Dresden, Sachsen
Mein Name ist Ursula Elisabeth Buntfuß, geborene Töppner, geboren am 16.Oktober,1937 in Dresden. Meine Eltern sind Johannes Töppner und Emma, geborene Heller. Ich bin die Jüngste von drei Kindern. Mein Bruder Karlheinz ist ein Jahr und mein Bruder Wolfgang ist zwei Jahre älter als ich. An meinen Vater kann ich mich gar nicht erinnern. Ich war noch zu klein, als er in den Krieg eingezogen wurde. Für meine Mutter war es sehr schwer, sie stand mit drei kleinen Kindern allein da und ich war eine große Last für sie. Ich war mit ausgerenkten Hüften ge¬boren und es wurde erst festgestellt, als ich bereits ein Jahr alt war. Ich bekam dann einen Spreizgips, der in gewissen Abständen neu gemacht werden musste. Die Hüftpfannen haben sich aber nicht mehr so geformt, wie es nötig ist, damit die Gelenke in der Pfanne bleiben. Ich lernte sehr spät laufen und hatte später immer Probleme. In der Schule durfte ich keinen Sport und keine Wanderungen mitmachen. Ich konnte aber schon als Kind schöne Handarbeiten machen, das hat mir über vieles hinweggeholfen und ich konnte Anderen Freude damit machen. Ich bekam bereits mit achtzehn Jahren einen Schwerbeschädigten-Ausweis, weil die Hüften schon kaputt waren.
Das schönste Erlebnis in meiner Kindheit war, als ich im Alter von neun Jahren von einer älteren Nachbarin mit zur Kirche genommen wurde. Ich war manchmal mit einer Freundin bei dieser Frau um ein bisschen im Haushalt zu helfen, so entstand eine Freundschaft und sie lud mich ein mit zur Kirche zu kommen. Als ich an diesem Sonntag nach Hause kam, war ich so voller Freude, dass ich mich an unser Fenster kniete (wir wohnten in einer Kellerwohnung) und hineinrief: „Es war wunderschön, da gehe ich jetzt immer hin!“
Wir wohnten in Dresden in der Neustadt und das Gemeindehaus war nur ca. fünfhundert Meter entfernt. Die Gemeinde war eine ehemalige Kaserne. Die Räume, die wir zugewiesen bekommen hatten, waren kaputt und mussten erst ausgebaut werden. Den Ausbau habe ich miterlebt, es war lange Zeit eine große Baustelle. Meine Erinnerung ist sehr lückenhaft. Ich habe sehr viel vergessen, aber die Jahre von 1946 – 1957, die ich in Dresden in der Gemeinde verbracht habe waren wunderschön. Ich habe dort viel Liebe bekommen. Die Liebe untereinander war einfach wunderbar. Zu Hause habe ich das einfach vermisst. Meine Mutti ist mit all den Schwierigkeiten nicht fertig geworden. Sie musste allein für uns drei Kinder aufkommen, musste also ständig arbeiten gehen und wir waren oft allein. Mein Vater hatte etwas gesagt, was als Landesverrat ausgelegt wurde. Deshalb wurde er nach Sibirien strafversetzt. Er wurde einige Zeit später als vermisst gemeldet. Wir bekamen nie Halbwaisenrente und so war es für unsere Mutter wirklich schwierig, uns zu versorgen.
Am 22.05.1948 wurden meine Mutti, mein Bruder Karlheinz und ich getauft. Wolfgang ließ sich am 04.09.1948 taufen. Und eine gewisse Zeit kam unsere Mutti auch mit zur Kirche, aber sie blieb dann bald wieder weg. Sie war bis zu ihrem Lebensende ziemlich verbittert, was mir sehr Leid getan hat. Ich hatte durch das Evangelium viel Freude in mir und hab mir immer gewünscht, sie könnte diese Freude auch spüren. Ich war deshalb auch oft, besonders am Sonntag, bei Geschwistern, z.B. bei Familie Beck, wo auch immer die Missionare eingeladen waren und viel gesungen wurde. Da habe ich mich geborgen gefühlt. Ich hatte auch eine gute Freundin. Wir haben viel zusammen gebetet und haben uns gegenseitig Mut gemacht
Nach der Grundschule habe ich bei der Reichsbahn Bau Union in Dresden eine Lehre als Industriekaufmann gemacht. Als ich achtzehn Jahre alt war, wurde unser Betrieb mit der Reichsbahn Bau Union Berlin zusammengelegt. Ich war damals gerade als Maschinenbuchhalterin tätig und sollte deshalb zur Überbrückung für ein Jahr mit nach Berlin gehen. So verließ ich mein Zuhause und bin auch nicht wieder zurückgekehrt. Ich wohnte damals in einer Baracke auf dem Betriebsgelände in Berlin- Karlshorst und fuhr dann täglich zur Friedrichsstraße zur Arbeit. Die Kirche habe ich in Berlin- Friedrichshain besucht. Obwohl alle sehr nett zu mir waren, bekam ich nicht den Kontakt wie in Dresden. Ich hatte mehr Kontakt zu Menschen außerhalb der Kirche und ich war nicht mehr so stark im Glauben. Eines Tages fand in der Gemeinde Leest bei Potsdam ein Tanzabend statt. Die Jugendlichen von der Gemeinde Friedrichshain fuhren nach Leest, ich fuhr auch mit und lernte dort meinen zukünftigen ersten Ehemann kennen. Er hieß Manfred Schwabe und kam mich oft in Berlin-Karlshorst besuchen. Meine Aufenthaltsgenehmigung für Berlin war bald abgelaufen und so beschlossen wir , dass ich nach Leest ziehe. Ich konnte aber weiterhin in Berlin arbeiten. Dadurch hatte ich natürlich einen weiten Arbeitsweg. Später wurde ich auf eine Außenstelle in Saarmund versetzt.
Im April 1958 haben wir geheiratet. Wir bekamen innerhalb von sechs Jahren vier Kinder. Nach Ansicht der Ärzte sollte ich wegen der Hüften keine Kinder bekommen. Aber ich hatte schon immer den großen Wunsch, Kinder zu haben. Es gab für mich nichts Schöneres. Meinem Mann waren aber die Kinder bald im Wege und die Ehe war nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte. Ich habe sehr darunter gelitten und die Kinder auch. Die ersten Jahre gingen wir noch zur Kirche, aber allmählich blieben wir dann weg. Ich habe es immer als ein Wunder gesehen, dass ich vier Kinder zur Welt bringen konnte und dafür bin ich noch heute dankbar.
In den Jahren der Schwangerschaft haben sich meine Hüften auch gut gehalten, aber durch die viele Belastung bekam ich oft Schmerzen und hatte ab dem Jahre 1972 mehrere Hüftoperationen. 1985 bekam ich das erste künstliche Hüftgelenk und 1990 das zweite künstliche Hüftgelenk. Vor zwei Jahren hatte ich den ersten Wechsel und jetzt muss ich im Juli den nächsten Wechsel vornehmen lassen.
Wir sind seit 1958 in Leest geblieben, es ist ein kleiner, wunderschöner Ort und die Gemeinde ist ganz in der Nähe unserer Wohnung. Dennoch habe ich einige Zeit die Gemeinde nicht besucht und habe die Kinder leider nicht so belehrt, wie ich es hätte tun müssen. Mein Mann hat eine Zeit lang außerhalb gearbeitet und war nur am Wochenende zu Hause. Dann wollte er, dass ich mir Zeit für ihn nahm. Die Kinder durften zur Kirche gehen und haben es auch eine Zeit lang getan. Unsere Tochter Rosemarie blieb wirklich treu und wollte sich mit siebzehn Jahren taufen lassen, was aber ihr Vater nicht zuließ. Kurz bevor sie achtzehn Jahre wurde gab er dann doch die Zustimmung.
Eines Tages bat mich meine Tochter, doch mit zur Kirche zu kommen. Sie trug immer die Anwesenheit der Mitglieder ein und wollte gerne, dass ich auch komme Ich tat es und ging mit zur Kirche, von diesem Tag an ging ich regelmäßig zur Kirche bis zum heutigen Tag. Ich konnte einfach nicht anders. Ich wusste wieder, dass die Kirche wahr ist.
Kurze Zeit später, im Jahre 1976 kam die Scheidung. Mein Mann war nicht bereit. mit zur Kirche zu kommen. Und er wollte seine Freiheit. So war ich mit den vier Kindern allein. Der Jüngste war zwölf Jahre, die Älteste achtzehn Jahre. In dieser Zeit hat mir die Kirche große Kraft gegeben. Zwei Jahre später heiratete unsere Tochter und zog nach Karl-Marx-Stadt. Peter unser ältester Sohn musste bald zum Armeedienst, Horst unser zweiter Sohn lernte mit vierzehn Jahren seine spätere Frau kennen. Das Mädchen war ebenfalls 14 Jahre alt und sie kam aus Veckenstedt bei Wernigerode im Harz. Unser Horst fuhr dann sehr oft nach Veckenstedt und wurde dort wie ein Sohn aufgenommen. Mit achtzehn Jahren hat er Birgit Donner geheiratet. Zu dieser Zeit war er noch kein Mitglied der Kirche Jesu Christi. Horst konnte nicht verstehen, warum ich trotz meines Glaubens krank war. Einige Zeit nach der Geburt seiner zweiten Tochter wurde er selbst ernsthaft krank. Er bekam in dieser Zeit auch Besuch von der Gemeinde Halberstadt. Elder Siegfried Müller, zu dieser Zeit Missionar in Halberstadt, hat ihm liebevoll das Evangelium gelehrt. Er spürte, dass es doch die wahre Botschaft Gottes war und ließ sich am 16.07 1988 mit seiner Frau Birgit taufen. Sie haben ihre beiden Töchter das Evangelium nicht nur gelehrt sondern vor allem vorgelebt. Sie führen heute noch eine glückliche Ehe. Die ältere Tochter hat im Tempel geheiratet und hat zwei Söhne im Alter von zwei und vier Jahren.
Zurück zum Jahre 1978. Jetzt stand ich mit meinem jüngsten Sohn Harald allein da. Harald war zu dieser Zeit 14 Jahre alt. Wir bewohnten sehr abseits, am Waldrand ein kleines, allein stehendes Häuschen. Gerade 1978 war der Winter besonders kalt, dadurch froren die schlecht isolierten Wasser- und Abflussleitungen ein. Das nächste Nachbarhaus war ca. 200 m von uns entfernt. Der Feldweg war verschneit und oft nicht begehbar. Ich kam mit diesen und anderen Schwierigkeiten in Haus und Garten nicht klar. So bat ich meine Tochter mit ihrem Mann zurück nach Leest zu kommen Sie taten es. Im Jahre 1979 wurde ihr erster Sohn geboren. Sie bekamen in den nächsten sechs Jahren weitere vier Kinder. Nun konnten wir uns gegenseitig helfen
Als meine Kinder klein waren, war ich zwölf Jahre zu Hause, danach habe ich zwölf Jahre gearbeitet und seit 1983 bekomme ich Arbeitsunfähigkeitsrente. So war ich zu Hause und konnte für die Enkelkinder da sein. Das war sehr schön. Wir haben bis 1986 zusammen gewohnt. Ohne die Hilfe meiner Tochter und meines Schwiegersohnes hätte ich sicherlich das Häuschen aufgeben müssen, denn ich war ja auch einige Male im Krankenhaus.
1986 fand ich meinen Mann für die Ewigkeit. Bruder Alfred Buntfuß, damals wohnhaft in Hennigsdorf bei Berlin, gehörte zum Zweig Staaken. Dieser kleine Zweig wurde in den 1980iger Jahren aufgelöst und die Mitglieder dieses Zweiges kamen jetzt zum Zweig Leest. Lange Zeit nahm ich ihn nicht weiter zur Kenntnis. Ich war freundlich zu ihm, wie zu allen anderen Geschwistern. Ich hatte keine Ahnung, dass er in mich verliebt war, aber sich nicht traute mich anzusprechen. An einem Sonntag im April 1986 hatte ich plötzlich das Gefühl ich sollte ihn zum Essen einladen. Ich fragte meine Tochter ob es geht, denn wir aßen ja gemeinsam. Sie sagte: „Ja, das geht schon.“ Nach dem Mittagessen haben wir uns unterhalten. Ich kann meine Gefühle, die ich zu dieser Zeit hatte, nicht beschreiben, aber wir fühlten beide, dass wir zusammen gehören.
Am 22. September 1986 heirateten wir in Potsdam standesamtlich und am 23.September 1986 wurde unsere Ehe im Freiberg-Tempel gesiegelt. Heute weiß ich, dass uns der Herr zusammen geführt hat. Es ist für uns beide ein großer Segen. Es war anfangs nicht leicht. Mein Mann war bei der Heirat bereits 60 Jahre alt und ich 48 Jahre. Wir mussten uns ja erst kennen lernen. Da mein Mann anfangs noch in Hennigsdorf bei Berlin arbeitete, waren wir nur am Wochenende zusammen. Wenn es in dieser Zeit Schwierigkeiten gab, haben wir uns gegenseitig Briefe geschrieben und haben so Lösungen gefunden. Unsere größte Hilfe war das Wissen, dass unsere Ehe im Tempel für die Ewigkeit gesiegelt ist. Heute führen wir eine glückliche Ehe. Wir wissen beide, dass wir in der wahren Kirche sind, dass Gott uns liebt und uns in allen Schwierigkeiten beisteht. Wir sind dankbar, dass wir regelmäßig die Gottesdienste besuchen können und im Werke Gottes mithelfen dürfen. Meine Berufungen waren: 1977-1981 Lehrerin im FHV; 1977-1992 FHV-Leiterin; 1992-1995 Ratgeberin im PV; 1995-1999 FHV-Leiterin 1999-2007 Institutslehrerin und Besuchslehrerin.
Ein ganz kurzer Rückblick auf die Kriegszeit. Unsere Kindheit ist ja durch die Kriegsjahre geprägt wurden. Unsere Mütter verloren ihre Männer. Wir Kinder verloren unsere Väter. Wir lebten durch die Fliegeralarme in häufiger Angst. Obwohl wir in Dresden in einer Kellerwohnung lebten, mussten wir doch bei Alarm in die Luftschutz-Kellerräume gehen. Unsere Wohnung war in der Neustadt, dort fielen nicht so viele Bomben wie in der Altstadt. Im Februar 1945 bei der großen Zerstörung Dresdens, saßen wir auch voller Angst im Luftschutzkeller. In unserer unmittelbaren Umgebung fielen keine Bomben, aber meine Mutti machte sich große Sorgen um ihre Schwester und ihren kleinen Sohn. Sie wohnten in dem Gebiet, wo alles zerstört worden ist, in der Altstadt von Dresden. Ich sehe noch das Bild vor mir, als meine Mutti mit mir am nächsten Tag meine Tante in den Trümmern suchte. Wir fanden sie zwischen den Trümmer mit ihrem kleinen Jungen sitzen. Sie hatten alles verloren, aber sie selbst waren unverletzt und am Leben. Es war ein Wunder, dass sie am Leben waren und wir ihnen nun helfen konnten. Uns verband auch in den Jahren bis zu ihrem Tod ein besonderes Band der Liebe.
Mein Vater blieb vermisst, er ist nicht aus dem Krieg zurückgekommen Meine Mutter hat, nachdem wir drei Kinder ausgezogen waren, allein in Dresden gewohnt und war sehr einsam. Sie war durch den Krieg und das schwere Leben danach, verbittert. Der Krieg hat nur Leid gebracht und die Familien zerstört. Ich bin von Herzen dankbar, dass ich meine Kinder in Friedenszeiten groß ziehen konnte. Ich bin von Herzen dankbar für das wahre Evangelium von Jesu Christi und für die vielen Segnungen die der Herr uns täglich gibt. Ich bin von Herzen dankbar für meine große Familie. Wir haben elf Enkelkinder und fünf Urenkel. Vier unserer Enkelkinder haben im Tempel geheiratet. Ich bin sehr glücklich und habe nur den Wunsch immer im Evangelium treu zu bleiben. Mein größter Wunsch ist die Familie in der Ewigkeit um mich zu haben.