Insterburg, Ostpreußen
Mein Name ist Ruth Fricke, geborene Braun. Geboren bin ich am 01.Oktober 1923 in Insterburg in Ostpreußen. Mein Vater hieß Gustav Wilhelm Braun und war kein Mitglied der Kirche. Meine Mutter, Minna Maria Kommetat Braun wurde im Jahre 1930 oder bis 1933 vom Evangelium bekehrt durch die Missionare. Sie war eine Wahrheitssucherin, alle Kirchen hat sie untersucht und wir als Kinder gingen da immer zur Sonntagsschule, daher wurden wir immer sehr gut unterwiesen. Und eines Tages lernte meine Schwester, Anna Sanne, die Missionare kennen, im Park. Und die luden sie ein, zur Versammlung zu gehen. Und sie ging hin und kam dann nach Hause und sagte, sie habe eine Sonntagsschule gefunden, da gibt es Bonbons. Ach, da wollten wir ja alle hin. Dadurch, dass die Kinder hingingen, und die Schwester, die uns unterrichtete, wenn wir artig waren, dann gab sie uns ein Bonbon. Das war die Belohnung.
Da wir so oft hingingen, kamen die Missionare zu meiner Mutter ins Haus zu uns und meine Mutter wusste sofort, dass es die Wahrheit war, als sie ihnen davon erzählte und sagte, sie möchte getauft werden. Und dann sagte Bruder .Blackmore, der hat sie damals belehrt: „Frau Braun, Sie sind noch lange nicht soweit, Sie müssen noch ein Jahr warten“. Und da sagte sie zu mir, ich war damals ein kleines Mädchen: „Was, bin ich denn so schlecht, dass der Vater im Himmel mich nicht haben will?“. Sie war ganz traurig. Eines Tages wurde dieser Bruder Blackmore versetzt und einige Wochen später hörte sie, er konnte so gut Klavier spielen, als wir zur Versammlung gingen, den Bruder Blackmore und da hatte der Missionspräsident, er war nach Berlin versetzt worden, und der Missionspräsident hatte ihn von Berlin wieder zurückgeschickt und hatte gesagt, er kann Frau Braun taufen. Da wurde meine Mutter getauft und etwas später meine beiden älteren Schwestern.
Und als ich 10 Jahre alt war, das war 1933, wurde mein Bruder und ich getauft. Für mich war das ein großes Erlebnis, ich hatte das auch schon in der Sonntagsschule erzählt, dass ich fühlte, wie der Heilige Geist zu mir kam. Das hat mich immer so begleitet und das war auch so, als ich dann, ich habe auch die Schule besucht. Als meine Schulzeit zu Ende war, war ja damals Verpflichtung im 3. Reich, dass man ein Pflichtjahr absolvieren musste. Und ich wollte nicht in städtischen Haushalt, ich wollte in die Landwirtschaft. Dann bin ich hin und habe mich den Bauern vorgestellt. „Nein, dich können wir nicht gebrauchen“ sagten sie, „du bist viel zu dünn, du kannst nichts“. Da war ich schon beim Dritten gelandet und da sage ich: „Na Sie können es doch mal versuchen und wenn ich nichts tauge, dann können Sie mich ja immer noch wegschicken“. „Gut, dann kannst du bleiben“. Und da habe ich dann mein Jahr absolviert und danach habe ich eine Lehre durchgemacht als Verkäuferin, 3 Jahre. Und 1940 da war ich in einem Geschäft tätig, es war eine Wirtschaft, und da musste ich weg, weil ich der jüngste Lehrling war, weil mein Chef keine Rohstoffe mehr bekommen konnte und er musste Geschäfte schließen. Und dann habe ich in einem Lebensmittelgeschäft zu Ende gelernt. Ich habe meinem Chef auch das Evangelium verkündet und da sagte er zu mir: „Frau Braun, ich bewundere Sie, aber ich kann das nicht glauben“, sagte er zu mir. Na ja, aber immerhin. Es war ein netter Chef.
Und dann habe ich da gearbeitet, ja gesagt und da brach dann der Krieg aus. Und das Geschäft, in dem ich arbeitete, wurde als kriegswichtig erklärt. Also, Frauen und Kinder wurden alle aus der Stadt rausgebracht, weil der Russe immer dichter kam, und dann wurde das kriegswichtig erklärt und ich musste da in dem Geschäft bleiben. Mein Vater, der bei der Bahn arbeitete, und der hat beim Fahren Personal, und der hat so verschiedene Schichten gehabt. Und er und ich, wir waren noch die Einzigen, die in unserem Haus waren. Mein Vater, der hat immer auf mich aufgepasst, immer gesagt: „Bring nie einen Mann mit, wenn ich nicht da bin und so“, weil wir immer so junge Leute kennen lernten. Mit denen haben wir uns dann unterhalten usw. Und dann hat er mich immer gewarnt. Aber jedenfalls eines Tages hieß es, wir müssen alle aus der Stadt raus. Aber mit dem Zug durften nur noch Frauen, wenn noch Frauen da sind, und Kinder. Also, Leute, so wie ich, Ledige und solche, die mussten zusehen, wie sie zu Fuß wegkamen. Da habe ich gedacht, na ja dann müssten wir los. Und dann denke ich, ich frage mal die Soldaten, ob sie mich mitnehmen, ob sie uns mitnehmen, meine Chefin und die Irine, die wir noch hatten, eine Polin. Und dann haben wir das auch gemacht. Wir sind dann auch mit den Soldaten mitgefahren. Stundenlang fahren wir, und auf einmal bin ich wieder in dem Dorf, wo ich im Landjahr war. Das war nur 12 Kilometer von Insterburg entfernt. Und da blieben wir in einem Dorf und da sagte der leitende Offizier: „Meine Damen, wir können Sie nicht mehr mitnehmen, weiter mitnehmen, wir haben kein Benzin mehr. Sie müssen jetzt zusehen, dass Sie alleine weiter kommen“. Zum Glück erwischten wir noch einen Zug, der in Richtung Königsberg fuhr. Offener Waggon, bei 21 Grad Kälte. Ich kann Ihnen sagen, das war vielleicht kalt und wir haben auch gehungert, wir hatten ja auch nichts zu essen usw. Aber wir kamen dann todmüde in Königsberg an.
Ich habe da eine Tante gehabt, bei der ich dann unterkam. Eines Tages, ich glaube, ich habe 24 Stunden geschlafen, so erschöpft war ich von dieser Reise, und dann öffnet sich die Tür und mein Vater, der steht da in der Tür. Ich habe nicht geglaubt, dass er uns so geliebt hat. Aber er war, solche Liebe und solche Freude strahlt von ihm aus, mich da zu finden. So waren wir dann da eine kurze Zeit und dann kam der Russe immer dichter. Und ich war mal irgendwo unterwegs und ich hörte Gewehrschüsse und ich dachte, Gewehrschüsse, ja dann sind die ja schon ganz dicht. Und Königsberg war zu dem Zeitpunkt schon als Festung erklärt. Man konnte auch gar nicht mehr rein und raus. Man musste da bleiben. Und ich betete: „Lieber Vater im Himmel, ich kann nicht in russische Gefangenschaft kommen, ich halte das nicht aus“, habe ich eben gebetet und sagte ich aber: „mein lieber Vater im Himmel, wenn du das willst, dann will ich das auch auf mich nehmen“. Dann bin ich wieder zurückgegangen in die Wohnung zu meiner Tante. Und dann kamen plötzlich, die kamen so plötzlich, da kamen SS-Leute rein und sagten: „Alle Häuser müssen geräumt werden“ und die Leute kamen nach Pilau, das ist eine kleine Hafenstadt an der Ostsee. Ich sage zu meiner Tante: „Sofort gehen wir “. Aber sie und ihre Nachbarn wollten nicht, aber ich ging, und die wollten mich nicht alleine lassen. Und dann kamen die beiden mit ihren beiden, die eine hatte zwei Töchter und meine Tante hatte noch einen Sohn und eine Tochter und dann gingen wir alle weg.
Und wir wurden dann in ein Boot verladen, das von Königsberg, das waren so Boote, womit Landleute ihre Sachen zum Markt brachten nach Königsberg. Und in diese Boote wurden wir verladen und kamen dann nach Pilau. Da haben wir dann ein Zimmer gefunden für uns alle. Und es gab nichts zu essen. Wir kriegten eine Scheibe Brot am Tag und eine Tasse Brühe. Und ich sagte zu meiner Cousine: „Weißt du was, wir gucken mal ob hier Soldaten sind, die haben immer was zu essen, und dann fragen wir, ob sie uns was abgeben“. Das machten wir dann auch und die Soldaten gaben uns auch was und sagten: „kommt nur am andern Tag wieder“. Ja, und meine Cousine die wollte ja sofort wieder am andern Tag weg. Doch ich hab‘ Zeit, ich will nur essen, sag ich, und dann gehen zu der Zeit hin, wenn sie uns was zu essen geben. Und das war wirklich eine Inspiration. Denn da klopft jemand an die Tür und ich öffne, ich sag: „was wollen Sie denn hier, hier ist doch schon alles voll“ sag ich, „wir schlafen auf dem Fußboden“. Da sagt er: „nein, ich will hier gar nicht wohnen, sondern ich suche sechs Personen, die heute mit dem Schiff wegfahren können“. „Was“ sag ich, „mit dem Schiff?“. Also, ich dann gleich meine sieben Sachen übereinander gezogen und meine Sachen genommen. Meine Tante, die wollte nicht, aber ich sage: „ich gehe sofort“. Und die wollten mich wieder nicht alleine lassen. Und dann stiegen wir da unten. Kein Schiff weit und breit zu sehen. Ich sage: „Lieber Vater im Himmel, lass ein Schiff fahren, wir wissen doch gar nicht, wo wir hingehen sollen“, und ich sage Ihnen, nach einiger Zeit kommt da eine Barkasse angefahren, steht ein Offizier drin, schreit uns an und sagt: „was stehen Sie hier rum?“ Ich sag: „wir sollen doch heute mit dem Schiff wegfahren“. „Ja, wir suchen Sie schon seit einer Stunde“, sagt der. Stellen Sie sich das mal vor! Und rein in die Barkasse und der fährt uns zum Schiff. Das Schiff hieß Kathi und war das letzte Schiff, das den deutschen Hafen da verlassen hat. Voller Flüchtlinge, die eine Ladeluke, die andere Ladeluke voller verwundeter Soldaten. Und nichts zu essen. Aber wir haben es überstanden und sind – ach so, dann hatte ich so Angst, dass wir auf eine Mine laufen, und dann sage ich zum Kapitän: „Herr Kapitän, ich habe solche Angst, dass wir auf eine Mine laufen“, „da machen Sie sich keine Sorgen“, sagt er. „Mein Schiff läuft auf keine Mine“.
Das war Pilau, ja. So Halbinsel, nicht direkt Insel, sondern eine Halbinsel. Land war noch da. Ja, ich weiß ja nicht wie viel, aber jedenfalls waren da furchtbar viele Leute. Und, ja ich weiß ja, dass das ein Segen war. Ich wusste, ich hatte noch gedacht, keiner wusste, dass ich da bin, außer dem Herrn, der Herr wusste es. Von diesen 60,000 Leuten kam er an unsere Tür. Und ich hatte gedacht, an die drei Nephiten oder Johannes. Ich hatte gleich gedacht, die wussten es. Der Herr hat es ihnen bestimmt gesagt und so. Also, später habe ich gelesen, wisst ihr denn nicht, dass Engel euch dienen, Boten von Himmel gesandt. Das war vom Herrn.
Aber die Ostsee die war wie ein Spiegel glatt. Die ganze Zeit. Ich wurde ja seekrank, todkrank. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, wie das ist, aber, also ich dachte, ich lass mich über die Reling fallen, denn ich kann das nicht mehr aushalten. Und da war ein Soldat, der immer auf mich aufpasste. Und wenn ich dann hoch an Bord ging, dann nahm er mich hier immer am Kragen und hat mich festgehalten, weil der gedacht hat, ich lass mich wirklich – ich hätte mich ja, ich war so erledigt, ich konnte das gar nicht. Aber sobald das Schiff stand, war das alles weg. Dann landeten wir in Warnemünde. Und dann von Warnemünde ging es weiter nach Rostock und von Rostock immer – wir haben nie geschlafen – immer dann irgendwo nachts im Tunnel gewesen. Und von Rostock sind wir dann nach Lübeck und von Lübeck kam ich dann nach Elmshorn. Und da bin ich dann auch eine längere Zeit geblieben.
Und das erste, als wir dann ein bisschen sesshaft waren und wir auch ein Zimmer bekommen hatten und so, da wollte ich wissen, wo unsere Kirche ist. Und kein Mensch wusste was von unserer Kirche.
Na, denke ich, da muss ich mal zur Behörde hin gehen. Da bin ich zur Behörde gegangen und habe gefragt, ich sage: „hören Sie mal zu, ich suche die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, auch Mormonen genannt“. Der sagte: „die ist hier nicht in Elmshorn“. „Was“ sage ich, „die ist hier nicht in Elmshorn, in diesem dicht besiedelten Gebiet ist die Kirche nicht?“ Und er sagte: „ich kann Ihnen eine Dame nennen, die ein Mitglied dieser Kirche ist“. Und das war Schwester Gabentien. Er gab mir auch ihre Adresse und dann bin ich natürlich gleich zu ihr hingegangen und die hatte natürlich Angst, der arme Flüchtling kommt, will was zu essen haben, aber das wollte ich nicht. Und sie erzählte mir, wo die Versammlungen stattfinden hier in Altona. Das war Freimaurerloge, die Freimaurer durften ja nicht praktizieren während des dritten Reiches, und da hatten sie die Loge an die Kirche vermietet hier in Altona.
Ja, da bin ich dann hingegangen, habe ich dann einige Brüder getroffen, die vor der Tür standen, und das Schöne war, wir mussten immer schon am Vorabend schon reinfahren, weil am Sonntag keine Züge fuhren und Montag wieder zurück. Und das war wirklich immer schwierig, aber jedenfalls diese Räume waren baufällig oder von den Bomben beschädigt worden. Da haben wir eine Zeit lang bei einer Schwester Rother Heimversammlungen gemacht in ihrem Heim und danach hatten dann die Brüder das einigermaßen repariert und dann haben wir da in der kleinen Westerstraße die Versammlungen abgehalten. Da waren alle Mitglieder aus ganz Hamburg in diesen Versammlungen, weil die anderen Gemeindehäuser ja zerstört waren und alles so was. Aber wir versammelten uns alle da in der kleinen Westerstraße. Die Straße existiert nicht mehr. Die ist in der Nähe vom Altonaer Bahnhof. Da sind jetzt alles Neubauten. Aber jedenfalls in der Nähe vom Bahnhof, keine fünf Minuten, da war man…
Und drei meiner Geschwister sind als kleine Kinder gestorben und ja, wir sind groß geworden bei uns war sehr viel Armut. Meine Mutter hat immer viel gearbeitet. Hat bei anderen Leuten Wäsche gewaschen. Mein Vater arbeitete bei der Bahn und der war, er hat eigentlich immer gearbeitet, aber einmal, im dritten Reich war das, da hatten die Bahnarbeiter gestreikt, weil sie nicht Adolf Hitler wählen wollten, weil sie zur SPD gehören wollten. Und da wurde er entlassen. Die wurden alle entlassen. Die Bahn wollte die auszahlen, aber meine Mutter sagte, dass will sie nicht. Daher bekamen wir jeden Monat, weiß nicht für jedes Kind, das wir noch da waren, 50 Mark, das heißt 200 Mark bekamen wir zum Leben für diese große Familie. Mein Vater ist dann aber auch oft über Land gegangen und hat bei den Bauern gearbeitet und da was verdient usw. Und, wie gesagt, dann nachher.
Ach so, dann musste mein Vater zum Volkssturm. Das war damals für die älteren Herren. Und in diesem Volkssturm da ist er auch nach Königsberg gekommen dadurch. Und diese Volkssturmleute die mussten immer den Flüchtlingen helfen, dass sie in die Boote kamen usw. Aber bei Todesstrafe, dass sie ja nicht mal mitgingen. Dann wurden sie erschossen. Da habe ich ihn dann auch verloren. Da bin ich ja da weggegangen von Königsberg und ich habe meinen Vater nicht – ich wusste nicht wo er war. Aber später haben wir uns wiedergefunden.
Er war noch mal eine längere Zeit in unserem Haus und hat für die russischen Soldaten Schuhe besohlt. Das konnte er nämlich. Er war kein Schuster, aber er konnte Schuhe besohlen. Aber dann nachher kam er in die Ostzone, die so genannte DDR, und von da aus hatten die ihn gefunden und dann kam er zu uns nach Elmshorn. Da war auch meine Schwester inzwischen gekommen. Ich war zuerst ganz alleine. Dann habe ich meine Schwester aus der Ostzone mit ihren beiden Kindern hier her geholt und meine älteste Schwester war in russischer Gefangenschaft über längere Zeit, 1½ Jahre oder so was war sie in russischer Gefangenschaft. Und da ist sie dann auch entlassen worden. Sie war nicht beim Militär, sondern, als die Frauen und Kinder Insterburg verlassen mussten, da ist meine Mutter und meine Schwester und mein jüngster Bruder nach Preußisch Holland gegangen. Da wohnte nämlich eine andere Schwester von mir, Schwester Sanne. Die hatte da ihr Heim und da haben wir uns gesagt, wir treffen uns dann alle in Preußisch Holland. Dann wissen wir, wo wir hin sollen. Und da waren wir mal auch, aber da war der Russe zuerst da.
Als ich in Königsberg ankam, wollte ich mir gleich eine Fahrkarte nach Preußisch Holland kaufen. Und dann sagt der Bahnbeamte zu mir: „mein liebes Fräulein, da ist bereits der Russe“. Also war der Russe schon in Westpreußen. Da hat er dann so Ketten gebildet und deswegen waren die Orte schon alle besetzt. Und die haben auch schlimme Zeiten durchgemacht. Meine Mutter besonders hat gelitten, weil nämlich alle ihre Kinder, sie wusste nichts von uns, nicht von einem. Meine älteste Schwester wurde vor ihren Augen verschleppt. Mein jüngster Bruder wurde vor ihren Augen verschleppt. Meine Schwester hatte geheiratet und machte die paar Tage Hochzeitsreise dahin, nach Preußisch Holland. Ihr Mann war ja Soldat und weil die Russen kamen, hat er sich versteckt und schnell die Uniform ausgezogen, damit sie ihn nicht erschießen. Aber die Männer, die alle im wehrpflichtigen Alter waren, wurden alle erschossen, hat meine Schwester erzählt. Und er auch
Meine älteste Schwester wurde dann verschleppt und meine Schwester, die Anna Sanne, die wurde aus Preußisch Holland rausgebracht, weil ihr Mann bei der NS-Motorschule Lehrer war. Und die hatten sich verpflichtet, die Familie herauszubringen. Meine Mutter hätte auch mitgehen können, aber weil da auch meine Tante, die Schwester meines Vaters, und ihr Bruder da war, da wollte sie die beiden alten Menschen nicht alleine lassen und ist dageblieben. Deswegen ist sie da umgekommen. Sie hätte nämlich rauskommen können. Sie ist dort gestorben.
Meine Schwester hat einen Brief gekriegt, und den habe ich mir abgeschrieben, und diese Frau berichtet, dass meine Mutter im Krankenhaus war, und sie war sehr krank, und sie glaubt nicht, dass sie an einer Krankheit gestorben ist, als mehr an einem gebrochenen Herzen, weil sie nichts von uns wusste. Von uns allen nichts. Und das war das Interessante, als ich schon in Schorn war, da hatte ich einen Traum. Meine Mutter war da, die rief mich. Und dann denk ich, mach bloß nicht die Augen auf, sie kann ja gar nicht da sein. Sie war so wirklich. Also, sie sagte immer Wutti, wenn sie ganz viel Freude an mir hatte. Und so glücklich klang diese Stimme. Dann habe ich mir diesen Traum aufgeschrieben, an dem Tag. Ich weiß jetzt nicht mehr, wann das war, aber es war im Frühling.
Und dann einen Tag später habe ich erfahren, dass sie an diesem Tag gestorben war. Als ich meinen Vater traf wieder, da erzählte ich ihm das. Und da sagt er: „bei mir war sie auch“, „was“, „ja“. Und dann erzählt er: „du glaubst nicht, wie schön sie war“, sagt er. „aufgelöste Haare und ein weißes Gewand hat sie angehabt“. Und dann wollte er sie umarmen und dann sagt sie zu ihm: „du bist immer noch der Alte“. Und da war sie weg. Ja, das war, ich sage: „siehst du Papa, das ist es“, habe ich zu ihm gesagt: „du bist immer noch der Alte, weil du das Evangelium immer noch nicht annimmst“. Na ja, so war das. Ich fand das so toll, wie er das so erklärt, wie sie aussah und jung war sie, sagt er. Das war ein Zeugnis für mich, wirklich.