Nikolaiken/Selbongen, Sensburg, Ostpreußen
Mein Name ist Erna Porozynski Geborene Konietz. Ich bin am 05.Juli.1931 in Nikolaiken (jetzt Mikolayki) in Ostpreußen geboren. Mein Vater hieß Paul Konietz und meine Mutter Marie Stank. Ich habe noch einen Bruder, Erich Konietz und zwei Schwestern, Erika und Inge.
Ab Oktober 1935 wohnten wir in Selbongen, wo ich von April 1938 bis 1941 zur Schule ging. Von 1941 bis Januar 1945 ging ich zur Hauptschule in Nikolaiken. Die Schule wurde geschlossen als die Russen kamen.
Am 26. Januar 1945 bei sehr starker Kälte ist unsere Familie zusammen mit meinen Großeltern Gustav und Berta Stank, sowie Anna Wittek, der auch der Wagen und die Pferde gehörten mit ihrer behinderten Schwester geflüchtet. Wir fuhren in Richtung Sensburg und unterwegs haben sich uns noch unsere Tante Frieda Skrobucha mit ihren drei Söhnen angeschlossen. Sie war die Schwester meiner Mutter.
Weit gekommen sind wir nicht, denn da das Militär auf den Straßen Vorrang hatte, mussten wir oft in den Graben ausweichen, zudem wurden wir und die anderen Flüchtenden von russischen Flugzeugen beschossen. Am 30. Januar 1945 hatten uns die Russen dann bei Rastenburg (Ketrzyn) eingeholt. Wir waren in der Nacht auf ein Grundstück mit Gebäuden zum übernachten gefahren, am Morgen waren die Russen dann da. Die Pferde waren gestohlen worden, es wurde geplündert, es war sehr schlimm für uns.
In einem Zimmer hielten wir uns mit anderen Flüchtenden auf, als ein sehr betrunkener russischer Soldat hereinkam, mit seiner Waffe rumfuchtelte und von uns unsere Uhren verlangte. Mein Bruder und ich hatten unsere Uhren an Weihnachten 1944 von unserem Vater geschenkt bekommen, als dieser das letzte Mal Heimaturlaub hatte. Wir gaben unsere Uhren dem Soldaten, aber er verlangte auch eine Uhr von meinem Großvater. Meinem Großvater wurde seine Uhr aber vorher schon abgenommen, er hatte also gar keine mehr. Der Soldat wurde wütend und schoss um sich. Er traf meinen Großvater in den Mund. Mein Großvater fiel auf meine Füße und seine letzten Worte waren „ Mein Gott“. Ich sah, dass ein ganz dünner Blutstrahl hochschoss, mein Großvater lag auf seinem Gesicht und war tot. Wir alle haben das mit angesehen. Meine Mutti und Tante Frieda haben ihn dann in eine Decke gewickelt und nach draußen getragen. Da die Temperaturen es nicht zuließen ein Loch zu graben, denn der Boden war fest gefroren, haben sie ihn hinter den Stall getragen und mit Schnee zugedeckt.
Mein Großvater war nicht der einzige der erschossen wurde. In unserem Zimmer war auch eine junge deutsche Frau mit ihrer 3-jährigen Tochter und einem russischen oder polnischen Mädchen, das bei ihr arbeitete. Die Russen haben diese junge Frau vergewaltigt und anschließend erschossen. Wir fanden sie hinter der Scheune. Das ausländische Mädchen hat die Tochter der toten Frau mitgenommen. Ich weiß nicht, wo sie hingingen.
Am übernächsten Tag wurden wir von den Russen aufgefordert wieder nach Hause zu fahren. Unseren Wagen hatten wir noch, aber kein Pferd mehr. Irgendwo hat meine Mutter oder Tante Frieda ein altes oder krankes Pferd aufgetrieben, das haben wir vor den Wagen gespannt, denn wir hatten ja die behinderte Schwester und kleine Kinder bei uns, zudem meine ganz gebrochene Großmutter und wir mussten ja irgendwie nach Hause kommen. Mein Bruder war 14 Jahre alt, ich 13 Jahre und die Kinder waren so im Alter von 5 – 9 Jahren. Der Rückweg war sehr beschwerlich, denn die Kälte, die Leichen auf den Straßen und das kranke Pferd machten ein Vorankommen sehr schwer. Wir kamen erst Ende Februar 1945 in Selbongen an.
Wir wohnten direkt an der Hauptstraße, das war sehr gefährlich, da ja alle Truppenbewegungen und Flüchtlingsströme dicht an uns vorbeizogen. Wir beschlössen deshalb nach Neu-Schaden zu gehen, dort lebte eine Schwester meiner Mutter, meine Tante Anna Golossek mit ihrer Familie auf einem Gut. Meine Mutter und Tante Frieda konnten dort auch arbeiten, sie haben die Kühe gemolken und bekamen von den russischen Soldaten für jedes Kind 1 oder 2 Liter Milch. Wir hatten zu essen, es ging uns gut dort.
Am 10. April 1945 aber, haben die Russen alle Männer, Frauen und Jugendlichen ab 14 Jahre eingefangen. Meine Cousine, die 18 Jahre alt war und ich wurden auch mit eingefangen, obwohl ich erst 13 Jahre alt war. Wir wurden nach Nikolaiken gebracht und auf dem Marktplatz dort zusammen mit Menschen aus den anderen Dörfern zusammen getrieben. Anschließend wurden wir auf Autos verladen und nach Arys in die deutschen Kasernen gebracht und dort eingesperrt. Meine Mutter war noch nicht zu Hause gewesen, und erfuhr nun von den anderen, dass man mich verschleppt hatte. Sie machte sich große Sorgen, denn sie wusste ja überhaupt nicht wo ich war. In der Kaserne war ich 10 Tage eingesperrt und wurde in dieser Zeit 5-mal verhört. Diese Verhöre fanden immer nachts statt und man kam nie in das gleiche Zimmer zurück. In diesen Verhören ging es darum, ob man bei der Frauenschaft war, wenn man über 18 Jahre alt war, oder bei dem BDM, dem Bund deutscher Mädel, wenn man über 14 Jahre alt war. Ich war 13 Jahre alt, also weder in der Frauenschaft noch im BDM. Man glaubte mir nicht. Man glaubte mir nicht, dass ich erst 13 Jahre alt war.
Bei den Verhören wurde ich geschlagen. Einer der Offiziere wurde „Totschläger“ genannt, bei dem war ich zweimal und es war sehr schlimm. Er konnte deutsch sprechen. Ich musste mich bis auf meine Unterwäsche ausziehen, er schlug mich dann mit einem Gummiknüppel. auf die Beine, den Rücken und die Fußsohlen. Er wollte, dass ich zugebe 14 Jahre alt zu sein, aber ich sagte immer nur „13“. Ich habe nicht geweint, ich war zu stolz dazu. Beim dritten Verhör war da ein anderer Offizier, der fragte mich, wie alt ich sei. Ich sagte: „ 13 Jahre“. Da schlug er mir immer wieder ins Gesicht und sagte: „ Du lügst, du bist 15!“ Mein Gesicht war zerschlagen, blau angelaufen und einige Zähne waren locker.
Als ich das fünfte und letzte Mal zum Verhör kam, war da ein Offizier, der kein deutsch konnte, der hatte ein russisches Mädchen als Dolmetscherin dabei. Er hat sich angehört, was ich zu sagen hatte. Und er glaubte mir. Er sagte, ich solle dort gar nicht sein, da keine Kinder eingesperrt würden. Und er sagte, ich käme nach Hause. Ich dachte, ich kann gleich nach Hause, aber erst nach 2 Tagen wurde ich in einen großen Saal gebracht, wo auch der Offizier und das Mädchen waren. Er fragte mich, ob ich arbeiten möchte. Ich sagte, dass ich das wollte, und somit wurde ich mit einigen anderen Frauen zur Arbeit eingeteilt. Ich weiß nicht mehr, wie viele wir waren, aber sie haben uns dann am 20. April 1945 mit einem Leichenwagen nach Eichendorf gebracht, was ca. 15-20 Kilometer von Arys entfernt lag.
Ich kam dort auf einen großen Bauernhof, da waren auch drei Russenmädchen, die in Deutschland zum Arbeiten waren und ein 15-jähriger Junge, Heinz hieß er. Aus dem Dorf kamen täglich Frauen, die zusammen mit uns die Kühe versorgten. Die Kühe wurden zusammengetrieben, und als es genug waren, wurden sie nach Russland getrieben. Ich selber musste nicht im Stall arbeiten, ich habe im Haus und in der Küche mitgeholfen, und wir 5 waren alleine, keine Soldaten waren bei uns. So gesehen ging es uns dort gut.
In diesem Dorf Eichendorf wohnten meine Großeltern väterlicherseits und meine Tante Annchen. Ich besuchte sie, doch hab ich sie erst später angetroffen, da sie auch geflüchtet waren. Bei diesen Besuchen hat mich eins der russischen Mädchen, Walli hieß sie, begleitet. Sie war von den Deutschen zur Arbeit verschleppt worden und konnte ganz gut deutsch. Ich mochte sie und sie mochte mich auch. Sie war es auch, die es mir ermöglichte nach Hause zu kommen. Als die Kühe Richtung Russland unterwegs waren, konnte ich gehen.
Das Problem war nur, dass es ca. 30 Kilometer nach Neu-Schaden waren, wo meine Mutter und meine Geschwister waren. Ich hätte zu Fuß gehen müssen, aber das wäre durch Nikolaiken auf der Hauptstraße und für ein junges Mädchen lebensgefährlich. Ich wäre nie zu Hause angekommen. Walli wusste das. Sie hat sich bei dem Kommandanten für mich eingesetzt, dass ich nach Hause gebracht werden sollte. Der Kommandant erlaubte, dass wir ein Dockart, einen Spazierwagen mit Pferd nehmen durften und Walli und Heinz brachten mich dann nach Hause. Ich war 5 Wochen weg gewesen, meine Mutter hatte nicht gewusst, ob ich überhaupt noch lebte. Sie hat sehr gelitten deswegen und freute sich sehr, als ich wieder nach Hause kam.
Von meiner Cousine Lisbeth Golossek, die mit mir verschleppt worden war, wussten wir gar nichts. Wir wurden nach dem ersten Verhör getrennt, und sie kam erst viel später nach Hause zurück, denn sie wurde bis nach Russland verschleppt.
Zur Kirche kam ich durch meine Freundin Helga Raczkowski, née Mordas. Bei uns in Selbongen gab es ein Gemeindehaus. Helga hatte mich mal angesprochen, ob ich Lust hätte mal mit zur Kirche zu gehen. Ich musste erst meine Mutter fragen, und sie hatte nichts dagegen. Helga hat mich also am Sonntagmorgen abgeholt und wir gingen zusammen zur Kirche. Es hat mir sehr gut gefallen. In der Sonntagschule wurde das Thema „ Saulus von Tarsus“ durchgenommen und ich war sehr beeindruckt, wie deutlich über alles gesprochen wurde. Am meisten haben mir aber die Lider gefallen, weil ich so gerne gesungen habe. Als ich nach Hause kam war ich voller Begeisterung und erzählte alles. Auch, dass ich den nächsten Sonntag wieder zur Kirche wollte. Mein Bruder spottete, dass das ja gar keine richtige Kirche sei, das sei alles Blödsinn und das wollte er mir auch beweisen. Also ging er am nächsten Sonntag mit dorthin. Ab diesem Tag sind wir immer zusammen zur Kirche gegangen und am 18. mai 1947 wurden mein Bruder und ich getauft. Im September 1947 dann auch meine Mutter und meine Schwestern. Die Taufe fand in einem See statt, der 3-4 Kilometer in einem Wald lag.
Mein Vater kam nicht mehr aus Russland zurück, wir haben erst in den 80-er Jahren erfahren, dass er dort gefallen ist.
1947 war das Jahr, in dem wir die polnische Staatsangehörigkeit annehmen mussten und ab dem die deutsche Sprache verboten wurde. Unser Gemeindepräsident, Bruder Kruska musste sich verpflichten, dass in den Versammlungen nicht deutsch gesprochen würde, sonst hätten wir nicht mehr die Erlaubnis Versammlungen abzuhalten. Wir haben uns alle daran gehalten, und so gut es ging polnisch gesprochen. Aber wenn wir Mittwochabends unsere GFV Versammlung hatten, haben wir deutsch gesprochen. Eines Tages kam während der GFV Versammlung ein Kind angerannt, und sagte, dass Kontrollen durchgeführt wurden. Wir haben das Licht ausgemacht und ganz leise gesprochen, sodass man uns draußen nicht hören konnte. Zum Ende der Versammlung haben wir dann das Lied „Wir danken dir Herr für Propheten“ ganz leise auf Deutsch gesungen. Ich habe noch nie solch eine geistige Stimmung verspürt wie an diesem Abend, es schien, dass der Heilige Geist mitten unter uns war.
Elder Benson war nach Selbongen gekommen, ich glaube es war 1946. Ich war damals noch kein Mitglied, bin aber schon zur Kirche gegangen. Ich konnte ihn aber nicht sehen, da an diesem Tag meine Cousine, die mit mir verschleppt wurde nach Hause kam und ich sie besucht habe. Es tut mir sehr leid, dass ich den Besuch von Elder Benson nicht miterleben durfte, es soll sehr ergreifend gewesen sein.
Ich habe im November 1955 geheiratet und bin mit meinem Mann nach Rathsdamnitz (Debnica-Kaszubska) bei Stolp gezogen. Mein Mann hat dort mit seinen Eltern und Geschwistern gelebt.
Meine Kinder sind dort geboren und bis August 1972 haben wir da gelebt. Eine Ausreise nach Deutschland war nicht gestattet, die polnische Regierung hat kaum jemanden raus gelassen. Dies änderte sich erst nach dem Kniefall vor dem Warschauer Ghetto von Willy Brandt. Wir stellten einen Antrag auf Ausreise und diese wurde dann schließlich auch bewilligt. Ich bin staatenlos nach Deutschland gekommen, da mir die polnische Staatsangehörigkeit sofort aberkannt wurde. Meine Kinder bekamen automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Es ist nicht so, dass man vertrieben wurde, zumindest ging es uns nicht so, denn wir wollten ja unbedingt nach Deutschland und es war uns nicht erlaubt.
Rathsdamnitz ul. Fabryczna Ich erinnere mich an Frau Frau lebte im Erdgeschoss und ich war mit meinen Eltern in der ersten Etage. Ich war bei euch, weil meine Eltern gefragt, um mich zu bewachen die mal, du warst gut zu mir. Ich grüße und wünsche Ihnen Gesundheit
Hallo Tante, ich bin die Enkelin von Anna und Johan Golosseck und die tochter von Willy .
Schönne Grusse von uns allen .