Esslingen, Baden Württemberg (Wien–Österreich)

mormon deutsch ursula wondraMein Name ist Ursula Wondra, geborene Tischhauser. Ich wurde am 22. Jänner 1941 in Esslingen am Neckar in Baden Württemberg geboren. Mein Vater hieß Richard Tischhauser, meine Mutter Lina Rosa Fingerle. Ich bin das siebte Kind in unserer Familie, allerdings leben meine drei ältesten Geschwister nicht mehr.

Die Familie meiner Großeltern hat sich der Kirche angeschlossen. Und zwar kam das so: Ein Onkel von mir, sein Name ist Christian Fingerle, war als junger Mann in einem Krankenhaus, er hatte sich unglücklicher Weise in einer Maschine die rechte Hand abgeschnitten. Während er dort im Krankenhaus lag kamen Besucher und gaben Broschüren von der Kirche Jesu Christi (Mormonen) aus. Nachdem er wieder zu Hause war verließ er jeden Sonntag das Heim und ging in diese Kirche. Dadurch wurde sein Vater aufmerksam, er folgte ihm eines Tages unbemerkt und kam so in die Kirche. Es gefiel ihm dort so sehr, dass schließlich die ganze Familie zur Kirche bekehrt wurde, eine Familie mit dreizehn Kindern.

Seine erste Frau hatte neun Kinder, meine Mutter ist eine Tochter von dieser ersten Frau. Als sie starb hat mein Großvater wieder geheiratet, und seine zweite Frau hatte dann vier weitere Kinder, so wuchs die Familie zu insgesamt dreizehn Kindern. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie mit acht Jahren getauft wurde. Ich bin dankbar für die Glaubenstreue meiner Vorfahren, die all diese Opfer gebracht haben, dadurch konnte ich als Mitglied der Kirche aufwachsen

Die Familie wohnte damals in Esslingen. In Esslingen gab es keine Gemeinde, die nächstgelegene war in Stuttgart, ungefähr 20 Kilometer entfernt. Und da die Familie meiner Großeltern mit ihren dreizehn Kindern nicht genügend Geld hatte um am Sonntag mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Kirche und wieder heim zu fahren, so sind sie einen Weg gefahren und einen zu Fuß gegangen. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie für diesen Rückweg meist nur ein Stück Brot und vielleicht einen Apfel gehabt haben.

Ich wurde 1941 während des Zweiten Weltkriegs geboren und meine jüngere Schwester zwei Jahre später. Rudolf, einer meiner älteren Brüder, starb als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Ich habe ihn eigentlich kaum gekannt. Nur wenn er einmal auf Urlaub nach Hause kommen konnte, hat er sich um mich sehr liebevoll gekümmert. Nach dem Krieg wussten wir nicht ob er in Kriegsgefangenschaft gekommen ist, oder ob er umgekommen war. Aber eines Tages besuchte uns dann ein früherer Kamerad der uns erzählte, dass er 1945, kurz vor Ende des Krieges, durch einen Tieffliegerangriff in einem Bunker zu Tode kam. Er war damals neunzehn Jahre alt.

Ich kann mich noch gut an die Zeit nach dem Krieg erinnern. Das war eine schwere Zeit für uns, da wir eine große Familie waren. Mein Vater war arbeitslos und hat mit all seinen Kräften versucht, seine Familie mit fünf Kindern irgendwie durchzubringen. In dieser Zeit hat uns die Kirche durch die Care-Pakete Aktion sehr geholfen. Ich kann mich noch genau erinnern, dass meine Mutter einmal ein Päckchen mit Weizenschrot bekommen hat, aus dem sie Brot gebacken hat. Das schmeckte uns damals so gut, dass es kaum beschrieben werden kann. Als wir später einmal davon schwärmten, wie toll dieses Brot war, hat unsere Mutter wieder ein solches Brot gebacken – aber in dieser Zeit, wo es uns schon wieder viel besser ging, hat uns das Brot nicht mehr so geschmeckt wie damals.

Während ich ein Kind war hatten wir die Versammlungen in dem kleinen Haus meiner Großmutter. Als wir bereits zu viele waren versammelten wir uns in Schulräumen und später in gemieteten Räumen, das waren Wohnräume, die für unsere Versammlungszwecke hergerichtet worden waren, und sonntags, wenn das Wetter schön war, hatten wir auch manchmal die Versammlungen im Freien.

Für mich war es etwas ganz besonderes, mit meiner Familie, meinen Verwandten, Cousinen und Cousins, die alle Mitglieder der Kirche waren, aufzuwachsen, das war für mich immer eine große Stärkung. Ich wurde mit acht Jahren von meinem Onkel Christian Fingerle in einem Dampfbad in Esslingen getauft. Es war dies der Onkel, der als Erster mit der Kirche in Berührung kam. Er war nach Amerika ausgewandert und kam dann gerade zu der Zeit auf Besuch nach Deutschland, als ich acht Jahre alt war. Damals ist man nicht zu seinem Geburtstag getauft worden, sondern man hat gewartet bis eine Anzahl von Täuflingen zusammen war. Und so bin ich im Mai getauft worden, obwohl ich im Januar Geburtstag hatte. Es war dies für mich ein sehr feierliches, ganz besonderes Erlebnis.

Wir waren damals in der Esslinger Gemeinde ungefähr 70 Mitglieder. Es war dies wirklich eine gute Gemeinde. Als ich sechzehn Jahre alt war, habe ich meine erste Berufung bekommen: Sekretärin in der Sonntagschule, später wurde ich als Lehrerin für die Evangeliumslehre Klasse berufen. Alles wertvolle Erfahrungen. Und mein Onkel, der damals Gemeindepräsident war, hat zu mir gesagt: „die Fragen sind immer das Wichtigste, die schreibst du dir auf. Wenn du gute Fragen hast, dann klappt alles.“ Damals hat es noch die GFV gegeben, und ich war in der GFV auch als Lehrerin und in der Leitung berufen. Das alles hat mir große Freude gemacht.

Eine besondere Freude war es für mich, dass ich meiner Freundin, mit der ich schon die ganzen Jahre zur Schule gegangen bin, helfen konnte, ein Mitglied der Kirche zu werden. Sie zeigte sich an der Kirche interessiert, und so habe ich sie eingeladen an Aktivitäten teilzunehmen. Es scheint ihr sehr gut gefallen zu haben, und sie hat dort auch einen Cousin von mir kennengelernt. Die beiden haben sich verliebt, und nachdem sie sich der Kirche angeschlossen hatte ist er auf Mission gegangen, und als er von seiner Mission zurückkam haben sie geheiratet.

Ein ganz besonderes Erlebnis war 1961 die Gründung des Pfahles Stuttgart durch Präsident Ezra T. Benson. Dieser Pfahl wurde von dem damaligen Missionspräsidenten T. Quentin Cannon vorbereitet, der von den Mitgliedern sehr geliebt wurde. Er wurde auch darin initiativ, dass wir in Stuttgart das erste Gemeindehaus in der Birkenwaldstraße erhielten, wo wir dann auch ein eigenes Taufbecken hatten. Und später half er uns zu dem Pfahlhaus in Stuttgart-Weilimdorf.

Die Gemeinde Esslingen war immer eine große Stütze für den Pfahl, und eine ganze Anzahl von Geschwistern hatte auch eine Berufung im Pfahl. Als ich einundzwanzig Jahre alt war wurde ich als Pfahl Primarvereins Präsidentin berufen, als Nachfolgerin von Schwester Mössner, der ersten Pfahl PV Präsidentin des neugegründeten Pfahles Stuttgart. Diese Berufung war für mich, da ich auch berufstätig war und die PV damals unter der Woche stattfand, eine große Herausforderung. Aber ich hatte zwei gute Ratgeberinnen und eine prima Sekretärin, und wir haben gemeinsam eine gute Arbeit gemacht. Ich habe in dieser Berufung sehr stark die Hand des Herrn verspürt. Deshalb hat diese Berufung mir auch viel Freude gemacht.

Ich hatte in dieser Berufung nicht direkt mit den Kindern zu tun, sondern in erster Linie mit den Gemeinde PV Beamten, um diese zu schulen. Manchmal mögen sich diese, wenn ich darüber gesprochen habe, immer liebevoll und freundlich mit den Kindern umzugehen, wohl gedacht haben, wie kann die, die keine eigenen Kinder hat, erklären, wie das mit Kindern so ist. Aber ich blieb trotzdem immer der Ansicht, dass es richtig ist, immer liebevoll und freundlich mit Kindern umzugehen. Ich habe dann in dieser Berufung gedient, bis ich meinen Mann kennenlernte, ihn heiratete und nach Wien umzog.

Unter der Schirmherrschaft von Elder Ezra T. Benson hatten wir 1965 in Frankfurt eine große Tagung für die Alleinstehenden Jungen Erwachsenen: “Freud Echo“. Während dieser Tagung gab es einen Dirigierkurs, der von Bruder Kurt Weinzinger geleitet wurde, den ich besuchte, auch Kuno Müller, der Missionar, der meinen Mann getauft hatte. Bruder Weinzinger besuchte vorher die Gemeinden, um sie auf das große Musikfest vorzubereiten. Und dieser Bruder Weinzinger aus der Gemeinde Wien hat uns dann während der Tagung miteinander bekannt gemacht. Er hat vorher schon zu meinem Mann gesagt, „in der Gemeinde Esslingen gibt es eine Schwester, die solltest du unbedingt kennenlernen.“ Und als er ihn mir vorstellte sagte er: „Das ist ein junger Mann aus Wien, er arbeitet am Burgtheater, ein sehr vergeistigter junger Mann.“ Und das hat mich neugierig gemacht. Bis dahin hatte ich zwar schon viele junge Männer kennengelernt, aber niemand, wo ich das Gefühl gehabt habe, dass dies ein “sehr geistiger junger Mann“ sein sollte. Und während unserer Rheinfahrt hat Johann Wondra mir dann seine Adresse gegeben. Auf einer Bahnkarte in die Schweiz, die er benutzt hatte, als er zum Tempel fuhr. Ich habe mich schon etwas gewundert, dass er mir seine Adresse auf einer Bahnkarte aufschrieb, aber für ihn war das symbolisch zu verstehen. Eine Karte in die Schweiz zum Tempel.

Die Tagung war im August 1965 und im Januar 1966 haben wir dann geheiratet. Und da er in Wien gelebt hat und ich in Esslingen haben wir uns dazwischen nur drei Mal getroffen, einmal in Wien, wo ich seine Eltern kennenlernte, die damals noch keine Mitglieder der Kirche waren, einmal in Salzburg, und einmal kam er nach Esslingen, um meine Familie kennenzulernen.

Wir haben dann am 22. Januar 1966 zu meinem 25. Geburtstag im Tempel in der Schweiz geheiratet. Wir wurden mit vier Kindern gesegnet: Michael (1966), Ulrike (1967), Georg (1969) und Helmut (1972). Und im Mai 1988 erhielt mein Vater im Frankfurt Tempel, kurz nach seinem neunzigsten Geburtstag, das Endowment, und wir wurden als Familie gesiegelt.

Während all dieser Jahre habe ich erfahren, dass wir Freude, Glück und Zufriedenheit erfahren, wenn wir nach den Grundsätzen des Evangeliums Jesu Christi leben. Dass wir mit Hoffnung und Optimismus in die Zukunft schauen können in dem Wissen, dass Gott die Verheißungen erfüllt, die er uns gemacht hat, wenn wir glaubenstreu sind. Außerdem glaube ich, dass jede Tempelehe eine große Love Story sein kann, denn mit jedem Problem, jeder Herausforderung, jeder Freude und allem Leid, das wir gemeinsam bewältigten, ist unsere Liebe zueinander gewachsen.