Camburg, Thüringen

Mormon Deutsch Joachim FuchsMein Name ist Joachim Fuchs. Ich bin geboren am 4. November 1937 in Camburg an der Saale in Thüringen. Das liegt zwischen Jena und Naumburg. Mein Vater heißt Willy Fuchs und meine Mutter Elsa Stock.

Ich habe das Kriegsende erlebt als Kind. Ich war so neun Jahre alt und als Erstes kamen die amerikanischen Soldaten. Wie es in solchen Kriegswirren ist, jeder versucht sich irgendwie zu decken und in Schutz zu kommen. Wir waren bei Freunden untergekommen, die ein bisschen außerhalb der Stadt wohnten. Nach dem Kriegsende war es wie in ganz in Europäischen und Deutschland auch bei uns Armut überall. Dazu kam eine furchtbare Trockenheit. Die Gerste auf dem Feld war vielleicht fünfzehn Zentimeter hoch. Es gab einen Tag, da hatten wir nichts zu essen. Wir hatten von der Küche keine Ahnung. Aber meine Mutter stand am Fenster und sagte: „Herr, Gott, Du siehst, dass wir nichts zu essen haben, hilf uns doch“. Und das Gebet war nicht zu Ende, da kommt der Paketbote und packte aus einem Paketkasten zwei Pakete heraus. Der Paketbote und meine Mutter, die kannten sich von der Schule her, und er sagt: „Else, hier sind für Euch zwei Pakete“. Dann sagt meine Mutter: „Die sind vom Großvater, die müssen nach Berlin geschickt werden, der hat sich nach Berlin zurückgezogen“. Ich erklär gleich den Zusammenhang. Und dann sagt er: „Endlich kann ich die Paketkarte lesen, da steht drauf: „Frau Else Fuchs und Paul Stock“. Mein Großvater hieß Paul Stock, meine Mutter ist ein geborener Stock.

Nach 1945, wie es in Berlin so schlimm war, hat meine Mutter zu ihrem Vater gesagt, er soll zurück nach Thüringen kommen. Wir waren eine große Familie. Es war auch viel einfacher eine Einzelperson bei uns mit zu ernähren und unterzubringen. Und so war mein Großvater ein halbes oder dreiviertel Jahr, ich weiß nicht wie lange, vielleicht auch ein Jahr bei uns. Eines Tages bekommt mein Großvater die besagten Pakete. Da waren Lebensmittel drin und etwas zum Naschen, Schokolade, Dinge, die wir überhaupt nicht kannten. Der Großvater ist längere Zeit bei uns gewesen und da kam eines Tages ein solches Paket an. Alles ganz phantastisch verpackt und wir erfuhren, dass der Großvater eine Schwester in Salt Lake City hat, die Nina Nestier, (geborene Stock) heißt. Von da an, kamen regelmäßig Pakete an den Großvater.

Ein paar Monate später ist der Großvater wieder nach Berlin gezogen und es kam lange kein Paket mehr, bis zu dem Tag, wo wir nichts zu essen hatten. Wir hatten abends schon nichts. Mein Vater ist am nächsten Tag mit meinem ältesten Bruder nach Jena auf Arbeit gefahren, hungrig und hatten nichts zu essen. Mein Vater wusste auch nicht, ob er abends etwas zu essen besorgen könnte für die Familie. Warum ich zu Hause bei Mutti war, weiß ich nicht. Meine anderen Geschwister waren alle in der Schule. Wir waren insgesamt sechs Kinder. Und wie Mutti die beiden Pakete aufmachte und alle Dosen und alles herausholte, waren drei Packungen kaputt. Eine Tüte Buchweizen, eine Tüte Kakao, eine Tüte Milchpulver. Sie hat alles herausgenommen, in einen Topf geschüttet und Zucker und Wasser dazu. Das war für uns ein Festessen. Wir hatten etwas zu essen und das war auch schmackhaft. Und wir erfuhren, dass der Großvater also in Salt Lake City, eine Schwester hat, dass wir dort eine Großtante haben. Und Mutti hat mit der Tante von da an ständig Kontakt gehabt und es kamen ständig Pakete.

Eines Tages kamen Pakete, da stand nicht mehr als Absender Nina Nestier drauf, sondern Beverly, weiter weiß ich aus dem Kopf nicht, und noch jemand unterschreibt die Mutti, Tante Lina. Wir haben Pakete bekommen von fremden Leuten. Wer sind die? Dann schreibt sie, das sind Kirchenmitglieder. Schreibt meine Mutti zurück, was ist das für eine Kirche, wo Menschen anderen Menschen, die sie überhaupt nicht kennen, Pakete schicken, mit solch wertvollem Inhalt. Es war ja nicht nur zu essen drin, sondern es waren Sachen zum Anziehen drin, für uns Kinder zum Malen und zum Naschen. Viel später habe ich einmal nachgerechnet. Alleine die Tante Lina hat weit über einhundert Pakete geschickt. Sie hat im Camburg einen Bruder Karl, eine Nichte Elisabeth, die in Weimar wohnten, eine Nichte Frenzel, die in Camburg wohnt, einen Neffen, der sogenannte kleine Karl, sie hat in Altlöbnitz bei Camburg einen Bruder Max mit Familien, sie hat hier in Heidenau in Müll, Verwandtschaft aus der Familie Maul, wie viel dort Pakete bekommen haben, das weiß ich nicht. Aber wieder viele. Ich habe einmal die zusammengerechnet, die ich kenne, das sind mindestens fünfzehn Familien, an die sie Pakete geschickt hat. Und zehn Pakete an jede Familie mit Sicherheit.

Also Mutti schrieb an die Tante Lina, was sind das für Leute, die solche wertvollen Pakete schicken? Und sie sagte, das sind Kirchenmitglieder. Mutti hat zurück geschrieben, „was ist das für eine Kirche, wo Menschen anderen, die sie überhaupt nicht kennen, solche wertvollen Sachen schicken“? Und von da an schrieb die Tante Lina ständig über die Kirche. Und Mutti schrieb zurück: „Wir möchten diese Kirche kennenlernen“. Und sie schrieb in einem Brief: „Ihr müsst ein bisschen warten, ich kümmere mich darum, wo bei Euch eine Gemeinde ist“. Und vierzehn Tage später war ein Brief da: „Ihr habt in Naumburg eine Gemeinde“. Und vierzehn Tage später war ein Brief da: „Euer Missionar ist der Bruder Kindt“. Und wer das noch war, das weiß ich nicht mehr. Auch die Adresse dazu, wo sie in Naumburg wohnten.

Also sind wir nach Naumburg gefahren. (Das sind immerhin ungefähr 20 Kilometer.) Wir hatten ein kleines Kinderfahrrad. Mit dem Kinderrad wollte meine Mutter nach Naumburg fahren. Ich wollte mitfahren. Und ich habe in ganz Camburg Freund und Feind gefragt nach einem Rad. Und eine Familie, die ich überhaupt nun nicht kannte und die mich nicht kannte, von denen habe ich ein Damenfahrrad bekommen. Mit dem Damenfahrrad ist Mutti gefahren, mit dem Kinderfahrrad ich. Zu den Missionaren durfte ich nicht mit hinein, das wäre auch für Kinder nichts, hat man mir gesagt. Ich musste auf die Fahrräder aufpassen. Wie sie wieder herauskam von den Missionaren, sagte sie: „Das sind hervorragende Menschen“.

Und wir kamen am Sonntag darauf nach Naumburg in die Gemeinde. Einen solchen liebvollen und herzlichen Empfang, das kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Wir kamen hin, als wenn wir schon immer dort gewesen wären, als wenn sie uns immer kennen würde, in einer solchen Herzlichkeit. Ich denke gerne daran zurück. Es gab insgesamt nichts zu essen. Wie viele Geschwister haben uns in Naumburg eingeladen zum Mittagessen da zu sein, um Nachmittag wieder da sein zu können, sonst hätten wir nach Hause fahren zu müssen. Ich denke an Schwester Netzer, eine liebevolle Schwester. Ich denke an Jankes, die in der Zwischenzeit in USA sind, liebevolle Geschwister, selber eine große Familie mit drei Kindern. Und dort wurden wir liebevoll aufgenommen, um dort Mittag zu essen. Ich erinnere mich an das Gemeindehaus in Georgentor. Es war nicht nur ein schönes Gemeindehaus, sondern es herrschte dort eine Einmütigkeit und Liebe. Ich denke dann an das Gemeindehaus am Postplatz. Und dort ist etwas Besonderes geschehen. Wir hatten eine Schwester Marta Gabriel, die ist in USA, die ist mit einem Bruder Schwarz oder Schwarze verheiratet. Er hat ein Lied komponiert, es steht im Chorbuch drinnen, und die spielte Harmonium und die spielte so einfühlsam mit Herzenswärme, mir Liebe und das ergriff mich. Ich bin von den Kirchenliedern als kleiner zehnjähriger Junge so ergriffen gewesen. Wie kannst du als zehnjähriges Kind so erfüllt werden von dem Kirchenlied. Ein großer Teil meines Zeugnisses beruht auf dieser wunderbaren Musik, die wir in der Kirche haben. Es ist ganz eigenartig. Verstehen Sie jetzt, warum ich Chorleiter bin. Ich bin Chorleiter mit ganzer Seele. Ich habe ein paar Lieder geschrieben.

Als Präsident Uchtdorf da war, habe ich ihm einen Teil dieser Noten mitgegeben, dann weiß ich, dass sie an der Stelle sind, wo sie hingehören. Ein Lied habe ich geschrieben, ein Heimatlied aus meiner Stadt Camburg. Das habe ich zu einem Klassentreffen, der Stadt Camburg, den Bürgern von Camburg, gewidmet. Es ist ein wunderschönes Lied. Aber auch die anderen Lieder, da sind wunderschöne Sachen dabei. Ein Kinderlied, das heißt, „Kleiner Marienkäfer“ Auch den Text habe ich gemacht. Das heißt “Kleiner Marienkäfer, wie viel Punkte sind das auf deinen Flügeln, bitte sag mir was. Es ist so, als wenn sich drei Kinder treffen. Einer ist der Marienkäfer und zwei Kinder. Die Kinder fangen an mit dem Marienkäfer zu sprechen und sagen: „Bitte, sag mir was“. Sagt das andere Kind: „Kleiner Marienkäfer, wie sind die Punkte festgemacht?“. Jetzt antwortet der Marienkäfer: „ Das kann ich Dir nicht sagen, Gott hat sich das ausgedacht“. Und er spricht davon, dass das vier Punkte sind und wie sie leuchten und funkeln in der Sonne und ich danke Gott tausendmal. Dann heißt es weiter. Jesus ist der Schöpfer dieser herrlichen Welt, er ist’s, der alles regiert und alles erhält. Und er schuf alles, was er geschaffen hat, wird aufgezählt und das haben die Kinder hier im Westen gesungen. Es war wunderbar. Also mich hat die Musik in der Kirche, sehr, sehr beeinflusst und ein sehr festes Fundament hinterlassen .Was von der Tante Lina herrührt ist, dass sie uns von Salt Lake und Umgebung vieles geschrieben hat. Viele, viele Bilder und jedes Bild war im Brief beschrieben, was es bedeutet. Es ist so, als ob ich mich in Salt Lake City sehr gut auskennen würde in der Innenstadt. Alles, was um den Tempel und Tabernakel steht: Das Joseph Smith Denkmal, das Seemövendenkmal, was sie von dem Seemövendenkmal alles geschrieben hat, das weiß ich und hab davon ein festes Zeugnis. Und dass der Herr den Heiligen in der damaligen Zeit in besonderer Weise geholfen hat, als die Heuschrecken kamen und sie konnten dieser Plage nicht Herr werden. Ich kann mich noch sehr gut erinnern an mein Taufgespräch. Der Gemeindepräsident, Bruder Hegewald (?) aus Freiberg hat mich gefragt, ob ich daran glaube, dass Joseph Smith ein Mann Gottes ist? Ich hatte da ein festes Zeugnis davon. Ich war dreizehn, als ich getauft wurde. Wie kann man mit dreizehn Jahren ein Zeugnis haben, dass ein Mann, mit dem ich nichts zu tun hatte, mit dem ich nicht gesprochen habe, von dem ich nur weiß, dass er als Knabe den Herrn gefragt hat und dass Gott Vater und Jesus ihm erschienen sind. Wie kann man als Dreizehnjähriger ein solches Zeugnis haben: „Joseph Smith ist ein Prophet Gottes“. Da gab es für mich überhaupt keinen Zweifel. Und diesen Zweifel hat es bis zum heutigen Tag nicht gegeben.

Da war das Taufgespräch in Naumburg. Das Ergebnis war, es wurden getauft meine Mutti, mein Bruder Wolfgang und ich. Die Saale führte an dem Tag, es war der 13. September, Hochwasser. Es war schlimm, aber wir wurden getauft. Und es war etwas Besonderes für mich. Ich hätte die ganze Welt umarmen können. Ich wusste nicht warum. Ich wusste nicht, dass das der Einfluss des Heiligen Geistes ist. So wie wir heute die Missionare die Menschen aufmerksam machen auf diese guten Gefühle, die Einfluss des Heiligen Geistes sind. So sind wir damals nicht belehrt und geschult worden. Heute weiß ich, dass der Einfluss des Heiligen Geistes war. Die Zeit in Naumburg hat mich sehr gestärkt. Ich bin dann von zu Hause weg, ich habe meine Lehre abgebrochen und bin nach Westberlin gegangen. Das ist 1953 gewesen. Ich kam dann in die Bundesrepublik in die Nähe von Düsseldorf und wollte dort unbedingt meine Lehre fertigmachen als Stuckateur, aber ich bekam keine. Ich hätte als Putzer nach Stuttgart gehen können, um zu lernen. Jeder Stuckateur kann putzen, da muss ich nicht putzen lernen. Da hatten wir hier in Dresden die Woche der „Frohen Botschaft“.

Meine Mutter war hier nach Dresden gekommen zu diesen Konferenzzeiten. Sie sah da auf dem Altmarkt die vielen Stuckarbeiten und die vielen Stuckateure. Sie hat gefragt: „Wer ist euer Meister“? „Das ist der Obermeister Täubrich“. „Wo wohnt der?“ „In Dresden am Wilden Mann“, auch die Adresse genannt. Dann ist sie dorthin gefahren und hat mit diesem Obermeister gesprochen. Und hat gesagt: „Mein Sohn hat in Jena zwei Jahre Stuckateur gelernt. Er ist aus der Lehre ausgerissen. Er ist in Westdeutschland und sucht eine Möglichkeit, dass er seine Lehre beenden kann“. Dann hat er gesagt: „Schicken Sie den Jungen zu mir, er kann bei mir seine Lehre beenden“. Meine Mutter teilte mir das mit. Ich habe meine Koffer gepackt, habe mich dort abgemeldet und bin nach Hause gefahren und von da nach Dresden. Ich bin hier bei den Geschwistern Bori in Dresden aufgenommen worden, wo ich wohnen konnte. Da habe ich lange gewohnt und geschlafen. Schwester Bori hat liebevoll für mich gesorgt. Ich bin voller dankbarer Gefühle den Geschwistern gegenüber. Dann bin ich zu meinem neuen Lehrmeister gefahren und habe mich vorgestellt. „Ach so“, sagte er: “Du bist der, der jetzt aus dem Westen gekommen ist, der seine Lehre fertigmachen will, das ist kein Problem. Du gehst morgen auf den Westmarkt und meldest dich bei Herrn Freudenberg“. Dann bin ich auf den Altmarkt gegangen, habe mich dort gemeldet. „Ja, sagt er, ich bin schon informiert“. Ich habe meine Arbeitssachen mitgehabt, dann habe ich dort sofort anfangen können, meine Lehre fertig zu machen. Es fehlten meine Unterlagen von der Berufsschule aus Jena. Sie waren nirgends auffindbar. Ich bin auch teilweise in Weimar auf die Berufsschule gegangen. „Dann schreiben wir Weimar an“. Und die haben zurück geschrieben, von dem Mann gibt es in Weimar keine Schulunterlagen. Dann bin ich laut geworden in der Berufsschule in Dresden. Und da kam gerade der Direktor von der Berufsschule herein und hat gefragt: „Was ist denn hier los“? Dann habe ich ihm das erklärt. Ich habe gesagt: „Ich komme jetzt schon ein viertel Jahr hierher, ich möchte die Schule besuchen, ich lerne Stuckateur, ich bin im letzten Lehrjahr und ich werde hier nicht aufgenommen, weil angeblich meine Papiere weder in Jena noch in Weimar auffindbar sind“. Ich sage, das ist egal, wo ich zur Schule gegangen bin, ich möchte gerne meine Schule fertigmachen, meine Berufsschule, sodass ich meinen Abschluss schaffen kann“.

Dann ist der Berufsschuldirektor seinen Mitarbeitern gegenüber sehr deutlich geworden und hat gesagt: „Ob die Papiere da sind oder nicht, spielt keine Rolle, der Mann wird aufgenommen und zwar mit dem heutigen Tag. Es werden neue Papiere angelegt und danach sorgen wir dafür, dass wir die anderen Papiere bekommen und wenn wir sie nicht bekommen, dann beziehen wir uns auf die Papiere, die wir hier haben. Es gab in der Berufsschule sogenannte Schulbesuchskarten. Ich musste jeden Tag, wenn ich in der Berufsschule war, die Karte vorlegen, das Datum eintragen und dann wurde hinten der Stempel hinein gemacht. Es waren alle zwei Lehrjahre die Schul-Besuchskarten vollständig geführt. Ich musste also in die Berufsschule gegangen sein. Den Nachweis konnte ich also erbringen. Dann habe ich 1955 meine Lehre als Stuckateur abgeschlossen .Ich war zu Hause immer das Sorgenkind. Von allen meinen Geschwistern hatten meine Eltern mit mir die größten Sorgen. Ich habe viel Blödsinn gemacht in meinem Leben. Habe viele Fehler gemacht. Ich habe viel gesündigt. Ich habe viel falsch gemacht. Als ich nach Hause kam, habe ich zu meinem Vater gesagt: „Vati, jetzt hat dein dummer Sohn Joachim seinen Beruf abgeschlossen“. Mein Vater hat immer gesagt: „Was du machst in deinem Leben spielt überhaupt keine Rolle, lerne du einen Beruf, dann kann keiner zu dir sagen, du bist zu dämlich gewesen einen Beruf zu lernen. Was du danach arbeitest, das spielt überhaupt keine Rolle.“ Dann sagte mein Vater: „Junge, du warst nie dumm, du warst faul“.

Die Faulheit hat einen bestimmten Grund. Ich kam zu zeitig in die Schule. Jetzt sind wir wieder bei dem Thema Nazizeit. Ich bin im November 1937 geboren und Hitler hat gesagt: „Alles, was 1937 geboren ist, muss in dem Jahr in die Schule.“ Ich bin mit fünfdreiviertel Jahren in die Schule gekommen. Ich war ein Spätentwickler. Ein richtig gehender Spätentwickler. Ich hätte nicht mit sechs Jahren, sondern mit sieben Jahren. Das wäre für mich die richtige Schule gewesen.

Alles, was ich heute kann. Davon habe ich 90% in der Kirche gelernt. Oder durch die Kirche gelernt. Weil uns immer wieder gesagt worden ist: „Lernt, soviel ihr lernen könnt. Macht Euch selbständig, schafft Euch ein Eigentum an“. Das ist unser Haus. Das haben wir gekauft 1973. Das hat unsere Kirche beigebracht. Die Kirche hat noch viel mehr gemacht. Sie hat gesagt: “Was Ihr falsch gemacht habt in Eurem Leben. Kehrt von dem Falschen um. Es ist nicht der Weg, dass wir zu Gott kommen, wenn wir etwas falsch machen, sondern es ist der Weg, dass wir zu Gott kommen wenn wir umkehren. Meine Frau hier, die Ingrid, ist meine zweite Frau. Wir haben gemeinsam zusammen gearbeitet. Ich war ihr Chef und wir haben uns auf der Arbeit kennengelernt. Sie ist ein sehr fleißiges, gewissenhaftes Mädel gewesen. Sehr, sehr arbeitsam. Sie hat zwei rechte Hände. Jeder Finger ist wirklich ein Finger, der zu verwenden ist. Sie brauchen nur hier hinaussehen, alles, was Sie hier sehen, ist ihre Arbeit. Alles was Sie hier sehen, ist der Segen Gottes. Wir sind beide schwer krank. Sie ist am Lendenwirbel operiert worden. Ich habe Bandscheibenvorfall am Lenden- und am Halswirbel. Ich kann zurzeit den linken Arm nicht ehr richtig bewegen. Ich kann nichts mehr richtig in der Hand halten, mir fällt alles heraus. Ich habe furchtbare Schmerzen im Arm. Trotzdem haben wir alles schaffen können, als kranke Menschen. Unser Doktor, der Mitglied der Kirche ist, Dr. Reiner Schlüter in Dresden, der sagt: “Über Euch brauchen wir uns gar nicht unterhalten, Ihr seid ein besonderer Segensfall“. Als wir hierher gezogen sind, bin ich aus dem Krankenhaus mit Bandscheibenvorfall herausgekommen bin. Joachim soll nicht ein Stück anfassen, nicht eine Latte, nicht ein Brett, nicht ein Möbelstück. kein Kasten, kein Karton. Er sagt nur, das kommt dorthin und das kommt dahin.

Zusammenhalt. Ich habe hier angerufen in Dresden, beim damaligen Bischof Günter Schulze. Der hat uns einmal besucht in Hannover. Ich sagte Günter: „Wenn die DDR aufgehört hat kommunistisch zu sein, wenn Ostdeutschland wieder deutsch ist, dann kann es durchaus sein, dass ich wieder zurück komme.“ „Meinst du das ernst?“ „Ich sagte: „Ich hab doch nichts gegen die Ostdeutschen, ich bin doch Deutscher, ich bin in Ostdeutschland geboren, ich habe dort ein Haus, warum soll ich dort nicht hinziehen?“ Dann war das so weit. Die Mauer fiel. Die DDR gab es nicht mehr. Ich fuhr dort in meine Arbeit. Dann habe ich den Günter angerufen: „Günter, voraussichtlich werden wir in vier Wochen in Dresden sein, in Königstein. Kannst du organisieren, dass wir Helfer bekommen, die uns beim Umzug behilflich sind beim Autoausladen“? „ Das ist kein Problem, wann kommst du?“ Ich sage: „Wir werden am Mittwoch, Ende Mai war das, vor 14 Jahren, am Mittwoch den so und so vielten, in Hannover das Auto beladen und kommen am Freitagabend hierher so dass wir am Sonnabend hier das Auto in aller Ruhe ausladen können“. Wir stehen am Mittwoch in Hannover zum Autobeladen und das Auto kommt nicht. Es sollte am Morgen um sieben Uhr da sein um neun war es noch nicht da. Rückruf: „Wo bleibt das Auto?“ „Das Auto steht mit Getriebeschaden in Gera auf der Autobahn. Ihr bekommt ein anderes Auto. Aber eine Bedingung, Ihr könnt heute laden, morgen Abend muss das Auto wieder hier sein!“ Ich habe Bischof Günter Schulze angerufen: Günter, es gibt eine katastrophale Änderung. Wir kommen nicht am Sonnabend zum Ausladen, sondern wir sind morgen in Königstein, kannst du organisieren, dass für morgen Geschwister da sind?“ O sagt er: „ Du stellst mich vor ein schwieriges Problem“. Ich weiß nicht, wie viele hier waren, zwanzig Geschwister bestimmt.

Da habe ich verschiedene Sachen unternommen, um hier Arbeit zu bekommen. Da bin ich in die Papierfabrik gegangen, da hinten ist die Feinpapierfabrik, die Wertpapier herstellt, wo Geld gedruckt wird oder wo Dokumente gedruckt werden. Und da sagte die Leiterin von diesem, in der DDR hieß das Katerabteilung, Personalbüro, die sagte: „Wie kommen Sie darauf, dass Sie bei uns Arbeit bekommen? Wir sind eine moderne Papierfabrik, hier werden Elektroniker gebraucht“. Ich habe später Funkmechaniker gelernt.

Von Stunde an fuhr mir die Stasi hinterher. Wenn wir hier hereingefahren sind, da war eine bestimmte Stelle im Wald, da stand auf einmal ein Auto mit vier Mann besetzt. Aber die Scheiben waren alle beschlagen. Also mussten die schon lange drinnen gesessen haben. Und wenn wir vorbeigefahren kamen, dann auf einmal fuhren sie rückwärts heraus und fuhren uns hinterher. Das kannte ich von meinem Bruder in Berlin, wo er den Tunnel gebaut hatte. Da fuhr ihm auch die Stasi immer hinterher. Und das ist mit aufgefallen. Ich fuhr mit dem Moped auf Arbeit. Die sind gekommen mit einem EMW. Der EMW hatte auf den Vorderschutzblechen so Begrenzungsleuchten. Wenn es abends noch nicht ganz dunkel war, dann hatten die nur die Begrenzungsleuchten an und ich brauchte nur in meinen Rückspiegel sehen und ich sah nur die Begrenzungsleuchten von diesem Auto. Ob ich schnell oder langsam fuhr, das spielte keine Rolle. Die blieben ständig hinter mir. Dann habe ich den Eindruck gehabt, du wirst verfolgt. Da habe ich gesagt: „Quatsch, wer will dich verfolgen“. Dann bin ich in die Seitenstraße abgebogen. Dann bin ich eine andere Straßenseite hinein, das war auf meinem Nachhauseweg, dann bin ich eine andere Seitenstraße hinein und die fuhren wieder hinterher. Und die haben mich begleitet, bis vor meine Haustür. Wenn ich mich auf mein Moped gesetzt habe, sind die hinterher gefahren.

Eine andere Begebenheit. Ich bin in Dresden am Röntgenberg. Da gibt es so eine Absenkung von der Straße, die heißt Flutrinne. Wenn die Elbe Hochwasser hat, da wird Hochwasser abgeleitet. Die Stasi fuhr wieder hinterher und ich bin in die Flutrinne hinein und oben hinaus, da konnten die mich nicht sehen, wo ich hingefahren bin. Da habe ich eine Panne vorgetäuscht. Da habe ich gesehen, dass sie auf der Ausfahrt der Flutrinne stehen blieben, dann fuhren sie langsam an mit vorbei und die nächste Querstraße links rein, da war ein Tierheim, das war hell erleuchtet und ich konnte durch das Hellerleuchtete sehen, was dort geschieht. Da stieg ein Mann aus dem Auto heraus, der rannte zurück in die Flutrinne in Richtung TRA-Rötgenwerk, das war auch ganz hell erleuchtet, so das war ja abends schon dunkel, sodass ich sehen konnte, wo der hinrannte und da stand das nächste Auto. Und dann kamen die mit dem Auto ganz langsam vorgefahren und ich habe mein Moped gewendet und bin zurückgefahren, und bin in eine Seitenstraße, dann über die Elbbrücke nach Mittelndorf zu fahren. Da haben sie mich überholt mit dem Auto und haben sich vor mich an die Seite hingestellt. Da bin ich hingefahren und wollte mit ihnen sprechen. Ich hätte sie gefragt, wenn Sie wissen wollen, wo ich hin will, da sollen sie mich fragen. Ich gebe ihnen die Adresse und Sie brauchen mich nur fragen, wo ich den Leuten helfen will, ihre Geräte zu reparieren. Ich war von denen vielleicht zwei Meter weg. Da sind sie wie mit dem Blitz getroffen weggefahren. Sie wollten mit mir kein Gespräch führen.

Dann bin ich am nächsten Tag im Funkwerk Dresden zum Parteisekretär gegangen und hab gesagt. „Das kann wohl nicht sein, dass Fall BC und Horch, mir ständig hinterher fährt, ich finde das eine ausgesprochene Frechheit, warum spricht man mit mir nicht. Wenn sie die Vorstellung haben, ich bin an irgendeiner Situation beteiligt, dann sollen sie mit mir sprechen!“ „Ich werde mich der Sache annehmen“ hat der Parteisekretär gesagt. Drei Tage später hat er mich zu sich bestellt. „Also die Abteilung, die ich gedacht habe, wäre es nicht“, sagte er. „Ja, das spielt für mich keine Rolle. Ich möchte, dass es unterbunden wird.“ Sie fuhren mir nicht mehr hinterher, sondern ich wurde von Straßenkreuzung A bis Straßenkreuzung B weitergereicht und von Straßenkreuzung B zur nächsten Straßenkreuzung C weitergereicht. Also sie waren immer noch hinter mir her. Das Gleiche begann jetzt, wo ich mich hier in der Feinpapierfabrik beworben habe.

Dann habe ich gesagt: „Jetzt habe ich den Kanal voll, jetzt ziehe ich aus der DDR aus.“ Sie haben das vorhin im Gespräch erwähnt. Menschenrechtskonvention. Die DDR war dieser Konvention beigetreten. Ich bin zur sächsischen Landesbibliothek gegangen und habe mir sämtliche Unterlagen besorgt, die ich meinte haben zu müssen, um meinen Antrag auf Ausreise aus der DDR haben zu müssen. Und ein Mädchen, die dort beschäftigt war, die guckte mich eine Zeit lang an, sie hatte ein Abzeichen von der Jugendgemeinde und sie wollte gerne und sagte: „Sie brauchen noch etwas“. Sie bückte sich, hob zwei Papiere hoch und legte die mir hin. Ich steckte die mir gleich weg. Da bekam ich noch Unterlagen, die ich für meinen Antrag brauchte. So haben wir dann den Ausreiseantrag gestellt. Sind von Königstein weggezogen nach Dresden. Haben mit einer Familie in Dresden getauscht. Hier wäre ich Spießruten gelaufen. In Dresden war das anonym, da spielte das keine Rolle. Dann habe ich mich an meinen Bruder gewandt, an Wolfgang, in Westberlin, der die Tunnel gebaut hat und er hat sich an den Anwalt Vogel gewandt, die kannten sich sehr gut. Und über Vogel ist das gegangen. Es ist über höchste Regierungskreise gegangen. Ich habe im Industriebetrieb in der Hamburger Straße gearbeitet in Dresden als Meister. Dann wurde ich hinein bestellt in die Firma und da wurde ich abgesetzt als Meister. Ein Meister in so einer Kleinindustrie kann keinen Ausreiseantrag stellen. Sie sind nicht fähig sozialistische Persönlichkeiten zu erziehen. Das wollte ich überhaupt nicht. Ich wollte den Menschen helfen, beruflich Fortschritt zu machen, auf die Beine zu kommen, um aus den Hohlköpfen, die Jugendliche manchmal sind, richtige Menschen zu machen, das war, was ich gerne wollte. Dort durfte ich nicht weiter als Meister arbeiten, sondern als Mechaniker und ich wurde viele Male zum Gespräch gebeten. Ein Freund, der in der SED war, ein hochangesehener Funktionär, der kam eines Tages du sagte: „Wenn Euer Antrag nicht vom Westen gestellt wird, braucht Ihr es hier gar nicht versuchen, dann kommt Ihr nicht nach dem Westen“. Dann habe ich zu ihm gesagt: „Du kannst sicher sein, dass er drüben gestellt ist“.

Ich wurde zu vielen Gesprächen in der Firma eingeladen, mit dem Ziel den Antrag zurückzuziehen. Habe ich gesagt: „Herrschaften ich ziehe den Antrag sofort zurück, unter einer Bedingung, da haben sie gedacht ich mach Spaß, das ist mir sehr ernst, dass ich einmal im Jahr in die Bundesrepublik Deutschland zu meinen Eltern und meinen Geschwistern fahren kann“. Meine Eltern waren damals schon hoch betagt. Und dann hieß es, also Kollege Fuchs, da müssen wir für Sie Gelder locker machen, die wir nicht haben. Ich sage: „Das weiß ich“. „Jeder hat ein gewisses Haushaltsbudget, über das sie nicht hinweg können, das verstehe ich. „Ich verzichte darauf, ich gebe es Ihnen schriftlich, ich brauche von Ihnen kein Reisegeld und auch kein Aufenthaltsgeld, wenn ich in der Bundesrepublik bin. Meine Geschwister, meine Eltern stellen mir genug Geld zur Verfügung“. Dann wurde mir gesagt: “Wir können für ihre Sicherheit nicht garantieren“. Sage ich: „Das ist interessant. Wenn die Rentner in die Bundesrepublik fahren, da sind sie wohl froh, wenn die da drüben umgebracht werden, bei den bösen Kapitalisten, dann brauchen Sie hier keine Rente mehr zu bezahlen, oder wie muss ich das verstehen“? Das wäre so nicht. Ich sage: „Dann schaffen Sie mir die Möglichkeit, dass ich dort hin kann. Ich möchte, machen sie es beruflich möglich“! In der Bundesrepublik werden Techniker mit Sicherheit gebraucht, lassen Sie mich dort arbeiten“. Das ginge nicht. Ich sagte: „Dann bleibt mein Antrag bestehen, das können Sie doch nachvollziehen“! Dann wurde mir gesagt, sie könnten mir nicht gestatten, was allen anderen DDR Bürgern verwehrt ist, in die Bundesrepublik, auch nicht besuchsweise zu fahren. Ich sage: „So bleibt mein Antrag bestehen“.

Und von da an ging das rucki, zucki über die Regierungskreise. Wir wurden ganz freundlich eingeladen über die Abteilung „Inneres“ auf dem Fritz –Forster- Platz in Dresden. Sehr freundlich. Ich habe gedacht, ich wäre in der Bundesrepublik. Nachher „und Frau Fuchs, schön, dass Sie da sind, nehmen Sie doch hier noch ein Augenblick Platz, wir rufen Sie gleich herein“. Das hat keine halbe Minute gedauert, da wurden wir hereingerufen. Da wurden Stühle zurechtgestellt. “Nehmen Sie bitte hier Platz“. Wir sollten noch einmal einen Ausreiseantrag stellen. „Herrschaften, den habe ich doch schon gestellt, den haben Sie abgelehnt. Sie haben geschrieben, dass das unverantwortlich wäre“. Ich sagte. „Ich kann nicht verstehen, wie Sie für mich eine solche wichtige Entscheidung, innerhalb von zwei Minuten, abhandeln, ohne die Hintergründe zu kennen. Auf einmal soll ich einen neuen Antrag stellen, Sie haben einen Antrag, der muss genügen.“ „Nein, damit das richtig bearbeitet werden kann, brauchen wir noch einen Antrag“. „Mit der exakt gleichen Begründung, wie ich ihn damals geschrieben habe, der abgelehnt wurde?“ Mit der gleichen, exakten Begründung wurde der Antrag jetzt formuliert. Meine Eltern wären alt und pflegebedürftig und ich würde die Pflege der Eltern übernehmen und das wäre der Grund, warum ich die DDR verlassen wolle. Natürlich nur über Drängen der Hohen Regierungskreise.