Klaus, Oberösterreich
Mein Name ist Rudolf Grünauer. Ich bin am 23. Oktober 1926 in Klaus, Oberösterreich geboren. Mein Vater hieß auch Rudolf Grünauer, und meine Mutter war eine geborene Anna Dutzler. Mein Vater war beruflich als Bahnarbeiter tätig.
Meine Mutter musste einmal zum Zahnarzt in dem Dorf gehen. Ich war zu der Zeit noch ein Baby. Da sagte meine Mutter: „Ach, wenn mein Kind, auch einmal so einen Beruf haben könnte”. Und dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Ich bin Zahnarzt geworden.
Meine Mutter hat dann in Salzburg gearbeitet. Die Ehe wurde geschieden, und ich bin von meiner Urgroßmutter aufgezogen worden. Später hat meine Mutter mich nach Salzburg genommen. Dort bin ich dann auch zur Schule gegangen. Das Schulgebäude in der Innenstadt von Salzburg, wo ich mit sieben Jahren eingeschult wurde, ist später zu einem Geschäftshaus umgebaut worden. Ich habe in diesem Gebäude meine Praxis gehabt und dort 43 Jahre als Dentist gearbeitet. Auf dem Gebäude gibt es einen alten Brunnen mit einem Löwenkopf. Jedes Mal, wenn ich dort vorbei gehe, schaue ich ihn an und denke: „Der Löwenkopf sieht immer noch genauso aus wie früher, nur ich nicht mehr „. Studiert habe ich in Wien. Danach habe ich als Assistent gearbeitet. Dort war eine Patientin, die von meinem Chef operiert wurde. Als ich von der Mittagspause zurückkam, war er immer noch am Operieren. Ich dachte: „Der operiert ja stundenlang, diese arme Frau”. Nach der Operation habe ich gesagt: „Die Nachbehandlung möchte ich übernehmen”. Das ist dann auch geschehen. Diese Patientin, Maria Erlach ist dann meine erste Frau geworden. Wir hatten fünf Kinder zusammen. Doch sie ist leider am 12. Oktober 1978 gestorben. Am Sterbebett hat sie mir noch gesagt, ich solle schnell wieder heiraten; denn der jüngste Sohn brauche noch die Fürsorge einer Mutter.
Ich war ganz verzweifelt – zu der Zeit war ich in der Kirche als Hoher Rat berufen und hatte die Gemeinde München-2 zu betreuen. Dort hatte ich eine Ansprache zu geben. Ich stehe oben am Pult, die Versammlung hatte schon begonnen, und da kommt noch, verspätet, eine Frau herein. Ich bin ganz erschrocken, denn sie sah meiner verstorbenen Frau so ähnlich, dass ich gedacht habe: „ Sie sieht aus wie die Maria”. Und mir kam der Gedanke: „Wenn ich je wieder heiraten sollte, so eine Frau wie diese würde ich gerne heiraten”. Aber ich habe dann auch gedacht, dass so eine hübsche, schöne Frau sicher schon verheiratet ist. Es hat mir aber keine Ruhe gelassen .Und als Hoher Rat habe ich dann in den Kirchenbüchern nachgesehen und festgestellt, dass sie auch eine Witwe ist. Ihr Mann war ebenfalls verstorben. Das war eine Situation, die mir eine positive Perspektive aufzeigte. Ich habe mich dann bemüht, freundlich zu ihr zu sein. Und ihr war es nicht unangenehm. Sie begegnete mir auch sehr freundlich. Beeinflusst wurde das Ganze, dass ich nach den Versammlungen weiter beschäftigt war mit Besprechungen und Konferenzen. Sie hat das beobachtet und gedacht: „ Meine Güte, der hat überhaupt keine Mittagspause”. Daraufhin fragte sie mich: „Gehen sie denn überhaupt nicht Mittagessen”? Ich antwortete ihr: „Das geht leider nicht, da ich immer gleich im Anschluss die Besprechungen habe”. Daraufhin ist sie gekommen und hat mir ein Mittagessen in die Kirche mitgebracht. Da habe ich natürlich gedacht: „Das ist die richtige Frau für dich“.
Ich habe mich dann an die Aussage meiner ersten Frau erinnert, dass ich bald wieder heiraten solle. Dann, nach einem Konzert zu sehr später Stunde in einer kalten und völlig verschneiten Winternacht, habe ich diese junge Witwe in München nach Hause begleitet. Und wir waren ganz erstaunt. Da sitzt doch auf einem Baum eine Amsel und singt in der Nacht, mitten im Winter. Ich habe sofort begriffen; denn meine erste Frau hatte eine große Liebe zur Natur. Und dieses war ihre Antwort. Ja, dass dieses die richtige Verbindung für mich ist. Ich habe es auch so angenommen und es auch selbst gefühlt und empfunden. Wir haben dann im Februar 1979 geheiratet. Beide Frauen sind an mich im Tempel gesiegelt.
Ich kann mich noch erinnern, als meine jetzige Frau an mich gesiegelt wurde, war das eine besondere Versammlung. Denn sie hat auch die heiligen Handlungen als Stellvertreterin für meine erste Frau übernommen. Die Sieglungen wurden von Elder Holland durchgeführt. Der hatte es auch angeregt, dass meine jetzige Frau sich auch stellvertretend für meine erste Frau siegeln lassen möge und war über ihre Bereitschaft so gerührt, dass er ihr einen Kuss auf die Wange gegeben hat.
Vor 1938, als Österreich noch ein selbständiger Staat war, kann ich mich erinnern, dass ich „Extraausgaben“ der Zeitung verteilt habe. Mir ist es noch voll im Bewusstsein, als der Bundeskanzler Dollfuß ermordet wurde, wurde gesagt: „Das haben die Nazis, die Nationalsozialisten, die Illegalen gemacht”. Ich bin aber nicht ganz sicher; denn er hatte befohlen, in Wien in die Arbeitersiedlungen mit Kanonen zu schießen, weil dort Widerstand gegen die Regierung geleistet wurde. Aber auf jeden Fall wurde hinterher behauptet, dass die Nationalsozialisten ihn erschossen hätten. Ja, es waren bewegte Zeiten. Und es kam zu Aufmärschen der in Österreich illegalen Nationalsozialisten. So auch in der Getreidegasse, in der Mozart geboren worden war. Und sie haben ihre Parolen hinaus geschrien. Dann ist die Polizei gekommen hat mit Wasserwerfern in die Menge gespritzt, so dass sie ausrutschten und auf den Boden fielen. Ich habe das vom Kaffee Mozart aus beobachtet, welches in der Getreidegasse liegt. Wir waren von den damaligen Inhabern, die übrigens Juden waren, sehr freundlich aufgenommen worden. Meine Mutter war dort als Köchin beschäftigt, und ich bin für dieses Kaffeehaus immer einkaufen gegangen.
Aus meinen Jahren als Junge erinnere ich mich auch noch, dass ich auf der Straße über das Radio eine Ansprache des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg hörte, der seinen Rücktritt erklärte; denn er hatte gesehen, dass das Militär Hitlers schon an den Grenzen stand und er wolle keinen Krieg; denn er hatte erkannt, dass es aussichtslos war. Seine letzten Worte waren: „Gott schütze Österreich”! Das hat mich so bewegt, dass ich zu weinen begonnen habe. Und ich muss sagen, es bewegt mich heute noch. Das war das Ende von Österreich. Hitler ist herein gekommen. Hunderttausende von Menschen waren auf den Straßen und haben geschrien: „Sieg Heil”! immer und immer wieder. Hitler ist dann im Österreichischen Hof abgestiegen. Die Menschenmassen davor schrien: „Wir wollen unseren Führer sehen, wir wollen unseren Führer sehen”! und er musste sich noch zeigen. In Wien war es dasselbe. Es waren hunderttausende von Menschen, die ihm zugejubelt haben. Man hatte keinen Platz mehr auf der Straße.
Den Grund für diesen Empfang habe ich erst viel später verstanden. Es hatte in Österreich zu der Zeit viel Arbeitslosigkeit gegeben und große Armut. Die Menschen sind betteln gegangen von Tür zu Tür. Sie haben auf der Straße Musik gemacht und einen Hut hingestellt, um sich ein wenig Geld auf diese Weise zu beschaffen. Und dann ist Hitler gekommen, und die Arbeitslosigkeit war vorbei. Jeder bekam sofort Arbeit. Er hat Autobahnen bauen lassen. Sicherlich haben seine Kriegspläne dabei eine Rolle gespielt .Aber die Leute hatten Arbeit. Ich erinnere mich noch sehr gut. In der Zeit, bevor Hitler kam und ich zu meiner Mutter sagte: „Ich habe Hunger”, und sie zu weinen begann. Und dann wusste ich, heute gibt es nichts zum Essen. Und nachdem der Hitler da war, fragte sie mich sogar am Abend: „Möchtest du eine Leberkäsesemmel”? Wir konnten uns eine Leberkäsesemmel kaufen. Das war das Höchste für mich. Ja, so war die Situation. Dann begann das Ganze mit der Hitlerjugend. Jeder sollte zur Hitlerjugend. Doch ich wollte nicht; denn ich war zu der Zeit beim österreichischen Jungvolk. Das war eine Organisation der österreichischen Jugend. Ich trug das Abzeichen: Rot, Weiß, Rot, obwohl mich die Hitlerjugendanhänger verspotteten. Doch dann hat Hitler zu einer Maßnahme gegriffen und bestimmt, dass die Hitlerjugend Pflicht ist für jeden Jungen eines bestimmten Alters.
Ich wurde dann vorgeladen. Und der Eindruck, den ich erhielt, ist nur mit entsetzlich zu beschreiben. Die Typen, die ich dort sah und erlebte, waren in ihrer ganzen Art einfach nur als grauenhaft zu beschreiben. Und ich habe mir gedacht: „Meine Güte, mit denen möchte ich nicht zusammen sein”. Um dem zu entgehen, habe ich mich freiwillig zur Nachrichtenhitlerjugend gemeldet. Dort wurde ich mit anderen ausgebildet als Funker und als Fernsprechtechniker, wie man es nannte. Das war für mich ein Glück; denn als mein Jahrgang nachher zum Militär eingezogen wurde, bin ich dann zu einem Funker ausgebildet worden. Aber die Anderen meines Jahrgangs wurden sofort an die Südfront in Italien beordert. Und dort sind die meisten von ihnen gefallen. Aber ich wurde berufen auf den Lehrgang als Funker und bin dadurch nicht an die Südfront gekommen. Ich wurde dann an die Westfront in Frankreich geschickt. Da war schon der Zusammenbruch. Die Gebirgsjäger aus Norwegen kamen zu uns, und ich war als Funker bei den Gebirgsjägern.
Interessant ist auch: Als ich zur Wehrmacht eingezogen wurde und der Stabsarzt, dem ich vorgestellt wurde, mich sah, sagte er: „Ha, ein Zahnarzt, Sie kommen zur Sanität”. Ich habe mich erdreistet und gesagt: „Ich möchte nicht zur Sanität”. Er fragte ganz erstaunt: „Ja, warum möchten sie nicht zur Sanität“? Und ich habe gesagt: „Ich habe das Gefühl, ein Sanitäter ist kein Soldat”. Er hat es mir nicht übel genommen und mich zu den Gebirgsjägern als Funker geschickt. Als Funker kam ich aber gar nicht richtig zum Einsatz; denn die Amerikaner hatten so eine gute Technik, dass, wenn ich einen Funkspruch gesendet hatte, sie sofort meinen Standort durch Anpeilung ausfindig gemacht haben. Und nach wenigen Minuten hatten wir gezielten Artilleriebeschuss vom Gegner. Ich musste sofort, nachdem ich meinen Funkspruch gesendet hatte, meinen Standort wechseln!
Ich möchte jetzt ein wenig den Zusammenbruch schildern. Wir hatten einen Hauptfeldwebel und einen Unteroffizier, die sich ihre menschlichen Qualitäten bewahrt hatten. Wenn Bombardements oder Artilleriebeschuss waren, hat der Unteroffizier immer zu mir geschrien: „Komm mit mir und schmeiß dich in den Dreck”. Wir sind dann sofort in einen Straßengraben, der voll Dreck war, hineingestürzt und haben uns so geschützt. Und die anderen, die noch sehr unerfahren waren, sind über das Feld gelaufen und getötet worden. Aber dieser Unteroffizier war ein sehr erfahrener „alter Hase“ und wusste, wie man sich in gefährlichen Situationen verhalten muss. Ein anderer junger Offizier (ein Fanatiker) ließ unsere Kameraden auf der Straße in geordneter Formation marschieren und ein Lied singen (nur weil wir die Amerikaner 70 Kilometer zurückschlugen.) Am Ende warteten die Amerikaner versteckt am Straßenrand und plötzlich hatten sie mit ihren Maschinengewehren zwei Drittel unserer Leute erschossen. Ich war gerettet, weil ich rückwärts bei den Granatwerfern positioniert war. Der Hauptfeldwebel war ebenfalls ein sehr erfahrener Mann. Der hat uns, nachdem er gesehen hatte, dass die Amerikaner uns eingekesselt hatten und wir nicht mehr hinaus kommen konnten, die Wehrpässe gegeben.
Zur Erklärung der Wehrpässe: Diese wurden bei der Einberufung angelegt, aber uns nicht ausgehändigt, sondern zurück behalten. Sie waren unsere so genannte Identität. Und wenn man im Besitz seines Wehrpasses war, konnte man sich frei bewegen. Es war gleichzusetzen mit: man ist entlassen oder zu etwas beordert. Hatte man diesen Wehrpass nicht und nur das Soldbuch, in dem alles Übrige vermerkt war, bedeutete das, dass man sich illegal von der Truppe entfernt oder Fahnenflucht begangen hatte. Wenn man so von den deutschen Feldjägern aufgegriffen wurde, bedeutete das den sicheren Tod. Man hat beim Rückzug viele deutsche Soldaten an Bäumen aufgehängt gesehen mit einem Schild auf der Brust: „Wegen Feigheit vor dem Feind”. Wir waren also jetzt im Besitz unseres Wehrpasses und liefen nicht Gefahr, dieses Schicksal zu erleiden.
Bei den Gebirgsjägern hatten wir so genannte Mulimaultiere, die viel tapferer waren als die schweren Pferde. Wir hatten nur noch einen Ausweg aus der Einkesselung. Dieser Weg führte durch einen brennenden Wald. Wir waren zu zweit. Wir fragten uns: „Sollen wir es wagen“? Und wir haben uns dafür entschieden. Die Mulis haben wir dann mit in Wasser getränktem Deckel gehüllt und haben ihnen Schlitze für die Augen hineingeschnitten. Dann sind wir mit ihnen in diesen brennenden Wald hineingefahren. Die Mulis waren so tapfer und haben sich nicht durch die mit viel Lärm aufbürstenden Bäume einschüchtern lassen. Sie sind tapfer weiter getrabt. Wir hatten auch den Segen, dass kein brennender Baum über die Straße gefallen war. Es war sehr heiß. Wir haben uns hinter den Wagen geduckt und sind durchgekommen bis zum anderen Ende des Waldes. Das war noch unbesetztes Gebiet in Oberbayern und Tirol. Dort sind viele Soldaten hin geflüchtet. Dann ist Tirol geschlossen worden, weil es überfüllt war. In Bayern sind wir mit unseren Mulis zu einem Bauern gegangen und haben ihm gesagt: „Du kannst unsere Mulis und den Wagen haben, und dafür gibst du uns Zivilkleider”. Der Bauer war damit einverstanden und hat uns dafür alte Zivilkleider gegeben. Wir haben daraufhin die Uniformen ausgezogen und diese alten Zivilkleider angezogen. Wir sind dann zu Fuß weiter gezogen und haben uns zur Tarnung ein Arbeitsgerät, wie etwa eine Sense oder Gabel über die Schulter gelegt, sodass man annehmen konnte, wir wären Landarbeiter. Wir haben dann die SS vom Wald herunter kommen sehen – die waren sehr gefürchtet. Wenn die jemanden aufgriffen haben, der von der Wehrmacht geflüchtet war, für den war es das Ende. Sie fackelten nicht lange und erschossen jeden. Wir sind aber von ihnen unbehelligt geblieben.
Ich bin dann in der Nähe von München, nach „Holzkirchen, gekommen. Dort habe ich einen Mann getroffen, der auf ähnliche Weise wie ich aus dem Krieg zurückgekommen ist. Er hat mir ein altes Fahrrad angeboten, welches noch Holzfelgen hatte aber ich war glücklich, es zu besitzen. Mit diesem Fahrrad bin ich dann sogar auf der Autobahn gefahren, obwohl dort amerikanisches Militär war. Man hat mich nicht weiter kontrolliert. Aber der Hunger machte mir sehr zu schaffen; denn ich hatte ja nichts zum Essen, bis auf eine kleine Dose „Notvorrat“. In dieser Dose war pures Schweineschmalz mit etwas Fleisch vermengt. Ich habe mir gesagt: „Du isst dieses Schmalz und trinkst darauf kaltes Wasser. Du wirst dir dadurch den Magen verderben, aber andererseits auch keinen Hunger mehr haben”. Ich habe es gemacht. Und ich hatte keinen verdorbenen Magen. Ich habe alles ohne Probleme verdaut. Ich bin dann weiter gefahren. Ich erinnere mich nur noch, dass ich wach wurde und in einem schönen weißen Bett lag.
Es kamen Leute, die mir erzählten, sie hätten mich auf der Straße liegend gefunden. Ich muss also irgendwie das Bewusstsein verloren haben, ausgelöst durch Hunger, Schwäche und den Strapazen, denen ich ausgesetzt war. Auch muss ich noch berichten, dass ich vorher auf der Straße ein kleines Keramik Kreuz mit einer Schnur daran gefunden und es mir umgehängt hatte. Die Frau, die mich gefunden hatte, sagte zu mir: „Als ich Sie da liegen sah, bemerkte ich, dass sie ein Kreuz trugen. Und ich fühlte mich genötigt, ihnen zu helfen. Ja, es war eine sehr religiöse, katholische Frau. Sie haben mich hereingetragen und mich versorgt. Ich bin dann wieder zu Kräften gekommen und war ihnen sehr dankbar. Danach habe ich mich wieder aufgemacht und bin bis nach Freilassing gekommen, das war an der Grenze nach Österreich.
Zu erwähnen ist noch, dass ich auch in einem Gefangenenlager der Amerikaner war; aber dort bin ich in der Nacht wieder ausgebrochen. Dort in Freilassing warnte man mich und sagte mir: „Du kannst nur über den Flugplatz und dann über die kleine Brücke ‚Sitzenheimer Steg’“. Das ist die einzige Möglichkeit noch nach Österreich zu kommen. Alle anderen Übergänge sind gesperrt. Dieses ist die einzige Stelle, die den Amerikanern nicht bekannt ist. Aber du kannst nicht über den Flugplatz gehen; denn dort sind die ehemaligen französischen Kriegsgefangenen, die die deutsche Soldaten nicht gerade entgegenkommend behandeln; sondern ihnen die Kleider vom Leibe reißen, sie schlagen und quälen, wenn sie ihrer habhaft werden”. Ich war aber in Zivil, bis auf einen Militärpullover, den ich dann noch abgelegt hatte. Ich bin dann mit meinem Fahrrad, und es war mein Glück, dass ich ein wenig französisch konnte, unter anderem auch ein Lied. Und so bin ich gefahren, als ob ich betrunken wäre, also schlangenförmig, und habe ein mir bekanntes französisches Lied gesungen. Die Franzosen, die mich sahen und hörten, riefen: „Salue, salue”. Und ich habe ihnen genauso geantwortet. Auf diese Weise bin ich zur Grenze gekommen. Ich bin einen Hang hinunter gefahren. Auch hier war der Herr mit mir und hat mich ganz genau an den Steg geführt, der über die Saalach führte und mich nach Österreich brachte.
Nun war ich glücklich und habe mich auf den Weg nach Salzburg gemacht. Doch als ich in Salzburg ankam, hatte ich große Befürchtungen, dass das Haus, in dem meine Mutter wohnte, nicht mehr stehen würde; denn Salzburg war ziemlich zerbombt. Ich habe mich also regelrecht angeschlichen, um nicht zu sehr enttäuscht zu werden. Ich habe dann vorsichtig um die Ecke geschaut und war froh zu sehen, dass das Haus noch stand. Dann bin ich hinein gegangen, habe geklopft, und meine Mutter öffnete die Tür. Sie schaut mich an und sagt: „Was möchten sie denn”? Sie hat mich einfach nicht erkannt. Ich muss völlig anders ausgesehen haben. Doch als ich dann sagte: „Ja Mama, kennst du mich denn nicht mehr”? „Ja Bub”! Und ihre Freude war übergroß.
Doch dann ging es gleich mit Schwierigkeiten los. Ich bekam keine Arbeitserlaubnis, keine Lebensmittelkarte, und ohne Lebensmittelkarte gab es nichts zum Essen. Doch auch hier ruhte der Segen des Herrn auf mir. Ein Freund von mir sagte zu mir, dass er einen Weg kennen würde, um diesen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Er führte mich zu einem Mann, und der stellte mir einen Ausweis aus, der mich als ein Mitglied der österreichischen Widerstandsbewegung auswies. Mit diesem Ausweis bin ich dann zu den Amerikanern gegangen. Dort waren die Gefangenen wochenlang festgehalten worden, bevor sie dann entlassen wurden. Bei mir aber war es so, als sie den Ausweis eines Widerstandskämpfers sahen, wurde ich sofort entlassen, bekam meine Entlassungspapiere und bin wieder nach Hause gegangen. Ich bin also ordnungsgemäß entlassen worden und bekam daraufhin auch meine Lebensmittelkarten.
Ich hatte in meiner ganzen Lebensentwicklung immer das Gefühl, unter einem besonderen Schutz zu stehen. Als ich aus dem Krieg zurückkam, wollte ich mein Studium beginnen. Es wurde erst einmal geprüft, ob ich irgendeine Funktion unter dem nationalsozialistischen System inne gehabt hatte. Auch dort ist dieser besondere Schutz gewesen. Ich wollte mich einmal anschließen; aber da hieß es, dass ich noch zu jung sei. Es hatte mir leidgetan. Dann habe ich mich als Reserveoffizier beworben. Da hieß es, dass ich schon zu alt sei. Auch war mein Jahrgang schon an der Front. Denn damals wurden schon die Sechzehn- jährigen an die Front geschickt. Und sie hatten nicht einmal eine Uniform, sondern nur einen einfachen Drillichanzug. Sie haben geweint, als man sie zum Einsatz brachte; besonders dann, wenn die Flieger kamen und Bomben abwarfen. Mir fällt gerade noch eine Begebenheit ein, wo ebenfalls ein Schutzengel über mich gewacht hat. Ich saß mit einem Kameraden neben mir auf einem der Muliwagen, als plötzlich ein Jagdbomberangriff im Tiefflug über uns hereinbrach. Ich hörte nur noch das Tack, Tack, Tack der Bordfeuerwaffen, und eh ich mich versah, hatte man meinem Kameraden neben mir den Kopf weg geschossen.
Einmal kreiste ein US Bomber über unsere Stellung. Er war angeschossen und flog kreisförmig zur Erde und zerschellte. Plötzliches Rauschen und der amerikanische Pilot landete neben mir mit seinem Fallschirm.
Aus all dem spricht der Segen, der auf mir ruhte. Auch als wir auf der Flucht waren und ich zu einem Bauern ging, um nach etwas zum Essen zu fragen, wurde mir gesagt: „Nein, nein, wir haben selbst nichts zum Essen”. Ich habe ihm nicht geglaubt. Ich bin dann um die Gebäude herum geschlichen und habe dabei in einer der Hütten alles voller Fleisch hängen sehen. In mir breitete sich Unmut aus. So ein gemeiner Mensch. Er hat Essen im Überfluss und gibt mir nichts. Dann habe ich mir genommen, was ich nötig brauchte und habe mich davon geschlichen. Doch plötzlich höre ich Panzergeschosse. Und ich habe mich erinnert, dass man mich einmal gelehrt hatte: je tiefer der Ton der herannahenden Granate wurde, umso näher war ihr Einschlag. Als dieses alles geschah, war ich gerade dabei, dass Stück Fleisch in einen Beutel zu stecken. Ich hörte das Pfeifen der Granaten, deren Ton immer dunkler wurde. Und dann schlug auch schon eine kurz hinter mir ein; aber es war ein Blindgänger. Sie ist nicht explodiert. Das war wieder ein Zeichen für mich: hier hat der Herr dich behütet und gleichzeitig den Hinweis gegeben, du sollst nicht stehlen. Und dann bin ich gelaufen und über Zäune gesprungen. Die Kühe waren ganz erregt, und eine von ihnen ist mir nachgelaufen. Ich bin wieder über einen Zaun gesprungen.
Dazwischen gab es überall Gräben. Dann kamen Tiefflieger. Die müssen sich einen Spaß gemacht haben; denn sie schossen, tackt, tackt, tackt, tackt genau neben mich. Ich habe mich dann in einen Wassergraben geworfen. Danach bin ich darauf gekommen, dass das völliger Blödsinn war. Der Wassergraben war ganz gerade. Da hat der Angreifende eine viel bessere Möglichkeit das Ziel, also mich, anzuvisieren und besser zu treffen. Dann bin ich aus dem Graben her raus und wieder gelaufen. Und wieder ging die Schießerei los; doch ich erreichte den Wald. Sie konnten mich nicht mehr sehen und warfen nun Jagdbombern in den Wald. Da wusste ich, dass sie nicht absichtlich danebengeschossen hatten. Es gab viele Detonationen, die die Bäume zerrissen. Aber ich bin durch- gekommen. So kommen einem immer wieder viele Dinge in den Sinn.
Da es nie zu einem freiwilligen Kontakt von meiner Seite zu den Nationalsozialisten gekommen war; denn einmal war ich ihnen zu jung und das andere Mal zu alt, hatte ich nach dem Krieg ein ganz sauberes Vorleben aufzuweisen und konnte gleich mit dem Studium beginnen. Aber es war nicht mein Verdienst, das alles so verlaufen ist; sondern da war Lenkung von höherer Stelle am Werk. Es war ein großer Segen für mich, dass ich sofort mit dem Studium beginnen konnte. Meine Mutter hat mich gefragt: „Was willst du denn studieren, wir haben doch gar kein Geld”. Dann ist sie gekommen und hat sich neben mich gesetzt. Sie hatte Geldscheine in der Hand und begann zu zählen, eintausend, dreitausend, zehntausend österreichische Schillinge hatte sie erspart. Sie meinte: „Dies Ersparte ist jetzt für dein Studium genau das Richtige”. Sie hatte das Geld zusammen gespart durch Arbeiten als Garderobenfrau, zum Teil bis spät in die Nacht. Auch als ich mich als Zahnarzt selbstständig machte, hat sie dazu beigetragen, dass ich überhaupt den erforderlichen Kredit bekam. Sie hat sogar bei mir in der Praxis am Tage als Assistentin gearbeitet und abends, bis in die Nacht hinein, im Kaffee Corso als Garderobefrau. Das war einfach heldenhaft. Wie sie das alles geschafft hat, ist mir heute noch unbegreiflich: bis spät in die Nacht als Garderobefrau und am Tage bei mir als Assistentin!
Ich hatte einen Freund, den Bruder Wolfgang Kehldorfer. Mit dem habe ich früher in einem Lokal nächtelang diskutiert bis der Kellner kam und uns daran erinnerte, dass die Sperrstunde begann. Wir waren natürlich der Meinung, dass wir die Welt verbessern könnten. Doch eines Tages kommt er in meine Praxis und sagt: „Du, ich habe es gefunden”. „ Ja, was ist los, was hast du gefunden”? „ Ich bin Mormone geworden”! „Was, das sind doch die mit der Vielweiberei? Bist du denn wahnsinnig”? „Ach, das ist alles nicht richtig und nicht wahr, das musst du dir anhören”! „ Nein, das brauche ich nicht, das kommt überhaupt nicht in Frage”! Er ist die nächsten Tage immer wieder gekommen, und mir wurde es schon richtig peinlich, so dass ich ihm verbot, in die Praxis zu kommen. Einen Tag hat er sich daran gehalten; aber am darauf folgenden Tag stand er wieder in der Praxis. Doch diesmal kam er mit einem Kuvert und bat mich, es im Laboratorium aufzubewahren. Ich weiß nicht, was er damit wollte, aber ich meinte: „Na gut mach es”. In den nächsten drei Wochen schaute er immer wieder mal herein. Doch es muss etwa in dieser Zeit gewesen sein, da standen plötzlich zwei Missionare bei mir in der Tür und erklärten mir, dass sie dieses Haus übersehen hätten; aber nun hätten sie es ja doch noch gefunden. Ich habe sie dann herein gebeten. Sie haben versucht, mir einiges zu erklären. Als sie dann wiederkamen, hatte ich mir vorgenommen: „Euch werde ich es zeigen”!
Ich hatte jede Menge Literatur zusammen getragen um ihnen zu beweisen, dass das, was sie sagten, falsch ist, dass sie im Unrecht sind mit ihren Behauptungen. Aber sie waren sehr geduldig mit mir. Mich hat etwas angesprochen, was nicht durch ihr Reden ausgelöst wurde. Ich hatte meine Beine ganz unter dem Tisch ausgestreckt und berührte die Füße von einem der Missionare. Sofort entschuldigte er sich, obwohl ich der Auslösende war. Ich war richtig erstaunt; denn eigentlich hätte ich mich entschuldigen müssen, und mir kam der Gedanke: „Was sind denn das für Menschen, sehr eigenartig”. Aber es hat mich dazu angeregt, hellhöriger zu werden. Ich habe dann die zusammen getragene Literatur beiseitegelegt und mir angehört, was sie zu sagen hatten. Obwohl ich immer noch in Opposition war, hatte mich plötzlich der Geist angerührt. Das war ein besonderes Erlebnis für mich. Die Missionare verabschiedeten sich und gingen hinaus in den Vorraum. Ich helfe ihnen in den Mantel und plötzlich kommt der Geist über mich. Und ich stammelte, ich weiß nicht was es ist, aber ich könnte schreien vor Glück. Das war die Wende. Von dem Zeitpunkt an war ich offen für die Botschaft.
Ich habe die Lehren dann auch angenommen; doch ich war noch immer sehr verklemmt, so dass bei der Taufe von meiner Frau und mir, keiner anwesend sein durfte außer den Missionaren. So sind wir dann an einem Wochentag am 17 April 1957 an einem Karfreitag getauft worden im damaligen Salzburger Gemeindehaus, Münchnerbundesstraße 4 (das Haus steht noch im Original.) Das Haus wurde durch die finanzielle Hilfe von mormonischen, amerikanischen Besatzungssoldaten nach dem Krieg gebaut und dann den Mitgliedern geschenkt! So hatten die Mitglieder sofort ein Schuldenfreiens Gemeindehaus.
Ich bin immer ein in sich gekehrter Mensch gewesen, sicherlich seelisch bedingt. Ein wenig später kommt der Bruder Kehldorfer wieder in die Praxis und sagt: „So, jetzt kannst du den Brief öffnen, den ich dir zur Aufbewahrung gegeben habe”. Ich öffnete den Brief und darin stand: „Ich prophezeie dir, dass du in spätestens sechs Monaten ein Mormone bist”. Soweit ich mich erinnere, ist diese Prophezeiung von drei Wochen ausgesprochen worden. Nachdem ich nun getauft war und auch die Versammlungen besuchte, war es für mich noch unvorstellbar, so wie andere, die dazu aufgefordert wurden, öffentlich ein Gebet zu sprechen. Das könne man von mir nicht erwarten, meinte ich zu dem Zeitpunkt. Aber man hat es dann doch geschafft, mich als Ratgeber in die Sonntagsschule zu berufen. Wenn ich dann eine Sonntagsschule leiten musste, habe ich mir alles bis auf das Kleinste aufgeschrieben. Ich war so nervös, dass ich auch nur von diesem Blatt ablesen konnte. Und wenn jemand noch eine Zwischenfrage stellen wollte, musste ich ihm sagen, das kann ich nicht, ich hatte nicht die Zeit dazu, es noch aufzuschreiben.
Doch ich habe mich dann verhältnismäßig schnell an alles gewöhnt. Und bald bin ich Gemeindepräsident von Salzburg geworden. Die Gemeinde Salzburg hat in mir etwas ausgelöst. Besonders zu der Zeit als Gemeindepräsident habe ich gesehen, wie jeder Mensch seine eigene Problematik hat in ganz verschiedenen Richtungen. Aber ich war in der Situation, Hilfe geben zu müssen, und dafür gab es nur eine Möglichkeit: Ich musste mich an den Vater im Himmel wenden, um Rat zu bekommen, was ich tun soll. Und so ist meine Beziehung zum Himmlischen Vater immer inniger geworden. Doch zu erwähnen ist, dass meine erste Frau, die sehr religiös war, sehr dabei geholfen hat. Damals, als sie noch katholisch war, ist sie den weiten Weg in die Kirche bei Wind und Regen gegangen. Sie hat mir nie einen Vorwurf macht, dass ich nie mit ihr gegangen bin. Sie war auch sehr inspiriert.
Ich kann mich erinnern: ich wollte gerade am Morgen vom Bett aufstehen. Es war heller Tag, als ich plötzlich im Raum angesprochen wurde. Ich war ganz erstaunt. Wer spricht denn jetzt zu mir? Ich hatte vorher gebetet. Aber ich muss jetzt erst einfügen, was in der Nacht geschehen war. Meine Frau war in der Nacht wach geworden. Sie rüttelt mich und erzählt mir etwas, und sie weiß nichts damit anzufangen. Und sie fragt mich: „Kannst du mir sagen, was das zu bedeuten hat”? Ich habe sofort gewusst: „Das ist die Antwort, jetzt ist mir klar, was ich tun muss als Gemeindepräsident”. Es gab einen bestimmten Problemfall in der Gemeinde. Es ging darum, ob der Bruder ausgeschlossen werden musste oder nicht. Und das war die Antwort. Meine Frau wusste nichts mit dem ihren Übermittelten anzufangen, doch für mich war es die Lösung. Jetzt komme ich wieder zu dem schon erwähnten Gebet zurück. Ich hatte mich also auf die Knie begeben, um mich unter anderem auch für die Hilfe zu bedanken, die ich in diesem speziellen Fall durch meine Frau erhalten hatte. Doch ich trug dem Herrn auch vor, dass ich der Gemeindepräsident sei und fragte ihn: „Warum hast du nicht mir die Botschaft gegeben”? Und nachdem ich das Gebet beendet hatte und aufstehe, ist plötzlich diese Stimme im Raum, und die sagt mir: „Sie hat die Botschaft bekommen, weil sie zur Zeit den reineren Geist hat”. Ich war sehr erstaunt über die Stimme; aber ich konnte voll und ganz akzeptieren, was sie mir gesagt hatte; denn meine Frau hatte immer eine sehr nahe Verbindung mit unserem Herrn. So sind wir gelenkt worden in unserer Unerfahrenheit. Immer wieder durch solche Einflüsterungen und Belehrungen erhielten wir Hilfe.
Meine Berufungen in der Kirche nach der Belehrung und Taufe durch Elder Crowley aus den USA und Elder Kuno Müller aus der Schweiz sind: Sonntagschulelehrer, Salzburger Gemeindepräsident, Hohepriester Gruppenleiter, Distriktspräsident, Tempelarbeiter, Hoher Rat, und Ratgeber zu fünf Missionspräsidenten sowohl als auch zum Tempelpräsidenten des Schweizertempels.