Hamburg-Harburg

mormon deutsch willy werner schoenrockMein Name ist Willy Werner Schoenrock. Mein Vater ist Wilhelm Schoenrock, geboren am 22 Juni 1896 in Hamburg-Harburg und meine Mutter ist Ida Freimann, geboren am 21. Juli 1898 in Memel, Ostpreußen. Sie kam ca. 1920 aus Memel, Kreis Margen, nach Harburg. Wir Schoenrock’s waren 6 Geschwister in der Reihenfolge: Herta, geboren 15.Oktober 1923, Waltraud, geboren 19.September 1925, ich selber – Werner –geboren am 16.Juli 1927, Karl-Heinz, geboren 15.September 1929, Ursula, geboren im März 1933 (1969 verstorben) und Erich, geboren am 7.Dezember 1937 und alle sind in Hamburg Harburg-Wilhelmsburg zur Welt gekommen.

Meiner Mutters Vater, Gustav Freimann aus Ostpreußen, und meines Vaters Mutter Amalie aus Ostpreußen waren Cousin und Cousine. Diese meine Großmutter Amalie kam aus Ostpreußen und hatte die Verbindung dahin nicht abreißen lassen. Aus welchen Gründen sie damals nach Hamburg kam, weiß ich allerdings auch nicht. Meine Mutter aber hatte damals in Ostpreußen Arbeit gesucht und meine Großmutter (meines Vaters Mutter Amalie) hatte ihrer Verwandten nach Ostpreußen geschrieben, sie solle nach Harburg kommen, es sei hier Arbeit vorhanden. Aber das war nur ein Vorwand um damit eine Gelegenheit zu suchen ihrem Sohn eine tüchtige Frau zu verschaffen. So jedenfalls hat unsere Mutter uns das immer wieder erzählt. Arbeit gab es damals hier nämlich auch nicht.

 

Mitglied der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“ bin ich seit 1938 und mit meiner Schwester Waltraud zusammen getauft worden. Zugehörig waren wir zu der Gemeinde Skt. Georg in Hamburg, welche damals die größte Gemeinde in Norddeutschland war. Unser Vater war kein Mitglied zu der Zeit. Erst nachher – Jahre später, ließ er sich auch taufen.

Während der NS-Zeit mussten wir immer sonnabends und sonntags bei der HJ (Hitler-Jugend) zum Dienst, wir sind aber trotzdem zur Gemeinde gegangen. Ja, meine Mutter hatte sehr darauf aufgepasst. Ihr Bruder Max Freimann war damals in Königsberg Distriktpräsident gewesen und hatte sie und ihre Schwester Frieda und Helene dort noch getauft. Den Bruder Alfred von ihr auch, die anderen dann aber nicht mehr.

Ich war zur Schulzeit beim Jungvolk, dann bei der HJ, war auf der Reichsseesportschule und habe das Reichsseesportabzeichen A, B und C gemacht und wurde dann ausgebildet als Funker und Signalgast. Bei Militär war ich nur kurze Zeit, ich bekam Rippenfell- und Lungenentzündung. Doch aufgrund meiner Krankheiten wurde ich dann entlassen. Seitdem bin ich Zuhause und wir waren praktisch Selbstversorger. Wir hatten Schweine, Ziegen, Enten, Gänse, Hühner und Kaninchen und alles andere hatten wir aus unserem Garten.

Einmal 1943 war ein Nachbarsohn auf Urlaub gekommen – er kam gerade von der Front in Russland – da gab es Fliegeralarm. Es wurden Splitterbomben abgeworfen und wir standen beide draußen. Da rief er zu mir rüber: „Werner! Los rein! Rein, schnell ins Haus!“ und dann hatte es ihn auch schon erwischt. Sein Bein war weg! Ich bin gelaufen, um ins Haus zu kommen, aber schon kam der andere Nachbar von der anderen Seite –(er kam bei Fliegerangriffen immer zu uns in den Keller) der riss mich runter und hat sich über mich geworfen. Im selben Moment sauste über seinem Kopf ein Riesensplitter hinweg, ging in unsere Veranda und riss ein großes Loch in die Mauer. Fürchterlich waren diese Splitterbomben! Da ist mir erst so richtig bewusst geworden, dass ich wirklich vom Herrn beschützt wurde.

In der Schule gehörten wir noch zum Jungvolk und später dann zur HJ. Der HJ-Führer beider Gruppen hatte sein Büro am Nagelweg, von wo alles geleitet wurde, wohnte aber etwa acht Minuten von uns entfernt. Dieser HJ-Führer kam schnell mit dem Pkw seines Vaters vorgefahren und hat Gottlieb Nadolny zum Bunker Wilhelmsburg gefahren, in dem ein großes Lazarett untergebracht war. Unterhalb des Kniegelenk wurde ihm dort das Bein abgenommen. Da hat er zu meinem Vater noch gesagt: „Willem, mit mir geht es jetzt zu ende.“ und damit war für ihn der Krieg vorbei.

Zum Kriegsende haben wir natürlich mit angesehen wie die Engländer Hamburg einnahmen. Wir hatten ein Haus (in dem wir heute noch leben) das war natürlich vom Krieg alles zerstört. 1945, während des letzten Osterfestes im Krieg, haben wir noch einen Bombenteppich gelegt bekommen. Die Engländer haben noch ihre letzten Bomben bei uns abgeworfen. Na ja, und so haben wir uns mit allem durchgekämpft. Kohlenklau haben wir auch gemacht. Einmal bin ich mit gewesen, aber an sich brauchten wir nicht frieren, weil wir ja alles aus dem Garten selber hatten.

Es existierte immer noch Hitlers Befehl nicht zu kapitulieren. Obwohl alles sinnlos geworden war. Das war ja nur noch der reine Wahnsinn! Der Direktor von der Reifen-Fabrik „Phönix“ war Erster General – der Gauleiter Kaufmann gehörte ebenfalls in diese Reihe der Verantwortlichen und dann noch zwei oder drei andere Herrn, ich glaube es waren fünf oder sechs Leute, die die Verantwortung für die Stadt hatten. Aber am 29.April 1945 führte der Generaloberst Alwin Wolz, die Kapitulationsverhandlungen mit den Engländern und am 1. Mai 1945 nahm Hitler sich das Leben. Wir sahen das Kriegsende, als die britischen Panzer über die Elbe fuhren, Flugzeuge flogen dicht über unsere Häuser hinweg, und dann kam die Besatzungsmacht hinterher. Es fiel nicht ein einziger Schuss, weil die Verhandlungen der Übergabe stattgefunden hatten. Es war das Ende des Krieges für Hamburg.

Der Wiederaufbau begann! Zuerst haben wir unsere von den Druckwellen zerbrochenen Fensterscheiben mit Pappe zugenagelt. Das Dach war weggeflogen und alles andere haben wir dann ebenfalls notdürftig repariert. Ich war ja seit 1942 dabei meinen Beruf als Klempner und Installateur zu lernen. Das hat sich dann in der Folgezeit auch noch als sehr nützlich erwiesen. Als bei uns in der Straße der Bombenteppich gelegt worden war, hatte ich nachher noch die Wasserleitungen wieder zusammen gelötet, damit wir wieder Wasser hatten. Die Straßen waren ja alle aufgerissen und die Rohre standen alle nach oben in die Luft. Ich musste sie alle wieder runter biegen und löten. Es waren aber zu der Zeit alles noch Bleirohre und so war das nicht so schlimm.

Wir sind die Einzigen von der Familie meiner Mutter die im Westen gewohnt haben. Von den Geschwistern meiner Mutter – die ja aus Memel in Ostpreußen kommt – sind alle ihre Brüder von Militär dann zu uns gekommen. Wir hatten in unserem kleinen Haus mit 15 Personen gewohnt und keine Betten für alle, sodass jeder sich eine andere Ecke suchte, wo er schlafen konnte. In meinem kleinen Zimmer waren wir damals mit 3 Personen. Zwei der Onkel musste ich gleich nach dem Krieg in meinem Zimmer mit aufnehmen.

Wir wohnten direkt neben einem Sportplatz. Da war ein Sperrballon (oder auch Fesselballon) stationiert gewesen und in der nahen Kaserne war Militär. Und wie der Krieg zu ende war, gingen alle Soldaten nach Hause und wir konnten die Etagenbetten ausräumen und im ganzen Haus einbauen. So hatte wenigstens jeder von den 15 Personen sein eigenes Bett in dem kleinen Haus. Der eine der Onkel hatte ein Ekzem von Militär mitgebracht und musste sich immer mit Salbe einschmieren. Das hat fürchterlich gestunken, da musste ich mein Fenster und die Zimmertür immer weit auf lassen, und der andere Onkel (Adolf) hatte eine Glatze und ist mit einer Pudelmütze zu Bett gegangen. Der hat immer fürchterlich gefroren wie ein Schneider und meine Mutter hat für uns alle jahrelang gekocht. Aber eines Tages wurde uns das alles zu viel. Meine Mutter hatte ihren Brüdern dann die Lebensmittelkarten gegeben. Sie konnte das nicht mehr alles schaffen. Ihre Brüder sollten jetzt aber ausziehen und sich ein eigenes Zimmer suchen. Das haben sie dann auch noch vor der Währungsreform gemacht (Reform am 21. Juni 1948). Da konnte ich mein eigenes Zimmer dann endlich renovieren.

Neunzehn hundert vier und vierzig hatte ich durch meinen Freund ein Mädel mit Namen Inge kennen gelernt. Ich hatte sie zu einer Operetten–Aufführung in der damaligen „Alten Flora“ eingeladen. Wir fuhren mit der Bahn zum Hauptbahnhof, um dann in die S-Bahn umzusteigen. Da kam eine Wehrmacht-Streife – sowie Gestapo-Beamte – und kontrollierten die Ausweispapiere. Auf einmal stand ein langer breitschultriger Mann mit Ledermantel vor mir und verlangte meinen Ausweis zu sehen. Ich zeigte ihm meine Papiere. Inge fing an zu weinen und wurde unruhig. Dann erbat er sich von ihr die Papiere. Sie gab ihm ein Papier aus vier Bogen bestehend. Was darauf stand wusste ich nicht. Ich fragte sie noch was sie hätte, warum sie weinte. Nachdem der Beamte den Brief durch gelesen hatte, fragte er mich, ob wir zusammen gehörten. Ich sagte „Ja wohl“, aber diesen durchdringenden Blick werde ich nie vergessen. Er drehte sich um und ging, ohne ein Wort zu sagen und hat auch nichts unternommen. Ich wusste ja nicht einmal um was es da ging, denn Inge hatte mir nichts davon erzählt, weshalb sie keinen Ausweis hatte.

Eines Tages sagte ich zu meiner Mutter, dass ich meine Freundin mitbringe. Ihre Antwort war: „Dann fliegt ihr beide raus!“ Nun lies ich es darauf ankommen. Meine Mutter stand in der Küche, um das Küchengeschirr abzuwaschen. Inge fragte sie ob sie abtrocknen dürfe, was meine Mutter natürlich bejahte und ihr ein Geschirrhandtuch reichte. Damit war das Eis dann auch gebrochen. Wie ich aber mit meiner Mutter allein war, sagte sie mir, dass Inge eine Jüdin sei. Ich war sprachlos.

Wenn ich von der Arbeit nach Hause wollte, fuhr ich mit dem Bus, so auch an diesen Abend. Ich sah, dass Inges Mutter auch mit im Bus saß. So ging ich zu ihr, und fragte, ob ich sie nach Hause bringen dürfe, denn sie musste einen einsamen Weg gehen. Beim Verabschieden, sagte sie zu mir: „Auf wiedersehen mein Junge.“ Mir war sehr komisch zumute, denn das hatte sie zu mir noch nie gesagt. Meine Eltern kannten aus ihrem Bekanntenkreis die Familie Lippmann als Juden. Inges Vater war arisch. Die Mutter kam 1944 zum Konzentrations und Vernichtungslager der Juden nach Teresienstadt, kam aber später wieder zurück und hatte scheinbar alles gut überstanden. Am anderen Tag musste ich zu ihrem Vater kommen. Er erklärte mir, dass ich mich von Inge trennen müsse, da sie Halbjüdin sei und ich große Schwierigkeiten bekommen würde. Ich habe mich aber trotzdem nicht gleich von Inge getrennt, erst viel später, als ihre Mutter aus Theresienstadt schon wieder zurück im Hause war. Ich habe Inge noch mit einem Nachbar-Jungen zusammen gebracht, die dann auch später geheiratet haben.

Meine Frau lernte ich 1956 kennen, bei einem Tanzabend in Wilhelmsburg. Eigentlich ist sie ja aus Dresden. Nachdem ich sie nun hier in Wilhelmsburg kennen gelernt hatte, wurde ich auch nach Dresden eingeladen und habe sie dort bei ihrer Mutter besucht. Ihr Vater war gerade in dem Jahr April 1956 verstorben. Bei meiner Ankunft habe ich dann gleich gesagt, dass ich der HLT-Glaubensgemeinschaft angehöre und gerne diese Gemeinde in Dresden besuchen würde. Da sagte meine zukünftige Schwiegermutter, dass sie davon noch nie etwas gehört hätte. Ich bin dann zum Polizeipräsidium gegangen und habe mir die Adresse geben lassen und bin in die Gemeinde gegangen. Vier Wochen war ich dort bei meiner Schwiegermutter zu Gast und es kam mir vor wie Urlaub. Geheiratet haben Irmtraud und ich dann am 20. April 1957 in Dresden.

Aber 42 Jahre hat meine Frau gebraucht bis auch sie sich hat taufen lassen. Sie hatte mich zwar schon immer in jeder Weise in meinen Kirchenaufgaben unterstützt, aber von Taufe war nie die Rede gewesen. Wie ich zum Beispiel Kollegiumspräsident war, hätte ich das gar nicht alles alleine schaffen können. Was haben wir nicht alles auf die Beine gestellt! Ja, ich kann wirklich sagen, sie war besser wie manches Mitglied. Eines Tages im Jahr 2000 fuhren wir gerade zur Pfahlkonferenz, da sagte sie mir unterwegs im Auto so ganz nebenbei und überraschend: „Fühlst Du Dich stark genug, mich taufen zu können?“ Das kam zu plötzlich für mich! So überrascht war ich davon.

Wir haben 3 Kinder. Ich hatte vorher schon einen Jungen mit Namen Rainer aus meiner ersten Ehe und meine Frau hatte ein Mädchen Namens Martina mitgebracht, die ich adoptiert habe und dann haben wir noch gemeinsam einen Jungen mit Namen Jörg bekommen. Jörg ist Mitglied, die anderen beiden sind es nicht. Meine Frau ist jetzt FHV-Leiterin und ich bin Finanzsekretär.