Fasten, Sensburg, Ostpreußen

mormon deutsch erich stankMein Name ist Erich Stank. Ich bin am 1. November 1932 in Fasten, Kreis Sensburg, Ostpreußen, geboren. Meine Eltern, Fritz und Frieda Stank, lebten in einem Dorf, sehr ärmlich, in einer Mietswohnung. Für diese Wohnung mussten sie drei Wochen im Monat auf einem Feld bei einem Bauern, Richard Olech, arbeiten. 1936 schenkten meine Großeltern, Maria Hahn und Karl Hahn, meiner Mutter ein Baugrundstück. Mit der Hilfe von Onkeln und den Großeltern baute sie 1936 ein kleines Häuschen auf dieses Grundstück.

Meine Geschwister sind: die Schwestern: Hildegard Stank, geboren am 14. August 1931; Elfriede Johanna Stank, geboren am 22. Juni 1934; die Brüder: Walter Stank, geboren am 15. August 1936; Siegfried Stank, geboren am 8. Dezember 1938; und mein jüngster Bruder, Werner Stank, geboren am 15. Oktober 1940. Er ist nach einer Lungenentzündung am 8. April 1942 in meinen Armen gestorben.

1940 ist der Vater zum Zweiten Weltkrieg als Soldat eingezogen worden. Wir wurden für 17 Jahre getrennt, sodass die Mutter die ganze Last, für die sechs Kinder zu sorgen, alleine zu tragen hatte.

Am 2. August 1942, mit 10 Jahren, bin ich in einem See getauft worden, im Schnittgersee. Vorher wollten wir einen Taufgottesdienst abhalten, aber wir wurden von Mitgliedern der Hitlerjugend mit Steinen beworfen und mussten abbrechen. Es bestand die Gefahr, verletzt zu werden und so konnten wir die Taufe nicht durchführen. Die Jugend, die Nazis, hatten etwas gegen die Religion. Die jugendliche Bande hatte mitgekriegt, dass wir zur Taufe gingen und da haben sie uns mit Steinen beworfen. Das hat aber daran nichts geändert, wir sind weiter zu den Versammlungen gegangen.

Am 2. August sind wir an eine andere Stelle vom See gegangen und dort bin ich dann getauft worden. An diesem Tag war ein schweres Gewitter aufgezogen während dieser Taufe, sodass ich Angst hatte, weil die Wellen so schlugen. Michael Fischer, der mich getauft hat, war auch schon ein bisschen älter, und ich hatte Bange, dass er mich untergehen lässt. Nach diesem Gewitter sind wir zurückgegangen und die Konfirmation wurde im Haus des Gemeindevorstehers, damals August Fischer, vollzogen. Er ist auch in den Krieg eingezogen worden.

Später war Adolf Kruska der Gemeindevorsteher, er hat auch die Konfirmation durchgeführt. Adolf Kruska hat das Grundstück für die Kirche geschenkt. Es war das erste kircheneigene Gemeindehaus in Selbongen, in ganz Europa.

Die Schullehrer waren auch meistens Parteileute. Die haben uns gehänselt oder bloßgestellt. Wir hatten am Pult, wo gesprochen wurde, ein grünes Tuch hängen. Das war ein Vorhang, goldbestickt und darauf war der Spruch: „Wahrheit wird siegen“. Das haben die Lehrer mitgekriegt und haben immer, wenn wir in der Schule etwas nicht begriffen haben, uns gehänselt: „Wahrheit wird siegen“. Das war die Zeit vor dem Krieg.

1943 hat mich die Großmutter mitgenommen, um ihren Bruder Johann Kappich zu besuchen, der drei Kilometer weiter wohnte im nächsten Dorf. Um den Weg abzukürzen, sind wir durch ein Gut gegangen, das mittendrin war. Auf diesem Feldweg haben wir einen Aufseher gesehen, der französische und polnische Gefangene beaufsichtigt hat. Da war gerade die Rübenernte. Wir durften uns nicht mit den Gefangenen unterhalten, wir durften keinen Kontakt mit den Leuten haben. Sie haben ein „P” auf ihrer Kleidung aufgesteckt gehabt, wenn sie Ausgang hatten. Wenn wir, als Deutsche, gingen, mussten sie auf die andere Straßenseite wechseln, damit sie mit uns keinen Kontakt haben. Im Dorf war immer einer, der aufgepasst hat, dass wir keinen Kontakt miteinander hatten.

Meine Großmutter war sehr sozial eingestellt, sie hat alles für die Armen getan. Selbst auf die Gefahr hin, dass sie ins Konzentrationslager geschickt würde, sie konnte nicht anders. Das war ihre Art. Aber da habe ich auch viel gelernt. Sie hat mich mitgenommen und wir sind an diesem Feld vorbeigegangen. Da war ein Pole, er hieß Adam, in gebückter Haltung, auf schwerem Lehmboden, barfuss und hungrig. Und er hat gebettelt: „Mir ist kalt und ich bin hungrig“. Dann hat meine Mutter gesagt: „Komm ab und zu, wenn es dunkel ist. Das ist das einzige Dach, das strohgedeckt ist“. Der Ortsgruppenführer, so hieß der damals, hat sehr gut aufgepasst und das hat sie bemerkt, dass er sie beobachtet hat. Abends, wenn Mutter gebacken hat, hat sie das Brot draußen unter den Kübel gestellt, und ein paar Socken und warme Schuhe vom Vater. Morgens war alles weg. Und das ging so zwei Tage gut. Dann kam abends ein Pole und hat geweint, dass seine Frau ein Kind bekommen hat, die hatten nichts gehabt, keine Windel, keine Geburtshilfe, nichts wurde ihnen gestellt. Ich war gerade bei den Großeltern, da hat sie einen Eimer mit warmen Wasser hingetragen und ich musste aufpassen, dass der Bauer nicht bemerkt, dass ein Kind geboren ist.

Dann kam im Januar 1945 die Flucht vor der sowjetischen Armee. Wir schafften ungefähr 80 Kilometer auf Pferdewagen. Mit drei Wagen und vier Familien sind wir losgefahren ins Ungewisse. Nur vorwärts, weg vor der Front. Weil die Kanonenschüsse schon bei uns einschlugen, sind wir davor geflüchtet. Wir kamen dann in einen Ort, dort hat uns die russische Armee eingeholt. Da bin ich mit meiner Mutter weitergegangen. Dort war viel Schnee, 25-29 Grad minus. Das bisschen Brot, das wir auf die Reise mitgenommen hatten, war schon nach ein paar Kilometern hart und wir konnten es nur mit Speichel aufweichen, um es ein bisschen essen zu können.

Wir kamen in den Treck rein. Dann kamen die Flugzeuge, die uns beschossen haben. Vom dritten oder vierten Wagen hinter uns haben sie vom Flugzeug aus mit Maschinengewehren eine Frau erschossen. Ich bin dann mit meiner Mutter zu Fuß weitergegangen, abgelegen von dieser Hauptstraße. Wir sind durch 50-60 cm Schnee gestampft und kamen an das Quartier. Aber dort war schon alles belegt. Dann sind wir zurückgegangen. Die Großmutter, Maria Hahn, war bei uns. Wir konnten den Wagen nicht mehr finden, weil der Treck vorfuhr. Aber wir haben uns doch getroffen.

Richard Olech-Tillitzki, der Besitzer eines großen Hofes, wo der Vater gearbeitet hat, hat das Fuhrwerk gestellt. Er selbst war Leutnant, aber in Zivil, er war nicht im Einsatz im Krieg, weil er das Grundstück hatte. Wir sind mit drei Wagen gefahren, er hatte einen Schlitten.

Wir sind von einer Kontrolle raus und in die andere hinein. Das ging so Tag und Nacht. Die Russen haben den ersten Schlitten mit den Pferden mitgenommen. Dann hatten wir nur noch zwei. Die Armee kam dann durchgezogen. Es hat sich ein bisschen beruhigt, dann blieb nur noch der Rückzug. Das heißt, wir mussten nach Hause zurück. Wir sind mit den zwei Pferdewagen bis 20 Kilometer von zu Hause gekommen, das haben wir geschafft. Und da haben sie uns vor dem Dorf, wo wir haltgemacht haben, die zwei Wagen weggenommen – mitten auf dem Feld. Das war im Februar.

Sie hatten uns alles enteignet. Wir hatten Angst, dass sie uns erschießen, denn Herr Olech war Leutnant und er hatte seine Waffe im Kasten im Schlitten, wenn sie das herausgefunden hätten, wäre es schlimm für uns geworden.

Wir sind dann zu Fuß weitergegangen, in Februar. Der Großmutter haben sie die Stiefel ausgezogen. Wir sind im Schnee so hingewatscht. Die Sonne schien und der Schnee schmolz. Bis ins Dorf waren es noch 20 Kilometer. Im Tal hatten sie uns ausgeraubt, alles weggenommen. Wir haben kein Stück Brot gehabt. Eine Woche blieben wir im Dorf. Im Nachbarhaus haben sie an einem Sonntag einen älteren Mann erschossen. Wir konnten ihn nicht einmal begraben, denn sie haben uns immer beschossen. So konnten wir nur im Liegen den Mann beerdigen. Ich war damals 13 Jahre alt.

Dann haben wir uns aufgemacht und sind zu Fuß gegangen. Im Tal waren 15 betrunkenen Russen, die hatten alle ihre Gewehre auf uns gerichtet. Die Kugeln pfiffen an uns vorbei und Mutter stellte sich zwischen die Kugeln und uns und sagte nur: „Fasst euch an die Hände, ihr werdet sehen, was passieren wird” und sie hat das Lied gesungen „O, bleibe Herr“. Uns, den vier Familien, traf keine Kugel. Die Einschüsse fielen vor die Füße, flogen an den Köpfen vorbei. Wir bewegten uns dann ein bisschen weiter. Die Straße machte eine Kurve, sodass sie dann nicht mehr zielen konnten. Von den vier Familien ist auch nicht einer verletzt worden. Ich habe die Gefahr erkannt und gesehen, wie der Herr uns da geholfen hat.