Lyck, Ostpreußen

Mormon Deutsch Renate FrenzelIch bin Renate Frenzel, geborene Bergman. Mein Vater wurde 1939 eingezogen als Soldat in der deutschen Armee. Gleich nach dem der 2. Weltkrieg begonnen hatte. Ich war noch nicht einmal ein Jahr alt. Meine Mutter war schwanger mit ihrem 4. Kind.

Mein Vater hieß Max Alfred Bergman, geboren am 4 März 1908. Mutter hieß Walli Elsbeth Gottschalk, geboren am 24 Juni 1911. Beide sind in Königsberg, Ostpreußen zur Welt gekommen. Sie hatten vier Kinder zusammen: Peter-Jürgen Bergman (29 Januar 1936), Marianne Erna Bergman (16 April 1937), ich Renate Elsa Bergman (3 Jan 1939) und Brigitte Roswitha Bergman (21 Februar 1940). Meine Eltern sind beide in Königsberg, Ostpreußen geboren. Mein Vater hat für eine Bank gearbeitet und wurde von Königsberg nach Lyck versetzt. Darum bin ich die einzige, die in Lyck geboren ist.

Als mein Vater als Soldat eingezogen wurde, war meine Mutter mit drei kleinen Kindern alleine und schwanger mit dem vierten Kind. Wie es so weit war, dass das neue Baby geboren werden sollte, fuhr meine Mutter mit uns nach Königsberg zu ihrer Mutter und Schwester. So ist auch Brigitte in Königsberg geboren, Sie kam dann wieder zurück nach Lyck und dieses Mal mit vier kleinen Kindern.

Meine Mutter musste nun in einer fremden Stadt ohne Verwandtschaft mit ihren kleinen Kindern wohnen. Denn unser Vater kämpfte für das Deutsche Reich. Der Führer Adolf Hitler hatte allen Müttern mit mehr als 3 Kindern ein Kindergeld erlassen. Und auch allen Frauen, wo der Mann im Krieg war, ein Pflichtjahr-Mädchen bewilligt, um der Mutter zu helfen. Sie lernten für ein Jahr, wie man Kinder pflegt und erzieht. Wenn das Jahr um war, bekamen wir wieder ein neues Mädchen.

Nach ungefähr 2 Jahren kam mein Vater das erste Mal zum Besuch. Er hat meine jüngste Schwester das erste Mal gesehen. Die Ausländische Militär Flugzeuge flogen schon immer über Ostpreußen und haben auch hier und da Bomben geworfen. Jedes Mal, wenn die Flugzeuge über die Häuser flogen, gingen Sirenen los und alle Leute mussten in den Keller gehen. Wir wohnten im 1. Stock in einem großen Haus. Meine Mutter hatte zu tun, bis sie alle Kinder in den Keller brachte. Gewöhnlich war es am Abend, wenn es dunkel war. In der Zeit durfte kein Licht angemacht werden oder sehr schwarze Verdunklungen an den Fenstern herunter gezogen werden, damit kein Licht durchscheint.

Einmal hat meine Mutter mich vergessen. Sie dachte ich kann schon alleine die Treppen herunter laufen. Aber ich blieb auf der Treppe sitzen und alle waren schon im Keller. Dann kam ein Nachbar zurück und sah mich dort sitzen, nahm mich gleich auf dem Arm und runter zum Keller. Meine Mutter war so dankbar. Am Tag mussten alle Frauen raus auf dem Hof und Übungen machen für Selbsthilfe. Sie mussten lernen, wie man Gasmasken aufsetzt und damit herum geht.

Als mein Vater zum zweiten Mal nach Hause kam, um uns zu besuchen, erzählte er meiner Mutter, wie weit die Russen schon vorgedrungen waren und sie sollte die Kinder nehmen und aus Ostpreußen heraus gehen. Mein Vater musste zurück an die Front, um zu kämpfen. Meine Mutter erzählte diese Sache einer Nachbarin, womit wir sehr befreundet waren. Sie war auch alleine mit zwei Kindern.

Meine Mutter packte alles, was sie tragen konnte, ein in einem großen Rucksack und einige Taschen. Alles andere musste zurückbleiben, wie Möbel, Kleidung und Spielsachen und Lebensmittel. Es war sehr traurig für meine Mutter. Wir Kinder waren noch zu klein, um dieses alles zu verstehen. Die Nachbarin und ihre zwei Kinder gingen mit uns. Wir gingen dann mit Sack und Pack zum Bahnhof, um mit dem Zug zu unserer Oma und Tante zu fahren, welche in Königsberg lebten. Unsere Tante Elni, die Schwester meiner Mutter, hatte auch ihren Mann an der Front und lebte dann mit ihrer Mutter zusammen. Als wir dort ankamen, waren sie überrascht uns dort zu sehen mit all unserem Gepäck. Dann hat meine Mutter ihnen erzählt, dass der Russe schon nicht an Ostpreußen war und später dann hätten wir keine Gelegenheit mehr raus zukommen. So packten sie auch gleich alles Nötige, was man so braucht ein und gingen mit uns wieder zum Bahnhof, um nach Rügen zu fahren und später nach Hamburg, wo wir Verwandte hatten.

Es hieß das der Engländer schon Bomben über Hamburg geworfen haben, wir wussten aber nicht wie schlecht es dort aussah.

Meine Oma ihr Name war: Auguste Louise Böhnke Gottschalk, geboren am 28. Dezember 1891. Meine Tante ihr Name war: Erna Gertrud Gottschalk Lewin, geboren am 18 Mai 1919.

Wir hatten ein bisschen Essen und auch etwas Kleidung mit. Es war, was die Erwachsenen tragen konnten. Mein Bruder war schon 8 Jahre alt und hatte einen kleinen Rucksack zu tragen; wo seine Kleidung drin war. Wir kamen dann am Bahnhof, um unsere Fahrt nach Rügen und dann weiter nach Hamburg zu fahren. Wir dachten wir würden am nächsten Tag in Hamburg ankommen. Wir fuhren schon einige Stunden, bis ein Soldat kam und sagte wir müssen alle aussteigen und schnell; denn der Zug wird gesprengt. Es war schon eine Brücke bombardiert. Es war nachts und der Zug hielt in der Nähe eines Waldes.

Wir mussten Koffer und Taschen drin lassen. Meine Mutter, Oma und Tante hatten nur einen Rucksack auf dem Rücken behalten. So wilderten wir im dunklen Wald herum. Es waren viele Mütter mit Kindern, ein paar ältere deutsche Soldaten und alte Männer, die nicht mehr in den Krieg gehen konnten.

So mussten in unserer Familie die Kinder verteilt werden; damit sie nicht verloren gingen. Meine Tante nahm mich als Kind; meine Oma nahm meinen Bruder und meine Mutter hatte meine ältere und jüngere Schwester an der Hand. Wir hatten alle Angst, denn wir wussten nicht, ob die Russen schon in dem Wald waren. Dann hieß es, sie haben alle Sträflinge aus den Gefängnissen entlassen und sie liefen irgendwo in dem Wald herum. Wieder eine große Angst auszustehen. Die Stadt, wo der Zug hielt, hieß Rostock. Wir liefen im dunklen Wald weiter. Viele Frauen und Kinder weinten, denn sie wussten nicht, wohin sie gehen sollten. Einer lief den anderen nach und ohne Ziel.

Meine Mutter war ein Mitglied der Kirche Jesus Christi der Heiligen der Letzten Tage. Sie wurde getauft in dieser Kirche als sie 15 Jahre alt war. Sie war die einzige in ihrer Familie, die dieser Kirche angehörte. So hat sie gelernt, dass sie zum Vater im Himmel beten kann und wusste, dass ihre Gebete erhört wurden. Sie betete sehr oft, dass uns ja nichts passieren würde. Endlich kamen wir in einen Dorf mit mehreren kleinen Häusern. Wir klopften an die Türen und wollten wissen, ob wir uns niederlassen konnten. Wir mussten so an mehreren Türen vorbei laufen, da uns keiner hineinließ. Diese Bauern hatten schon mehrere Flüchtlinge aufgenommen. Denn es war eigentlich nicht erlaubt Flüchtlinge zu verstecken oder aufzunehmen.

Endlich ließ uns ein Bauer in seiner Scheune rein. Dort waren schon andere Leute und schliefen auf Stroh. Wir waren froh eine Unterkunft gefunden zu haben; denn man durfte im Dunkeln nicht mehr auf der Straße sein. Meine Mutter hatte eine schwere Zeit ihre Augen zu schließen, denn sie sah, wie die Mäuse nachts spazieren gingen. Wir durften nicht umsonst dort bleiben. Meine Mutter, Oma und Tante mussten für den Bauern arbeiten, damit er uns etwas zu essen geben konnte. Kartoffeln aus der Erde butteln, Holz hacken und alles, was der Bauer von uns verlangte.

Dann nach einigen Wochen hörten wir, dass der Russe schon wieder ganz in der Nähe war. So mussten wir wieder alles zusammenpacken und fliehen. Wir liefen auf den Straßen weiter. Wieder an Türen klopfen, um eine Übernachtung zu finden, oder besser gesagt uns von den Russen zu verstecken.

Dann traf meine Tante, sie war erst 24 Jahre alt, einen netten deutschen Soldaten, der uns einige Fahrkarten für den Zug besorgte, damit wir mit einem Flak-Zug nach Hamburg fahren konnten.

Es dauerte nicht sehr lange und der Zug wurde wieder angehalten, alle mussten aussteigen, denn der Zug wurde bombardiert von den Russen. Nun wieder zu Fuß weiter und klopfen an Türen für Unterkunft und Essen. Wir mussten richtig betteln für dieses alles.

Unsere Füße waren voll mit Blasen. Wir waren noch so klein und konnten gar nicht so viel laufen. Meine Mutter hat uns unsere Füße jeden Abend mit alten Lappen bewickelt. Am nächsten Morgen ging es wieder weiter.

Wir liefen dann über ein großes Feld, und als die Russen uns sahen, haben sie auf uns geschossen. Es waren noch mehrere Leute unterwegs. Wir sind gelaufen, damit wir nicht verletzt wurden. Die Russen haben einfach kleine Kinder von den Müttern weggerissen, auf einen großen LKW geladen und weggefahren in andere Dörfer. Wenn andere Mütter sie aufgenommen haben, konnten sie leben bleiben. Sie haben nicht danach gefragt, ob die Kinder geweint haben, oder auch die Mütter. Viele Kinder sind verhungert, weil es einfach nichts zu essen gab. Wir haben später gehört, dass auch welche von unserer Familie verhungert sind. Auch unsere Oma Bergmann. Sie kamen nicht mehr aus Königsberg raus.

Meine Mutter bat so viel gebetet zum Vater im Himmel, er möchte doch ihre 4 Kinder verschont lassen und auch meine Oma und Tante. Ich erinnere oder besser meine Mutter bat es uns erzählt, dass ein russischer Soldat das Kind von einer Mutter, die neben uns stand, aus ihren Annen gerissen hat. Das Kind schrie und die Mutter war so erschrocken und wusste nicht, was sie machen sollte. Meine Mutter konnte dieses nicht mehr ansehen. Sie lief dem Russen nach. Das Kind war auf den Armen des Soldaten mit dem Gesicht nach hinten. Meine Mutter streckte ihre Anne aus, das Kind tat dasselbe, dann riss meine Mutter dieses Kind aus den Armen des Soldaten und rannte zurück zu der weinenden Mutter. Dieses war eine sehr gefährliche Tat, die meine Mutter machte, der Soldat hätte sich umdrehen können und meine Mutter erschossen. Der Russe war aber so erschrocken, dass er einfach weiter ging, ohne sich umzudrehen. Dieses war sicher eine Hilfe Gottes.

Wir sind dann weiter gegangen, denn am Abend durfte keiner mehr auf der Straße sein. Nur noch die Russen. So bettelten wir uns wieder eine Unterkunft zusammen. Auf der Straße lagen tote Menschen verhungert oder erschossen. Es war sehr schlimm, dass wir als kleine Kinder dieses ansehen mussten. Nach langem laufen und hungrig klopften wir wieder an eine Tür, um uns zu verstecken, damit die Russen uns nichts finden konnten, denn es wurde schon wieder dunkel. In dem Haus lebte ein älteres Ehepaar. Der Mann war so ängstlich und wollte uns nicht hereinlassen, denn wenn die Russen Flüchtlinge fanden, wurden die Eigentümer sehr bestraft. Meine Mutter und Tante bettelten sehr, sie möchten doch uns herein lassen, denn die kleinen Kinder sind hungrig und müde. Er sagte zu uns, ich habe nur einen Platz auf dem Dachboden. Sie müssen aber sehr leise sein, denn die Russen kommen jeden Abend, um zu sehen, ob wir Flüchtlinge versteckt haben. Er ließ eine Leiter vom Dachboden herunter und wir stiegen alle rauf und dann versteckte er die Leiter wieder. O, was waren meine Mutter, Tante und Oma glücklich eine Unterkunft gefunden zu haben. Sie versprachen auch sehr leise zu sein.

Es dauerte auch nicht sehr lange und wir hörten russische Soldaten reinkommen, um nach Flüchtlingen zu suchen. Der Mann sagte ihnen, dass hier keine Flüchtlinge im Haus sind. Die Soldaten tiefen durch das ganze Haus, denn sie glaubten diesem Ehepaar nicht. Konnten aber nichts finden. Wir hatten alle schreckliche Angst und meine kleine Schwester fing an zu weinen.

Meine Mutter hatte ihr schnell den Mund zugehalten. Dann fragten die Russen, ob jemand auf dem Boden war. Der gute alte Mann sagte „Nein“! Es dauerte ziemlich lange, bis sie das Haus verließen. Meine Mutter betete zum Vater im Himmel uns doch zu verschonen. Mutter erzählte uns später, dass wenn die Russen noch länger im Hause geblieben wären, wäre meine Schwester wohl erstickt, denn sie hatte der Gitti Mund und Nase zugehalten, damit uns bloß keiner hören konnte. Wir schliefen dann die Nacht dort oben. Und am Morgen gingen wir wieder weiter. Am Tag schliefen die Russen, da sie ja nachts, betrunken in die Häuser kamen.

Am nächsten Abend versuchten wir wieder eine Unterkunft zu suchen. Wir sind von Stadt zu Stadt gelaufen, denn es gab keine Bahn oder Zug. Nichts fuhr mehr. Wir erreichten wieder ein Haus und fragten, ob wir dort bleiben könnten. In diesem Haus saßen schon Mütter mit Kindern und auch einige verletzten deutschen Soldaten. Wir saßen alle herum und unterhielten uns. Es gab nichts zu essen, manche Kinder weinten leise vor sich hin. An dem Abend kamen wieder die Russen laut und betrunken in dieses Haus. Wir hatten alle solche Angst. Sie gingen herum nahmen den Leuten Schmuck und Uhren weg. Manche Soldaten hatten schon 4 und 5 Armbanduhren um ihren Arm. Sie hatten noch nie solche Uhren gesehen. Sie waren wie kleine Kinder die neue Spielsachen bekamen. Sie waren sehr schlecht zu den Müttern. Ich erinnere noch, dass die Frauen sich Asche ins Gesicht schmierten und Kopftücher umbanden, damit sie alt aussahen und unattraktive. Meine Tante war noch sehr jung, erst Mitte zwanzig. So lief sie mit anderen jungen Mädchen raus in den Garten um sich zu verstecken vor den Russen. Die Russen haben alle Frauen genommen und vergewaltigt. Dann nach einer langen Weile kam ein Soldat zu meiner Mutter und sagte sie solle mit ihm in den anderen Raum kommen. Er konnte nur einige Worte Deutsch. Wir standen alle 4 um meine Mutter herum voller Angst. Wir schrieen los, denn wir wollten nicht unsere Mutter verlieren. Wir wussten nicht was der Russe wollte aber wir ahnten es war nichts Gutes. Der Soldat schämte sich wohl und ließ meine Mutter sitzen. Er nahm nur unsere kleine Baby-Decke weg, die wir doch so nötig brauchten. Sie wurde niemals mehr angerührt von den Russen. Meine Mutter betete so inbrünstig zum Vater im Himmel. Meine Tante und Oma waren auch von diesem Ekel verschont geblieben.

Wir hatten sehr viel Angst und auch nichts mehr zu Essen für eine lange Zeit. Es war so furchtbar dieses alles mit zu erleben in unserem Kinder-Alter. Wir kamen dann nach der Insel Rügen. Wir gingen wieder zu einem Bauern, um nach Unterkunft zu betteln und vielleicht etwas zu essen. Dieser Mann, der dort wohnte, war ein Ritterguts Besitzer mit viel Land und Reichtum. Er hatte viele Flüchtlinge dort und nahm uns auch auf. Er hatte ein sehr großes Haus und gab uns einen Raum ab. Meine Oma musste kochen und meine Mutter und Tante musste schwer bei diesem Bauern arbeiten, damit wir für unser Essen bezahlen konnten.

Meine Mutter musste Bäume fällen im Wald und dem Bauern helfen, wo immer er sie gebrauchen konnte. Sie hat gearbeitet wie ein Mann, um uns Essen zu verdienen. Auf Rügen blieben wir einige Monate. Wir Kinder durften auf dem Heuhaufen spielen und herum klettern. Es war einfach toll, und wir haben für eine Weile die Angst vergessen. Wir durften auch, wenn der Bauer das Heu auf einen großen Wagen eingeladen hatte, auf dem Heuwagen oben raufklettern und mitfahren. Es machte uns viel Spaß.

Nach einer langen Zeit hat mein Vater herausgefunden, wo wir uns befanden, und kam nur schnell einmal besuchen. Gitti und ich haben ihn gar nicht gekannt nur Peter und Marianne. Sie waren etwas älter gewesen und haben ihn noch erinnert von Lyck. Mein Vater blieb nur einige Tage dort und musste wieder zurück an die Front, um zu kämpfen, denn der Krieg war noch nicht vorbei. Nach einigen Monaten mussten wir wieder weggehen, denn wir wollten doch nach Hamburg gehen, wo unsere Verwandten waren. Wir wanderten wieder auf der Straße herum um eine neue Unterkunft zu finden. Wir hatten immer noch Angst, dass die Russen kommen würden und uns erschießen.

Nun haben wir es endlich geschafft und kamen in Hamburg an. Wir haben uns etwas hinter den Häusern versteckt oder besser gesagt hinter den Ruinen. Denn Hamburg war so bombardiert, dass nicht mehr viele Häuser standen. Dann sahen wir einige Soldaten herumstehen und wir versteckten uns in einem Garten. Doch dann sah uns ein Soldat und sprach zu uns. Er erzählte uns, dass wir nicht mehr Angst haben brauchen, denn der Krieg ist vorbei. Es war nicht ein russischer Soldat sondern der Engländer war in Hamburg reingekommen. Nun war es mittlerweile Mai 1945. So fragten wir uns durch, wie wir nach Altona kommen konnten, denn dort wohnte meine Omas Schwester unsere Tante Trude. Ach, haben wir uns gefreut endlich unser Ziel erreicht zu haben. Und keine Russen waren in Hamburg. Wir konnten uns doch jetzt richtig waschen und auch gut essen, und keine Angst mehr zu haben, dass die Russen betrunken zu uns kommen.

Am nächsten Tag wurden wir dann zu meiner Mutters Cousine gebracht, denn meine Mutter und wir vier Kinder sollten dort wohnen. Meine Mutters Cousine hieß Eva Frank, Ihr Mann hieß Conrad. Sie hatten auch 4 Kinder, ungefähr in unserem Alter. Sie hatten für uns einen kleinen Raum angebaut, wo wir wohnen konnten. Wir waren so dankbar und glücklich diesen Raum zu haben. Wir hatten keine Möbel oder Betten. So haben uns Leute Möbel gespendet. Die Betten hatten Matratzen aus Stroh, ein kleiner Ofen war drin welcher mit Holz oder Kohlen geheizt wurde. Das Wasser wurde von einer Pumpe im Garten geholt. Die Toilette war ein kleines Häuschen im Garten. Es war für uns, nach so langer Zeit, ein Palast. Wir brauchten nicht mehr für eine Unterkunft zu betteln.

Aber auch diese Freude sollte nicht lange dauern. Wir hatten kein Geld und der Staat wollte uns nicht helfen, da mein Vater in russischer Gefangenschaft war und wir wussten auch nicht, ob er noch am Leben war. Meiner Mutter wurde gesagt sie sollte ihn für tot erklären, dann könnten sie uns helfen und Geld geben. Da sie dieses nicht tat, weil sie nicht wusste, wo er sich befand und ob er noch am Leben war, sollte meine Mutter mit uns vier Kindern in das Flüchtlingslager gehen, dann würden sie für unser Essen sorgen. Dort waren sehr viele Mütter mit Kindern. Jede Familie war abgeteilt in einem großen Raum mit Decken. Dort hätten wir wohnen und schlafen müssen.

Meine Mutter weinte sehr und betete zum Vater im Himmel möge er uns doch helfen, dass meine Mutter eine Arbeit finden kann und wir bei ihrer Cousine bleiben können. Es war sehr schwierig zu dieser Zeit Arbeit zu finden. Der Himmlische Vater hörte ihr Gebet und sie fand eine Arbeit in einer Näherei. Der Staat willigte dann ein, dass wir in einen Kindergarten gehen konnten. Die Schule war auch in der Nähe, so konnten wir gleich nach der Schule zum Kindergarten gehen und dort unsere Schularbeiten machen mit Aufsicht einiger Frauen.

Meine Mutter verließ das Haus sehr früh am Morgen ungefähr um 6 Uhr morgens, um zeitig in der Arbeit zu sein. Sie hatte einen langen Weg, bis sie zur Straßenbahn kam, um dann in die Arbeit zu fahren. Sie weckte uns schon sehr früh, damit sie uns drei Mädchen die Haare kämen, konnte. So saßen wir im Bett, bis es Zeit war, für uns aufzustehen und zur Schule zu gehen. Wir hatten einen weiten Weg bis zur Schule – ungefähr 45 Minuten. Unsere Kleidung war alles geschenkt von anderen Kindern. Wenn wir dann am Abend nach Hause kamen, war nichts zu essen da. Wir haben Mittag im Kindergarten gegessen oder auch manchmal bekamen wir Essen in der Schule. Wenn meine Mutter nach Hause kam, musste sie erst uns etwas zu essen kaufen und dann es auch noch kochen. Zu dieser Zeit gab es Marken, um etwas einzukaufen. Wir hatten ja nicht viel Geld so wurde manchmal ein Brot gekauft, welches meine Mutter 3-4 Tage einteilen musste. So machte meine Mutter mit dem Messer kleine Schnitte rein und dann wussten wir, wie viel Brot wir an einem Tag essen konnten. Sehr oft gingen wir hungrig ins Bett; denn das Brot war nicht sehr groß. Wir hatten auch nicht immer Kohlen, um unser Essen zu kochen. Wir hatten auch nicht jede Woche ein Brot so gab meine Mutter uns eine Scheibe Steckrübe zur Schule mit. Wenn wir dann ein Brot hatten, wurde für jedes Kind eine Scheibe abgeschnitten und wir nahmen sie dann mit zum Kindergarten, dort haben wir sie auf den Ofen gelegt um sie zu rösten. Wir waren nicht die einzigen Kinder, die nichts hatten. Es waren noch mehrere im Kindergarten so arm wie wir.

Im Winter hatten wir keine warme Kleidung oder gute Schuhe. Meine Mutter bekam manchmal einige Kleider geschenkt und machte aus einem großen Kleid zwei kleine für uns. Sie musste alles mit der Hand nähen, denn sie hatte ja keine Nähmaschine. Am Tag ging sie zur Arbeit und nachts, wenn wir schliefen, hat sie uns ein Kleid genäht. Dann musste sie am nächsten Morgen wieder zur Arbeit und hatte noch nicht einmal viel geschlafen oder genug zu essen gehabt. Ich weiß nicht, wie sie dieses alles geschafft hat. Meine Mutter hatte eine wunder schöne Stimme, so wurde jeden Abend, wenn sie nach Hause kam und bis das Essen fertig war, gesungen. Wir kannten so viele Lieder. Es dauerte manchmal sehr lange, bis das Essen fertig war, denn das Holz war nass und wir hatten nicht immer Kohlen. Es wurde gepustet und gepustet, bis endlich das Holz gebrannt hat. Mein Bruder Peter musste viel helfen das Feuer zum Brennen bringen.

Wir wohnten nicht an einem Bahndamm, dort kam ein Güterzug jeden Tag 2 Mal vorbei. Manchmal waren einige Wagen mit Kohlen beladen. So, wenn es dunkel war und ein Zug kam vorbei mit Kohlen, da waren einige Männer, die verstanden haben, diesen Zug anzuhalten. So kamen viele Nahbaren um Kohlen zu stehlen. Meine Mutter ging auch mit meinem Bruder Peter los, sie hatten einen kleinen Sack und füllten ihn mit einigen Kohlen, denn sie konnten nicht so viel tragen. Peter war noch zu jung, um so viel Gewicht zu heben. Es war nicht richtig zu stehlen, aber wir hatten nichts um unser Essen zu kochen. Wir hatten ja kein Geld um uns einige Kohlen zu kaufen.

Wir hatten auch kein Obst oder Gemüse obwohl meine Mutters Cousine einen großen Garten hatte aber wir durften nichts davon nehmen. Wenn manchmal nachts ein großer Storm war, ging meine Mutter raus, bevor sie zur Arbeit ging und holte uns einige Äpfel vom Boden die heruntergefallen waren. Wir legten sie uns dann auf unser Brot, weil wir keinen Aufstrich hatten. Meine Mutter nähte zwei kleine Taschen für Brigitte und für mich damit gingen wir in der Nachbarschaft etwas Holz suchen. Es waren natürlich nur kleine Stücke.

Unsere Toilette war ein kleines Häuschen draußen. Wenn es abends dunkel war, musste mein Bruder mit uns gehen und mit der Taschenlampe uns das Häuschen beleuchten, denn wir hatten Angst im Dunkeln alleine draußen zu sein. Obwohl der Krieg schon eine Weile zu Ende war, hatten wir trotzdem nicht viel Geld, um uns Essen oder Kleidung zu kaufen. Wir hatten zwar Lebensmittel Karten und doch war es vorgeschrieben, wie viel Milch und Butter man kaufen konnte. Das Brot, was wir kauften, war nicht immer aus Mehl gebacken sondern auch aus Mais, was sehr schwerfeucht und klein war. Wir waren froh, dass wir noch immer in den Kindergarten gehen konnten, denn dort bekamen wir wenigstens eine Mahlzeit. Wir haben viel gelernt im Kindergarten. Es wurden Theaterstücke aufgeführt, viel gesungen und auch paar Spiele gespielt. Aber es war alles, nachdem wir unsere Schulaufgaben erledigt hatten. Es waren dort viele Kinder, wo die Mütter arbeiten mussten, da die Männer im Krieg oder Gefangenschaft waren. Am Abend gingen wir dann alle wieder nach Hause.

Da meine Mutter ein Mitglied der Kirche Jesus Christi der Heiligen der Letzten Tage war, sind wir dann ab und zu zur Kirche gegangen. Wir konnten nicht jeden Sonntag gehen, da es sehr weit war nach Altona zufahren, denn wir hatten auch nicht immer das Fahrgeld.

Wie ich dann 8 Jahre alt war, wurde ich in dieser Kirche mit meinen Geschwister und Oma getauft. Ich habe eine schöne Erfahrung gemacht an unserer Taufe, und zwar war es ein Gewitter Wetter, dass wir dachten, wir könnten nicht taufen, aber als wir zur Badeanstalt kamen und ich getauft werden sollte, kam die Sonne heraus und es war kein Gewitter mehr. Aber als alle fertig mit der Taufe waren, fing es wieder an zu donnern und blitzen.

Der Hauptplatz der Kirche war im Staate Utah in Amerika. Als die Mitglieder gehört hatten, dass es uns allen hier in Deutschland so schlecht ging, wurden Lebensmittel und Kleidung geschickt. Meine Mutter wurde dann auch benachrichtigtet sich etwas für unsere Familie abzuholen. Es gab einige Dosen mit Pfirsichen oder Birnen und Grütze. So wurde in unserer Familie viel Grütze gegessen. Meine Mutter hatte immer andere Rezepte versucht. Manchmal gab es Grütze mit Milch, Wasser, Brühwürfel oder auch Pfandkuchen gebacken. Morgens und abends gab es nur Grütze. Meine Mutter sagte immer, wie dankbar sie dafür war, denn wenn wir dieses nicht hätten, wer weiß, ob wir so gesund gewesen wären. Doch auch hier gab es unter den Mitgliedern etwas Streitereien, denn wer an der Spitze war dieses alles zu verteilen, hat natürlich zuerst für seine Familie gesorgt. So hatten die Kinder schöne Kleidung und auch genug zu essen. Dieses war natürlich nicht sehr christlich.

Für meine Mutter war es zu weit zu Fuß zugehen, und Fahrgeld hatten wir auch nicht immer, so sind wir nicht immer ran gekommen etwas abzuholen. Auch konnten wir nicht regelmäßig die Versammlungen besuchen. Wir sind aber immer zu den Konferenzen gegangen. Dann hieß es einmal, dass ein General Autorität nach Deutschland kommt zur Konferenz. Es war Präsident Benson. Zu der Zeit war er allerdings noch kein Präsident

Wir fuhren dann auch zu dieser Konferenz, kamen natürlich spät, da wir einen langen Weg hatten, so mussten wir ganz hinten sitzen und konnten die Sprecher kaum sehen. Für uns Kinder war es natürlich sehr langweilig, denn wir konnten nicht alles verstehen. Dann hörten wir das alle Kinder die in dem Raum saßen nach vorne kommen möchten, um sich etwas abzuholen. Wir bekamen alle ein Orange. Wir wussten nicht, was wir damit machen sollten, bis einer sagte, die kann man essen. Wir bissen rein und wollten sie essen wie ein Apfel; dann sagte meine Mutter die muss man erst abpellen. Wir kannten ja so etwas nicht.

Ach, es waren schon schwere Zeiten und trotzdem waren wir sehr glücklich, so eine Mutter zu haben, die mit uns gesungen hat und für uns gesorgt hat. Wir sangen viele Kirchenlieder, die meine Mutter noch gekannt hat.

In der Zeit, wo wir in Hamburg wohnten und durch die schlechte Zeit gingen, war mein Vater in russischer Gefangenschaft. Er war 3½ Jahre in Sibirien. Er wusste, nicht wo wir waren oder ob wir noch lebten. Auch wir haben von ihm nichts gehört. Meine Mutter ging dann zum Roten Kreuz und gab seinen Namen ab. Denn dort wurde gesucht für Personen, die man nicht wusste, ob sie noch am Leben waren.

Dann wurde mein Vater 1948 von seiner Gefangenschaft entlassen und das Rote Kreuz benachrichtigte, dass seine Frau und die 4 Kinder in Hamburg wohnten. Meiner Mutter hatten sie dann auch mitgeteilt, dass mein Vater in Sibirien gefangen genommen war von den Russen und bald entlassen würde. Leider wussten wir nicht, wann es sein würde.

Dann ging mein Bruder Peter und Schwester Marianne auf eine Reise vom Kindergarten. Wir zwei jüngere Kinder durften nicht mit. So haben wir jeden Abend auf meine Mutter gewartet, bis sie von der Arbeit kam, denn wir dachten vielleicht kommt unser Vater eines Tages nach Hause. Wir beide kannten unseren Vater gar nicht. So war es dann auch. Er kam nach Hause hatte eine dicke Jacke an, wie die Russen getragen haben, einen Bart und Mütze auf. Meine Schwester und ich dachten nun kommen die Russen wieder auch nach Hamburg. Wir beide rannten weg und liefen den ganzen Weg bis zur Straßenbahn Haltestelle, um meine Mutter abzuholen. Dann haben wir ihr erzählt, dass ein Russe in den Garten gekommen ist und wir solche Angst hatten. Meine Mutter lachte und sagte es war sicher euer Vater.

Zu der Zeit wohnten auch seine Schwester mit Mann bei meiner Mutters Cousine. So haben sie ihn gleich erkannt und zu sich genommen. Brigitte und ich haben es nicht glauben können, dass unser Vater so schlecht aussah. Wir hatten immer ein sehr kleines Bild stehen von ihm und darauf sah er gut aus.

Nach einigen Tagen kamen dann auch mein Bruder und Schwester nach Hause. Wir haben sie vom Bahnhof mit unserem Vater abgeholt. Die beiden haben ihn sofort erkannt Sie waren auch etwas älter als wir und konnten sich noch auf ihm erinnern. Nun war mein Vater zu Hause und unser Leben war auch nicht viel besser geworden. Es gab noch immer nicht viel zu kaufen und unser Geld hat sich auch nicht sehr vermehrt. Wir wohnten nun in zwei kleinen Räumen mit 6 Personen. Mein Onkel hatte uns noch einen sehr kleinen Raum angebaut. Mein Vater bekam etwas Geld nach seiner Entlassung – aber es reichte auch nicht sehr weit, denn er kam krank nach Hause. Er hatte so viel Wasser im Körper und wog 200 Pfund, damit konnte er natürlich nicht arbeiten. Er wurde dann zur Erholung geschickt für 4 Wachen. So musste meine Mutter weiterhin viel arbeiten und die Familie ernähren.

Nach vielen Monaten bekam mein Vater dann endlich eine Arbeit auf dem Finanzamt. Diese Arbeit besorgte ihm ein guter Bekannter. Nun dachten wir alle unser Leben würde jetzt besser werden und meine Mutter hätte es viel besser. Aber es war nicht so. Als Soldat lernte mein Vater richtig zu Rauchen und Alkohol zu trinken. Als Soldat bekamen sie Zigaretten, anstatt etwas zu essen. Auch Alkohol wurde reichlich ausgegeben. Mein Vater war kein Mitglied unserer Kirche. Nun ging das Elend wieder los; denn er verbrauchte viel Geld für Trinken und Rauchen.

Wir wohnten dort in dem Gartenhaus bei meiner Mutters Cousine bis 1951, in Stellingen. Dann bekamen wir vom Wohnungsamt eine Mietswohnung in Barmbek. Die Wohnung hatte zwei Zimmer, eine Küche und ein Badezimmer. Dort hatten wir auch fließendes Wasser in der Wohnung, was wir nicht in Stellingen hatten. Wir waren 6 Personen. Meine Eltern hatten im Wohnzimmer auf einer Auszieh-Couch geschlafen, welche jeden Morgen wieder zusammen geschoben wurde, damit man darauf sitzen, konnte wir Kinder schliefen dann in dem anderen Raum.

Von da an gingen wir Kinder auch jeden Sonntag in die Kirche. Wir mussten mit der U-Bahn fahren und noch ein ganzes Stück laufen. Unsere Mutter kam nicht immer mit, da mein Vater es nicht wollte. Meine Eltern und wir drei Mädchen sangen aber im Chor für die Konferenzen. Meine Mutter hat sehr oft im Duett gesungen mit einer Schwester. Sie hatte eine so schöne Alt-Stimme. Mein Vater hatte auch eine gute Stimme und sang im Bass mit. In unserer Familie wurde viel gesungen und Operetten und Opern im Radio gehört.

Nun sollten wir zufrieden sein mit unserer Familie~ aber es war nicht so. Meine Mutter musste ihr Leben lang arbeite, weil mein Vater nur für sich sorgte, und trank so viel. Somit hatte er sehr viel Geld vertrunken.

Wir haben alle 4 Kinder einen Beruf erlernt. Selbst als wir fertig waren mit unserer Lehre, welche 3 Jahre dauerte, mussten wir alles Geld abgeben, da meine Mutter nicht genug zum Leben für unsere Familie Ratte. 1957 wanderte dann meine Tante Erni und Onkel Walter und auch unsere Oma nach Amerika aus. Sie waren unsere besten Verwandten. Aber es dauerte nur 4 Jahre und sie haben für uns einen Bürgen besorgt, dann sind wir nach Amerika ausgewandert. Es war 1961.