Bolko, Oppeln, Oberschlesien

Mormon Deutsch Hanna Ruth BorcherdingMein Name ist Hanna Ruth Borcherding, geborene Wolfert. Ich bin am 29. Januar 1926 in Bolko Kreis Oppeln in Oberschlesien geboren. Meine Eltern sind mein Vater Gottlieb Wolfert und meine Mutter Martha Wolfert, geborene Sterzik. Wir haben in Gruden Kreis Oppeln gewohnt. Meine Eltern haben den ersten Weltkrieg miterlebt. Sie haben alles verloren. Nach dem Krieg haben sie zusammen mit meinem Onkel Robert Klein in Oppeln einen Großhandelsbetrieb aufgebaut. Das Unternehmen befand sich in Oppeln, Oberschlesien, Zimmerstraße 6. Mein Onkel, Robert Klein, war Teilhaber dieser Firma. Früher hieß die Firma „Wolnitzok und Kaleja“. Aber während der NS-Herr¬schaft musste der Name verdeutscht werden in Wolfert und Klein. Denn unser früherer Name war Wolnitzok.

Ich habe sechs Geschwister. Zwei, eine Schwester und ein Bruder, sind im Kindesalter verstorben. Ein Bruder, Willi Wolfert, ist im Februar 1944 im Krieg gefallen. Mein älterer Bruder, Karl Wolfert, ist kein Mitglied geworden. Er ist vor zwei Jahren verstorben. Zwei meiner jüngeren Brüder leben noch: Ernst und Günter Wolfert. Sie leben beide in der Nähe von Salt Lake City.

Ich bin als Kind evangelisch getauft und mit 14 Jahren konfirmiert worden. Meine Eltern sind sehr oft mit uns Kindern in die Kirche gegangen. Ich kann mich erinnern, dass meine Eltern immer gesucht haben, weil sie festgestellt haben, dass die evangelische Kirche nicht die richtige Kirche ist. Sie haben auch andere Kir¬chen untersucht, aber mit keiner waren sie vollkommen zufrieden. Ich kann mich auch an meinen Konfir¬mandenunterricht erinnern, in dem uns der Pastor über die Gottheit aufgeklärt hat. Er sagte, dass Gott Vater eine Person ist, dass Jesus Christus eine Person ist und der Heilige Geist ebenfalls. Es waren also drei Perso¬nen. Das konnte ich gut verstehen. Aber dann sagte er, dass alle zusammen nur eine Person sind. Und das konnte ich nicht mehr verstehen. Als ich dann Mitglied der Kirche Jesu Christi geworden war, wurde mir das richtig erklärt, und das habe ich verstanden.

Ich habe den Beruf einer Stenotypistin erlernt, das heißt ich konnte Stenographie und Maschineschreiben, und mit diesen Kenntnissen war ich befähigt, im elterlichen Betrieb mitzuarbeiten. Später habe ich mich in die Buchhaltung eingearbeitet und in dieser Funktion mitgearbeitet.

In der Nazizeit mussten meine Brüder zur Hitlerjugend, und ich musste in den Bund Deutscher Mädchen, BDM. Wir mussten dorthin gehen, obwohl mein Vater nicht dafür war. Aber es musste sein, sonst wäre er angezeigt worden. Er ist auch zu keiner Parteiversammlung gegangen. Im BDM hat es mir damals Spaß ge¬macht – es gab Wanderungen, Schulungen und Unterhaltungsveranstaltungen. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht. Dann bin ich zum Arbeitsdienst eingezogen worden. Dort war ich ein halbes Jahr, und danach sollte ich zum Kriegshilfsdienst, ebenfalls ein halbes Jahr. Im Arbeitsdienst wurden wir zu allen notwendigen Arbeiten herangezogen. Nach diesem ersten halben Jahr wurde ich gefragt, ob ich Führerinnenanwärterin werden wollte. Aber ich wollte nicht, und so kam ich in den Kriegshilfsdienst zur Straßenbahn und habe dort das Geld einkassiert. In Leipzig habe ich dann meinen weiteren Kriegshilfsdienst abgeleistet. Es war nicht leicht, dort zu überleben, weil es sehr viele Bombenangriffe gab. Meine Eltern hatten Angst um mich, weil sie schon einen Sohn im Krieg verloren hatten. Nach einem Monat konnte ich dann nach Hause gehen. Da war ich etwa achtzehn Jahre alt.

Im Jahre 1945 mussten wir von Oppeln flüchten. Meine Mutter, mein Bruder Günter, mein Bruder Ernst und ich verließen Oppeln. Zuerst sind wir nach Annahof (ca. 50 Kilometer von Oppeln) geflüchtet. Zwei Tage später kamen meine Tante Marie Klein und ihre Tochter Margot, zu uns. Dort hatte mein Vater ein Ausweichlager mit Zigaretten. Wir haben uns reichlich mit Zigaretten eingedeckt. Dann fuhren wir mit einem Soldatenauto weiter nach Münsterberg in Schlesien. Da es für Geld nichts zu kaufen gab, haben wir alles, was wir nötig hatten, gegen Zigaretten eingetauscht. Mein Vater ist in Oppeln geblieben, er kam erst später nach. Nach zwei Wochen sind wir mit einem Flüchtlingszug von Münsterberg nach Leitmeritz (jetzt Litomerice] in das Sudetenland gebracht worden, das ist das heutige Tschechien.

In Leitmeritz wurden wir in einer Schule untergebracht, in der schon andere Flüchtlingen waren. Meine Cousine und ich machten uns auf die Suche nach einer Wohnung. Wir waren erfolgreich und dankbar, dass wir ein Dach über dem Kopf hatten. Wir waren in der glücklichen Lage, einige Dinge bei uns haben zu können, unter anderem waren das mein Schifferklavier, Kleidung und unsere Dokumente. Hier in Leitmeritz stieß auch mein Vater zu uns. Er wurde sofort zur Wehrmacht eingezogen. Hier lernte er einen Kameraden kennen, der ein großes Wehrmachtsauto fuhr. Mit ihm war eine Vereinbarung getroffen worden, dass er uns abholen würde, wenn die Russen kämen. Und gemeinsam wollten wir dann über die Grenze fahren. Ende April hieß es dann: „Die Russen kommen“. Der Kamerad meines Vaters kam mit dem Auto, um uns alle abzuholen. Als das Auto fast vollständig beladen war, gab der Fahrer Gas und fuhr ohne uns ab. Tante Marie und mein Bruder Ernst befanden sich im Auto. Meine Cousine Margot war bei uns. So verloren wir mit einem Schlag unser letztes Hab und Gut. Auch die Dokumente befanden sich im Auto. Nach kurzer Zeit kam Ernst zurück und etwas später auch Tante Marie. Später erfuhren wir, dass der Fahrer nicht sehr weit gekommen ist. Er fiel den Russen in die Hände.

Inzwischen waren die Russen in Leitmeritz einmarschiert. Wir hielten uns meistens im Hause auf, denn auf die Straße wagten wir uns nicht wegen der vielen Russen. Eines Tages kam ein Russe in unser Haus. Ich konnte mich nicht mehr verstecken. Der Russe wollte wissen, wer ich sei. Papa stellte mich als seine Frau vor und Mama als seine Mutter, weil wir Angst hatten, er würde mich sonst mitnehmen.

Ich glaube, es war der vierzehnte Mai 1945, als wir wieder zurück nach Oppeln fuhren. In überfüllten Viehwaggons warteten wir auf die Abfahrt. In der Nacht holten die Russen alle jungen Mädchen aus dem Zug, um sie später zu vergewaltigen. Ich entging diesem Schicksal, weil meine Eltern eine Decke über mich deckten und sich auf mich draufsetzten. Endlich fuhr der Zug ab. Nach ein paar Stunden stiegen wir um in einen Personenzug. Als der Zug wieder anhielt, holten die Russen alle Männer aus dem Zug, auch meinen Vater. Aber meiner Mutter gelang es, ihn wieder mit in den Zug zu nehmen. Als der Zug wieder hielt, wurde mein Vater endgültig mitgenommen in ein Gefangenenlager. Aber wir wussten nicht, wo das war. Das letzte Stück nach Hause mussten wir zu Fuß zurücklegen. Blasen an den Füßen und großer Hunger waren unsere Begleiter. Da es nichts zum Essen zu kaufen gab, mussten wir bei Bauern betteln. Es war sehr demütigend. Irgendwo fanden wir einen alten Kinderwagen, in den wir unsere paar Habseligkeiten packten. Als es Nacht wurde, übernachteten wir bei fremden Leuten, die uns freundlich aufgenommen haben.

Als wir unseren Weg fortsetzten, fielen wir den Russen in die Hände, die uns den Schmuck abnahmen, den wir noch besaßen. Daraufhin trafen wir eine Polin, der wir unser Missgeschick erzählten. Sie sagte, wir sollten zur polnischen Kommandantur gehen, denn dort würde man dafür sorgen, dass wir unseren Schmuck zurückbekämen. Aber dort wurden meine Mutter und ich von Polen gefangengenommen und in einem Keller eingesperrt und bekamen nichts zurück. Meine Brüder Ernst und Günter übernachteten bei fremden Leuten im gleichen Ort. Wir hatten große Angst. Am nächsten Morgen wurden wir aus dem Keller geholt, um zu arbeiten. Wir bekamen sogar etwas zum Mittagessen. Dann sagte man zu meiner Mutter „Sie können gehen, aber Ihre Tochter behalten wir hier“. Daraufhin sagte meine Mutter, dass sie nicht ohne ihre Tochter gehen würde. Schließlich ließ man uns gemeinsam gehen. Nachdem zwei Schüsse gefallen waren hatte man meinen Brüdern erzählt, dass wir erschossen worden seien. Als wir uns wiedersahen, war die Freude groß, und wir gingen gemeinsam nach Hause – wir hatten noch ca. 50 Kilometer zurückzulegen. Als wir an einem Waldstück vorbei kamen stand plötzlich ein Russe mit einem Gewehr vor uns und zwang meinen Bruder Ernst, seine Stiefel auszuziehen. Hätte er seine Stiefel nicht ausgezogen hätte er mit Erschießung rechnen müssen. Von mir nahm er nur zwei BHs aus dem alten Kinderwagen. Als wir unser Zuhause erreichten, waren wir erschrocken über das, was wir sahen. Die Möbel waren nicht mehr vorhanden oder standen draußen. Bäume waren abgehackt worden, überall Verwüstung. Auch das Unternehmen war völlig ausgebrannt. Nach Aussagen von Nachbarn haben zwei polnische Jungen das Gebäude mit einem Reichsmarkwert von einer Million in Brand gesteckt.

Zum Essen war natürlich auch nichts vorhanden. Was noch vorhanden war wie Gardinen, Tischwäsche und so weiter wurde eingetauscht gegen Butter, Eier und andere Lebensmittel. Wenn wir zu diesen Tauschgeschäften unterwegs waren, dann flüchtete ich mich sofort in irgendein Haus, wenn Russen in Sicht waren. Als es bekannt war, dass wir wieder zurück waren, wurde ich von den Polen zur Arbeit herangezogen. Es war schwere Waldarbeit, die ich leisten musste. Es gab weder Essen noch Lohn für diese Arbeit. Oft bestand eine Mahlzeit nur aus ein paar gekochten Kartoffeln. Als ich einmal den Befehl erhielt, dass ich mich bei dem Boss melden sollte, entdeckte ich bei ihm mein Klavier. Er war der Oberförster und er wollte mich und eine andere junge Frau in seine Dienste nehmen, was immer man darunter verstehen will. Aber ich wollte nicht.

Als Flüchtlinge sind wir im August 1945 nach Niedersachsen gekommen Wir sind nach Hülsede Kreis Schaumburg gegangen, weil dort mein Bruder Karl geheiratet hatte. Er war als kranker Soldat im Krankenhaus in Bad Nenndorf und hatte die Köchin geheiratet. Am gleichen Tag wie wir traf auch mein Vater aus der Gefangenschaft in Hülsede ein. Im Jahre 1946 begann mein Vater mit dem Aufbau eines Handelsunternehmens in Rodenberg am Deister (Kreis Schaumburg). Meine Brüder arbeiteten im Außendienst, und ich war für die Buchhaltung zuständig. In dieser Zeit wurde mein Vater krank, und konnte sich nicht mehr um den Betrieb kümmern.

Meine Eltern haben immer an Gott geglaubt. Während mein Vater im Bett lag, las er in der Bibel. Dort fand er im Jakobus 5: 14, 15 etwas über die Krankensalbung. Mein Vater rief sofort den Pastor, Dr. Hörle, an und bat um seinen Besuch. Als der Pastor kam, bat mein Vater um die Salbung mit Öl. Aber die Antwort des Pastors war: „Herr Wolfert, das gibt es heute nicht mehr.“ Zu den Kunden meines Bruders Ernst zählte auch der Kaufmann Willi Tegtmeier aus Beckedorf, der ein Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage war. Wenn mein Bruder einen Auftrag von diesem Kunden erhielt, musste er sich vorher auch eine Evangeliumsbotschaft anhören. Mein Bruder sprach mit diesem Kunden auch über die Krankheit meines Vaters. Dieser bot ihm an, die Segnung, wie sie im Jakobusbrief erwähnt war, an meinem Vater vorzunehmen. Mein Vater war einverstanden. Zwei Älteste der Kirche Jesu Christi kamen und gaben ihm einen Krankensegen. Am nächsten Tag konnte mein Vater wieder arbeiten. Dieses war der Beginn der Belehrungen in unserer Familie. Mein Bruder Ernst wurde getauft, danach mein Vater, ein halbes Jahr später meine Mutter, mein jüngerer Bruder Günter und ich. In unserer Familie wurden wir wöchentlich bei uns zu Hause von einem gerade zurückgekehrten Missionar belehrt.

Mein Vater hatte sich im Herbst 1951 zur Taufe entschlossen. Sie sollte am Abend des 29. Novembers 1951 stattfinden. Am Abend kam der Missionar, der uns die ganze Zeit begleitet hatte, um den Termin bestätigen zu lassen. Mein Vater war bereit, aber meine Mutter, mein älterer Bruder und ich waren gegen den gewählten Zeitpunkt. Es war sehr kalt und die Taufe war im Freibad vorgesehen. Mein Vater war herzkrank und wir machten uns Sorgen, dass er die Taufe nicht überstehen würde. Der junge Missionar aber ließ sich nicht umstimmen. Im Gegenteil, er meinte, dass mein Vater die Taufe gut überstehen würde. Ich begleitete meinen Vater zur Taufe. Es hatte leicht gefroren, und eine dünne Schneedecke bedeckte die Erde. Im Scheinwerferlicht eines Motorrades wurde mein Vater getauft. Er kam mit einem strahlenden Lächeln aus dem Wasser hervor. Darüber war ich so glücklich, dass ich dem Täufer am liebsten einen Kuss gegeben hätte. Es war dann so, dass ich den Täufer meines Vaters näher kennenlernte. Und ein Jahr nach meiner Taufe heirateten wir. Der Glaube meiner Eltern und meines Bruders hat auf mich einen großen Eindruck gemacht.

Als mein Mann, Karl Borcherding, und ich uns kennenlernten, studierte er noch. Nach unserer Heirat hatte er noch zwei Semester zu studieren und schloss dann als graduierter Ingenieur des Maschinenbaus sein Studium ab. Später sagte er mir einmal, dass er mich nicht geheiratet hätte, wenn ich mich nicht hätte taufen lassen.

Mein Schwiegervater war Schmiedemeister von Beruf und arbeitete im Kohlenbergwerk Beckedorf zuletzt als Fördermaschinist. Er hatte von einem Kollegen im Bergwerk etwas über die Kirche gehört und sich der Kirche angeschlossen. Nach unserer Heirat zogen wir zu meinen Schwiegereltern. Meine Schwiegermutter gehörte noch nicht der Kirche an und sah uns jeden Sonntag in die Kirche gehen. Sie ging regelmäßig in die evangelische Kirche. Später erzählte sie uns, dass der Pastor immer von der Kanzel gegen die Mormonen gepredigt hatte und ihnen viele schlechte Züge angedichtet hatte. Aber da meine Schwiegermutter ja mit uns und ihrem Mann zusammen lebte und auch andere Mitglieder kannte, sah sie die Irrtümer dieser Predigten. Und so ließ sie sich etwa dreißig Jahre nach meinem Schwiegervater ebenfalls in der Kirche Jesu Christi taufen.

Mein Mann hatte in jungen Jahren eine Missionsberufung bekommen Seine Mutter war dagegen. Sie war zu der Zeit ja noch kein Mitglied der Kirche. Doch während der Zeit, da sie sich strikt gegen eine Mission aussprach, passierte meinem Mann ein Missgeschick nach dem anderen während der Arbeit im Bergwerk. Eines davon war, dass er sich mit dem Hammer den Daumen schwer verletzte. Meine Schwiegermutter bekam schließlich Angst, dass ihm schlimmeres passieren könnte und gab darum die Erlaubnis, dass er auf Mission gehen konnte, da er dann nicht mehr im Bergwerk arbeiten würde.

Mein Mann war als Diplomingenieur leitender Angestellter bei der Firma Heye Glass in Obernkirchen. In der Kirche hat er als Distriktspräsident gedient, als Ratgeber von mehreren Missionspräsidenten und als Gemeindepräsident in Stadthagen. 1977 wurde er anlässlich der Gründung des Pfahles Hannover als Ratgeber des Pfahlpräsidenten berufen und hat in dieser Funktion mehreren Pfahlpräsidenten bis 1992 gedient.

Mein Mann und ich wurden berufen, in Ukraine zu dienen. Am 20. Januar 1993 kamen wir in Kiew an. Dann ging es nach Minsk weiter. Die Mutter des Dolmetschers stellte uns ihre Wohnung zur Verfügung. Aber es war so kalt, dass wir selbst im Bett froren. Der Dolmetscher gab uns dann den Rat, die Füße in den Backofen zu stecken, was wir auch taten. Zwei Sonntage haben wir in dieser Wohnung einen Gottesdienst abgehalten – im Bett, weil es so kalt war. Später haben wir dann eine eigene Wohnung erhalten. Aber auch dort haben wir gefroren. Es war immer überall sehr kalt.

Bevor wir auf die Mission nach Russland gingen fragte ich Elder Dellenbach von der Gebietspräsidentschaft: „Was ist eigentlich unsere Aufgabe? Wir können kein Russisch. Was sollen wir tun?“ Die Antwort hat mich richtig frustriert. „Gehen sie auf die Straße und laden sie die Menschen zu Christus ein.“ Im Nachhinein muss ich Elder Dellenbach Recht geben. Wir gingen jeden Tag auf die Straße, der Dolmetscher, mein Mann und ich. Ich habe dann meistens die Männer angesprochen, weil die Männer für die Familie zuständig sind; denn wenn diese in die Kirche kamen, dann kamen auch die Frauen. Ich fragte, ob sie sich für Religion interessierten. Und dann ging es los. Der Dolmetscher übersetzte ins russische, und dann ging es in Englisch und Russisch weiter, weil der Dolmetscher kein deutsch sprechen konnte. An manchen Tagen haben wir zehn bis zwölf Adressen erhalten. Diese Adressen haben wir an die jungen Missionare weitergegeben, die dann manchmal bis zu sieben Lektionen täglich geben konnten. Da die Taxis nicht so teuer waren, konnten sie mit ihnen zu den verschiedenen Untersuchern fahren.

Einmal haben wir ein Treffen mit drei Personen in einem Büro vereinbart, aber niemand ist gekommen. Als wir gerade dachten, alles sei vergeblich gewesen, kam ein junger Mann, mit dem wir verabredet waren. Wir haben ihn mit unserem Dolmetscher belehrt und er ließ sich innerhalb von zwei Wochen taufen. Wir waren die ersten Mitglieder in dieser zwei Millionen Stadt Minsk. Wir fühlten uns richtig verlassen: die fremde Sprache, keine Freunde. Aber wir spürten den Segen des Herrn. Wir waren sieben Monate in Russland und dann bekam ich Schwierigkeiten mit einem Auge. Als wir fortgingen gab es ungefähr siebzig Mitglieder. Mein Mann hatte die Vollmacht erhalten, zu berufen und einzusetzen und hatte zwei Gemeinden organisiert.

Wegen meiner Schwierigkeiten mit dem Auge sind wir dann nach Bamberg in der Deutschland München Mission versetzt worden und haben dort noch ein Jahr lang gedient.

Im Oktober 1998 wurden mein Mann und ich in Salt Lake City als neuer Tempelpräsident und Matron für den Frankfurt Tempel eingesetzt. Mein Mann wurde vom damaligen Apostel Elder Monson eingesetzt und ich von Elder Holland. Im November 1998 begannen wir unseren Dienst in Friedrichsdorf. Dort waren wir für drei Jahre, bis zum 1. November 2001. Wir haben oft darüber gesprochen, wie uns der Glaube der Geschwister berührt hat. Die Heiligen von beinahe ganz Nordeuropa und ein Teil der Heiligen Osteuropas besuchten diesen Tempel. Manchmal waren die vielen verschiedenen Sprachen ein Problem. Aber immer wieder waren wir gesegnet mit sprachgewandten Mitgliedern, die uns halfen. Und manchmal ging es nur durch Zeichensprache und liebevolles Miteinander. Uns war es wichtig, dass die Geschwister sich so geborgen fühlten, dass sie gerne wieder in das Haus des Herrn zurückkehren wollten. Auch mit allen Mitarbeitern des Tempels bemühten wir uns, regelmäßige Treffen und einen guten und entspannenden Austausch zu haben. Auch nach außen hin versuchten wir bei Einladungen unser Bestes zu geben. Wir haben die Tradition fortgesetzt, die Bruder Wondra in seiner Zeit als Präsident des Frankfurt Tempels ins Leben gerufen hatte, nämlich am 1. Advent alle einzuladen, die gesellschaftlich und politisch in dieser Region eine Rolle spielten, um ein gegenseitiges Verständnis zu fördern und Vorurteile abzubauen. Auch die Gebietspräsidentschaft war bei diesen Anlässen zugegen. Bei allen unseren Unternehmungen und Bemühungen fühlten wir immer die Hilfe des Herrn.

Mein Mann und ich sind mit drei Söhnen und drei Schwiegertöchtern sowie mit 14 Enkelkindern und 4 Urenkeln gesegnet. Unsere Enkeltochter Mirjam ist vor zwei Jahren im Alter von 24 Jahren leider an Krebs verstorben. Bis heute sind alle treuen Mitglieder der Kirche.