Gingst auf Rügen

Mormon Deutsch Christel Auguste Minna GluckMein Name ist Christel Auguste Minna Glück, geborene Apolke. Ich wurde am 20. März 1933 in Gingst auf Rügen geboren. Meine Eltern hießen Kurt und Elisabeth Apolke. Meine Mutter war eine geborene Rachow. Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Mein Vater war Förster von Beruf und wir lebten auf einem Gut in Dusvitz, einem kleinen Ort, sieben Kilometer entfernt von Gingst. Als ich fünf Jahre alt war, zogen wir in die Stadt Bergen auf Rügen, weil mein Vater eine Arbeitsstelle im Katasteramt (Vermessungsbehörde) angeboten bekam.

Im Jahre 1939 brach der Krieg aus. Wir waren sehr traurig und ängstlich, weil mein Vater zum Wehrdienst in die Armee eingezogen wurde. Wie viele andere Kinder und Frauen auch, mussten wir uns von unserem Vater und Mann verabschieden. Unsere einzige Hoffnung war, dass er gesund zurückkommen möge. Er wurde als Soldat nach Belgien geschickt, wo seine Einheit als Besetzer eines annektierten Land diente. Im letzten Kriegsjahr wurde er an die Westfront geschickt. Dort wurde er in Nörwenich, Kreis Dören im Rheinland, als er mit seinem Fallschirm absprang, schwer verwundet. Am 12. Dezember 1944 erlag er seinen Verletzungen und starb.

Meine Mutter war nun eine Witwe und hatte die mühsame Aufgabe, mich und meine Geschwister Christian, Erika und Helga, alleine großzuziehen. Ich vermisste meinen Vater sehr oft. Schließlich war ich gerade mal 11 Jahre alt, als ich ihn zum letzten Mal – bei einem Urlaub zu Hause – sah und in die Arme schließen durfte.

Als die Russen kamen und die Insel besetzten, war ich 12 Jahre alt. Meine Mutter musste für die russischen Soldaten arbeiten, weil mein Vater ein so genannter „Parteigenosse“ war. Viele Frauen mussten bei den Russen schwere Arbeiten verrichten. Sie wurde dafür eingeteilt, Munitionslager auszuräumen und die nun nicht mehr gebrauchten Waffen auf LKWs zu verladen. Das war sehr zermürbend für sie, weil sie immer wieder daran erinnert wurde, wodurch mein Vater den Tod fand.

Wenn meine Mutter bei der Arbeit war, waren meine Geschwister und ich immer alleine zu Hause. Wir waren froh, dass wir mitten in der Stadt an einer Hauptstraße wohnten. Denn in der Stadt wurde mehr als in den Dörfern darauf geachtet, dass Soldaten nicht einfach loszogen und plünderten und vergewaltigten. Wir hörten oft von Familien, die viel Leid erlitten, weil sie von russischen Soldaten heimgesucht wurden. Wir waren sehr froh, dass wir derartige Erfahrungen nicht machen mussten. Wir hatten sogar das Glück, dass sich ein russischer Soldat in meine Mutter verliebt hatte. Er versorgte uns regelmäßig mit Lebensmitteln, die in der Zeit nach dem Krieg sehr knapp waren, womit er uns half, am Leben zu bleiben. Im Nachhinein betrachtete ich es immer als Wunder, dass es diesen netten Soldaten gab, der sich – was nicht selbstverständlich war – um eine deutsche Familie kümmerte, obwohl ihm meine Mutter deutlich gemacht hatte, dass er sich bezüglich einer Liebesbeziehung keine Hoffnung machen sollte.

Ab November 1945 konnten wir wieder zur Schule gehen. Ich besuchte die fünfte Klasse der Volksschule in Gingst. Weil Stadtkinder nicht so leicht Arbeitsstellen bekamen wie Bauernkinder, entschloss ich mich, freiwillig noch ein Jahr länger zur Schule zu gehen. Ich besuchte also mit 15 anderen Schülern noch die 9. Klasse, bevor ich auf einem Hof eine landwirtschaftliche Ausbildung begann. Auf dem Hof war ich von 1949 bis 1951. Zwischendurch half ich in dem Laden aus, den meine Mutter von meinen Großeltern übernommen hatte. Sie verkaufte dort Spirituosen und Tabakwaren. Langsam normalisierte sich unser Leben. Nach meiner landwirtschaftlichen Ausbildung, arbeiteten meine Schwester Erika und ich ganztags mit im Laden meiner Mutter. Da wir nicht so begütert waren, mussten wir alle mit anpacken, um gemeinsam den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Ich war sehr froh, als ich eine Arbeitsstelle als Verkäuferin in einem Textilgeschäft angeboten bekam. Mit dem Gehalt, welche ich dort erhielt, konnte ich dazu beitragen, dass es meiner Familie ein wenig besser ging. Eine Sache allerdings, die sehr belastend war, war die politische Schulung, die jeden Morgen vor Geschäftseröffnung stattfand. Die sozialistische Partei der DDR war darauf bedacht, Jugendliche für die FDJ zu gewinnen. Ich wollte mit diesen politischen Dingen nichts zu tun haben. Deshalb gefielen mir die Schulungen nicht und machten mich sehr unglücklich.

Etwas, was mich dagegen immer ausfüllte, war die Religion. Mit meinen Freunden, war ich Mitglied der evangelischen jungen Gemeinde. Gemeinsam unternahmen wir dort viele Dinge. Unser Pastor, Kurt Liermann, äußerte oft sein Erstaunen, mit welcher Hingabe ich die Geschichten der Heiligen Schrift kannte und erzählte. Er schlug mir vor, mich als Katechetin, bzw. als Religionslehrerin ausbilden zu lassen. Später sollte ich tatsächlich so etwas wie eine Religionslehrerin werden – nur in einem etwas anderen Rahmen, als mein ehemaliger Pastor das gedacht hatte.

Eines Tages erhielt ich von meiner Großtante Margarete Wetzel einen Brief, in dem sie mich einlud, nach Heide zu kommen. Das nahm ich als Anlass, meinen Wohnsitz nach Westdeutschland zu verlegen. Ich ging mit meinem Pass zur Polizei und beantragte eine (Urlaubs-) Ausreisegenehmigung, um nach Heide fahren zu können. 1954 verließ ich mit 21 Jahren die Insel Rügen. In einem Geschäft fand ich auch sofort eine Anstellung als Verkäuferin. So konnte ich alleine für meinen Lebensunterhalt sorgen. Wohnen durfte ich bei meiner Tante Margarete.

Dann traten die Missionare der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in mein Leben. Ich war gerade bei der Arbeit, als es an der Tür klopfte, und die jungen Männer mir etwas über Gott erzählen wollten. Da ich nur wenig Zeit hatte – und eigentlich auch kein Interesse daran hatte, eine andere Religion kennen zu lernen – schlug ich den armen Missionaren die Tür vor der Nase zu. Nicht wirklich entmutigt, gingen die Missionare einfach weiter und zogen zur nächsten Tür. Meine Großtante, die nur ein paar Häuser von meiner Arbeitsstelle entfernt wohnte, öffnete jedoch den beiden jungen Herren die Tür und hörte zu, was sie zu sagen hatten. Am Abend, erzählte sie mir davon. Ich war ein wenig ungehalten. Unwissend wie ich war, wollte ich nichts davon hören. Meine Großtante zog mich zur Rechenschaft, indem sie mir liebevoll sagte, dass ich doch nicht alles sofort verurteilen solle, sondern mir nur ein Urteil erlauben könne, wenn ich zuhörte, was die Missionare zu sagen hatten. Nachdem ich die Worte meiner Tante im Herzen bewegt hatte und zu dem Schluss kam, dass sie Recht hatte, ließ ich mich beim nächsten Mal, als die Missionare bei uns waren, darauf ein, ihnen zuzuhören. Nach einer Weile fing ich an zu spüren, dass die Botschaft der Beiden etwas Besonderes war. Die Missionare sagten mir, dass ich auf die Knie gehen und beten solle, um heraus zu finden, ob das, was sie erzählt hatten, wahr sei. Da ich es nicht gewohnt war so zu beten, wie die Missionare es mir gezeigt hatten, schob ich es auf die lange Bank. Außerdem zweifelte ich, trotz der guten Gefühle, die ich zuweilen verspürte. Nach einiger Zeit kündigten die Missionare an, dass ein deutscher Missionar, Elder Rolf Glück, nach Heide versetzt werden würde. Bruder Glück sprach viel mit mir. Er konnte mir in deutscher Sprache viele meiner Fragen beantworten. Die Missionare fragte mich oft, ob ich mich denn nicht taufen lassen wollte. Ich hatte Angst davor. Außerdem verstand ich nicht, warum ich noch einmal getauft werden musste. Ich war doch schon evangelisch getauft.

Eines Nachts, wachte ich gegen 00.30 Uhr auf. Ich hatte das Gefühl einen beinahe unerträglich schweren und heißen Kopf zu haben. Immer wieder hörte ich in meinem Kopf die Worte: „Knie dich hin und bete!“ Ich folgte der Stimme, doch es ging nicht. Ich hatte das Gefühl, dass alles um mich herum schwarz und schwer war. Mein Herz raste. Dennoch sagte ich: „Vater im Himmel. Hilf mir!“ Die Missionare hatten mir zuvor erklärt, dass, wenn ich auf diese Weise beten würde, ich herausfinden könne, ob ihre Worte wahr waren. Und es klappte tatsächlich. Nachdem ich die Worte „Hilf mir!“ an den Vater im Himmel gerichtet hatte, spürte ich, wie die Schwere von mir abfiel. Ich spürte ein Brennen in meinem Herzen und hatte die plötzliche Gewissheit, dass es wahr ist, was die Missionare mir erzählt hatten. Der Geist berührte mich so stark, dass ich mitten in der Nacht laut ausrief: „Jetzt weiß ich, dass es wahr ist!“

Begeistert berichtete ich beim nächsten Treffen den Missionaren Bruder Glück und Bruder Davenport von meinem Erlebnis. Ich wurde am 08. Juli 1956 in der Heider Badeanstalt von Bruder Glück getauft. Ich war nun ein Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.

Im Laufe der Jahre habe ich sehr viel gelernt und großen Fortschritt machen dürfen. Ich habe in vielen Ämtern gedient und dadurch viele Segnungen erhalten. Ich bin glücklich, damals auf meine Großtante gehört zu haben, die mir geraten hatte, den Missionaren zuzuhören. Es hat mein Leben verändert.

Während seiner Mission, hatte Bruder Glück sich in mich verliebt. Er ließ sich versetzen, schrieb mir aber weiterhin Briefe. In einem Brief fragte er mich, ob ich nicht nach Hamburg kommen wolle, damit wir uns, wenn er von Mission zurückkäme, näher kennen lernen könnten. Weil ich spürte, dass auch ich etwas für ihn empfand, zog ich kurzer Hand um und suchte mir eine Arbeitsstelle in Hamburg. Als Rolf am 16. Februar 1957 von Mission entlassen wurde, war ich bereits vor Ort und wartete auf ihn. Schnell stand für uns beide fest, dass wir heiraten wollten. Ich nahm ihn mit nach Rügen, wo ich ihm meine Familie vorstellte.

Am 24. August 1957 haben wir standesamtlich geheiratet. Da wir nicht viel Geld hatten, mussten wir noch ein paar Jahre sparen, bis wir uns die Fahrt zum Schweizer Tempel leisten konnten. Im Mai 1960 wurden wir dann endlich für Zeit und alle Ewigkeit aneinander gesiegelt.

Aus unserer Ehe stammen vier wunderbare Kinder. Wir haben zwei Söhne und zwei Töchter. Unsere älteste Tochter, Christiane wurde am 27. April 1958 geboren. Michael wurde am 23. Juli 1959 und Heide am 22. Juni 1960 geboren. Unser Nesthäkchen Reimer erblickte am 14. April 1969 das Licht der Welt. Ich bin sehr dankbar, dass alle Kinder würdig waren, ihre Ehen im Tempel siegeln zu lassen. Neben den Aufgaben als Ehefrau und Mutter, hatte ich außerdem immer Berufungen in der Gemeinde. Meist war ich in der PV als Lehrerin, in der Leitung oder als Gesangsleiterin tätig. Zudem war ich bemüht, Rolf in seinen Berufungen zu unterstützen. Wir waren eine lange Zeit für die Jugendlichen zuständig. Ich hatte viel Freude daran, als Leiterin mit auf Jugendfahrten zu fahren.

1979 zog Christiane mit ihrem Mann nach Schaumburg. Erich hatte dort eine Arbeitsstelle gefunden. Sie kauften in Kathrinhagen, in der Nähe von Stadthagen, ein Haus. Als sie sich aus beruflichen Gründen direkt in Stadthagen ein Haus kaufen wollten, fragten sie uns, ob wir nicht in das Haus in Kathrinhagen ziehen wollten. Da wir gerne in der Nähe unserer Kinder und Enkelkinder sein wollten, und Rolf sowieso Arbeit suchend war, willigten wir ein. 1983 zogen wir also von Hamburg nach Schaumburg. Wir wohnten 13 Jahre in Kathrinhagen. 1996 sind wir dann auch direkt nach Stadthagen gezogen, wo wir bis heute wohnen. Wir fühlen uns hier sehr wohl.

Inzwischen haben auch unsere Kinder wieder Kinder bekommen. Und von diesen Kindern haben ein paar auch schon wieder eigene Kinder. Rolf und ich haben insgesamt 24 Enkelkinder und vier Urenkel (bis jetzt), um die wir uns immer gerne kümmern, wenn Not am Mann ist.

Neben unseren alltäglichen Aufgaben und den Berufungen, die wir tragen, haben wir immer viel zu tun. Aber wir fühlen uns dadurch auch sehr geliebt und gesegnet.