Hamburg

Mormon Deutsch Gerhard Heinrich Julius FrickeIch heiße Gerhard Heinrich Julius Fricke, geboren 1923. Mein Vater heißt Henry Fricke und meine Mutter hieß Brunhilde geborene Maier. Mein Vater ist auch getauft worden, wurde aber nur Diakon. Meine Mutter war aktiv, wie sie konnte, sie war aber nicht mehr so gesund. Wir sind eigentlich aus der dritten Generation. Unsere Eltern haben nach dem Krieg in Hamburg gewohnt, wo alles abgebrannt war. Meine Großeltern aber waren zu uns gezogen, weil sie nicht mehr so konnten und auch nicht das Geld hatten – da haben wir sie bei uns aufgenommen.

Mein Vater war Soldat bei der Bahnhofskommandantur und er war zuerst eingezogen und dann kam mein Bruder Harald und dann bin ich auch noch zuletzt zur Wehrmacht gekommen.

Ich habe in der Kriegsrüstung gearbeitet, bei den U-Booten, an einer großen Sauerstoffbrennmaschine und habe unter anderem die dicken Eisenplatten mit ausgebrannt für die U-Boote. Nach der Arbeit war ich abends immer sehr müde und bei Fliegeralarm bin ich oft oben in unserer Wohnung geblieben, um zu schlafen, anstatt in den Keller zu gehen, weil ich eben zu müde war. Meine Mutter hatte immer Angst gehabt, dass ich nicht runter komme und dann eines Tages hatten wir wieder Fliegeralarm. Ich war oben geblieben und dann knallte es, die Fenster flogen auf und alles flog durcheinander. Ich zog natürlich meinen guten Anzug an, doch das Jackett hatte ich nicht mehr mitbekommen, nur die Hose und dann runter in den Luftschutzkeller. Das war in der Norderstrasse wo wir das erste Mal ausgebombt wurden.

Darauf gingen wir zu meiner Tante, Mariechen Lampe, die haben uns, da wir ja nun Obdachlos waren drei bis vier Tage aufgenommen und da fing sie an zu jammern: „Das ist so eng“. „Ach Tantchen, “ sagte ich, „morgen bist Du dran“. Und so ist es auch gekommen. Das war in der Olgastraße. Beim nächsten Luftangriff – es muss der vierte gewesen sein – da wackelte das Haus, und ich sagte zu meiner Schwester, zu meiner Mutter und zu meiner Tante, die nicht raus wollten: „Ihr müsst raus hier, das Haus fällt zusammen”! Es knirschte schon überall, und dann habe ich sie bei den Händen genommen und sie raus gerissen und zum Bunker gezogen.

Die Olgastrasse war so eine schmale Straße und das Haus in dem meine Tante wohnte lag am Anfang – was unser Glück war, wodurch wir nämlich schnell aus dem Haus und schneller zu dem in der Nähe liegenden Bunker kamen. Als alles brannte herrschte in den Straßen Hamburgs eine Hitze von rund 800 Grad C, man wäre also sofort verbrannt, wenn man nicht rechtzeitig das Haus verlassen konnte. Deshalb sind wir immer schnell weg gekommen. Mein Bruder Harald war auch da, als wir dann in den Keller gingen und die Bomben fielen. Er wohnte nämlich auf der gegenüber liegenden Seite der Straße und kam in den gleichen Bunker. Meine Schwester sagte noch vor ein paar Tagen: „Gerd, du hast uns gerettet, weil du uns mit Gewalt raus gezogen hast“.

Wo hier in Hamburg alles brannte und wir ausgebombt waren, hatten wir also kein Obdach mehr, und sind mit Elbkähnen vor dem Brand geflüchtet, indem wir die Elbe aufwärts fuhren in Richtung Lauenburg. Das waren die Elbkähne in denen die Bauern das Gemüse transportierten und jetzt wurden sie dafür verwendet die Menschen aus der Brandhölle Hamburgs heraus zu bringen. Also, eigentlich wollte ich nicht gleich mit den Elbkähnen wegfahren. Ich wollte noch sehen, wie so alles aussieht. Aber das war nicht möglich. Wir hatten keine Unterkunft mehr gehabt, kein Dach über dem Kopf und nichts zu essen. Von Lauenburg fuhren wir mit der Reichsbahn Richtung Büchen und von dort wurden dann mein Bruder Harald, meine Schwester Karla, meine Mutter und ich per Bahn nach Marienwerder.in Westpreußen verfrachtet (heute Kwidyzn in Polen) dort bekamen wir dann etwas zu essen und neue Kleidung.

Einige Wochen waren wir dort, da kam eine Bekanntmachung heraus, dass sich alle Jahrgänge zur Wehrmacht stellen sollten. Da sagte ich: „Harald, wir hauen jetzt ab. Wir werden uns hier nicht stellen, wir werden das in Hamburg machen“.

Dann haben wir noch einen Bruder Nöhring getroffen, der war schon alt und hatte ein wenig auf dem Bauernhof gearbeitet. Er wollte gerne, dass wir ihn mitnehmen. Da sagte ich: „das geht nicht, das können wir nicht tun “. In Hamburg war nichts für diesen Bruder und er konnte sich nicht selbst helfen, doch in Hamburg wäre er sich selbst überlassen gewesen. Aber vielleicht hätten wir ihn doch mitnehmen sollen, denn er ist dann nachher auf dem Haff im Eis auch umgekommen. Das haben uns seine Kinder nachher von ihm erzählt.

Ich bin ja auch eingezogen worden. In Bremen wurde ich ausgebildet. In der Scharnhorstkaserne war ich ein halbes Jahr und dann gingen wir an die Front, in die Eifel, an den Deutschen West-Wall-Bunker.

Mein Bruder war bei der Panzerabwehr und ich bei den Nebelwerfern wo ich noch zum Oberkanonier befördert wurde. Jedes Geschütz hat seinen Nebel, besonders bei den Raketen, bei denen der Feind ja sehen kann, wo die Abschüsse herkommen. Deswegen werden ja Nebelgranaten abgeschossen.

Eigentlich sollten wir nach der Normandie abkommandiert werden, aber das brauchten wir nicht mehr, da war der Krieg ja schon ziemlich zu Ende und kurz darauf wurden wir dann auch von den Amerikanern gefangen genommen. Man transportierte uns zum Ulmer Münster und dort mussten wir mit ca. 30.000 Mann auf einer Wiese und einem Kartoffelacker ausharren Da es wohl länger dauern würde, hatte man uns gesagt: „Macht es euch gemütlich, grabt euch ein “. Das haben wir dann auch getan und die Regenplane drüber gelegt. Trotzdem war es bei Regen sehr matschig.

Aber wenigstens gab es täglich noch etwas zu essen und dazu eine 30.000 Mann lange Schlange zum Anstehen und das alles bei dem Matsch. Es gab eine Dose Bohnen, eine Scheibe Brot und einen Würfel Zucker, sowie Klopapier, was wir gar nicht brauchten.

Acht Wochen war ich in Gefangenschaft, dann wurde ich wieder entlassen. Den Entlassungsschein habe ich noch aufbewahrt. Ich fühlte mich durch meinen Sprachfehler oft gesegnet. Dadurch bin ich als Reservist viel frei gestellt gewesen und eigentlich immer leicht durchgekommen.

Es gab 3 Gemeinden in Hamburg: 1) Gemeinde Sankt Georg – wir nannten sie immer die “Reisegemeinde”; 2) die Gemeinde Barmbek – wurde die “Gouvernanten-Gemeinde” genannt; 3) und die Gemeinde Altona, die den Namen “Oma-Gemeinde” hatte. Das gesamte Stadtgebiet Altona war zur Hitlerzeit, am 1.April 1938 zu Hamburg geschlagen worden und somit nun nicht mehr Schleswig-Holstein sondern Hamburger Stadtgebiet geworden. Damit war es endlich seinem Namensstamm erlegen, nämlich “All-zu-nah” (in Hamburger Platt) “All-zu-nah” an Hamburg dran.

Die Sankt Georg und die Barmbeker Gemeinde waren im Krieg zerstört worden und die Geschwister aus Hamburg kamen in die einzige noch existierende Gemeinde in Hamburg: Altona in der Westerstraße. Es war eine Freimaurerloge, in der sich nach dem Krieg alle treffen konnten. Teilweise waren es über 120 Personen und das wurden dann immer mehr als die Männer aus der Gefangenschaft zurückkehrten und die Familien sich wieder zusammenfanden. Man hatte keinen Platz mehr. Eines Tages war es zuviel und damit wurde es dann auch geteilt in 1) Hamburg, Gemeinde Wilhelmsburg (in einer alten Wehrmachtsbaracke) und 2) blieb der Rest in der Freimaurerloge in Altona. (Kleine Westertrasse), 3) Etwas später dann in der Schule Fischers-Allee in Altona und 3) wurde ab 1957 ein eigenes Gemeindehaus gesucht und gefunden an der Elbchaussee 180 – was seit Januar 1958 das heutige Altonaer-Gemeindehaus ist.

Bei Teilung ging ich mit zur Wilhelmsburger Gemeinde. Dort habe ich dann eine Wohnung bekommen über Bezugschein, die uns viel Geld gekostet hatte, sie zugewiesen zu bekommen und zu renovieren.

Dann aber sagte Bruder Panitsch – der Gemeindepräsident und später der erste Pfahlpräsident war – eines Tages: “Gerd, Du wirst in Altona gebraucht. Wir haben uns eine alte Villa in Altona angesehen und das soll das Altonaer Gemeindehaus werden. Aber das Haus ist eine Ruine. Wir brauchen Dich, sie wieder herzustellen “.

Da haben wir uns die Villa angesehen und sind hier in die Ruine gezogen und haben sie – natürlich im Auftrag der Kirche – Stück für Stück umgebaut und für die Gemeinde wieder hergestellt. Unsere Neubauwohnung in Wilhelmsburg hatten wir dem damaligen Bewohner der Villa gegeben, damit wir anfangen konnten zu arbeiten, nachdem er ausgezogen war.

Große Bauarbeiten wie den Einbau von eisernen Stützpfeilern und Trägern wurden durchgeführt, um dieses schöne Gebäude zu retten, denn es war schon als baufällig gemeldet und stand beim Amt in den Büchern zum Abriss. Heute steht es unter Denkmalschutz mit seinen starken eisernen Abstützungen, seinen neuen Leitungen und Verkabelungen die wir eingebaut haben.

Weil die Wohnung in Wilhelmsburg aber auf Bezugschein war, musste ich unterschreiben für die nächsten 25 Jahre keinen Anspruch mehr auf eine Sozialwohnung zu haben. Das waren Bedingungen die die Kirchenführung mit übernehmen musste, als sie mich dann nach den ersten drei Jahren als ständigen Hausmeister anstellten. Das ging auch alles genau auf. Mit 63 ging ich in Rente. Ich wollte zwar noch weiterarbeiten, aber die Kirche wollte das nicht. Die Hausmeister in den Gemeindehäusern wurden alle abgeschafft, weil die Wartung die Gemeindemitglieder übernehmen sollten. So bin ich dann, als ich in Rente ging, ausgezogen in eine eigene Wohnung, die ich in der Nähe fand und für unsere Bedürfnisse zurechtmachte. Durch die Aufrechterhaltung guter, nachbarschaftlicher Beziehungen um das Gemeindehaus herum durch freundliches und hilfsbereites sich Bekanntmachen und meine ständigen Arbeiten an unserem eigenen Gemeindehaus haben mir dann auch zur Zeit meiner Rente die Möglichkeit verschafft ganz nahe eine schöne Wohnung zu finden.

Heute bin ich 85 Jahre alt und immer noch in der Gemeinde tätig. Meine Anwesenheit in der Nähe der Kirche war schon erforderlich, da immer wieder nach dem Schlüssel oder anderen Dingen im Hause gefragt wurde. Weiterhin wollte ich nach dem Rechten sehen, die Gartenarbeit machen und viele kleine Ausbesserungsarbeiten erledigen, die sonst wohl nicht gemacht worden wären. Diese Villa war im Laufe meines Lebens zu meinem eigenen Werk geworden. Mich um sie zu sorgen und sie in Ordnung zu halten war mir zur zweiten Natur geworden. So ist sie heute noch die “Vorzeige-Gemeinde” des Pfahles Hamburg. Ich habe ein festes Zeugnis, dass der Vater im Himmel mich ein Leben lang geführt hat und die wiederhergestellte Kirche vom Herrn geführt wird, ich habe es selber oft genug gespürt.