alleine daherkam. Er hatte im Gedränge meine Schwester und den Freund meines Bruders verloren, da er ja, besonders in der Dunkelheit, so schlecht sah, und war einfach weitergegangen, bis er uns fand. Wir waren darüber sehr glücklich, und ich kleines Mädchen war mir sicher, dass der Vater im Himmel ihn geführt hatte.
Als es hell wurde gingen wir los, ein Stück auf die Stadt zu, denn wir dachten, wenn der Feuersturm vorbei sei, könnten wir wieder in unser Heim zurückkehren, wir hatten nämlich den Eindruck gehabt, unser Haus habe nicht gebrannt, als wir es verließen. Unterwegs trafen wir Bekannte, die uns berichteten, alles sei zerstört. Mein kleiner Bruder musste versorgt werden und so beschlossen wir, nach Weinsberg zu gehen. Weinsberg war ein kleiner Ort, ca. 5 km entfernt, früher hatten wir dorthin gerne Ausflüge unternommen und kannten den Weg gut.
Unterwegs trafen wir wieder Leute, die bereits aus Weinsberg zurückkamen und sie berichteten uns, dass sie dort meine Schwester, den Freund meines Bruders und meine Großmutter getroffen hätten. In Weinsberg bekamen wir im Rathaus etwas zu essen, meine Mutter erhielt Männerschuhe, denn ihre Hausschuhe waren inzwischen völlig durchweicht. Meine Schwester trafen wir nicht mehr an, ihr Verlobter, der von dem Angriff übers Radio gehört hatte, hatte sie nach Kocherstetten ins Haus seiner Eltern geholt. Auch meine Großmutter, die zunächst bei meinem Onkel Otto Christmann untergekommen war, trafen wir für lange Zeit nicht mehr, meine Tante Helene holte sie nach Siegsdorf in Bayern.
Unsere Familie wurde in Weinsberg einquartiert, meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich erhielten ein Zimmer bei Familie Böhme, Herr Böhme war Direktor einer Werkzeugfabrik in Weinsberg, und mein Vater und mein Bruder Werner erhielten einen Schlafplatz bei einer anderen Familie, ungefähr 5 Minuten von uns entfernt. Dort blieben wir den ganzen Winter über, aber der Krieg war noch nicht zu Ende. Im Februar oder März kam mit der Post für meinen Bruder ein Stellungsbefehl, er müsse sich bis zum nächsten Tag marschbereit im Rathaus einfinden zum Einsatz an der Front. Meine Mutter sagte: „Ich bin doch nicht verrückt. Wir haben so viel geopfert für diesen Krieg. Ich werde ihn nicht gehen lassen. Wir verstecken ihn einfach hier.“ Wir erzählten keinem Menschen in unserer Umgebung von diesem Brief und mein Bruder durfte das Haus nicht mehr verlassen. — Nach Kriegsende traf meine Mutter eine Schulfreundin, deren Sohn die gleiche Schule wie mein Bruder besucht hatte. Sie war schwarz gekleidet und weinte schrecklich, als sie meine Mutter sah. Wir erfuhren dann, dass von den 15 oder 20 Buben, die sich gemeldet hatten, über die Hälfte bei Untergruppenbach gefallen war. Auch ihr Sohn war dabei gewesen. Man hatte ihnen ohne Ausbildung Panzerfäuste in die Hand gegeben gegen die amerikanischen Panzer.
Die Amerikaner standen schon vor Heilbronn und wir konnten die Geschützfeuer hören. Auch kamen täglich versprengte deutsche Soldaten vorbei. Sie erzählten uns, sie hätten keine Waffen und Munition mehr, nur noch ein paar Panzerfäuste. „Wie sollen wir damit die amerikanischen Panzer zurückschlagen?“ fragten sie. Sie wollten sich schnellstmöglich ergeben.
Als Heilbronn erobert war, stellten die Amerikaner dem Städtchen Weinsberg ein Ultimatum: Sie sollten sich bis zum nächsten Tag um vier Uhr ergeben. Einige Leute hängten weiße Bettlaken aus dem Fenster, sie hatten den Krieg und das Blutvergießen satt. Aber leider war noch der Kreisleiter im Städtchen, der nahm die Leute einfach fest und hängte sie auf. Zur Abschreckung für andere, die sich ergeben wollten. Er selber, der noch als einziger einen Kübelwagen besaß, packte sein Auto voll mit Wertsachen und setzte sich ab Richtung „Alpenfestung.“
Das Städtchen Weinsberg wurde nach Ablauf des Ultimatums durch vier Jagdbomber angegriffen und brannte vollständig ab. Es gab nochmals viele Tote, wir blieben jedoch diesmal verschont, weil unser Quartier außerhalb lag. Wir sahen aber, wie die Jagdmaschinen über unsere Köpfe hinweg auf das Städtchen zurasten und wie die Bomben fielen. Am nächsten Tag rollten amerikanische Panzerkolonnen durch und der Krieg war damit für uns zu Ende.
Mein Großvater, der bereits 83 Jahre alt war, hat den Fliegerangriff auf Heilbronn nicht überlebt. Er war mit den Jahren recht starrköpfig geworden und ging bei Fliegeralarm nie in den Keller. Als der Angriff stattfand, war er auch in seiner Wohnung geblieben und als es überall brannte, wollte er noch einigen Hausrat retten und warf alle Betten, die er in seiner Wohnung finden konnte, in den Keller. Meine Großmutter erzählte uns, dass sie ihn aufgefordert hatte, mitzukommen, aber er weigerte sich. Er muss dann, als er sah, dass alles brannte, doch das Haus verlassen haben, allerdings ging er nicht nach vorne zur Straße, sondern nach hinten zum dritten Hinterhaus und dort war ein Gartenzaun und er kam nicht mehr weiter. Dort muss dann eine Hauswand auf ihn gestürzt sein. Mein Onkel Karl, der Justizbeamter war und mit seinen Gefangenen die Aufräumarbeiten leitete, fand ihn dort, total verkohlt. Er war nur noch an seiner etwas schief zusammen gewachsenen Hand zu erkennen.
Meine Großtante Marie Christmann und ihre Tochter Rosa wurden durch eine Sprengbombe getötet. Von ihnen wurde nichts mehr gefunden.
Die Ehefrau meines Onkels Karl Christmann, Johanna, und fünf ihrer sieben Kinder wurden ebenfalls getötet. Wir erfuhren später von Onkel Karl, dass sie zunächst in den Luftschutzkeller ihres Hauses gegangen waren. Beim Fallen der ersten Sprengbomben traf eine schwere Kellertüre das Knie eines ihrer Söhne. Er konnte nicht mehr gehen. Tante Hanna machte ihm kalte Umschläge und sagte zu ihm: „Wir können alle hier bleiben, hier ist es schön kühl. Wir lassen dich nicht alleine.“ Leider starben sie dann alle an Sauerstoffmangel