Krasna, Bessarabien
Mein Name ist Elisabeth Clemens, geborene Wingenbach. Geboren bin ich am 22. August. 1930 in Krasna, Bessarabien. [Bessarabien ist eine historische Landschaft in Südosteuropa, begrenzt vom Schwarzen Meer im Süden sowie den Flüssen Pruth im Westen und Dnister im Osten. Das frühere Bessarabien deckt sich heute weitgehend mit dem westlich des Dnister liegenden Teil Moldawiens].
Wir mussten damals weg; ich war zehn Jahre alt. Mein Vater, Johannes Schwalbach, war bei der Wehrmacht bei den Rumänen und die Deutschen haben uns Volksdeutsche rausgekauft. Das war zu Adolf Hitlers Zeiten und es war am 15.Oktober 1940. Wir mussten uns um 6 Uhr früh an der Kirche alle treffen. Da kamen die Busse und haben uns abgeholt. Die Busse fuhren bis zum Schiff, dann ding es mit dem Schiff auf der Donau bis Semlin, dort mussten wir aussteigen. Dort war ein großes Zelt. Alle kamen dort hinein, Frauen, Männer und Kinder, alles miteinander. Da kam der Bruder meines Onkels und sagte zu meiner Mutter, Regina Wingenbach: “Regina, hast ´du schon Hannes gesehen?” „Nein.” „Der ist da, wir sind alle schon entlassen und sind schon drei Tage hier in diesem Lager, aber wir dürfen nicht zu Euch kommen, aber ich gehe und sage ihm, dass du da bist!” Es dauerte eine kleine Weile, da kam mein Vater und hat uns alle begrüßt. Wir waren ein paar Tage in dem Zelt, dann wurden wir in einen Zug verladen, aber die Männer sollten nicht mit. Und da sagten alle Frauen und alle Verlobten. „Wenn die Männer nicht mitkommen, dann bleiben wir alle hier!” Dann haben sie lange beraten, was sie machen sollten. Dann haben sie versprochen, die Frauen mit Kindern sollten in den Bus einsteigen und zum Bahnhof fahren und eine viertel Stunde, bevor der Zug abfährt, werden die Männer alle nachkommen. Die Frauen sagten, wenn die Männer nicht kommen, steigen die Frauen alle aus. Die haben das versprochen und die Männer sind doch mitgekommen.
Als wir in Semlin waren, sind wir in den Zug eingestiegen und von da sind wir nach Wien gekommen. In Wien wurde für uns ein schönes Essen bereitet, Kaffee und Kuchen. Das war, was wir als Kinder gut und schön fanden. Es war ein Aufenthalt von zwei Stunden. Dann sind wir nach Bernau gekommen, wo es auch schön war. Wir Kinder konnten spielen. Die Eltern haben gestrickt oder sie haben irgendeine Handarbeit gemacht. Wir mussten uns um nichts kümmern. Wenn die Kleider kaputt waren, haben wir andere, getragene Kleider bekommen. Da wurde auch viel für die Jugend gemacht. Die sind auf den Berg gestiegen. Aber ich war noch zu klein, ich durfte nicht mit. Von dort sind wir wieder nach Pirna gekommen, das war eine Fahrt von einer Stunde. Dort sind wir aufgeteilt worden in drei Gebäude. In einem Haus waren meine Eltern und meine Geschwister. Mein Opa und meine Tante waren in einem anderen Gebäude. Wir hatten ein kleines Zimmer, aber nicht allein. Es war noch eine Familie dabei, die hatten auch vier Kinder. Da kann man sich vorstellen, wie eng es für uns war. Das Zimmer war kleiner, als meines hier. Da war auf der einen Seite des Zimmers die eine Familie und auf der anderen Seite waren wir. In der Mitte standen zwei Tische, einer für jede Familie. Unten war ein Saal, da haben wir unser Essen bekommen, das war schön.
Ich hatte noch drei Geschwister. Ich war die älteste, meine Schwester wurde, bevor meine Mutter gestorben ist, zwei Jahre. Meine Schwester, die nach mir kam, die vier Jahre jünger ist, Katharina die Vierjährige, die war immer witzig, die ging immer zu den Wasch- und Kartoffelschälfrauen, die brachte uns immer Mandarinen und Apfelsinen, Obst. Ich musste sie immer suchen. Wenn ich sie gefunden hatte, hat sie immer gesagt: „Schau einmal, was ich dir mitgebracht hab!” Da ist meine Mutter krank geworden und sie ist da verstorben. Dann sind wir nach Łódź gekommen. Dort waren wir in einem Zimmer alleine. Mein Vater und wir vier Geschwister. Da mussten wir uns mehr versorgen in dem Lager, aber wir kriegten alles zugeteilt. Das Mittagessen war immer gekocht. Frühstück mussten wir uns selber machen. Die Wäsche mussten wir uns selber machen. Dadurch dass meine Mutter tot war, musste ich natürlich auch für meine Geschwister und für meinen Vater und mich waschen. Ich weiß, mein Bruder Melchior hat eine Hose gehabt, die war so schwer, wenn ich die gewrungen habe, tat mir immer die Hand weh.
Eines Tages kam meine Tante aus Bukarest heraus zu meinem Opa, der im anderen Lager war, das war ein Fußweg von einer halben Stunde. Als sie da war, da hatte ich es leichter. Die kam und hat uns das Frühstück gemacht, sie hat die Wäsche gemacht. Es war für mich viel einfacher gewesen. Aber ich habe immer meine Geschwister um mich gehabt, ich musste für sie sorgen. Wenn meine Tante abends wegging und morgens wieder kam, da war ich immer froh. Eines Tages musste mein Opa mit seinen beiden Töchtern und Oma in den Kreis Neumarkt, in Polen, wo sie angesiedelt wurden. Dort habe ich nicht so schön gehabt. Drei Monate später sind wir kamen wir nach Lippowitz, Kreis Neumarkt. Es war ein alleinstehendes Haus. Die Nachbarn waren weit weg, aber es waren auch meistens Polen. Wir wurden empfangen von einer Dame und einem Herrn. Die hatten ein Mädchen versorgt. Sie war Polin, die dann immer bei uns war. Und sie blieb so lange bis wir am 19. Januar 1945 geflüchtet sind.
Wir hatten einen Bauernhof und 1945 mussten wir raus, weil es hieß der Russe kam. Wir waren vom 19. Januar unterwegs bis März. Wir haben öfter Pause machen müssen, wir waren mit Pferd und Wagen unterwegs. Manchmal sind wir in Schulen untergekommen oder im Theater, da war Stroh, auf dem wir gelegen sind. Manchmal sind wir bei Leuten eingeteilt worden, wo wir in Betten schlafen konnten. Wir hatten zu essen mit, aber wir hatten kein Brot. Aber ich hätte so gern ein Butterbrot gegessen mit Marmelade. Eines Tages fuhren wir nach Westen während die Soldaten, die Wehrmacht, fuhren nach Osten. Meine Großtante Hedwig war gerade nicht auf dem Wagen und da kam ein Soldat und der gab ihr ein Kommissbrot, das war das größte Geschenk für mich. Dann mussten wir halten, weil es geheißen hat, wir müssen warten, der Russe wird zurückgeschlagen und dann können wir wieder nach Hause.
Wir waren eine Woche bei einer Familie bei Stettin. Meine Großtante hatte einen offenen, keinen gedeckten, Wagen. In der Zeit, wo wir dort waren, haben wir von der Bäuerin Stroh genommen und haben ihr auch einen gedeckten Wagen gemacht, so dass wenn der Schnee kam, sie auch einen gedeckten Wagen hatte. Damals war es sehr kalt und es gab furchtbar viel Schnee. Nach dieser Woche hat es geheißen, der Russe ist nicht zurückgeschlagen worden, wir müssen weiter. Wir sind dann kurz vor Frankfurt/Oder gewesen. Wir sind bei einer Frau untergebracht worden zum Übernachten. Sie hatte zwei Kinder. Ihr Mann war Soldat. Die hat uns aufgeklärt, dass wir aufpassen sollen, es kämen Tiefflieger, die uns beschießen würden. Wir sind zwei Tage dort geblieben und sind weiter gefahren. Meine Tante hatte Geburtstag und da hat die Bäuerin einen Kuchen gebacken und deswegen sind wir einen Tag dort geblieben.
Als wir abends um sechs Uhr kurz vor Frankfurt/Oder waren, da kamen die Tiefflieger. Alles, was konnte ist aus dem Wagen ausgestiegen und hat sich im Wald versteckt. Zu dieser Zeit war ich bei meiner Tante auf dem Wagen, weil die Magd und der Knecht wieder zurück gegangen sind, es waren Polen, ein Mädchen und ein Junge, und die sind wieder zurückgegangen und da war sie alleine auf dem Wagen. Und da bin ich mit ihr auf dem Wagen gefahren. Es war ein hoher Kastenwagen, von dem ich schnell unten war. Ich hab nur immer zu meiner Großtante gesagt: „Wo sind die andern?” „Ich weiß es nicht, die sind auf der anderen Seite, auf der linken Seite vom Wald!” Und ich sagte: „Komm, Tante Hedwig, wir gehen auch und gucken, wo sie sind.” Ich hatte keine Ruhe in dem Versteck, wo wir waren. Wir sind dann auf die andere Seite der Straße gelaufen und da hörte ich wie sie riefen: „Liesbeth?” „Wir sind her!” Da lagen die alle, in einem tiefen Loch. Es wurde geschossen und Bomben fielen. Und wie das vorüber war, das hat so eine Stunde gedauert, sind wir wieder in unseren Wagen gegangen und wo der stand, auf der Straße, da haben wir gesehen, was passiert ist. Unser Wagen war glücklicherweise in Ordnung, aber am vorderen Wagen, waren die Pferde kaputt, der Mann hat den Arm verloren.
Kurz vor Frankfurt/Oder, über die Brücke, kam uns ein Soldat entgegen und sagte: „Macht, dass ihr über die Brücke kommt, die Brücke wird gesprengt!” Dann gingen die Pferde der Tante tot, dann musste ich mit ihr mit dem Zug fahren, weil sie alt war und nicht alleine fahren sollte. Wir sind zur Lüneburger Heide gefahren. Unterwegs in Buxtehude war wieder ein Angriff. Wir mussten raus aus dem Zug und mussten uns in die Böschung legen. Als es wieder vorbei war, konnten alle wieder in den Zug. Wir sind nach Ülzen gekommen. Dort war gleich wieder ein Angriff, wir mussten in den Bunker.
Wir kriegten Ein Zimmer zugeteilt. Meine Tante und noch eine Familie. Die hatten eine Tochter, die zwei Jahre älter war als ich. Ich war immer so ängstlich und hatte immer Angst. Ich sagte zur Tante, wenn Fliegeralarm ist, dann denke dran, steh bitte auf und wecke mich. Wenn ich wach bin, wecke ich. Morgens geht das Licht an und die erzählen, es war ein Angriff und ich habe nichts mitgekriegt. Ich sagte zu meiner Tante: „Warum hast du mich nicht geweckt, warum sind wir nicht in den Keller gegangen?“ Sagte sie: „Du lebst doch, wir leben doch alle, ohne dass wir in den Keller gegangen sind!” Da war ich wieder zufrieden. In einer großen Schule in Ülzen haben wir Kaffee, Frühstück gemacht und Mittag gehabt. Das Mädchen, das mit uns im Zimmer war, hat gesagt: „Du, Elisabeth, können wir nicht einmal in die Stadt gehen?” „O, ja“, sage ich, „wenn du meinst!” Da sind wir nach Ülzen, um die Stadt anzuschauen, weil wir ja immer nur eingesperrt waren. Wir sind gerade unterwegs, da gibt’s wieder einen Alarm, wieder ein Bombenangriff, wieder in den Bunker rein. Meine Tante hatte um mich Angst. Ich hatte Angst um sie gehabt. und ich denke, hoffentlich ist sie in den Keller gegangen. Wie das zu Ende war, sind wir im Dauerlauf zur Schule gelaufen und geschaut, ob alles in Ordnung war.
Nach vierzehn Tagen oder drei Wochen sind wir eingeteilt worden auf die Höfe zu den Bauern zu gehen. Wir sind zu einem Bauern nahe Ülzen gekommen, der hatte einen Sohn, der auch im Krieg war und die hatten Arbeiter, Franzosen und Polen, die da geholfen haben. Ich nehme an, dass das die Bauern waren, die von ihren Höfen gehen und wir dort angesiedelt worden sind. Wir waren dann auf einmal fünf Mädchen. Ich war immer die Jüngste. Wir haben alles Mögliche unternommen. Dann kam einmal die Wehrmacht in das Dorf. Die haben bei dem Bauer in der Scheune geschlafen. Morgens gingen immer so und so viele weg und andere kamen dann wieder. Da waren zwei junge Burschen. Der eine war achtzehn und der andere war neunzehn Jahre alt. Die hat mit uns immer schwarzer Peter gespielt, wenn sie zurückkamen und ausgeschlafen hatten. Einer war dabei, der hat mich immer getröstet. „Kommt der Russe?” „Nein“, hat er gesagt: „Schau einmal dort haben sie wieder einen abgeschossen!” Dann hat man das Licht gesehen und die Helle und er hat mir immer erzählt: „Du brauchst keine Angst haben, der Russe, der kommt nicht herein, wir schießen die alle ab!” Dann kam wieder Fliegeralarm.” Wir wussten nicht wohin. Wir waren alle draußen. Im Keller vom Bauern, da war eine Frau mit ihren Kindern aus Hamburg, die dort ausgebombt war und die hat zu uns gesagt: “Kommt alle mit mir!” Wir sind alle mit ihr gegangen und der Bauer hat gerade einen Mistwagen geladen und sie sagte: „Alle unter den Mistwagen!” Wir sind alle unter den Mistwagen hinein. Dann kam meine Großtante und sagte: „Bist Du noch nicht im Keller?” „Nein, die Frau sagte, wir können nicht mehr ins Haus zurück, sonst werden wir erwischt!” Da sagte meine Großtante: „Meinst Du, Du bist da beschützt, wenn eine Bombe fällt?” „Bei Fliegeralarm sind wir ins Haus.” Wir sind alle unter den Mistwagen gekrochen. „Wie kannst du dich unter den Mistwagen legen?” „Frau Koch hat das gesagt.”
Drei oder vier Wochen später sind die Amerikaner gekommen und ein Soldat ruft: „Legt Euch hin!” Aber ich stand auf und lief ins Haus rein. Der Bauer ging raus. Da war ein Jeep, aber die Soldaten waren alle weg. Wo alles vorbei war, sind wir fünf Mädchen wieder auf die Suche gegangen, ob noch Soldaten da waren. Dem Bauer sein Hof ist abgebrannt, durch das Schießen, die Kühe mussten sie raus lassen, etliche sind auch umgekommen. Die Landser, die wir gerne gesehen hätten, die waren so jung. Ich war fünfzehn und die waren auch so jung. Aber wir haben sie nicht gesehen. Dann sind sie abgeführt worden. Die Besatzung kam herein. Der Bauer musste seine Zimmer räumen. Dann hatte die Schwiegertochter mir gezeigt, um der Schwiegertochter beim Melken zu helfen. Aber immer wieder haben wir die jungen Männer gesucht. Haben einen neunzehnjährigen Jungen gefunden und einen Mann, der eine Frau und zwei Kinder hatte, die waren tot in den Löchern. Wir haben das dem Bürgermeister gemeldet und dann gab es ein heimliches Begräbnis in Ebsdorf für sie.
Ich bin dann schwer krank geworden. Die Ärzte hatten mich schon aufgegeben, ich hatte einen Blinddarmdurchbruch. Aber es ist besser geworden. Ich wäre auch nicht zum Arzt gegangen; denn ich wollte nicht zum Arzt. Aber die Großtante sagte, ich wollte nicht zum Doktor, weil ich schwanger wäre. Aber das war nicht der Fall, da bin ich zum Doktor. Da war es schon schlimm um mich. Vom Krankenhaus bin ich in ein Erholungsheim gekommen. Das war in Baracken, wo die Soldaten waren, da war das Essen besser als im Krankenhaus. Da hat mich die Bäuerin besucht und sagte, ich möchte nach Haus, denn sie wollte ihren Verlobten heiraten. Aber ich sollte noch nicht nach Hause, ich war noch so schwach. Sie fragte den Arzt, ob ich zur Hochzeit kommen könnte. Dann hat er mich entlassen, aber ich war noch sehr schwach. Ich musste mich noch erholen. Eines Tages hat mich der Bauer gefragt, ob ich aufs Feld mitgehen könnte. Aber ich war so kaputt, da hat er mich aufs Pferd gesetzt, denn ich war so kaputt und ich bin nach Hause geritten. Dann bin ich mit einem anderen Mädchen zum Arzt gegangen. Ich habe wieder bei dem Bauer gearbeitet.
Meine Verwandtschaft hat mich gesucht, die haben die Adresse erfahren. Da kam meine Tante Johanna, die hatten noch Pferd und Wagen und die waren in Rothenburg ob der Tauber durch die Flucht untergebracht. Dann bin ich vom Bauer weg. Der hatte mich wirklich sehr lieb, auch seine Frau und die Schwiegertochter. Ich war dort so wie in der Familie. Ich aber wollte in meine Familie auch. Aber dann ging es nicht so, wie es sein sollte. Sie wissen ja, keiner hat was, jeder musste sehen, wie sie durchkommen. Dann kam glücklicherweise meine Cousine, von der wir auch nicht wussten, wo sie war. Das war meine Cousine Greta und die hat gesagt: “Fährst du mit mir wieder nach Ülzen, da ist mein Bruder in Gefangenschaft.” Ich bin mitgefahren. Die Bäuerin hat sich sehr gefreut. Ich habe gefragt, ob ich wieder bei ihr anfangen könnte. Dann sagte sie: „Es tut mir leid, wir haben jetzt ein Ehepaar, ein Flüchtlingsehepaar eingestellt und das geht nicht.” Zur Cousine sagte ich: “Such’ du für mich eine Stelle.” Sie hat auch eine Stelle gehabt bei dem Bauer. Als ich kam, sagte sie: „Ich habe eine Stelle für Dich, bei dem Bauer, wo ich anfangen sollte. Sie machte die Kinderbetreuung. Dann bin ich zur Bäuerin in Stedorf und habe gefragt, ob sie mich nehmen will, statt meiner Cousine Greta. Sie sagte, ich könne anfangen. Das war 1947, da habe ich meinen Mann kennengelernt
Ich wusste nicht, wo meine Geschwister waren, die waren alle weg, ob sie noch leben, wo sie sind. Keiner konnte es mir sagen, wenn ich jemanden gefragt habe. Mein Mann war aus Sachsen, und er war schon als Soldat entlassen gewesen. Fritz Clemens hieß er. Wir waren sechzig Jahre und drei Monate verheiratet. Er ist am 30. Dezember 2007 verstorben. Er ist von Leipzig schwarz bei Hannover über die Grenze in den Westen gekommen. Mit einem Freund haben sie zur Fremdenlegion wollen. Sie haben bei Bauern gearbeitet, damit sie etwas zu essen hatten. Sie haben sich von Hannover bis Stedorf, wo ich beim Bauer war, durchgeschlagen. Ich war auf dem Feld, als ich am Abend zum Melken kommen musste. Denn wir waren zwei Mädchen, wir mussten uns immer abwechseln. Einmal war sie und einmal war ich dran zum Melken. Da durfte ich auch eher vom Feld weg. Die Kühe waren auf der Weide, da musste ich mit dem Hund zum Melken fahren. Frau Truhe hatte einen Verwalter und der sagte zu mir: „Frau Truhe hat einen Knecht eingestellt, schau ihn dir an, wie er aussieht und was du für eine Meinung hast.” „Was soll ich ihn anschauen?” Ich habe mich ihm aber nicht vorgestellt, sondern ihn nur von weitem beobachtet. Beim Abendessen haben wir uns gegenseitig vorgestellt und kennengelernt, weil ja auch die anderen Mägde und Knechte da waren. Wie ich zurückkam vom Garten sagte der Verwalter: “Was ist?” „Nun ja, das ist Sache der Frau Truhe, aber graben kann er nicht!”
Meine Mutter war eine sehr gläubige Frau, ich war auch sehr gläubig. Meine Mutter hat uns richtig erzogen, aber ich war katholisch. Ich hab den Herrn immer für alles gedankt und gebetet. Ich bin auch in die Kirche gegangen, es war eine evangelische Kirche in dem Dorf. Als wir verheiratet waren, hatte mein Mann keine Arbeit und vom Arbeitsamt hat er zwei Stellenangebote bekommen nach Duisburg oder nach der Schweiz. Da ich noch jung war, sagte ich: „Gehe nicht in ein fremdes Land, bleib in Deutschland, gehe lieber nach Duisburg auf Arbeit!” War es richtig oder nicht, ich weiß es nicht. Als er dann eine Wohnung hatte, bin ich mit unserem Helmut, wir hatten ein Kind in der Zeit, nach Duisburg. In Duisburg ist dann unser zweiter Junge auf die Welt gekommen, unser Siegfried. Da war etwas, was mir sehr wehgetan hatte. Ich habe meine Geschwister wieder gefunden. Meine Schwester war in der Zeit sechzehn Jahre alt geworden und die hat mir vorgeworfen, ich hätte mich nicht um sie gekümmert. Aber ich hatte mich um sie gekümmert. Ich habe über das Rote Kreuz nach ihnen gesucht. Da gab es etwas und das konnte ich nicht überwinden. Ich bin ein Mensch, wenn etwas ist, da werfe ich gleich die Flinte ins Korn. Zu meinem Mann sagte ich: „Es ist besser, wir gehen von Duisburg weg, suche dir irgendwo eine andere Stelle.” Und da war in der Zeitung ein Angebot nach München. Und da hat er sich nach München aufgemacht. Und da war ich erst mit zwei Kindern in Duisburg und dann ist unser Ältester von der Schule entlassen worden, der ist dann nach München gegangen, weil er Koch lernen wollte. Da habe ich den Jungen zum Vater geschickt nach München und ich bin mit meinem jüngsten Sohn nachgekommen. Das war 1962, ich bin immer noch in meine Kirche gegangen.
Ich bin auch hier immer in die Kirche gegangen. Ich hatte sehr Heimweh nach Duisburg. Ich hatte alle meine Freunde und Bekannten, alle in Duisburg. Eines Tages sind die Missionare gekommen, im Januar 1965. Mein Mann ist nach oben gegangen, als es geschellt hatte. Er kommt dann herunter und hat eine Broschüre in der Hand und zeigt sie mir und sagt, die sollst du lesen. „Was ist das für eine Broschüre?” „Das sind Missionare von Amerika.” „Was ist das für eine Religion?” „Die Mormonen!” „So eine blöde Sekte! Über das Wasser kommen sie und wollen mir das Evangelium predigen. Ich hab doch das Evangelium.” Dann hat es eine Zeit gedauert und es kam keiner. Im März tue ich die Asche hinaus, weil wir noch mit Kohle und Holz geheizt haben. Da sind zwei junge Männer da, „Wir suchen Clemens.” „Ich bin Frau Clemens, wenn Sie am Mittwoch kommen um fünf Uhr, da ist mein Mann da, aber ich bin nicht da, ich bin auf Erholung.” Als mein Mann von der Arbeit kommt, erzähle ich ihm das und ich sage: „Denk dran. Am Mittwoch kommen zwei junge Männer, wenn das die gleichen sind, von denen du erzählt hast, dann sage ihnen, es hat keinen Zweck , ich möchte davon nichts wissen, ich habe meine Religion.” Dann war ich mehr als drei Wochen weg und mein Mann kam mit den Kindern mich besuchen. „Was hast du mit ihnen ausgemacht?” „Wenn Du wieder da bist, dann kommen sie weiter.”
Ich bin heim gekommen, denselben Tag waren auch Missionare da und ich sagte: „Heute habe ich keine Zeit mit Ihnen zu reden. Denn da war auch eine Frau, die auf Erholung war und deren Mann hat sie mit dem Auto abgeholt und die nahmen mich mit nach München. Mein Mann hat gedacht, ich komme mit dem Zug. Dann haben wir Kaffee gemacht, mein Mann hat Kuchen geholt. Da kamen die Missionare und ich habe gesagt „heute habe ich keine Zeit. Kommen Sie ein anderes Mal, heute bitte nicht.” Mein Mann hat einen Termin mit ihnen ausgemacht. Solche Missionare habe ich noch nie kennengelernt, wie diese zwei. Sie sind gekommen, haben uns das Buch Mormon gebracht. Wir haben immer eine Ausrede gewusst. Wir mussten im Garten arbeiten, weil wir als Hausmeister tätig waren, mein Mann nach dem Geschäft und ich. Die kamen und halfen uns. Wir haben gedacht, wir haben eine Ausrede, dass sie nicht kommen sollen. Sie sind gekommen und haben uns geholfen. Die ersten waren der Bruder Lore und der Bruder Milor, das weiß ich noch. Dann sind sie gekommen und wir haben gesagt, wir müssen das Auto reparieren, es ist kaputt. Sie sind wieder gekommen. Der eine hat sich mit unseren Kindern beschäftigt, der andere hat meinem Mann mit dem Auto geholfen. Die kamen immer. Ich habe einen Kuchen gebacken und Kaffee gerichtet. Ich habe sie zum Essen eingeladen. Aber sie sagten, sie trinken keinen Kaffee.
Damals haben wir in Neuhausen gewohnt, nahe vom Nymphenburger Park, in der Kirche war eine große Figur: „Jesus Christus am Kreuz.” Wir gingen spazieren und ich sagte zu meinem Mann: „Das kann doch nicht wahr sein, dass meine Mutter mich falsch belehrt hat, sie hat mir doch das richtige Evangelium gelehrt.” Die Missionare sind versetzt worden, dann ist der Bruder Haken gekommen. Sie hatten uns schon alles gegeben. Die zwölf Lektionen waren durch, aber Clemens waren immer noch nicht so weit Sie wussten nicht mehr was sie uns sagen sollten. Einmal war ich so weit, sie sind gekommen und wir waren schon im Bett und ich sagte: „Nein das hat keinen Zweck, ich muss meinen Kaffee trinken, ich bin rumgelaufen wie in Trance. Ich sagte: „Die Arbeit fällt mir schwer in der Frühe. Hier habt ihr euer Buch.” „Frau Clemens lassen Sie uns noch einmal hinein und wir wollen mit ihnen beten!” Wir haben sie hereingelassen und sie haben mit mir gebetet. Dann haben sie gesagt: „Behalten Sie das Buch, versuchen Sie es noch einmal.“ Dann habe ich es noch einmal versucht und dann ging es. Dann sind sie um 11 Uhr gekommen, haben meinem Mann Bonbons gebracht, damit er das Rauchen aufhören soll. Dann haben sie gebeten, dass wir in die Kirche kommen sollen. Sie hatten uns geholfen, das Auto zu richten, da müssen wir in die Kirche fahren. Wir sind nicht in die Kirche gekommen, ist das Auto kaputt gegangen. Wir fahren mit der Tram. Die Kirche hatte schon angefangen. Und Schwester Lankes hatte ein Baby und stand draußen und sagte: „Gehen Sie doch hinein, die Kirche hat schon angefangen!”
An diesem Sonntag war Präsident Fetzer zum ersten Mal da. Die Missionare haben sich so gefreut und sie haben Präsident Fetzer alles erzählt und er sagte, er fährt uns nach Hause. Die Missionare sagten: „Wir fahren mit ihnen mit der Straßenbahn“, denn die wohnten auch in der Nähe von Nymphenburg. Dann haben wir wieder über alles gesprochen, dann sagte Bruder Gehr zu uns: “Kommen Sie am nächsten Sonntag mit zu der Versammlung.” Die sind gekommen, aber mein Mann schickte mich allein mit ihnen. Es war am Vormittag und nachmittags die Kirche. Dann haben sie ihr Notizbuch herausgenommen und haben gelesen. Da war Clemens bereit, da sind sie abgefallen und so fort. Am Sonntagnachmittag hatte mein Mann ein Interview mit dem Zonenleiter. Mein Mann hat Ja gesagt und ich kann noch nicht. Und mein Mann sagte: „Wenn ich mich taufen lasse, dann lässt auch du dich taufen!”
Da sind wir am 4.Dezember 1965 getauft worden. Mein Mann war bei der GFV, Sekretär war er lange, dann der erste Ratgeber von der Bischofschaft bei Bruder Roggermeier, dann Hoher Priestergruppenleiter, Sekretär, wieder der zweite Ratgeber, in der PV, dann wieder Hoher