Hamburg
Mein Name ist Emmy Elfriede Eva Back, geborene Lutz. Am 17.Februar.1933 kam ich in Hamburg zur Welt. Meine Eltern liebe ich sehr. Meine Mutter, Emmy Lutz geborene Ahr wurde in Wuppertal geboren und stammt aus einer sehr wohlhabenden Familie. Mein Großvater war Teilhaber einer Bank, Bankhaus Ahr, Kradt & Co in Wuppertal. Meine Mutter ist entsprechend erzogen worden und war einige Jahre im Töchterheim Parsi, einer Schule für „höhere Töchter“. Dort lernte sie unter anderem wie man mit anderen Menschen Konversation betreibt, sie konnte herrlich Klavier spielen und lernte sehr schön zu dekorieren, aber einen Beruf erlernte sie nicht. Ihrem Vater – meinem Großvater – legte man nahe, meine Mutter Musik studieren zu lassen. Mein Großvater sagte: „Pianistin? Meine Tochter spielt doch nicht vor anderen Leuten für Geld!“ – Die jüngere Schwester meiner Mutter heißt Hildegard und sie verstanden sich sehr gut.
In den 30iger Jahren litten alle unter der großen Weltwirtschaftskrise. Mein Großvater war allein haftender Teilhaber der Bank. Er musste alles verkaufen, Häuser, Grundstücke – alles. Unter diesen veränderten Umständen wollte er nicht mehr in Wuppertal leben und zog mit der Familie nach Hamburg. Er kam sich sehr arm vor.
In Hamburg kaufte er den „Schnelsener Hof“, ein sehr bekanntes Gasthaus. Meine Großmutter hat sich um die Küche gekümmert und die beiden Töchter haben die Gäste bedient. Für Großvater war das eine völlig neue Welt! In Wuppertal war er sehr bekannt und geachtet, hier im Gasthaus riefen die Gäste den Töchtern zu, „He, Kleine, noch ’ne Tasse Kaffee!“ Das gefiel ihm nicht. Wenn Gäste etwas zu fröhlich wurden, dann hat er sie höflich aber bestimmt hinaus gebeten. Lockeres, leichtfertiges Reden mit seinen Mädchen oder mit seiner Frau, nein, das duldete er nicht. Folglich konnte er das Gasthaus nicht halten. Später arbeitete er beim Finanzamt. Meine Mutter hat dann in einem Friseursalon geholfen, ihre Schwester, meine Tante arbeitete in einem Kolonialwarenladen. (Lebensmittelgeschäft, Einzelhandel.)
Mein Vater war ein jungen Mann und wie viele Männer damals hatte er keine Arbeit. Er half bei seinem Großvater mit, der ein Schiff besaß. Vater war Mitglied der Waffen-SS. Auch hatte er einen guten Freund die beide hin und wieder ausgingen. Dabei trafen sie dann auch die Schwestern Emmy und Hildegard und lernten sich kennen. Meine Tante Hildegard hieß bald Hildegard Grünke, als sie den einen der beiden Freunde geheiratet hatte
Sie haben sich dann häufiger getroffen. Mein Vater ging aber nicht mehr zur Waffen-SS, weil Emmy (meine Mutter) nicht viel von dieser Organisation gehalten hat. Er sah auch ein, dass die Waffen-SS nicht richtig war. Beide liebten sich, hatten geheiratet und waren glücklich. Sie lebten in nur einem Zimmer! Mutter erzählte davon, dass das Essen sehr knapp war. Es gab gekochte Kartoffeln, gebratene Kartoffeln, gemuste Kartoffeln (Kartoffelbrei), na ja, Kartoffeln auf jede Weise, viel mehr gab es nicht.
Als ich auf die Welt kam, war mein Vater sehr glücklich. Meine Mutter erzählte oft, dass er ganz stolz mit dem Kinderwagen spazieren gegangen sei, was damals noch nicht so üblich war wie heute. Zu Beginn des Krieges wurde mein Vater von der Wehrmacht als Soldat eingezogen, aber die Waffen-SS hatte protestiert, er sei einer der Ihrigen und so wurde er dort eingesetzt. Inzwischen hatten meine Eltern auch eine kleine Wohnung am Grevenweg bekommen.
Als die Männer im Krieg waren, zogen die Frauen gemeinsam in die Wohnung am Grevenweg. Meine Tante führte das Büro ihres Mannes weiter und meine Mutter betreute uns Kinder: Meinen Bruder Gerhard, Ursel die kleine Tochter meiner Tante Hildegard und Onkel Kurt, dem Freund meines Vaters, und mich.
Dann geschah etwas, das ich heute als etwas ganz besonderes erkenne: Wenn die Sirenen heulten und Fliegeralarm war, dann gingen wir in den Keller des Mietshauses in dem wir wohnten, genau wie alle anderen Bewohner auch. Dort war ein Raum hergerichtet mit Betten und Spielzeug, da konnten die Kinder spielen und wenn dann die Sirenen Entwarnung anzeigten, gingen alle wieder hinauf in ihre Wohnungen. Eines Tages sagte meine Mutter: „Lasst uns heute mal in den neuen Bunker gehen.“ Damals wurden sehr stabile Häuser gebaut, wo sich die Menschen bei Angriff zurückziehen konnten, um vor den Bomben sicherer zu sein. Diese Bunker bestanden aus Mauern, die teilweise meterdick waren und zusätzlich durch ein Eisengeflecht noch stabiler gemacht waren. Es gibt heute noch (2009) etliche dieser Bunker in Hamburg, weil der Abbruch enorm aufwendig und teuer ist! Also gingen wir in den Bunker. Meine Mutter hatte eine Kinderkarre, darin lag meine Cousine Ursel – mein Bruder und ich liefen hinterher. Für diese Fälle gab es immer eine Nottasche mit den wichtigsten Papieren, Medikamenten und Babysachen zum Wechseln.
In dem Bunker hat es uns aber gar nicht gefallen. Die Leute waren blass – sicherlich weil sie Angst hatten. Es war voll, laut und die Luft war schlecht. Und wir konnten nicht spielen – es war einfach schrecklich. Als der Angriff vorüber war, verließen wir ihn. Draußen brannte alles! Sogar der Straßenbelag aus Asphalt stand in Flammen. Er war geschmolzen und Menschen steckten mit ihren Füßen darin fest, konnten sich nicht befreien und verbrannten bei lebendigem Leibe. Meine Mutter sagte uns nur, „macht die Augen zu und haltet euch an der Karre fest! Wir gehen jetzt zu Oma und Opa!“ Das Haus, in dem wir gewohnt hatten, war nur noch ein Trümmerhaufen. Alle waren tot! Wir gingen den weiten Weg nach Lokstedt, etwa 12 km zu Fuß. Nun gab es in Hamburg nur noch Oma und Opa. Es war die kleinste Wohnung überhaupt, die noch geblieben war — eine kleine Küche, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer von 7 qm! Dort wohnten jetzt sieben Personen, und wenn die Männer vom Fronturlaub kamen, waren es noch zwei mehr. Zurückblickend sage ich heute, der Vater im Himmel hat uns beschützt und geführt. Wären wir in der alten Wohnung im Luftschutzkeller geblieben, wären wir sicher alle tot!
Einmal klingelte es an der Tür, ich ging hin und öffnete. Ein Mann stand davor mit einen gelben Stern an seiner Kleidung, das Zeichen dafür, dass er jüdischer Abstammung war und es war uns nicht erlaubt, mit diesen Menschen zu sprechen. Aber meine Großeltern, die arbeiteten auch mit Juden und so sah ich das nicht so eng. Der Mann fragte, „ist Emmy (meine Mutter) da?“ „Ja“, sagte ich und meine Mutter kam an die Tür. Er sagte zu ihr: „Emmy, wenn Du deinen Mann noch einmal sehen willst, dann musst Du jetzt sofort zum Hauptbahnhof gehen. Da ist ein Eisenbahnwaggon und da ist Dein Mann drin. Ich habe Nachricht bekommen, dass er sofort an die vorderste Front kommt.“ Was das bedeutete, das verstand ich damals noch nicht!
Mein Vater gehörte zwar zur Waffen-SS, trotzdem hatte er auch jüdische Freunde. Meine Großeltern hatten eine Werkstatt, dort wurden Tücher gewebt. Und in dieser Werkstatt arbeiteten auch Juden und sie arbeiteten gerne dort. Man warnte sich gegenseitig. Mein Vater warnte die Juden, wenn wieder ein „Rollkommando“ geplant war, d. h. man wollte Geschäfte der Juden zerstören, kurz und klein schlagen. Auch von den Juden gingen ähnliche Aktivitäten aus, aber davon redet natürlich heute niemand mehr. Unsere jüdischen Freunde haben dann auch meinem Vater Bescheid gegeben, so hat man sich also gegenseitig geholfen. Es gab also durchaus gute zwischenmenschliche Kontakte untereinander!
Meine Mutter ist sofort zusammen mit dem jungen Mann zum Bahnhof gegangen, dort stand auf einem Seitengleis ein Eisenbahnwaggon worin mein Vater war. Er durfte tatsächlich mit meiner Mutter sprechen. Meine Mutter hat mir erzählt, was er ihr in etwa gesagt hat. „Mein Liebling, ich soll etwas tun, was ich nicht tun kann und will. Ich kann dir nichts davon erzählen, sonst kommst du auch noch in Gefahr. Aber ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Pass auf unsere Kinder auf, ich liebe Dich. „Mein Vater war in eine Strafkompanie gekommen. Er sollte in einem KZ gewisse Aufträge ausführen, aber er konnte das mit seiner Auffassung von Ehre und Menschlichkeit einfach nicht in Einklang bringen. Befehlsverweigerer dieser Art wurden direkt an die Front geschickt, als „Kanonenfutter“, Himmelfahrtskommandos dieser Art endeten tödlich. Wir haben Vater nie wieder gesehen, er ist ums Leben gekommen. Trotz allen Kummers darüber bin ich stolz auf meinen Vater, dass er selbst in Kenntnis der Folgen einer Befehlsverweigerung sagte, „nein, so etwas mache ich nicht!“
Wir wohnten also zunächst bei den Großeltern in einer kleinen Wohnung, ein halbes Jahr darauf bekamen wir für uns drei ein 7 qm großes Zimmer. Wir waren „ausgebombt“ wie man damals sagte, weil unsere Wohnung zerstört war. Wir bekamen einen kleinen Ofen und einen kleinen Tisch geschenkt und Luftschutzbetten (Etagenbetten) – sonst hatten wir nichts! Mutter hatte nichts gelernt, außer Klavierspielen. Sie machte jede Arbeit, sie hat sogar Fische im Hafen gewaschen. Schließlich musste sie für die Kinder sorgen. Nach Kriegsende bekam sie auch keine Witwenrente, weil ihr Mann bei der SS gewesen war. Doch die Menschen, besonders die Frauen, haben sich untereinander geholfen. Es gab kaum etwas zu Essen. Aber manchmal klingelte es an der Tür und da stand eine Schüssel mit Kartoffeln oder etwas anderes Essbares. Es war schon wunderbar, wie man sich geholfen hat. Viele Männer waren im Krieg gefallen oder in Kriegsgefangenschaft gekommen. Sogar die Kinder machten mit. Ich selbst habe anderen Kindern bei den Hausaufgaben geholfen, habe auf Kinder aufgepasst, während die Mütter versuchten, irgendwo Lebensmittel aufzutreiben. Schließlich kam ich in das Alter, um in der evangelischen Kirche konfirmiert zu werden; dazu ging ich zum sogenannten Konfirmandenunterricht. Alle waren sehr nett und ich fand es auch interessant. Dann wurde uns gesagt, dass der Glaube eine Gnade Gottes ist und ein Geschenk. Das konnte ich nicht verstehen. Der Diakon, der unser Lehrer war, benahm sich mir gegenüber besonders nett und ich hatte als junges Mädchen ein eigenartiges Gefühl des Unbehagens. Dann hörte ich noch, wie zwei Jungs aus unserer Gruppe darüber sprachen und nun mochte ich gar nicht mehr dorthin gehen. Ich wollte mich nicht konfirmieren lassen. Ich sagte, wenn ich das Geschenk des Glaubens nicht bekomme, dann will ich nicht konfirmiert werden!“ Meine Mutter aber wollte das unbedingt. Sie meinte, Oma und Opa und auch Papa würden das so wollen. So geschah es dann, aber ich bin dann nie wieder dort hingegangen. Ich habe mich anderweitig informiert und habe mit verschiedenen Gruppen ge¬sprochen, so auch mit den Zeugen Jehovas. Aber das war alles nicht das, wozu mein Herz hätte „Ja“ sagen können.
Natürlich ging ich damals noch zur Schule. Zunächst war ich in der Mittelschule in Niendorf, dort konnte man die „Mittlere Reife“ (Abschluss 10. Klasse) machen. Die Lehrer haben dann meiner Mutter empfohlen, dass ich das Abitur anstreben sollte. Dazu musste ich ans Gymnasium am Berliner Tor. Das war quer durch die Stadt, weiter als bis zum heutigen Pfahlhaus, also etwa 14 km. Auf die öffentlichen Verkehrsmittel konnte man sich naturgemäß noch nicht so recht verlassen, die Straßenbahnen fuhren nur unregelmäßig. Außerdem war Schulgeldzwang, und die Schulbücher musste man auch bezahlen. Zuerst konnte meine Mutter das finanzieren und ich ging gern auf diese Schule, Dann kam mein Bruder Gerhard auch in das Alter und sollte aufs Gymnasium. Einmal saßen meine Mutter, mein Bruder und ich an dem kleinen Tisch. Mutter hatte eine Kerze angezündet und das war immer das Signal dafür, es gibt etwas Besonderes! Sie sagte so in etwa; „ Ihr wisst, wir haben nicht viel Geld. Jetzt soll ich auch noch für Gerhard so viel Schulgeld aufbringen, die Bücher, das Fahrgeld, das kann ich nicht. Gerhard muss eines Tages für eine Familie sorgen, er braucht eine bessere Ausbildung als du, Evalein. du musst von der Schule gehen und dir einen Ausbildungsplatz suchen.“ Das habe ich dann auch getan.
Später lernte ich einen netten jungen Mann kennen. Wir haben geheiratet und wir haben sogar eine Wohnung gefunden. Er hatte eine sehr gute Stimme, konnte gut singen und ich habe dafür gesorgt, dass er an der Oper in Hamburg vorgesungen hat. Man hat ihm dort zu einer Ausbildung verholfen. Wenn er dann mit diesen Leuten zusammenkam, war das etwas schwierig für ihn, Künstler haben manchmal zu den täglichen Dingen des Lebens eine eigene Einstellung. Damit kam ich nicht klar; wir waren wohl auch zu jung und trennten uns. Unseren gemeinsamen Sohn Rico liebten wir beide sehr; er blieb bei mir.
Eines Tages klingelte es bei mir an der Tür. Da standen zwei junge Männer im Anzug mit weißem Hemd und einem Namensschild davor und fragten, „wollen Sie etwas über Jesus Christus hören?“ Ich dachte so bei mir, ich habe viel gelesen und weiß eine ganze Menge. Denen kann ich bestimmt noch etwas beibringen.“ Es waren die Missionare der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ und ich war fasziniert. Sie erzählen eigentlich genau das, was ich suchte und was ich brauchte; wenn es wirklich einen Gott gab und Er hatte damals zu den Men¬schen gesprochen, warum sollte Er das jetzt nicht auch tun!? Wenn wir alle seine Kinder sind, muss jemand zu uns sprechen, dann muss es Propheten geben. Ich war richtig vorbereitet! Die Missionare sagten mir genau das, was ich vorher gefühlt hatte, was ich in anderen Religionsgemeinschaften aber vermisste. Also ging ich mit ihnen in die Gemeinde Eppendorf.
Das „neue“ Leben war für mich nicht schwierig. Meine Mutter fand das alles am Anfang ein wenig seltsam. Gegenüber vom Haus, wo Mutter wohnte, lebte eine Frau, die ebenfalls der Kirche angehörte, Mutter kannte sie ganz gut. So sah sie ein, dass es für mich nichts Gefährliches sein konnte, ein Mitglied der Mormonenkirche zu sein, In der Gemeinde wurde ich recht schnell in die Primarvereinigung berufen. Anfangs hatte ich Probleme, ein Gebet zu sprechen. Laut und im Beisein anderer Menschen zu beten war eben ungewohnt.
An meinem Arbeitsplatz lernte ich einen ganz besonderen jungen Mann kennen – Klaus Peter Back. Er achtete immer darauf, dass in meiner Gegenwart keine schmutzigen Witze erzählt wurden. Auch half er mir immer, wenn ich Fragen hatte, weil dies eine neue Arbeitsstelle für mich war. Wir kamen uns näher und verliebten uns ineinander. Für mich war eine neue Bindung überhaupt keine Frage, ich wollte nicht wieder heiraten. Aber, wie das eben so ist, 1962 haben wir in Hildesheim geheiratet, nachdem er wieder zurück in seine Heimat Hildesheim gegangen war. Ich hatte ihm damals schon gesagt, dass ich eines Tages im Tempel heiraten möchte, das war mir wichtig, dass er das weiß, und er stimmte zu, ohne nun zu dem Zeitpunkt genau zu wissen, was das auch für ihn bedeutete.
In Hildesheim war ich zunächst etwas unsicher; so eine kleine Stadt, etwa 100.000 Einwohner. Mein Mann zeigte mir den Hildesheimer Hafen, so ein kleiner Minihafen am Mittellandkanal, und ich musste lachen. Auch sonst, Hamburg ist Hamburg – aber unser Platz war nun hier. Wir gingen zur Kirche. In der Theaterstraße war ein kleines Gemeindezentrum in einer Wohnung untergebracht. Aber es war die Kirche des Herrn. Die Missionare besuchten uns auch hier und nach einiger Zeit spürte ich, dass meinem Mann klar wurde, was er suchte. Die Zeugen Jehovas blieben außen vor, die guten Belehrungen durch die Elders und die freundlichen Gemeindemitglieder bewirkten, dass er sich mehr und mehr zur Kirche hingezogen fühlte.
1967 zogen wir dann nach Hamburg, weil wir in der Flemingstraße durch die Vermittlung einer Freundin eine hübsche Wohnung fanden. Wir lasen viel in der Schrift, jeder für sich und auch gemeinsam. Oft riefen wir uns zu, hör mal, ich habe das und das gelesen und wir verspürten gemeinsam dieses gute Gefühl, das Richtige zu tun. Am 6. Januar 1968 wurden mein Mann und Sohn Rico getauft – – das war wunderbar. Aus unserem Glauben ist in der Zwischenzeit ein Wissen geworden. Es änderte sich auch einiges. Erst war ich immer diejenige gewesen, die sagte, der Vater im Himmel hat uns diesen Weg gezeigt oder wir sollten jeden Sonntag in die Gemeinde gehen. Es wurde aber mehr und mehr, dass er sagte: „Hör mal, das müssen wir aber so oder so machen.“ Er wusste bald vieles besser!
Mir hatten die Ärzte gesagt, dass ich nicht mehr Mutter werden könne. Dennoch haben wir im November 1965 unseren Sohn Oliver bekommen. Der Preis war nicht gering, ich war sehr krank, man attestierte mir acht verschiedene Krankheiten, das war genug. Ich lag nach der Geburt noch einige Monate im Krankenhaus und bin nie wieder richtig gesund geworden.
Mit meiner Gesundheit war es in Hamburg nicht anders. Auch hier war ich in permanenter Behandlung. Der Arzt sagte mir, ich sollte am besten ins Krankenhaus gehen, weil er die Verantwortung nicht übernehmen könne. Die Ärzte im Hildesheimer Krankenhaus hatten alle meine Unterlagen und kannten meinen Gesundheitszustand genau. So haben wir uns entschlossen, zur Untersuchung und Behandlung nach Hildesheim zu fahren, Die Fahrt war für Montag geplant. Am Sonntag fragte mich der Bischof, ob ich schon einen Krankensegen bekommen hätte. Ich sagte: „Nein, mein Mann hat doch noch nicht das Priestertum.“ Da gaben mir die Brüder der Eppendorfer Gemeinde einen Krankensegen.
Nach der Versammlung sind wir nach Hause gefahren. Wir hatten eine Freundin im Auto, Schwester Iris Schmidt (geb. Stelzner) Sie kam noch auf einen Sprung in unsere Wohnung. Es ging mir viel besser. Mein Mann wollte, dass ich mich ausruhe, aber ich konnte mich schon wieder richtig unterhalten, kein Flüstern mehr. Am nächsten Morgen wollte ich gar nicht mehr nach Hildesheim fahren, weil es mir besser ging. Mein Mann bestand auf der Fahrt, weil er das Risiko nicht eingehen wollte, dass es mir wieder schlechter geht.
Wir kamen in Hildesheim an. Sofort wurde ich im Rollstuhl ins Krankenzimmer gebracht und schon bald begannen die Untersuchungen Röntgen, EKG usw. Nach den Untersuchungen kam die Schwester etwas irritiert in mein Zimmer. Sie sagte, „es ist etwas nicht in Ordnung, wir müssen die Untersuchungen alle wiederholen.“ Dann kam das Gespräch mit dem Arzt. Prof Möller kannte den Verlauf meiner Krankengeschichte genau. Er war erstaunt. „Was hast Du gemacht, Mädchen. Das sind die Aufnahmen, die wir bei Dir gemacht haben, als wir Dich von hier entlassen haben. Das sind die Aufnahmen vom Arzt in Hamburg vor 14 Tagen. Und das sind die Aufnahmen von heute, das sind nicht dieselben. Mensch! Du bist nicht gesund, aber Du warst sterbenskrank! Was hast Du gemacht?“ — „Ich habe einen Krankensegen bekommen!“ Er konnte nicht viel dazu sagen, „Na ja, wenn es hilft!“
Ich habe die Unterlagen mitgenommen. Also konnte ich richtig belegen, wie dieser Krankensegen sich ausgewirkt hat. Ich konnte es zeigen. Das ist wirklich eine besondere Begebenheit für uns und auf diese Weise sind so einige Dinge geschehen.
Mein Mann träumte vor nicht langer Zeit mehrfach von seiner Mutter. Einmal fuhr mich mein Mann mit dem Auto zu einem Termin. Er sagte, „dreh Dich mal um, die Frau hinter uns am Steuer sieht aus wie Mutter.“ Ich tätschelte seine Hand und dachte, „na ja, Mäuschen, “ – ich drehte mich um und war wie vom Blitz getroffen – die Frau hinter uns sah exakt so aus wie meine Schwiegermutter. Mir kamen die Tränen. Zu Hause angekommen, rannte ich die Treppen hinauf in das Zimmer, wo der Computer steht. Ich schaltete ihn ein. Ihr Name war eingetragen. Für den Schwiegervater und den Schwager waren alle Arbeiten im Tempel gemacht, aber nicht für meine Schwiegermutter. Sie hatte sich auf diese Weise bemerkbar gemacht, und sich an uns gewandt. Wir haben die Arbeit sofort nachgeholt.
Ein junger Mann aus Venezuela hat eine Zeit lang bei uns in der Firma die Reinigung durchgeführt. Er hilft jetzt bei uns im Haus. Wir haben eine Stickerei an der Wand, auf der steht „Familys are forever.“ Als er das sah, sagte er, das will ich auch. Eines Tages erzählte er mir, dass seine Mutter gestorben sei. Er war sehr traurig. Sie lebt in seiner Heimat Venezuela. Er erzählte, „Frau Back, ich träume von meiner Mutter, immer wieder, sie sagt, hilf mir in meine weißen Schuhe. Ich weiß gar nicht, was das bedeuten soll.“ Darauf sagte ich, „Breyner, Ihre Mutter ist jetzt drüben in der anderen Welt. Sie kennt mich auch. Sie weiß, dass ich verstehe, was das bedeutet. Ich denke, sie möchte, dass wir etwas für sie im Tempel tun.“ 14 Tage später erzählt er “ Frau Back, meine Schwester aus Venezuela hat mir erzählt, dass sie oft von unserer Mutter träumt. Mutter will immer, dass ich ihr helfe, ihre weißen Kleider anzuziehen.“ Die Schwester in Venezuela weiß nicht, dass ich Mitglied der Kirche bin. Nun verstand Breyner. Er besorgte die Daten seiner Mutter und wir haben veranlasst, dass die Arbeit im Tempel gemacht wurde. Er ist dankbar dafür, hat drei Gespräche bei uns mit den Missionaren gehabt und liest im Buch Mormon.
Für mich sind das ganz besondere Erlebnisse. Ich weiß, dass Verstorbene in der Geisterwelt Möglichkeiten haben und mit uns Verbindung aufnehmen können. Sie wissen, was für sie notwendig und wichtig ist. Ein sehr kostbares Geschenk bekam ich, als mein Mann zum Pfahlpräsidenten berufen worden war. Er rief mich an und ich war vollkommen überrascht. Das war, nachdem die Generalautoritäten die Entscheidung gefällt und mit Klaus gesprochen hatten. Für mich ist die Berufung zum Pfahlpräsidenten heilig. Ich kniete nieder, betete und fragte den Vater im Himmel, ob mein Klaus wirklich diese Berufung bekommen sollte. Ich bekam eine schnelle, überraschende Antwort, „ Ja, ich will es. Er ist viel reiner als Du und Du musst noch viel lernen.“ Das habe ich mir nicht ausgedacht; das war so und hat mir sehr geholfen, meinen Mann in seiner Berufung immer zu unterstützen.
Vor einigen Jahren waren mein Mann und ich damit beauftragt, das Institutsprogramm hier im Pfahl Hamburg aufzubauen. Es gab viel zu tun und eine Menge junger Leute, die auch Hilfe benötigten. Ich konnte nicht immer sofort da sein, außerdem ist meine Gesundheit nach wie vor nicht stabil. Immer hatte ich das Gefühl, ich leiste zu wenig, ich könnte mehr tun. Eines Nachts, oben in unserem Schlafzimmer; ich wache auf und das Zimmer ist hell und warm. Lauter freundliche Wesen sagen, „Du brauchst keine Angst zu haben. Der Vater kennt Dich. Er ist mit Dir zufrieden.“ – Ich dachte, jetzt fang ich auch noch an verrückt zu werden. Ich wecke meinen Mann, der neben mir schlief. „Klaus, Klaus, siehst Du auch, was ich sehe?“ Er rieb sich die Augen, „was ist denn hier los?“ – Seitdem weiß ich, dass der Vater im Himmel Menschen, die ihn lieb haben und die sich Mühe geben, hilft. Er zeigt und sagt ihnen ganz deutlich, was sie machen müssen und wie sie es tun müssen. Für mich ist das ein herrlicher Segen. Ich weiß, wenn ich eines Tages sterben werde, treffe ich meine Mutter wieder, meinen Vater, meinen Bruder, und viele von denen die ich liebe. Das ist wunderschön, und da ist nichts, wovor ich Angst habe.
Einmal wollte mich mein Arzt vor zu viel sportlichen Übungen warnen. „Sie können dabei umfallen und sind tot!“ Ich erwiderte ihm, dass das nicht so schlimm sei für mich. Eher für die, die zurückbleiben. Er war sehr überrascht, so etwas hatte er bisher noch von keinem Patienten gehört. Für mich ist der Gedanke überhaupt nicht schlimm, sondern eher schön. Wenn man einfach so in die andere Welt geht. In meinem Herzen bin ich mir sicher – wenn ich mir Mühe gebe, dann komme ich zurück zum Vater im Himmel und brauche keine Furcht zu haben.