Berlin
Mein Name ist Karl-Gerhard Erich Leopold Gensch. Ich bin am 22 Oktober 1932 in Berlin geboren. Meine Eltern waren Karl Oskar Gensch und Hertha, geborene Faschingbaur.
Es war vormittags und wir sind los gezogen. Meine Eltern hatten vielleicht noch ein bisschen was zu essen in der Tasche, aber es war ungewiss, wann wir, und ob wir überhaupt wieder zurückkommen konnten. Ich war 1945 12 Jahre alt. Ich habe dann auf dem Weg Löwenzahn gesammelt, damit wir etwas zu essen hatten. Aber es hat doch ein gutes Ende gefunden.
Wir sind von dem Haus ungefähr einen Kilometer weggegangen. Da waren die russischen und deutschen Panzer und haben sich beschossen. Das haben wir auf unserem Weg gehört. Auf jeden Fall sind wir von unserem Wohnhaus eigentlich nur zwei Kilometer weit gelaufen und haben versucht einen Bogen zu machen, um wieder, so schnell wie möglich, zu unserem Haus zurück zu kommen. Wir sind zwischendurch in anderen Häusern gewesen, wo die Leute auch vertrieben wurden. Wenn der nächste russische Soldatenposten kam, haben wir immer gesagt, dass wir Hunger haben, dass wir da drüben wohnen, und dann haben sie meistens gesagt, dass wir weiter gehen sollten.
Nach etwa fünf bis sechs Stunden waren wir wieder in unserem Haus und lebten dort im Keller. Dann war es so, dass man merkte, dass die ersten russischen Soldaten kamen, die die Wohnungen aufbrachen und versuchten da drin zu wohnen und dort wüteten. Wir hatten einen Geschirrschrank, da war ein kleines Fach drin, wo normalerweise Alkohol drin stand. Da war auch eine Flasche mit Lebertran drin. Lebertran schmeckt ja nun wirklich anders als guter Schnaps. Und die Folge war, dass ein Russe von diesem Lebertran getrunken hat und so wütend war, dass er diese Flasche in das Fach geworfen hat. Alles roch noch lange danach. Das haben wir nicht vergessen.
Ich habe noch eine gute Erinnerung, als wir mal wieder aus dem Haus in den Garten konnten. Ich hatte dort einen kleinen Gemüsegarten. Im Frühjahr hatte ich dort Salat gesät. Dieser Garten war ein Lagerplatz geworden für die russischen Soldaten. Da sind sie mit ihren Jeeps, die sie alle von den Amerikanern hatten, drüber gefahren. Über mein Beet war eine tiefe Reifenspur. Ich war sehr traurig darüber. Aber als ich dann sah, dass im Boden unten der Salat raus kam, da dachte ich – das ist doch wunderbar – die Natur ist doch stärker als alles, was die Soldaten machen. Das gab mir wieder Hoffnung.
1945 war ich durch den Krieg in der Situation, dass ich einerseits Kind war, aber auch durch die Monate hindurch sah, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Ich sah, wie das deutsche Volk belogen wurde. Und irgendwie hatte ich heraus bekommen, dass man den englischen Sender BBC auch in Deutschland hören konnte. Es war verboten diesen Sender zu hören. Bekannte sagten, das kann man sich mal anhören. Dann habe ich unseren Radioapparat unter den Tisch gestellt und ringsum Decken hingehängt, um mal die englischen Nachrichten zu hören, die in Deutsch gesendet wurden. Meine Mutter war sehr ängstlich und sagte: „Das darfst Du nicht!“ Mein Vater aber sagte immer: „Erzähl mir mal, was Du gehört hast“. Da habe ich gemerkt, wie sich die Menschen verrennen können, wie sie sich etwas vormachen können, wie sie verführt werden können. Das war mir in dem Alter auf einmal schon bewusst geworden. Das war das auch, was mich in der Nachkriegszeit geprägt hat. Die Russen haben große Gerechtigkeit versprochen, dass wir alle Brüder sind usw. Die Tatsache war, dass sie großen politischen Druck auf die Bevölkerung ausgeübt haben, sodass die Skepsis in mir gewachsen ist. Ich dachte: So schnell glaubst du anderen Menschen nicht, was sie dir erzählen. Man muss die Dinge prüfen, man muss Abstand halten, um nicht Gehirn gewaschen zu werden.
Zwei Monate nachdem die Russen im April kamen, kamen im Juni die Amerikaner nach Berlin. Es fand dieser Tausch statt. Wir hatten das große Glück hier in Westberlin von den Amerikanern, von den britischen und französischen Truppen besetzt zu werden. Und dadurch hatten wir die Russen nicht mehr direkt als Kontrolleure. Dadurch gab es eine freiere Situation.
Als die Russen abzogen, haben sie hier noch verschiedene Dinge stehen gelassen von Militär. Sie hatten so Kabel und Fernmeldetechnik da gelassen. Damals gab es noch keinen Funk, sondern es musste alles mit Kabel verlegt werden. Wir Jungen haben uns für vieles interessiert, was Elektronik anbelangt. Damals gab es noch die Radioröhren.
Auf jeden Fall, auf einem Grundstück, wo jetzt unser Gemeindehaus steht, bin ich schon als Junge gewesen. Das war eine zerstörte alte Villa, wo solche Materialien von der russischen Armee noch übrig geblieben sind. Da bin ich mit einem Freund hingegangen, und wir haben uns das geholt, was uns interessierte. Dass ich dann nach 20 Jahren in das Gemeindehaus Dahlem hier gehe, das habe ich natürlich damals nicht gewusst. Da war vor 1950 diese zerstörte Villa, die die Kirche gekauft und dieses Gemeindehaus errichtet hat. Es war so, dass ich, wenn ich zur Schule ging, immer an diesem Grundstück vorbei musste. Als das Gemeindehaus 1949/50 errichtet wurde, waren amerikanische Missionare da, und zu der Zeit dachte ich, na ja, das ist eine amerikanische Sekte, da hast du nichts weiter mit zu tun. Ich habe mich da nie drum gekümmert.
Ich kann dankbar sagen, dass es dann 1945 langsam erstmal weiter ging. 1948 war ja die Währungsreform. Das war ein besonderer Sprung und man hatte wieder Optimismus.
Ich habe dann 1951 das Abitur gemacht. Und dann kam die Frage, was für einen Beruf ich lernen wollte. Mein Vater war bei Schering Ingenieur und hatte Kontakte. Ich interessierte mich für Naturwissenschaften. Da kam dann die Empfehlung zum Apotheker. Nach zwei Jahren hatte man einen gewissen Abschluss. Meine Schwester hatte studiert, mein Bruder wollte auch studieren. Also ist es gut, sagte mein Vater, wenn jeder einen Beruf hat. 1953 hatte ich dann diesen Apothekerpraktikantenabschluss. Nach weiteren drei Jahren habe ich das Apothekerexamen an der FU, der Freien Universität, absolvieren können.
Dann kam die Frage nach einer weiteren Ausbildung. Auf der einen Seite liebte ich Mathematik, Physik und Chemie, und Pharmazie, also nur als Apotheker in einer Apotheke stehen, war nicht so das, was ich machen wollte. Auf jeden Fall hatte ich noch die Gelegenheit eine Doktorarbeit zu machen.
Dann war ich von 1957–1960 an einem Bundesgesundheitsamt, wo ich die Aufgabe hatte, das Arzneibuch fertig zu stellen. Da konnte ich also arbeiten. 1959 hatte ich mir, aufgrund einer Reise als Student nach Afrika, eine Krankheit zugezogen, sodass ich mit der Leber zu tun hatte und 6 Wochen im Krankenhaus war. Dort habe ich nachgedacht, meine Doktorarbeit war noch nicht fertig, wie es weiter gehen soll. Als ich wieder arbeiten ging, habe ich es mit einem Kollegen besprochen. Und ich sagte: „Was mache ich nach meiner Doktorarbeit? Gehe ich in die Apotheke, oder gehe ich in die Industrie?“ „Ach“, sagte er „ neulich war hier ein Rundschreiben, wo junge Wissenschaftler sich für ein Stipendium bewerben können, um im Ausland, in einem Nato-Land, arbeiten zu können:“ Das fand ich interessant und wollte mir dieses Schreiben holen. Ich bin dann in das Büro von diesem Amt gegangen, aber die dachten, sie hätten dieses Rundschreiben nicht mehr, haben aber näher nachgesehen und fanden es. So habe ich mich für so ein Stipendium beworben. Beim ersten Mal hat es nicht geklappt. Da war ich auch noch nicht fertig. Beim zweiten Mal hat es geklappt, und ich durfte mir eine Arbeitsstelle in Amerika suchen.
Ich fand bei einem sehr fleißigen und genialen Professor in Madison Wisconsin, Professor Higutschi, eine Stelle, um dort ein Jahr auf dem pharmazeutisch/chemischen Gebiet zu arbeiten. Und habe dort im Januar 1961 anfangen können. Ich bin Anfang Januar noch mit dem Schiff rüber gefahren, und das werde ich auch nie vergessen und bereuen, acht Tage auf dem großen Ozean zu sein. Damals war Fliegen noch teurer. Es war gut den Abstand zwischen Europa und Amerika zu fühlen. Dann bin ich nach Madison gekommen, hatte vorher noch zwei Tage in New York verbracht, und mich mit einem Schulfreund getroffen, der schon drüben war.
Ende 1961, als das Stipendium zu Ende ging, ich aber mit meiner Arbeit noch nicht fertig war, sagte der Professor: „Willst Du nicht hier bleiben, Karl?“ Ich sagte: „Ich möchte das gerne abschließen.“ Dann habe ich noch zwei Jahre weiter gearbeitet auf dem Gebiet. Dann zog es mich nach Deutschland. Ich war noch nicht sicher, was ich noch tun werde, ob ich in Amerika in die Industrie gehe, oder an der Uni bleibe. Auf jeden Fall habe ich zu meinem Professor gesagt, dass ich mich selber noch finden möchte, was das Richtige für mich ist. Er soll mir nur so viel Geld geben, wie ich ihm wert bin. Ich wollte meine Freiheit haben. Das war das wunderbare an der Universität in Wisconsin. Es gab viele anregende Möglichkeiten sich in Philosophie, Religion und Psychologie weiter zu bilden und zu diskutieren. Das hat mich auch gereizt, denn ich hatte eben diese Erfahrung gemacht, dass so leicht etwas behauptet wird, was nicht den Tatsachen entspricht. Die Wahrheit zu finden, war für mich etwas sehr Wichtiges.
Die rein physikalisch/chemischen Untersuchungen haben mich sehr bewegt, zumal es eine Zeit war, wo die Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und dem Osten auf dem Höhepunkt war. An Chruschtschow erinnere ich mich noch. Er hat in der UN eine Rede gehalten und dann mit einem Schwur auf den Tisch geklopft, dann hat er trotzdem seine Wasserstoffbombe explodieren lassen. Das hat mich also auch sehr bewegt. Was nützte es, alle die interessanten naturwissenschaftlichen und technischen Entdeckungen und Erfindungen zu machen, wenn nicht ein Weg gefunden wird, dass Menschen friedlich miteinander leben. Ich sagte mir: du musst dich auch mit den geistig, philosophischen und religiösen Fragen befassen. Da kam in Amerika ein ganz neuer Aspekt in mein Leben.
Ich war in Deutschland in der Evangelischen Kirche getauft und konfirmiert worden, ohne aber innerlich die Sache aufgenommen zu haben. In Amerika gab es eine Fülle von Kirche, was ich nie vorher gewusst habe. Auf der Welt schätzt man 2000 – 4000. Da war dann auch die Zeit gewesen, dass ich Kontakt zu Studenten dort an der Universität hatte, die einer Kirchengemeinde angehörten oder einem philosophischen Club. Dann gab es den International Club. Auf jeden Fall habe ich gerne mit den Leuten dort diskutiert. Es gab 1953 auch die Welle von einem englischen Bischof ausgehend – Gott ist tot. Das ging also auch durch die protestantische Kirche. Das war alles so verwirrend, und ich wollte mir das selber in Ruhe überlegen, wie das eigentlich zu verstehen ist. Und dann habe ich angefangen mit drei anderen Studenten, die dort arbeiteten, gemeinsam ein Buch zu lesen von dem österreichischen Philosophen Hans Reichenbach. Ich merkte, wie komplex das alles war. Die Frage war: „Worauf kannst du dich verlassen?“ Und da kam diese Diskussion, die innere Erkenntnis: Du kannst dich eigentlich darauf verlassen, dass du immer glücklich sein willst. Das war der Punkt, wo ich mir sagte: Das ist dir gegeben. Was die anderen dir erzählen , ob es Gott gibt oder nicht gibt, ob diese Theorie richtig ist oder die, kann ich nicht beurteilen, weil ich eigentlich immer in einem Augenblick Empfindungen habe. Aber ich kann mich erinnern, dass ich glücklich sein will, auch selbst über den Tod hinaus glücklich sein will, und ich kann über die Zukunft nichts Genaues sagen. Sodass ich mir sagte, auf dieser Erkenntnis musst du dein zukünftiges Leben aufbauen. Und da ist die Folge, wenn ich glücklich sein will, brauche ich immer meine Mitmenschen. Die beste Lösung, die Hilfe meiner Mitmenschen zu haben, ist, wenn ich auch sie unterstütze und ihnen helfe. Das heißt, durch diese Gedanken bin ich auf die Goldene Regel innerlich gekommen, ohne dass ich sie wirklich kannte, denn in der Bibel hatte ich wenig gelesen.
Aus dieser Erkenntnis heraus, dachte ich mir: wenn jetzt Religion dieses lehrt, dann musst du dich damit befassen. Und dann habe ich mit den Protestanten, mit der lutherischen Kirche, mit den Methodisten und Baptisten Kontakt gehabt. Dann merkte ich, dass sie sehr unterschiedlich sind.
Dann kam die Zeit, wo ich mir sagte: Versuche es zu verstehen, sei offen, aber sage nicht gleich, dass das richtig ist, sich solch einer Gemeinschaft anzuschließen, oder die lutherische Kirche als die Richtige anzusehen. Du musst einfach für die Wahrheit offen sein.
Dann kam ein Pharmazeuten-Kongress in New York 1964, und zur gleichen Zeit war die Weltausstellung in New York. Da sind wir einen Nachmittag auch hingegangen und haben uns das angesehen. Meine Freunde wollten um 8.00 Uhr nach Hause gehen, ich sagte: Ich bin nur einmal hier und nutze die Zeit noch, bis die Ausstellung geschlossen wird. Auf dem Rückweg, um 10.00 Uhr wollte ich nach Hause gehen, sah ich am Ausgang rechts eine Nachbildung vom Salt Lake City Tempel und den Pavillon der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Ich sagte zu mir: Da gehe ich noch mal hin und hole mir Informationen. Ich hatte von den Mormonen noch relativ wenig gehört, nur das sie auch an einen persönlichen Gott und an Engel glauben, was mir damals alles verworren und suspekt vorkam.
Auf jeden Fall bin ich noch über den Vorplatz, da war ein schönes Blumenbeet, zur Tür gegangen. Da war ein Bruder, der wollte gerade abschließen. Ich sagte, ich komme aus Deutschland, und würde mir gerne noch mal einen Prospekt holen. Dann hat er die Tür noch mal aufgemacht, mich rein gelassen und hinter mir zugeschlossen. Ich war der letzte Besucher an diesem Tag. Ich habe mir dann für 50 Cent ein Buch Mormon gekauft und habe meinen Namen ins Gästebuch geschrieben. Das war sehr wichtig, denn die Missionare kamen nach sechs Wochen zu mir. Sie haben mir gesagt, dass das Buch Mormon von Joseph Smith übersetzt wurde von alten Platten, die er bekommen hatte. Sie haben mir auch beschrieben, wie die Kirche entstanden ist. Da sagte ich, dass ich das prüfen muss. Es kann wahr sein, aber es muss nicht wahr sein. Sie sollten mir Ruhe geben.
Die Tatsache, dass dieses Buch Mormon existiert, das so viele Wahrheiten enthält, half mir zu sagen, dass ich mich entscheiden muss. Entweder es ist wirklich wahr, oder es ist nicht wahr. Ich wollte mich damit befassen. Dann bin ich zur Gemeinde gegangen und habe die Geschwister kennen gelernt und die Lehren mehr und mehr. Am 9. April 1965 dachte ich mir, ich vertraue, dass das richtig ist und lasse mich taufen. Das war also mein Tauftag.
Dann war ich noch ein Jahr in Amerika und bin 1966 nach Berlin zurückgekehrt. Da merkte ich, dass ich als Schüler immer am Gemeindehaus vorbei gegangen bin, zu dem ich jetzt gehöre. Das war für mich auch ein besonderes Erlebnis. Ich bin hier ziemlich bald Sonntagsschullehrer geworden. Ältester bin ich noch in Amerika geworden. Ich war Ratgeber in der Bischofschaft, war Gemeindemissionsleiter, Ältestenkollegiumspräsident und was man alles für Berufungen hat.
Das Treffen mit meiner Frau war für mich auch ein besonderes Erlebnis, da ich meine Frau praktisch vor dem Tempel kennen gelernt habe durch die Tante. Da gibt es Führungen, für die man nicht dankbar genug sein kann. Man muss nur die Bälle in dem Moment richtig auffangen. Eine andere Führung im Laufe meines Lebens war folgende. Meine Eltern sind nicht Mitglieder der Kirche geworden, aber sie haben dann gesehen, wie gut es mir tut. Ich hatte mich in Amerika taufen lassen und hatte es dann nach Hause geschrieben. Meine Mutter war entsetzt und meinte, sie hätte einen Fehler bei der Erziehung ihrer Kinder gemacht. Mein Vater war da nüchterner. Er ist an den Bücherschrank gegangen und hat im Lexikon nachgelesen, was die Mormonen sind. Er hat das also ganz anders aufgenommen.
Aber mit den Jahren, wie ich hier wieder in Berlin war, hat meine Mutter auch gesehen, dass es gut ist, und sie ist auch ab und zu mit zur Kirche gekommen. Sie hat sich aber nicht zu Lebzeiten entschließen können, sich taufen zu lassen. Aber wir haben etwas sehr Schönes erlebt. Als 1991 unser Chris zu uns kam, da war er drei Jahre alt. Er war vorher in einem Heim gewesen. Drei Monate später starb meine Mutter, nachdem Chris zu uns kam. Sie hat ihn noch erlebt und hat sich gefreut. Sie hatte einen Schlaganfall und hat in einem Heim gelegen. Nachdem sie gestorben ist, wollten wir so schnell wie möglich, die Taufe für sie durchführen.
Unser Chris war so unruhig, dass wir ihn nicht so ohne weiteres anderen Menschen mal anvertrauen konnten. 1993 – zwei Jahre nach dem Todestag meiner Mutter, waren wir auch in der Schweiz, zu einer Zeit, wo wir uns sagten, jetzt können wir mal wieder zum Tempel gehen. Wer nimmt unseren Chris? Christa hatte viele Freunde dort. Dann kam es mit einem Mal so, dass genau an den 2. Todestag meiner Mutter, die Freunde Zeit hatten. So konnten wir zum Tempel gehen, und an dem Tag die Taufe für meine Mutter durchführen. Ich konnte Christa für meine Mutter taufen. Und das ist natürlich ein ganz besonders Gefühl, das in uns war.
Auch andere Merkwürdigkeiten gibt es in diesem Zusammenhang. Die Adoptionsurkunde für Chris, das er unser Sohn wird, ist auch genau am 9. April, an dem Tag, an dem ich in Amerika getauft wurde, gerichtlich ausgestellt worden. Dass das alles so übereinstimmte, dass es sich so ergeben hatte. Vielleicht auch noch eine andere Geschichte, was Genealogie und Familie anbelangt. Als wir 1997 in dieses Haus gezogen sind, hatten wir viel zu reparieren. Und ich bin zu einem Platz gefahren und habe alte Sachen weggefahren, die wir loswerden wollten. Und ich gehe in einen großen Container, wo dieser abgestellt wird. In dem Moment kommt eine Frau da rein und stellt kleine Schränkchen da rein. Da ich auch gerne mit den Händen bastele und selber etwas mache, dachte ich: Meine Güte, diese schönen Handwerksschränke, die schmeißt ihr einfach so weg. Ich frage einfach mal, ob ich sie mitnehmen darf, bevor sie kaputt gemacht werden. Sie sagte: „Die können Sie gerne haben. Ich habe hier noch drei so kleine Schränkchen.“ Das eine war so ein Kabinett zum Sortieren von Muttern und Schrauben und so kleine Dinge. Auf jeden Fall hatte ich Sachen weggebracht und komme mit diesen vier Schränkchen, die jetzt unten im Keller stehen, wieder nach Hause. Sie waren nicht leer, da waren noch andere Teilchen drin. Und nach einiger Zeit, wir waren ja sehr beschäftigt hier, das hat viel Arbeit gemacht, fing ich an aufzuräumen. Da finde ich ein kleines Schildchen mit einem Namen und einer Adresse. Der Name hat mir nichts gesagt. Ich schaue hin und denke, was ist das? Diese Schränkchen kommen aus der Wohnung, in der ich in Berlin geboren wurde. Das war schon unheimlich. Wir sind da 1951 weggezogen, und 1932 bin ich geboren, nach 65 Jahren werde ich wieder zu meiner Wohnung geführt.
Ich habe versucht diese Frau zu treffen und bin da hingefahren. Jetzt stehen diese Schränkchen bei uns im Keller, die vorher in der Kammer, in der Wohnung, wo ich groß geworden bin, gestanden haben. Man kann nur immer wieder staunen, wie alles ineinander wächst. Das waren so persönliche Erlebnisse, und mein Zeugnis ist durch viele Segnungen gestärkt.
1986 wurde ich Patriarch, als hier in Berlin Bruder Grünewald Pfahlpräsident wurde. Er war ja Patriarch und ist auch weiterhin Patriarch. Er konnte nun nicht Pfahlpräsident sein und Patriarch bleiben. Da musste ein neuer Patriarch berufen werden. Apostel Nelson war hier in Berlin und hat verschiedenen Brüder interviewt. Ich bin wahrscheinlich vorgeschlagen worden.
Wir haben ja sehr spät geheiratet. Das hing auch damit zusammen, dass meine Frau in der Schweiz die Einbürgerung beantragt hatte. Berlin war für sie auch eine schwierige Situation mit der Mauer um Berlin. Das war ihr immer, wie ein Kranz um ihr Herz.
Wir hatten aber gesagt, wenn ich pensioniert bin, dann ziehen wir in die Schweiz, aber erstmal kommt sie nach Berlin. Es hat sich aber so vieles geändert. Die Mauer ist gefallen, und wir haben den Jungen adoptiert. Dadurch hat sich alles wieder geändert. Auf jeden Fall hat mich Elder Nelson interviewt, und dann bin ich im Januar 1986 als Patriarch eingesetzt worden durch Präsident Grünwald.
Ich habe meine Frau in der Schweiz angerufen und habe ihr erzählt, dass ich als Patriarch vorgeschlagen worden bin, und wie sie dazu steht würde. Als das Gespräch in Berlin stattfand, wusste sie in der Schweiz, dass ich Patriarch werden würde. Sie hat es ganz genau gefühlt.