Schneidemühl, Pommern

mormon deutsch edith gerda rohloffIch bin Edith Gerda Rohloff. Mein Vater war Friedrich Birth und meine Mutter Emma Fritz. Sie wurden Mitglieder der Kirche als ich drei Jahre alt war. Ich war das dritte von 11 Kindern. Für mich war das sehr aufregend, weil ich immer kleine Kinder zu pflegen um mich hatte. Alle zwei Jahre gebar uns meine Mutter ein neues Geschwisterchen. Ich liebte sie alle und dachte oft, dass ich Krankenschwester werden wollte. Wir hatten eine wunderbare Familie, unser Leben war voller Rücksicht füreinander. Meine Eltern waren sehr aktiv in der Kirche, vor allem mein Vater. Mutter war mehr zu Hause. Nach meiner Geburt hatte meine Großmutter, – die Mutter meiner Mutter – mit bei uns gewohnt, und ich wurde sozusagen ihr Kind.

Mein Vater war sehr talentiert und hatte immer Arbeit. Später meinte er, dass er sein eigenes Unternehmen gründen sollte. Er war Glasermeister und etwa 1940 eröffnete er sein eigenes Geschäft in Schneidemühl.

Bei Hitler war es vorgesehen, dass eine Familie mit mehreren Kindern sich ein Haus leisten konnte. Also kauften wir ein Haus für unsere große Familie. Dann sagte meine Mutter: „Wir haben noch einen leeren Raum, dort könnten wir ein Lebensmittelgeschäft eröffnen“ – denn es gab kein Lebensmittelgeschäft in der Gegend und die Dorfbewohner hatten einen langen Weg, um ihre Einkäufe zu erledigen. So eröffneten wir das Geschäft. Ich war damals etwa 11 Jahre alt und habe immer im Laden mitgeholfen.

Mein Vater war sehr aktiv in der Kirche. Vor allem die jungen Leute liebten ihn als Lehrer. Von ihm haben wir unsere Zeugnisse. Er verstand alles, und konnte es in einer angenehmen Weise erklären.

Als ich 20 Jahre alt war, hatten wir Distrikt-Konferenz. Mein Vater kam zu mir und sagte: „Edith, Bruder Langheinrich möchte gern mit dir sprechen.“ Ich dachte: „Was habe ich falsch gemacht?“ Ich war Leiterin einer Primar-Klasse für 12-Jährige in der Gemeinde. Bruder Langheinrich sagte: „Schwester Birth, der Missionspräsident möchte, dass Sie auf Mission gehen. Ich sprach schon mit deinem Vater, und er hat nichts dagegen.“ Es war eine Ehre, zu diesem Zeitpunkt als junges Mädchen so berufen zu werden. Alle jungen Menschen im Zweig waren begeistert, dass ich auf Mission berufen war.“

Bruder Klopfer war unserer Missionspräsident; er war ein sehr liebevoller Mensch. Schwester Klopfer wohnte mit ihren beiden Söhnen im Missionsheim. In der Mission war ich verantwortlich für die Primarvereinigung sowie für alle Druckschriften. Wir hatten einen kleinen Drucker in einem Raum im Missionsbüro. Das Büro war in der Handelsallee 6, in der Nähe des Theaters, es war sehr praktisch. Mittags gingen wir spazieren im Tiergarten und Bellevue-Park. Für uns junge Mädchen war es sehr interessant, weil wir zu verschiedenen Distriktskonferenzen geschickt wurden. Ein Bruder und eine von uns Mädchen haben dann immer eine Ansprache gehalten. Einmal musste ich nach Chemnitz, um an einer solchen Konferenz teilzunehmen. Aus irgendeinem Grund hatte ich mich in der Nacht angezogen und dann kam der Fliegeralarm. Meine Gedanken konzentrierten sich auf die Tatsache, dass ich zur Konferenz gehen musste, und dass ich meinen Koffer bei mir haben sollte. Die Nacht war vollendetes Chaos, aber am Morgen war ich bereit, mit dem Zug nach Chemnitz zu fahren.

Nach zwei Jahren hat man mich gebeten, meine Mission zu verlängern aber meine Mutter wollte das nicht, denn sie brauchte mich zu Hause. Als ich eine Woche zu Hause war, wurde das Missionsbüro bombardiert. Meine Freundin, Erika Müller, war ganz allein im Büro, als die Bomben fielen. Die Fenster gingen zu Bruch und alles, was in der Küche war, wurde verwüstet. Ich selber habe das nicht miterlebt, aber während der zwei Jahre meiner Dienstzeit hatte ich mehrere Anschläge erlebt, die ähnlich abliefen, als wenn wir ständig unter Beschuss lagen. Ich habe nur in Berlin gedient, denn wir hatten keine Missionare anderswo stationiert. Einmal hatten wir alle das Gefühl, dass wir schnell zur Siegessäule rennen sollten, wo sich ein großer Bunker unter der Siegessäule befand. Wir konnten gerade durch den Tiergarten laufen, um dorthin zu gelangen. In jener Nacht haben viele Brandbomben das Haus getroffen, wo das Büro war, und einige Zimmer brannten dadurch aus und wurden unbenutzbar.

Am 26. Januar 1945 mussten wir Schneidemühl verlassen, nachdem mein Vater in die Armee eingezogen wurde. Meine Mutter hatte Angst, was als Nächstes geschehen würde. Wir hörten, dass die Russen immer näher kamen. Meine Mutter war sehr besorgt um uns. Wir hatten zwei große Betriebe, die die Regierung uns befohlen hatte offen zu halten. Mutter und die kleineren Kinder hatten die Erlaubnis Schneidemühl zu verlassen. Wir haben sie dringend gebeten mit den Kleineren die Stadt zu verlassen, aber das wollte sie nicht. Sie hatte Angst, dass sie ihre älteren Kinder nie wiedersehen würde. Wir haben ein Gebet gesprochen, und wie ein Wunder, am nächsten Tag kam unser Nachbar und sagte uns, er würde bald darauf nach Berlin fahren und würde unsere Mutter und die Kinder mitnehmen. Es war eine Antwort auf unsere Gebete. Wir hatten versucht, unsere Mutter zu überzeugen, dass bei uns alles in Ordnung sei und schließlich nahm sie dann den Zug mit den kleineren Kindern nach Berlin. Von dort wollte sie weiter nach Dresden, um Frau Günzel, eine Freundin der Familie, zu treffen.

Wir dachten, es ginge noch eine Weile, doch wir hatten uns geirrt. Nur zwei Tage, nachdem Mutter weggefahren war, fing die russische Armee an, unsere Stadt zu bombardieren. Es war uns zu Ohren gekommen dass Schneidemühl zur Festungsstadt erklärt worden war. Was sollten wir tun? Wir wussten es nicht. Aber wir haben gebetet, dass unser Vater im Himmel uns helfen möge. Wir wollten nicht in Schneidemühl als Teil der Festung verbleiben. Nach den Bombenangriffen packten wir zwei Kinderschlitten mit warmer Kleidung und Essen. Die Schlitten waren der einfachste Transport zu verpacken und sie konnten durch tiefen Schnee gezogen werden.

Ich nahm meine eigenen Schriften und mein Tagebuch mit. Mein Cousin, Wilford Kindt, kam um uns zu helfen. Es war der 26. Januar 1945. Es war über 30 Zentimeter Schnee auf dem Boden und sehr kalt. Wir mussten alles zurücklassen. Wir hatten ein sehr harmonisches Familienleben gehabt und liebten unsere Nachbarn und Freunde und wir haben unser Heim in Schneidemühl sehr geliebt. Wir liebten die Stadt und die Wälder und die Seen. Wir sind fortgegangen in der Hoffnung, eines Tages zurückzukehren, aber dieser Tag ist nie gekommen. Unser Wollen, die Stadt damals zu verlassen musste von Gott inspiriert gewesen sein. Die Zerstörung war überall, aber als wir durch die Stadt gingen, hatte das Feuer gestoppt. Es gab viele Menschen, die vor der russischen Armee in die Stadt geflohen waren.

Noch in Schneidemühl, habe ich eine Kundin von uns auf der Straße getroffen, die sagte: „Ich bin Mitglied der Nazi-Partei, und es ist mir nicht gestattet die Stadt zu verlassen. Aber Sie können zu meinem Bruder in Lebehnke gehen, der hat einen großen Hof und er wird Sie gerne aufnehmen.“

Durch tiefen Schnee sind wir entlang der Autobahn nach Norden gewandert, nahe dem Fluss „Küddow“ zum nächsten Dorf, Lebehnke. Es war über 20° Kälte. Wir waren warm angezogen, aber unsere Schuhe waren nicht für Wanderungen im Schnee geeignet. Das Ziehen der Schlitten ist uns sehr schwer gefallen. Alles, was wir immer haben denken können, war: „Nur weg von dem Russen!“ – Wir haben Lebehnke erreicht, aber der Bauer war auch schon beim Einpacken, denn auch er wollte fliehen. Ohne, dass wir es wussten, hatte die russische Armee schon die Stadt Schönfeld nur 8 Kilometer östlich von uns auf der anderen Seite des Flusses Küddow besetzt.

Am nächsten Morgen konnten wir das Donnern der Artillerie näher kommen hören. Was würde unser Schicksal sein? Wenn wir weiter zu Fuß gingen, würde die russische Armee uns einholen? Dann haben wir uns daran erinnert, dass es einen Bahnhof gab, etwa zwei Kilometer von uns entfernt. Vielleicht fuhr noch ein Zug, den wir nehmen könnten. Mein Vetter Wilford hatte ein Fahrrad und wir schickten ihn zum Bahnhof. Am Bahnhof wurde ihm gesagt, er solle sofort einsteigen, weil der Zug jeden Augenblick wegfahren könne. Wilford sagte ihnen, er hätte seine Cousins im Dorf, die auf ihn warteten. Der Mann fragte ihn: „Was ist dir wichtiger, dein Leben zu behalten oder dein Leben zusammen mit deinen Verwandten zu verlieren?“ Aber Wilford war gesegnet, er nahm die Gefahr auf sich und eilte zurück, so schnell er konnte, und sagte uns, es wäre ein Güterzug, der Soldaten in die Kampfzone gebracht hatte. Dieser Zug wurde nun mit Offizieren der Armee und Flüchtlingen gefüllt. Ich sagte: „Der Zug ist eine Antwort auf unsere Gebete, wenn es der Wille Gottes ist, werden wir diesen Zug erreichen.“ Wir beeilten uns, so schnell wir konnten. So nahe nun an unserem Ziel – würden wir es schaffen? Wir konnten kaum schneller gehen, dann aber sahen uns Soldaten aus einer nahe gelegenen Flak-Einheit und unsere Bemühungen den Zug noch zu erreichen .und mit ihrer Hilfe haben wir den bereits fahrenden Zug dann noch erreicht. Außer Atem und erschöpft, aber emotional tief bewegt, schickten wir unseren Dank an unseren himmlischen Vater.

Obwohl wir es nicht gewusst haben, war Christel im gleichen Zug. In der Verwirrung in Schneidemühl konnte sie uns nicht finden und ging allein auf den Weg zum Lebehnke Bauernhof. Sie wusste, dass wir den Weg gegangen waren, aber sie wusste den Namen des Bauern nicht. So ging sie direkt zum Bahnhof. Da saßen sie und warteten die ganze Nacht auf den Zug. Am Morgen kam dann ein Güterzug, beladen mit Soldaten, die die Front verstärken sollten. Die Soldaten wurden entladen und verwundeten Soldaten und Offiziere wurden in den Zug aufgenommen. Danach durften die flüchtigen Menschen, die den Bahnhof überfüllten, auch einsteigen. Christel war eine der ersten, die den Zug bestieg, wir waren die letzten. Aber wir haben sie nicht getroffen bis wir alle uns in Dresden-Dölschen wiederfanden.

Unter normalen Umständen dauert die Zugfahrt von Schneidemühl nach Berlin 2 ½ bis drei Stunden. Diesmal dauerte es aber acht lange Tage und Nächte. Die Verhältnisse in dem Waggon waren sehr arm. Es gab kein Essen, keine Heizung, kein Wasser und keine Toiletten. Wir teilten das Essen, das wir von zu Hause mitgebracht hatten, mit anderen Menschen. Wir drei Schwestern waren jung und stark und haben geholfen, wo wir konnten. Als der Zug an Bahnhöfen hielt, haben wir die halb erfroren Babys an uns genommen, damit sie wieder warm wurden. Säuglinge und kleine Kinder, sowohl als auch alte Menschen, haben am meisten gelitten und viele starben auf dem Transport. Es war Februar und sehr kalt. Alle waren mutlos, müde, hungrig und fast erfroren. Und der Zug fuhr viel zu langsam, die Leute hatten Angst, dass die russische Armee uns einholen würde und manche sprangen deshalb aus dem Zug. Ich habe nie daran gedacht den Zug zu verlassen. Ich dachte, der Zug sei immer noch der sicherste Weg, um zu entkommen. Meine Schwester Ruth ist zweimal aus dem Zug gestiegen, um nach Nahrung zu suchen, und als sie wieder zum Zug zurückkam war er bereits beim Verlassen des Bahnhofs, aber da er war so langsam war, konnte sie ihn wieder einholen.

Wir mussten viele Umwege fahren über Neustettin, Angermünde, Polzin und Stargard in Pommern. In Neustettin kamen viele hochrangige Offiziere in unsern Zug, und sie waren wirklich ein Segen für uns. Sie mussten so schnell wie möglich nach Berlin und das hat sicher dazu beigetragen, dass der Zug schneller fahren konnte.

Um ein Uhr in der Nacht schrieb ich mein Tagebuch. Alle um mich herum haben geschlafen. Ich saß auf unserem harten Schlitten und mein Rücken schmerzte. Der Zug war schon für mehr als 20 Stunden auf einem Abstellgleis, und wir haben nicht gewusst warum. Wir hatten keine Funkverbindung gehabt und haben nicht gewusst, wie weit die russische Armee von uns entfernt war. Was würde unser Schicksal sein? Die Angst, dass wir in die Hände der Russen kommen könnten war immer dabei. Aber immer wenn ich gebetet habe, überkam mich ein ruhiges Gefühl. Als ich still mit meinen eigenen Gedanken dort saß, hörte ich andere Flüchtlinge im Zug singen. Der Tod hatte ihnen das Baby genommen und die Familie fand Trost in einem Lied: „Herr, nimm meine Hände und führe mich.“

Ein melancholisches Gefühl kam über mich. Tränen rollten über meine Wangen. Ich erinnerte mich an dieses Lied aus den Tagen, als wir es zu Hause oder in der Kirche gesungen hatten. Aber irgendwie hat diese Hymne mich auch erhoben und mir ein gutes Gefühl der Zuversicht gebracht. Die schrecklichen Bilder der Flüchtlinge, die Kontakt mit den Russen gehabt hatten und in meinem Kopf verblieben waren, verblassten langsam und ein positiver Ausblick kehrte zurück, denn ich wusste, der Herr war mit uns. Auf dem Bahnhof stehen mit dem Wissen, dass die russischen Armee jede Stunde näher rückte, vertiefte unsere Angst, aber ich fühlte mich trotzdem wohl geborgen in dem Wissen, dass wir mit der Hilfe des Herrn sicher unser Ziel erreichen würden.

Nach acht langen Tagen kamen wir in Berlin in der Mitte eines Luftangriffes an. Unser Zug hielt vor dem Bahnhof und fuhr nicht in die Station ein, bis der Luftangriff vorüber war. Von Berlin nach Dresden ist der Zug gefahren wie in Friedenszeiten. Wir konnten es nicht fassen. Dort war es wärmer und es gab keinen Schnee. Wir wussten nicht, was wir mit unseren Schlitten tun sollten. So nahmen wir sie mit uns in die Straßenbahn bis an die Endstation. Aber wir hatten ein Problem. Wie sollten wir zu Frau Günzels Haus kommen? Ein Mann sah unser Dilemma und fragte uns, wo wir hingehen wollten. Wir sagten ihm, „nach Dölzschen“. Er sagte: „es liegt droben auf dem Gipfel des Berges. Bleiben Sie hier, ich werde mein Auto holen und Sie hinfahren.“ Der nette Mann hat uns wirklich hingebracht, wo wir dann unsere Mutter und die jüngeren Kinder wieder sahen.

Frau Günzel hatte alles organisiert. Wir würden für die Nacht in benachbarten Häusern verbleiben, aber im Laufe des Tages blieben wir dann doch bei ihr. Wir durften ihre Küche benutzen, um Mahlzeiten für unsere Familie von 11 Personen vorzubereiten. Es musste wohl eine Abwechslung für Frau Günzel gewesen sein, so viele Menschen in ihrem Haus zu haben. Sie war sehr großzügig. Ein Telegramm von Christel war gekommen, das uns mitteilte, dass sie in Berlin war und an diesem Abend zu uns kommen würde. Abgesehen von meinem Vater, waren alle lebenden Familienangehörigen wieder zusammen an einem sicheren Ort. Aber war es auch ein sicherer Ort?

Dölzschen war ein kleines Dorf auf einem Hügel mit Blick auf Dresden etwa 15 Minuten mit der Straßenbahn von Dresden entfernt. Dresden war eine schöne Stadt, vielleicht die schönste Stadt in Deutschland. Die Stadt hatte unersetzliche Bauwerke und Schätze der Barock-Zeit. Nicht nur die Stadt war schön, sondern auch die umliegenden Berge. Die Windungen des Flusses waren hinter den prachtvollen Bauten herrlich anzuschauen. Wir meinten, dass wir dort bleiben würden, bis der Krieg zu Ende war und dann wieder zu uns nach Hause in Schneidemühl zurückkehren würden.

Aber es zeigte sich, dass alles anders kam, als wir geplant hatten. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945, weckten uns die Sirenen des ausgelösten Luftalarms auf. Ich schlief im Haus eines Nachbarn, bin aber schnell zu meinen Lieben gelaufen, die nie wirklich einen schweren Luftangriff erlebt hatten. Ich erinnerte mich an die Luftangriffe aus Berlin und versuchte, meine Familie zu beruhigen, aber dieser Angriff war viel schlimmer als die Angriffe die ich in Berlin erlebt hatte und ich war sehr ängstlich. Die Flugzeuge haben ihre Bombenlast meistens mit schrecklichem Lärm über Dölzschen fallen lassen. Einige Fenster in unserem Haus gingen kaputt und das Dach wurde beschädigt und damit hatten wir wirklich noch viel Glück. Dölzschen war nicht das Ziel gewesen, sondern Dresden. Nach dem Luftangriff gingen wir aus dem Haus und sahen in Richtung Dresden. Die Stadt war eine brennende Fackel. Die Alliierten hatten ihre Spreng- und Brandbomben über der Stadt fallen lassen. Diese Bomben legten Gebäude und sogar das Straßenpflaster in Brand. Menschen, die sich aus dem Feuer zu retten versuchten, wurden vom Feuersturm auf den Straßen erfasst und sehr schnell selbst zu lebenden Fackeln und teils sogar in die Feuersbrunst hinein geblasen. Etwa 30 Minuten später wiederholte sich der Angriff. Er war wie der vorherige, aber noch viel schlimmer. Weil die Stadt voller Flüchtlinge war, konnte niemand wirklich sagen wie viele Menschen getötet wurden. Die Schätzungen erreichten die Zahl 300.000.

Nach den beiden schrecklichen Luftangriffen waren meine Mutter, wir Kinder und Frau Günzel so erschrocken, dass wir nicht mal eine Nacht mehr in der Nähe von Dresden bleiben wollten. Aber wo könnten wir hingehen und einen friedlichen Ort finden? Wir kannten keinen Ort in der Gegend. Mit der Kirche Jesu Christi hatten wir in Dresden noch keinen Kontakt aufgenommen. Dann fiel mir ein, dass ich auf meiner Mission eine Mitarbeiterin Gretel Dzierzon hatte, die in Geyersdorf, in der Nähe des Erzgebirges, wohnte. Wir packten unsere wenigen Habseligkeiten zusammen und gingen zum nächstgelegenen Bahnhof in Pirna, weil keine Busse oder Straßenbahnen in unserer Nähe fuhren. Es war ein Weg durch die Ruinen und zerstörten Straßen Dresdens und schreckliche Bilder taten sich uns auf. Dieser lange Weg war sehr hart für meine Mutter, die jetzt schon über 50 Jahre alt war und nicht mehr in so guter körperlicher Verfassung wie einst, aber sie war entschlossen, mit uns zu gehen und wir halfen ihr so gut wir konnten. Wir waren erschöpft, als wir ein kurzes Stück vor Pirna an Bord des Zuges stiegen, aber immerhin waren wir damit auf dem Weg. Wir mussten noch einige Male den Zug wechseln, aber nach zwei Tagen erreichten wir unser Ziel.

Der Zug blieb an einem kleinen Dorf stehen. Ich erinnere mich noch besonders gut daran. Hier kamen die Dorfbewohner mit Broten und Getränken für die Menschen, die im Zug waren. Ich fragte die Frauen, ob sie für das Rote Kreuz arbeiteten. Sie antworteten: „Nein, wir haben gesehen, wie jeden Tag Züge mit Flüchtlingen hier halten. Die Menschen die ihr Haus und Land verlassen mussten taten uns Leid und wir wollten ihnen helfen. Wir haben jede Familie im Dorf darum gebeten Brote am Abend vorzubereiten. Wir holten sie am Morgen ab und brachten sie zu diesem Zug.“ – Ich war so beeindruckt von der Güte dieser Menschen, dass ich sie nie vergessen wollte. Der Name dieses Dorfes war Großenhain.

Wir hatten keine Möglichkeit Schwester Dzierzon über unsere Ankunft zu informieren Wir konnten nur mit unserer großen Familie zu ihrem Haus gehen und dort um Hilfe bitten. Wir waren sehr müde und diese wunderbaren Mitglieder haben Plätze für uns gefunden, wo wir schlafen konnten. Am nächsten Tag bin ich zum Bürgermeister des Dorfes gegangen und habe ihm unsere Situation geschildert. Mit Hilfe dieses freundlichen Bürgermeisters erhielten wir dann auch Wohnraum für unsere große Familie. Es war bewegend, zu sehen, wie bereit diese Menschen waren uns zu helfen. Wegen der Größe unserer Familie konnten wir nicht alle beisammen sein. Wir hatten Zimmer bei verschiedenen Familien gefunden, aber wir hatten ein Dach über dem Kopf, Möbel die uns Bequemlichkeit boten und ein Bett, in dem wir schlafen konnten. Jetzt hatten wir keine Bomber mehr, aber wir hatten tief fliegende Fliegerangriffe. Sie schossen auf alles was sich bewegte. Als wir am Sonntag in die Kirche der Gemeinde Annaberg-Buchholz gingen, mussten wir aufpassen und Schutz suchen, wenn die Kampfflugzeuge Spitfire angriffen. Schutz suchen hieß, in unserer Sonntagskleidung auf den Boden fallen lassen und sich nicht bewegen. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. An manchen Sonntagen verblieben wir auch in Geyersdorf und hielten unsere Treffen im Hause der Familie Schaarschmidt ab. Es war zu gefährlich, in die Kirche zu gehen.

Vom ersten Tag an gefiel uns die Bergregion, die das Erzgebirge umfasst. Wir gingen gerne durch die Berge, über die grünen Wiesen und wanderten nur zu gerne durch die herrlichen Blumengärten. Die sechs Monate Aufenthalt in diesen herrlichen Landstrichen waren ein besonderes Erlebnis für uns. Wir liebten die Menschen und die große Gemeinde. Es war so schön unter den Mitgliedern zu sein, die Kirche zu besuchen und die geistigen Treffen mit zu erleben. Meine Mutter liebte ihren Aufenthalt im Erzgebirge. Ja, sie vermisste alles, was wir verloren hatten – ihre Heimat, ihr Geschäft – aber zum ersten Mal hatte sie die Zeit gehabt, das Buch Mormon vom Anfang bis zum Ende zu lesen und erhielt daraufhin ein großartiges Zeugnis von der Wahrheit des Evangeliums.

Wir besuchten unsere Versammlungen in Annaberg. Es war ein wunderbarer Zweig der Kirche. Oh, ja, es war schön für uns alle! Nachdem die Tiefflieger uns auf dem Weg zur Gemeinde angegriffen hatten, sagte unser Zweigpräsident, wir sollten unsere Sitzungen lieber in Geyersdorf abhalten, was wir dann auch taten, wodurch wir uns etwas geschützter fühlten.

So bald wie möglich habe ich Arbeit gesucht und fand eine Stelle als Verkäuferin in einer Metzgerei. Mit einer Lebensmittelkarte konnte jedes Produkt gekauft werden. Als die Russen einzogen, veränderte sich nichts für die Deutschen; wir hatten noch Lebensmittelkarten, aber die russischen Soldaten nahmen alles, was sie kriegen konnten. Sie kamen, schwangen ihre Waffen herum und wenn man nicht tat, was sie sagten, konnten sie denjenigen erschießen. Eines Tages, kamen etwa fünf russische und tschechische Soldaten in den Laden und forderten von mir alle Wurst, die ich hatte. Ich gab ihnen alles, was ich hatte. Sie wollten noch mehr, und ich sagte ihnen, die Wurst war alle. Sie richteten ihre Gewehre auf mich und sagten, sie würden das Haus durchsuchen und wenn sie mehr Wurst fänden, würden sie mich erschießen. Mein Herz hämmerte sehr stark, aber ich stand zu dem, was ich gesagt hatte. Man glaubte mir und ging, ohne weiter zu suchen. Ich wusste nicht, was über Nacht passiert war, aber während ich mit den Soldaten gesprochen hatte, war mein Chef hinter der Tür und hörte zu, was vor sich ging. Er hatte die ganze Nacht gearbeitet, um mehr Wurst zu machen. So hatten wir reichlich. Hätten die Soldaten das Haus durchsucht, würden sie die Wurst gefunden haben und ich wäre sicherlich in Schwierigkeiten geraten.

Am nächsten Tag hatte ich ein anderes Problem. Als ich im Geschäft war, kamen russische Soldaten in mein Schlafzimmer und haben meinen Wintermantel und alle meine Kleider gestohlen. Die Leute dort im Erzgebirge waren arm; sie hatten Vertrauen zueinander und haben ihre Häuser nicht abgeschlossen. Aber auch hier haben Mitglieder der Kirche geholfen. Sie fanden Stoff und nähten zwei Kleider für mich.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir nichts von meinem Vater gehört. Wir wussten, dass unsere Heimatstadt zur Festung erklärt worden war, und dass dort viel gekämpft wurde. Eines Tages bekam unser Vetter, Wilford Kindt, einen Brief von einem Freund. Es berichtete, er habe gehört, Herr Birth war im Kampf gefallen und wurde in Königsblick, ein Wald in der Nähe von Schneidemühl, begraben. Wir Mädchen wollten unsere Mutter schützen und haben versucht einen Weg zu finden, um ihr die traurige Nachricht mitzuteilen. Sie hatte schon ihre beiden Söhne, Gerhardt und Nephi, durch den Krieg verloren und jetzt auch noch unseren Vater. Wir versuchten unsere Trauer, vor der Mutter zu verstecken. Aber sobald wir allein waren überkam sie uns, und Tränen rollten über die Wangen. Wir liebten unseren Vater sehr.

Irgendwie bekam meine Mutter das Gefühl, dass es etwas gab, worüber wir nicht reden wollten. Sie wusste, dass ich ein Tagebuch geführt hatte. Eines Tages ging sie in mein Zimmer, während ich bei der Arbeit war und hat mein Tagebuch gefunden und über meinen Vater gelesen. Sie ging in ihr Zimmer, weinte und betete lange. Nach einer Weile kam ein besonders starkes Gefühl über sie, dass mein Vater, ihr Mann, nicht tot sei, sondern er benötige unsere Gebete. Sie rief uns zusammen und wir beschlossen, dass wir jeden Freitag, fasten würden.

Die Mitglieder unserer Gemeinde haben nicht verstanden, warum meine Mutter ihre Kinder zwang, jeden Freitag zu fasten und zu beten, wo sie doch schon erfahren hatte, dass ihr Mann tot sei. Doch Ihre Gefühle waren so stark, dass sie wusste, dass unser Vater die Hilfe brauchte und wir konnten und mussten ihn durch unser Fasten und Beten unterstützen. Niemand konnte ihr die Kraft ihres Glaubens nehmen. Sie hat uns nicht dazu gezwungen. Sie gab uns die Wahl und sagte: „Ihr braucht nicht fasten – aber ich werde fasten, bis ich das Gefühl habe, dass es genug ist.“ Alle ihre Kinder unterstützten sie und unseren Vater und fasteten jeden Freitag für die nächsten 13 Wochen.

Nach fast sechs Jahren war der Krieg endlich vorüber, als Deutschland am achten Mai 1945 kapitulierte. Wir waren froh, dass es vorbei war, doch Deutschland war zwischen den siegreichen Nationen aufgeteilt worden – Russland, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Frankreich. Das ganze Gebiet, in dem wir wohnten und unsere Heimat war, das gesamte Gebiet östlich der Oder wurde Polen zugeteilt. Die Deutschen, die noch dort lebten, hatten nun die Heimat zu verlassen. Es gab keine Hoffnung, dass wir jemals in der Lage sein würden, nach Hause in die Heimat zurückzukehren. Unsere Familie war gespalten, und wir lebten in verschiedenen Häusern. Ja, alle waren nett zu uns, aber es war keine Situation, in der wir eine längere Zeit hätten leben können. Außerdem mussten wir Lebensmittelkarten haben, um zu essen und für uns gab es hier keine Karten mehr.

Eines Tages, wir hatten Besuch aus der Niederlassung der Kirche in Cottbus. Präsident Fritz Lehnig und Walter Krause lud uns ein, nach Cottbus zu kommen. Bruder Paul Langheinrich von der Missionspräsidentschaft war mit ihnen. In Cottbus hatten die Brüder einen Teil ihres Versammlungshauses in ein Flüchtlingslager umgewandelt. Viele Mitglieder aus den ehemaligen ostdeutschen Provinzen hatten dort eine Bleibe gefunden. Die Brüder luden uns ein dorthin zu ziehen. Alle Mitglieder Flüchtlinge folgten ihrem Rat. Es war schwer für uns Geyersdorf zu verlassen. Wir hatten dort für sechs Monate gelebt und geliebt. Aber wir fühlten Cottbus war eine Antwort auf unsere Gebete.

Ich habe darüber in meinem Tagebuch geschrieben. Wir waren 31 Frauen und Kinder, darunter zwei Babys und ein junger Mann, der sein Bein im Krieg verloren hatte. Wir verließen Geyersdorf am 17. Juli 1945. Lucy Meyer und Ingrid Bender haben uns betreut auf dem Weg nach Cottbus. Meine Schwester Ruth und ich haben dabei geholfen. Es war ein großes Unternehmen, weil es keine regulären Züge gab. In Annaberg, sind wir mit einem Zug gefahren, der nach Riesa fuhr.

Es regnete in Strömen und fast alle Fenster im Zug waren defekt; sie wurden zum Teil nur mit Pappe abgedeckt, und das Dach war undicht. Ich sah die Schäden, die die Luftangriffe und der Krieg gebracht hatten. Ganze Blöcke Häuser waren niedergebrannt und zerstört worden. Es war schrecklich, was dieser Krieg in unserer schönen Heimat angerichtet hatte. Es hat uns den ganzen Tag gekostet nach Riesa zu reisen – nur etwa 128 Kilometer. Dort sind wir die ganze Nacht im Bahnhof geblieben – es schien uns der sicherste Ort zu sein. Tausende von Menschen waren noch auf dem Weg auf der Suche nach einem Ort, wo sie ein neues Leben beginnen konnten. Am nächsten Morgen hatten wir natürlich Hunger. Schwester Wetzer hat uns dann geholfen. Sie hatte noch etwas Sahne für Weizen und wir fanden einige leere Dosen, machten ein Feuer an und hatten eine gute Suppe mit Geschmack. Dann haben wir auf den Zug gewartet. Um 12 Uhr kam endlich ein Personenzug – überfüllt, wie jeder andere auch, aber die Menschen waren überall, selbst auf den Trittbrettern, den Dächern und den Puffern des Zuges. Doch haben wir alle noch einsteigen können.

Mein Mann und ich waren schon immer sehr gute Freunde gewesen. Als er Soldat war, kam er so oft er konnte nach Schneidemühl. Zu jener Zeit war ich mit einem jungen Mitglied verlobt, der später im Krieg gefallen war. Aber als mein zukünftiger Mann unsere Familie besuchte, hatte immer gefragt, ob wir die Heilige Schrift zusammen studieren könnten. Er liebte Schneidemühl sehr und wir kamen immer sehr gut miteinander aus. Und das hatte sich in den vielen Jahren wo wir zusammen waren auch nicht geändert.