Weimar, Thüringen

Mormon Deutsch Heinz GrzanIch bin Heinz Grzan, geboren bin ich am 27. März 1922 in Weimar. Am 18 Okt 1952 habe ich in Bremen Ingeborg Dechmann geborene Jacobi geheiratet. Sie ist am 15. Dez 1920 in Hettstedt geboren und am 18. April 2000 in Bremen gestorben. Unserer Kinder: Tochter Renate Dechmann (aus erster Ehe meiner Frau) geboren am 10.September.1942. Helmut ist am 29.April 1956 in Bremen geboren und Manfred am 30. Januar.1958 in Bremen geboren. Am 4. Februar 2002 eine zweite Tempelehe mit Heidemarie Rostkowski. Heute bin ich 87 Jahre alt und geistig noch rege, allerdings körperlich abgebaut und kann nur noch selten die Gemeinde besuchen.

Die Kirche kennen gelernt hatten meine erste Frau und ich 1960. Am 23 April 1961 haben wir uns entschieden, getauft und konfirmiert zu werden mit Frau und Kinder (Renate, Helmut und Manfred). 17 Februar 1963 vom Missionspräsidenten L. Garrett Myers, bin ich zum Ältesten ordiniert. Am 5 Oktober 1975 sind wir als Familie (Vater, Mutter, Helmut und Manfred) im Schweizer Tempel gesiegelt worden. Helmut erfüllte er eine Mission in der Schweiz, 1975-77 und Manfred hat ebenfalls eine Mission in der Schweiz erfüllt.

Fast 25 Jahre diente ich als Gemeindesekretär und zwischenzeitlich Ratgeber im Kollegium und Kollegiumspräsident gewesen. Von 1936 bis 1939 erlernte ich den Beruf als Buchhändler in Weimar

Im Folgenden berichte ich, wie ich den Krieg und sein Ende erlebte. Anfang Mai 1940 wurde ich Soldat bei der Panzerwaffe und nahm am Russlandfeldzug teil. Ich war Funker in einem Panzer und habe an der Ostfront die berüchtigte Panzerschlacht bei Orel mitgemacht. Vieles musste in diesem Bericht aus Platzgründen leider ausgelassen werden.

10. Januar 1943: Vor zwei Jahren wurde an diesem Tag das deutsch-russische Bündnis erneuert und wie sieht es damit heute aus? Was war dieses Bündnis wert? Krieg mit Russland seit über anderthalb Jahren und noch kein Ende abzusehen, nachdem man erst geglaubt hatte, es würde auch nur ein Blitzkrieg von längstens acht Wochen Dauer sein. Im Januar 1943. wird der deutsche Belagerungsring um Leningrad von den Russen durchbrochen und die deutsche 6. Armee in Stalingrad kapituliert. Gefangen genommen wurden ein General-Feldmarschall und 16 Generäle plus die Mannschaften. Eisiges Schweigen herrscht nach dieser schwerwiegenden Mitteilung im Raum. Ein unsagbar dumpfes Gefühl ist in mir, denn der Fall von Stalingrad ist ein entsetzlicher Schlag für meinen Glauben an den Sieg unserer Waffen. Immerhin hatte Hitler in dieser Beziehung anders gesprochen und bisher hatten wir auf dem Schlachtfeld noch keine ganze Armee auf einen Schlag verloren.

Das Datum unseres Abmarsches ist Anfang Mai 1943, um zur Fronttruppe zurückzukehren. Mit dem Zug fahren wir durch eine waldreiche Strecke nach Orel. Dort warten wir vor dem Bahnhof auf die Fahrzeuge, die uns hier abholen sollen. Mit einiger Erschütterung sehe ich, dass hier ein Galgen aufgerichtet worden ist, der jedenfalls vor einem Jahr hier noch nicht stand. Wie viele Menschen mochten hier wohl zu Tode gekommen sein, weil sie, vielleicht, einen unserer Kameraden sinnlos ermordet hatten? Wir waren doch nach Russland gekommen, um diesen Menschen zu helfen! Endlich ist es so weit. Die Fahrzeuge kommen und wir können gute, alte Kameraden begrüßen. Dann müssen wir vor dem unbekannten Chef, Oberleutnant Müller. Er begrüßt uns alte Kompanieangehörige noch mal gesondert mit Handschlag und meint: „Euch brauche ich ja nichts weiter zu sagen. Ihr seid hier ja schon Zuhause.“ Das ist ein wahres Wort. Dann kommt Oberfeldwebel Nevoigt, reicht mir die Hand zur Begrüßung und zieht mich in ein längeres Gespräch. Während diesem fasse ich den Entschluss, dass ich Offizier werden will und diesen Mann zum Kommandanten haben möchte oder keinen.

Sonnabend, 3. Juli 1943. Heute ist Abmarschtag. Es ist, als würden jetzt alle Kräfte gesammelt für einen großen Sturm, der endlich auch den Sieg für unsere Waffen bringen muss. Am Montag, den 5. Juli 1943 in der Morgendämmerung gehe ich mit Fritz auf Wache. Es sieht so aus, als solle es heute ein heißer Tag werden und das nicht nur durch das Wetter. Wenn diese Offensive erfolgreich ist und es uns gelingt, den Feind in die Zange zu nehmen, ihn einzukesseln, um sein Material zu erbeuten oder zu vernichten, so verspricht uns der Führerbefehl als Lohn den Sieg über die Rote Armee, dem dann der Endsieg zweifellos folgen werde. Am Schluss des Tagesbefehles steht der großartige Satz: „Siegen oder sterben!“ Über uns fliegen Stukageschwader in Richtung Front und wir können, mit unseren Ferngläsern, beobachten, wie sie über der feindlichen Linie kreisen und dann im heulenden Sturzflug ihre Bomben fallen lassen und damit den Kampf unserer tapferen Infanterie wirksam unterstützen und allgemein wird über die Lage bekannt, dass der Angriff zügig vorangeht. Dann aber kommt der Krieg wirklich. Und so plötzlich und unerwartet, dass bald alles andere, was wir an Schönem und Bösem erlebten, hinter uns zurückbleibt. „Achtung! Minen!“ Diese Warnung steht rechts unserer Vormarschstraße, auf der auch Infanterie mit uns vorgeht. Weggeworfene Waffen und Geräte liegen verstreut am Weg umher.

Wir fahren weiter. Dabei kommen wir an tief ausgegrabenen russischen Schützengräben vorbei, die angeblich Stalingradkämpfer ausgebaut haben sollen, wenn wir richtig hörten, da Männer geflohen sein sollten und auch, glücklicherweise, unsere Stellungen erreichten. Entsetzlich sollen diese Männer ausgesehen haben und sie wurden rasch ins rückwärtige Gebiet gebracht. Keiner durfte mit ihnen sprechen und sie durften auch nichts sagen. Warum? Das bleibt unbekannt. Dann Luken dicht. Die vielen schweren Panzermotoren brummen auf und wir rollen los, treten endgültig an zur vielleicht großen und mit entscheidender Schlacht, wie es der Führer in seinem Tagesbefehl sagte. Aber wohin rollen wir? Wahrscheinlich überrollen wir im Augenblick gerade die vorderste Linie unserer eigenen Infanterie. Noch immer fällt kein Schuss. Plötzlich scheint es aber los zugehen. Maschinengewehr Feuer prasselt. Dazwischen das dumpfe Dröhnen schwerer Waffen. Unsere Panzer schießen und der Feind schießt zurück. Demnach befinden wir uns mitten in einem Gefecht Panzer gegen Panzer. Ab und zu prasselt es außen an unsere Bordwand. Und hier und da ist ein scharfer Knall hörbar der vielleicht von einem Panzerbüchsengeschoß stammt. Angespannt blicke ich durch die Optik, stelle sie so scharf wie nur möglich ein. Im Kopfhörer vernehme ich die Anweisungen des Chefs, höre aber auch Röcheln und so manches, was das Herz schwer macht. Kameraden in Not und im Augenblick kann ihnen kaum geholfen werden. Unterdessen höre ich, dass Fritz unser Rohr auf einen T 34 ausrichtet und mein Herz klopft. Wird er es schaffen? Rrumms! Das Geschoß fährt aus, so dass unseren Kampfwagen nach rückwärts gerissen wird durch den heftigen Rückstoß. Der erste scharfe Kanonenschuss, den ich im Gefecht aus der schweren Langrohr-KWK [Kampfwagonkanone] erlebe. „Er brennt!“ Fritz schreit es im Bordfunk und ich starre durch meine Optik, sehe auch Flammen aus einem feindlichen Panzer schlagen. Der erste Schuss saß demnach und ein T 34 ist erledigt. Mit ihm wahrscheinlich auch die vier Mann der Besatzung. Soweit ich mit der Optik sehen kann, erblicke ich brennende russische Panzer.

Und dann kann ich wieder mein MG auf russische Infanterie richten, die ihre Kampfwagen begleiteten. Diesmal habe ich besseres Schussfeld um sie zu erledigen. Trotzdem stören mich hin und wieder die Weizenähren im Schussfeld. Da erreicht uns eine Warnung, dass so genannte Molotow-Cocktails von russischen Infanteristen an unsere Kampfwagen herangetragen werden. Während es draußen heftig rummst und schießt, brüllt oben im Turm der Oberfeldwebel. Ein Russe muss sich an unseren Wagen herangeschlichen haben. Dann höre ich über den Bordfunk merkwürdige Geräusche beim Kommandanten, der wahrscheinlich irgendeine drohende Gefahr abzuwenden versucht. Fritz ruft irgendetwas, das ist aber nicht zu verstehen. Da durchzieht auch schon mächtiger Qualm den Kampfraum und nimmt mir fast den Atem. Ich öffne meine Einsteigluke etwas, damit frische Luft eindringt und für einen kurzen Augenblick hilft das auch. Aber auf die Dauer nützt es nicht viel. Als ich mich um blicke, bin ich ganz allein in dem stehenden Kampfwagen. Keiner der Kameraden hatte etwas gesagt oder ich habe nichts verstanden. So werfe ich meine Luke ganz zurück und ziehe mich rasch hoch und klettere hinaus aus dem fürchterlichen Qualm im Kampfraum. Heftiges Feuer ringsum. Das knallt und schießt, als sei die Hölle los und Geschosse pfeifen mir um die Ohren. Ob es die Russen auf mich abgesehen haben?

Ich habe aber nur den einen Gedanken, den neben unserem Kampfwagen stehenden Panzer zu erreichen, der sich kameradschaftlich an unsere Seite gestellt hat und das ganze Drama bei uns beobachtet haben mag. Wie ich es geschafft habe, das weiß ich hinterher nicht mehr so genau. Vom eigenen Panzer springe ich herunter, sehe nur flüchtig, dass feuernde Panzer herumstehen, dass die Sonne hell scheint, kann aber Freund und Feind, wie überhaupt irgendwelche Einzelheiten nicht unterscheiden. Dann laufe ich rasch die wenigen Meter zu dem 5-cm-Wagen hinüber [5 cm PaK 38 Fahrgestell Panzer II], , halte mich an der Manteleinfassung des Funker-MGs fest – ein Wunder, dass der nicht heiß ist und dass der Funker im Augenblick nicht schießt, stelle ich später fest, als alles schon vorüber ist – ziehe mich hoch. Der Ladeschütze hat seine Luke bereits geöffnet und ich quetsche mich zu den anderen Kameraden hinein. Es ist Bernhardts Kampf-Wagen, der uns aufnimmt. Kaum bin ich drin, setzt der Fahrer den Wagen zurück und wir werden aus der Gefechtszone gebracht. An einem kleinen Teich verlassen wir den Wagen der Kameraden, die wieder zum Gefechtsfeld zurückfahren, von wo dumpf der Lärm der furchtbaren Schlacht dröhnt.

Ein Infanteriefahrzeug liegt in Trümmern da. Die Pferdeleichen liegen halb im Wasser. Spuren des grausamen Krieges liegen verstreut umher. Auch ein paar tote Russen liegen am Boden. Ein Sanitätswagen nimmt Verwundete auf. Auf einer Bahre wird einer unserer Kompaniekameraden verladen. Der Sani (Sanitäter) sagt, wir sollten besser nicht mit ihm sprechen, es wäre besser so. Es geht auf Leben und Tod des Kameraden und ob wir ihn jemals wieder sehen würden, das sei fraglich. Der Krieg fordert seine Opfer. Vielleicht kommt auch einmal für uns die Stunde, wo wir nicht das heutige Glück haben und bereit sein müssen, den Weg ins Dunkle für eine hellere Zukunft unseres Vaterlandes zu gehen. So ist nun einmal das Leben des Kriegers. Zu Fuß machen wir uns auf den Rückweg zur Ausgangsstellung. Hierbei kommen wir an verlassenen russischen Schützengräben entlang. Ein feindlicher Tiefflieger belästigt uns mit seinen Bordwaffen, so dass wir in einem Schützengraben schnellstens Deckung nehmen müssen. Dann laufen wir weiter. Teilnahmsvoll und mit herzlicher Wärme werden wir im Kreis der Kameraden aufgenommen. Man reicht uns Zigaretten und wir rauchen, um zur Ruhe zu kommen. Viel wird nicht gefragt oder gesprochen. Die Kameraden wissen, was da vorn los ist.

Donnerstag, 8. Juli 1943: Wir versuchen gerade das eine MG einzuschießen, da greifen russische Jäger die Werkstatt an. Im Tiefflug jagen die Burschen über uns hinweg, so dass wir sogar den Piloten deutlich in seinem Sitz erkennen können. Leider kommen wir mit unserem MG nicht rechtzeitig in Schußposition. Noch einmal fliegen die Burschen mit ungeheurem Schneid an. Ganz flach kommen sie über den Baumspitzen des Waldes angefegt und rasen auf das Dorf zu und darüber hinweg. Der Flak gelingt es, einen der beiden Jäger abzuschießen, der steil abstürzt und unweit der Hütten liegen bleibt und in Flammen aufgeht. Mit unserem kampfbereiten Wagen fahren wir am nächsten Tag ans Ende des Dorfes, wo die Kompanie, auseinander gezogen, auf einem Feld bereit steht. Hauptfeldwebel Vieze ruft uns alle zusammen und fragt, wer seine drei Angriffe für das Panzerturm-Abzeichen gefahren habe. Ich melde mich, da ich ja noch von 1941 im 2-cm-Wagen zwei gezählte Angriffe „gut“ habe, wie mir Helmut damals sagte. Das erkläre ich auch dem Spieß. Hinter der Scheune grummelt es, als wenn heftiges Artilleriefeuer im Gange wäre. Auch kreisen Flieger über uns und dunkle Rauchwolken steigen auf. Vermutlich ist die Front noch nicht mal sehr weit entfernt. Die Nacht verbringen wir in unseren Kampfwagen und abwechselnd wird Wache gestanden.

Sonnabend, 10. Juli 1943: Am Morgen kommt der Funkmeister zu mir. Ich hätte doch zu Oberfeldwebel Nevoigt in den Kampfwagen gewollt. Da nun Unteroffizier Müller zum Chef in den Wagen als Cheffunker müsse, solle ich als Zugführerfunker zum Oberfeldwebel, ganz meinem Wunsch entsprechend. Darüber freue ich mich natürlich riesig. Schnell flitze ich los und eile, im Laufschritt, zu meinem bisherigen Kampfwagen, sage Oberfeldwebel Zamezal, dass ich umsteigen müsse. Packe mein Sachen zusammen, um damit zum anderen Wagen zu gehen. Bei Oberfeldwebel Nevoigt melde ich mich als dessen neuer Funker und richte mich auf meinem neuen Platz entsprechend ein.

Donnerstag, 15. Juli 1943: Russische Offensive gegen das Gebiet von Orel. In den frühen Morgenstunden rollen wir an einem ausgefallenen „Tiger“ Panzer vorbei und stellen uns, weit auseinander gezogen, in Bereitstellung auf. Vor uns ist eine Höhe, hinter der etwa 10 Tigerpanzer aufgefahren sind. Versorgungsfahrzeuge rollen von hinten an die „Tiger“ heran und versorgen sie – angesichts des Feindes – mit Benzin und Munition. Ein Wunder, dass der Russe hier nichts unternimmt. Mir ist ein wenig flau in der Magengegend, denn nun wird es wieder einmal recht ernst. Auch dem jungen Ladeschützen scheint es nicht gut zu sein, und als der Befehl zum Angriff kommt, meint der Oberfeld, der unsere Nervosität wohl bemerkt haben mag: „Ruhig, ruhig, nicht fickrig werden.“ Und das beruhigt merkwürdigerweise schlagartig. Ich schließe meine Luke, aus der heraus ich mich bisher umgesehen habe, dann rollen wir über die Höhe zu einem Einsatz. Über die Höhe kommen wir ohne große Schwierigkeiten hinweg, denn vor uns fahren die „Dicken“ und räumen beim Iwan – sehr zu unserer Freude und Erleichterung – gründlich auf. Wir überrollen die russischen Linien und fahren umher, die sich uns entgegenstellenden feindlichen Panzer abzuschießen und der Infanterie des Feindes das Leben recht sauer zu machen.

Am nächsten Tag fahren wir erneut ins Gefecht, greifen russische Infanterie und Panzer an und vernichten sie. Im Dunkeln setzen wir uns, nach schwerem Gefecht, ab und jagen in rascher Fahrt zurück. Hinter uns rummst es und die ganze Front scheint zu brennen. Scheinbar endlos jagen wir durch die Nacht und treffen auf zahllose Truppen, die sich scheinbar ebenfalls zurückziehen. Sogar die kleinen „Maikäfer“ oder wie sie sonst genannt werden, sehen wir. Wer weiß, wo sie die feindlichen Panzer in die Luft jagen sollen mit ihrer ferngesteuerten Sprengladung. Irgendwo ziehen wir, mitten in der Nacht, umher und Bomben sausen herab, dass einem das Herz still zustehen droht. Wir kommen nicht zur Ruhe und gerade noch knapp in unseren Kampfwagen hinein, hinter dem eine Bombe in den Boden rast. Unser Ladeschütze ist völlig aufgelöst und aufgeregt und der Oberfeld spricht beruhigende Worte zu ihm. In solchen Augenblicken wirkt er wie ein guter Vater der seinen Sohn trösten möchte. Der Rest der so aufregenden Nacht vergeht halbwegs ruhig und ungestört durch weitere Luftangriffe.

Zwei Tage später vernehme ich durch den Funk etwas von heftiger Gefechtstätigkeit. Endlich scheint unser Auftrag erfüllt zu sein und wir setzen uns vom Feind ab. Stehen dann irgendwo stundenlang untätig herum. Diese Zeit nutze ich, wie ich es schon immer getan habe, und schreibe. Draußen rummst es heftig von Artillerieeinschlägen, die zwischen unseren Panzern liegen. Am Sonntag, den 18. Juli 1943 rollen wir mit unserem Kampfwagen nach vorn in die HKL (Heeres-Kampf-Linie). Dort herrscht Ruhe. Unsere Infanterie sehen wir nicht. Vor uns befindet sich ein lang gestreckter Wald. Da soll der Russe drin sein. Eigene Jäger fegen über die russischen Linien hinweg und jagen ein paar Feuerstöße nach unten. Plötzlich schlägt vor uns eine Panzergranate ein. Rrumms!! machte es. Der Richtschütze meint, dass da drüben zwei T 34 stehen, von denen uns einer unter Feuer nimmt. Aber der Oberfeld ist stur. Er bleibt stehen. Rrumms !! Ein neuer Einschlag. Diesmal etwas näher. Noch immer rührt sich der Oberfeld deshalb nicht. Noch ein dritter Einschlag und endlich der vierte sitzt uns genau auf dem Bug vorn drauf. Ohne zu zögern schaltet der Fahrer den Rückwärtsgang ein, setzt, auf Kommando des Oberfeld, in eine Mulde zurück und wir booten aus, den Schaden zu besehen. Es ist nicht viel passiert, zu unserem eigenen Glück. Also rein in den Wagen. Aus der Deckung heraus wird der T 34 anvisiert und mit zwei Schuss ist er erledigt. Ansonsten werden wir an diesem Tag nicht weiter gebraucht. Ein regelrechter Ruhetag an der Front.

Dienstag, 20. Juli 1943: Als ich aufwache und von meinem Funkersitz hinauf auf das Heck klettere ruft uns unsere harte Pflicht. Wir rollen wieder ins Gefecht. Eigene Infanterie begleitet uns und wir schießen gleich einen russischen Panzer ab. Im Bordfunk höre ich den Oberfeld Anweisungen an den Richtschützen geben, der im Augenblick ein bisschen aufgeregt zu sein scheint. „Da, beim Haus, da steht einer!“ schreit der Fahrer und weist, wie ich sehen kann, durch seine Luke in eine für mich unbestimmte Richtung. Durch die Optik sehe ich einen T 34 sich an eine Hauswand drücken. Vor uns befindet sich ein Tal, in dem Infanterie und Panzer herum wimmeln. Unser Turm dreht sich und die Kanone schießt. „Wumm!“ Das gibt einen heftigen Ruck durch den ganzen Panzer. Draußen aber rummst und knallt es nicht minder. Auf unseren Panzerungen prallen Geschosse ab. Leichtere Infanteriegeschosse sind zu unterscheiden und dann die schweren Geschosse der russischen Panzerbüchsen. Neben meinem Kopf ist davon sowieso schon außen ein tiefes Loch davon in der Panzerung. In der Dunkelheit setzen wir uns endlich vom Feind ab und kehren in die Ausgangsstellung zurück. Ich erinnere mich noch dunkel daran, dass wir irgendwo in einem Tal unter Büschen und an einem Bach standen. Ich war am Lesen und die russische Artillerie schoss dazu. In solchen Situationen habe ich sogar manchmal geschrieben.

Freitag, 23. Juli 1943: Während an unserem Kampfwagen noch repariert wird, beobachten wir plötzlich unsere Infanterie bei fluchtartigem Rückzug. Junge, Junge, was mag da bloß los sein? Ein Geschrei erhebt sich: „Valentin-Panzer!“ Das sollen schwerste russische Panzerkampfwagen aus amerikanischen Lieferungen sein, gegen die wir schwer ankommen können. Was machen wir nun hier? Der Oberfeld, wie gewohnt, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und er hat recht damit. Während noch die wilde, fluchtartige Rennerei der Infanterie im Gange ist, brausen plötzlich Panzerkameraden einer anderen Division durch das Dorf nach vorn, wo unsere eigenen Kameraden im Kampf stehen. Die Lage wird bereinigt.

Sonntag, 25. Juli 1943. Wir rollen durch einen Wald in die Bereitstellung. Der Richtschütze brüllt etwas von „Valentin-Panzer!“ und mir wird ganz komisch zumute. Es ist ein heißes Gefecht, aus dem wir glücklich und heil wieder herauskommen. In einem Kornfeld versammelt uns der Kommandeur um sich und hält eine große Rede. Er spricht vom guten Einsatz der Kampfstaffel und davon, dass tapfer weiter gekämpft werden müsse und spricht von der Verteilung von Auszeichnungen und dergleichen mehr. Ich selbst habe ja nur die Ostmedaille für den langen Winterkampf 1941/42 und jetzt berechtigten Anspruch auf das Panzersturmabzeichen. Dann heißt es wieder aufsitzen und wir rollen weiter.

Sonnabend, 31. Juli 1943. Wie in jeder Nacht, wieder wachend auf unseren Panzern gehockt, die Maschinenpistole schussbereit in der Hand, ist nun endlich vorüber und der neue Tag kündet sein Kommen an, da erhalten wir Befehl, aufzusitzen und los zu fahren. Endlich ist es so weit. Ich schaue aus meiner offenen Luke heraus. Es ist anzunehmen, dass ernstlich etwas los ist. Der Russe war in den letzten Tagen schon gewaltig am Drücken, so dass wir uns wiederholt absetzen mussten. „Luken dicht!“ Jetzt wird es ernst. Draußen rummst es von schweren Abschüssen und Einschlägen. Plötzlich gibt Oberleutnant Müller eine Warnung durch: „Nevoigt! – Achtung!! – 200 m Pak! [Panzerabwehr-Kanone]“Der Chef ist noch nicht fertig mit seinem offenen Warnruf, da gibt es auch schon einen heftigen Schlag und sogleich herrscht Totenstille im Wagen.

Merkwürdigerweise bin ich diesmal, im Gegensatz zum ersten Gefechtstag am 6. Juli, sehr ruhig. Hinter mir höre ich, wie eilig ausgebootet wird. Ich stelle die Funkgeräte ab. Neben mir jammert der Fahrer, er könne nicht raus, man möge ihm doch helfen. Scheinbar kann er seine Luke infolge der Drehung des Turmes nicht öffnen. So klettere ich in den Kampfraum zurück, um die Seitenrichtmachine zu bedienen. Als ich an der Kurbel drehe, rinnt mir warmes Blut über die Hand. Jetzt erst bemerke ich den toten Richtschützen, der, wie eine Puppe, grau vom Dreck und Pulverdampf, leblos auf seinem Sitz hockt. Das schwere Pakgeschoß muss den nun toten Kameraden direkt durch die Walzenblende, in der ein großes Loch ist, in den Kopf getroffen haben. Es ist mir, als hörte ich das Blut aus seinem Körper plätschern, kann mich aber auch irren, denn völlig klar konnte ich, trotz aller innerer Ruhe – oder war das nur Selbsttäuschung? – die Dinge und Geschehnisse um mich herum nicht erfassen, nicht einmal denken tat ich, was doch sonst meine Lieblingsbeschäftigung war. Inzwischen hatte sich der Fahrer vorn befreien und selbst aus eigener Kraft ausbooten können. So klettere ich durch die Seitenluke des Ladeschützen und richte mich hoch auf, um mich umzusehen. Später erst kam mir mein Leichtsinn in diesem Augenblick zu Bewusstsein. Von der feindlichen Pak, die uns sicher abgeschossen hat, kann ich nichts erkennen.

Ich sehe nur, dass hinter uns in einer Linie unsere Panzer aufgefahren sind und aus allen Rohren ein wildes Feuer abgeben. Allem Anschein nachgeben sie uns damit Feuerschutz. Merkwürdig überhaupt, dass uns die russische Pak keinen zweiten Schuss in den Panzer jagte. Noch später, als ich endlich darüber nachdenken konnte, wunderte ich mich, dass nicht einmal auf mich selbst, als ich oben auf dem Panzer Zielscheibe stand, geschossen wurde. Glück des Soldaten, gewiss, aber das lange Verweilen im Panzer – oder schien das nur so? – das dem Fahrer helfen wollen und das Umsehen hoch oben auf dem Panzer, wenn es sicher auch nicht allzu lange dauerte, mehr wie Leichtsinn war, jedoch immerhin von dem Hilfsdienst gegenüber dem verwundeten Kameraden abgesehen. Dieser Leichtsinn hätte mir glatt das Leben kosten können. Vielleicht aber verhinderte das heftige Feuer der Kameraden eine Gegenwehr der Russen und schützte uns alle, die wir in unserem Panzer 121 noch mit dem Leben davon kamen. Nachdem ich abgesprungen bin, finde ich hinterm Panzer die drei lebenden Kameraden hocken, die scheinbar auf mich gewartet haben. Wir setzen uns von unserem angeschlagenen Panzer ab. Allerdings weiß ich nicht mehr zu sagen, wie wir das gemacht und geschafft haben. Beschossen wurden wir vom Russen nicht, das weiß ich sicher oder sollte ich das nicht bemerkt haben? Ein Schützenpanzer nimmt den schwer verwundeten Fahrer, vom Ladeschützen gestützt und den verwundeten Oberfeldwebel Nevoigt mit, den ich leider an diesem Tag zum letzten Mal in meinem Leben gesehen habe.

Ich bleibe nun allein zurück und laufe zwischen den Panzern umher, um irgendeinen zum Abschleppen unseres Kampfwagens zu finden. Ab und zu muss ich mich hinlegen, weil Artillerieeinschläge des Russen oder der schweren Granatwerfer zu nahe liegen. Auch muss ich darauf gefasst sein, aus dem Kornfeld, durch das ich laufen muss, plötzlich von Russen überfallen zu werden, falls unsere Panzergrenadiere nicht gut mit dem Iwan aufgeräumt haben sollten. Ich erhalte Weisung, ins Dorf zurückzugehen und von dort eine Zugmaschine zu holen, die unseren Kampfwagen abschleppen soll. So verlasse ich das Kampffeld und bin nach kurzer Zeit scheinbar allein auf weiter Flur. Als ich in einer Mulde entlanggehe, treffe ich dort auf einen Trupp lagernder Infanteristen, die sicher nach vorn wollen. Man sagt mir noch, dass der Fahrer unseres Kampfwagens und Oberfeldwebel Nevoigt ins Lazarett gebracht worden sind, dann kann ich mit einer Zugmaschine nach vorn fahren. Wesentlich angenehmer, als die Fußlatscherei, obwohl die große Zugmaschine ein Riesenziel bietet. Ich möchte kein Infanterist sein.

Sonntag, 1. August 1943: Werden wir das Grab von unserem Kameraden von der Kriegsmarine wiedersehen? Es sieht nicht danach aus, denn es werden schlimme Dinge berichtet. Der Russe geht vor und wir gehen zurück. Soldatenfriedhöfe mussten dem Erdboden gleichgemacht werden, damit sich der Russe nicht an den toten Kameraden vergreifen kann. Endlos fahren wir über das weite Land. Ich nehme das Fernglas zur Hand und sehe mich ein bisschen im Gelände um. Hier und da erblicke ich einen alten Kameraden auf seinem Panzer. Ich sehe, dass mich der Chef mit dem Glas beobachtet. Nun ja, ich will Offizier werden, da muss der Chef, dessen Wohlwollen ich wohltuend spüre, schon ein Auge auf mich haben. Im Augenblick, obwohl wir vor einem neuen Gefecht stehen, fühle ich mich innerlich auch sehr ruhig. Ich habe mir dieses Schicksal selbst gewählt, indem ich freiwillig Soldat wurde, um dem Vaterland zu dienen. Nun muss ich dieses Schicksal auch tragen und hatte ich nicht vor zwei Jahren das Gefühl, dass mir nichts passieren könne? Allerdings habe ich trotzdem Angst vor einer Verwundung, die mich unfähig machen würde, mein Lebensziel zu erreichen. Der Angriff beginnt und führt uns über die Höhe hinweg in die feindliche Linie hinein.

Durch den Funk höre ich von erheblichen Ausfällen und Oberleutnant Müller lässt uns zurücksetzen. Es scheint keinen Zweck zu haben. Im Funk vernehme ich, dass der weit hinter uns im Dorf befindliche Kommandeur unserem Chef erneut den Angriff befiehlt: „Nein, Herr Hauptmann, ich kann diesen Angriff nicht fahren. Wir haben eine zu starke Abwehr und verlieren dabei viele Panzer und Menschen.“ So etwa sprach unser Chef. Aber der Kommandeur wird dringender: „Ich befehle Ihnen, anzugreifen, Müller!“ „Ich will noch einmal darüber nachdenken, Herr Hauptmann!“ In der Stimme des Chefs schien mir ein Ton der Verachtung für den Mann zu liegen, der in dieser Stunde eigentlich bei uns hier vorn sein müsste. Allerdings kenne ich die Gründe nicht und auf Redereien möchte ich nichts geben. Es wird jedenfalls auf ihn geschimpft, da er auf das Ritterkreuz spekulieren soll. Damals, als er uns im Kornfeld zusammen rief und zu uns sprach, machte er eigentlich einen ganz sympathischen Eindruck. Aber man kann sich natürlich täuschen, wenn man einen Menschen nicht richtig kennt. Unser Chef ist auf jeden Fall ein angenehmer Mensch, den wir wohl alle gern mochten. Gespannt warte ich ab und mit mir sicher alle, die dieses Gespräch im Funk mitverfolgen konnten. Irgendwie glaube ich sogar mein Herz stärker klopfen zu spüren, dass der mutigen Worte wegen für den Chef schlägt, dem seine Vernunft, Blut und Material zu sparen, als Befehlsverweigerung ausgelegt werden und daher Kopf und Kragen kosten kann. Endlich kommt der zweifellos gut durchdachte Vorschlag von Oberleutnant Müller. Er meint, man möge zwei Pionierkompanien nach vorn schicken, die von der Seite die Höhe mit angreifen sollen und eine Schützenkompanie dazu, dann könnte es möglich sein, dass der Angriff glückt. Der Chef hat also, im Grunde genommen, doch gesiegt. Doch wurde auch dieser Angriff, wie alle anderen vorher, äußerst schwer vom Russen abgewehrt. Die Ereignisse überstürzen sich, denn ich weiß den weiteren Verlauf dieses Gefechtes nicht mehr so genau. Ich weiß nur noch, dass wir uns in der Abenddämmerung, in rasender Fahrt vom Feind absetzten, der allem Anschein nach heftig nachdrängte. Dabei hatte ein Wagen das Pech, unterwegs hängen zu bleiben. Wir waren der ihm zunächst befindliche Panzer und stellten uns in seiner Nähe bereit, damit die Besatzung, nach einem etwa notwendigen Ausbooten, zu uns überwechseln konnte. Hier war Feldwebel Horst von eiserner Ruhe, wie ich sie bei Oberfeldwebel Nevoigt erlebt hatte. Der Richtschütze allerdings fing an nervös zu werden. Draußen wurde es dunkel und die Russen waren, allem Anschein nach, bereits an den ausgefallenen Wagen heran gelangt und beschossen die um ihr Leben rennende Besatzung und unseren Wagen. Aber unser Kommandant blieb eisern stehen. Durch den Funk rief bereits der Chef nach uns, wir sollten doch endlich nachkommen und ich konnte ihm endlich die gute Botschaft durchgeben, dass die Besatzung gerettet ist und wir sofort nachkommen würden. Schwer keuchend stürzten die ausgebooteten Kameraden durch die Seitenluken in unseren Kampfraum, der nun natürlich überbesetzt und eng wurde und in rasender Fahrt stürmten wir den vorauseilenden Kameraden nach. Hauptsache war, dass uns jetzt nichts passieren würde, nachdem wir die andere Besatzung und uns selbst buchstäblich in letzter Minute dem Russen entrissen hatten. Glücklich gelangten wir nach einiger Zeit mit unseren geretteten Kameraden im Kreis der Kampfstaffel an.

Wieder fahren wir nach vorn. Heftige russische Panzerabwehr schlägt uns entgegen. Unsere Kanonen antworten. Von einer Höhe links soll, wie ich durch den Funk höre, ebenfalls eine russische Pak schießen, die einfach nicht zu fassen ist mit unseren Waffen. Wie lange wir da herum kurvten, das weiß ich nicht. Auf einmal gibt es einen heftigen Knall auf der Seite des Fahrers und unser Kampfwagen steht. Er ist nicht mehr zu bewegen. Sämtliche elektrischen Leitungen scheint der harte Aufschlag außer Gefecht gesetzt zu haben. So eine Schweinerei! Wir booten rasch aus. Unsere Panzer stehen, verschieden aufgefahren, herum und schießen aus allen Rohren, was das Zeug hält. Zunächst springen wir auf der dem Feind abgewandten Seite hinter unseren Kampfwagen in Deckung, denn das schießt um uns, als seien wir in der Hölle oder die Welt ginge unter mit einem infernalischen Lärm. Dann suchen wir Deckung hinter einem Gebüsch und endlich ladet uns einer unserer Panzer vorne auf seinen Bug und bringt uns etwas weiter zurück aus der Gefechtszone. Eigene tote Infanteristen liegen umher und sie sehen aus, als schliefen sie gerade ein bisschen friedlich im Gras. Mir wird bei ihrem Anblick im Moment ein wenig komisch. Vom Feind selbst kann ich nichts entdecken und die deckungslose Fahrt auf dem Panzerbug ist auch nicht gerade angenehm. Leicht kann uns ein Iwan da abknallen. Nachdem wir abgestiegen sind, machen wir beide, der Ladeschütze und ich, uns auf den Weg nach rückwärts, während die anderen drei in der Nähe unseres Kampfwagens bleiben wollen.

Montag, 16. August 1943. Beim Kaffee holen sagt einer zu mir, ob ich mir die Brust gewaschen hätte. Alle, die Offizier werden wollten, müssten heute Abend einen Spähtrupp laufen. Das gefiel mir gar nicht. Schließlich fühlte ich mich als Panzersoldat und nicht als Infanterist. Ich konnte mir aber nicht denken, was da los war, außer, dass es sich um einen Scherz handeln konnte. Gegen Abend werde ich mit einer Reihe anderer Kameraden zum Chef befohlen und wir treten dann in drei Gliedern an. Oberleutnant Müller meldet uns dem ankommenden Kommandeur. Dann müssen wir einzelnen Glieder den üblichen Abstand von Schritt voneinander nehmen. Die russische Artillerie schießt zu diesem Ereignis regelrecht Salut. Dazu bin ich selber platt, mir wird regelrecht heiß ums Herz, denn es geschieht etwas, womit ich nie in meinem Leben gerechnet hatte. Seltsamerweise hatte ich daran keinen Gedanken verschwendet. Der Kommandeur heftet, nachdem er zuvor dem Chef das Eiserne Kreuz I verliehen hatte, mit meinen anderen Kameraden auch mir das Eiserne Kreuz II an die Brust, drückt mir kräftig die Hand und geht weiter. Auch Oberleutnant Müller geht von einem zum anderen und gibt jedem die Hand und beglückwünscht ihn zu dieser Tapferkeitsauszeichnung. Als er zu mir kommt, sagt er: „Machen Sie weiter so, in den nächsten Tagen werde ich Sie dem Kommandeur vorstellen. Es geht mit Ihrer Offiziersbewerbung in Ordnung.“ Ein kräftiger Händedruck und er geht weiter zum nächsten Kameraden. In diesem Augenblick bin ich sehr glücklich und heiß durchströmt mich eine tiefe, innere Freude. Es wird alles gut gehen. Ich werde es schaffen, mein Ziel zu erreichen. Ich werde Offizier werden, eines Tages zu meinen alten Kameraden zurückkehren und das alles wird mir gut tun, mir vorwärts- und weiterhelfen, mir Mut machen, durchzuhalten, nicht nachzugeben. Ich werde dann, endlich, eine echte Aufgabe haben, wie ich sie mir ersehne. Eine Flasche macht die Runde, dann dürfen wir wegtreten.

(Bis zum Offizier hatte er es leider nie geschafft, weil er von einigen Vorgesetzten oft, trotz seiner Liebe und Verständnis für die Menschen, schlecht beurteilt wurde. Mein Vater gab es irgendwann auf, sich darum zu bemühen. Er sah keinen Sinn mehr darin.)

In der Hütte will ich mich still zwischen meine Kameraden legen, da „faucht“ mich Horst kameradschaftlich an, ob ich nicht wüsste, was sich gehört? Am Ton merke ich natürlich, dass es nicht so böse gemeint ist und entsprechend melde ich: „Gefreiter Grzan meldet die Verleihung des Eiserne Kreuz II.“ Die Kameraden drücken mir herzlich die Hand und dann kann ich endlich unter meine Decken am Fußboden verschwinden.

Meine Hand befühlt das kalte Metall des Eisernen Kreuzes am schwarzweißroten Band, das mein Großvater im Weltkrieg erhielt und auch mein Vater und vielleicht gibt es noch Vorfahren von mir, die es seit 1815 für ihren tapferen Einsatz für das Vaterland erhielten. Nun habe ich es auch und ich hatte geglaubt, mein ewiges Pech würde mich ewig hinten anstehen lassen und wenn ich mich noch so mühte. Nun möchte ich glauben, dass nach des Chefs Worten alles gut gehen wird. Dennoch empfinde ich keine rechte Freude. Es ist alles so schwer, viel zu schwer für mich, um völlige Freude empfinden zu können.

(Das Ende des Krieges erlebte Heinz Grzan ein Jahr später, wo er am 19. August 1944 in Frankreich – Normandie in englische Gefangenschaft geriet.) 1944 Irgendwo da vorn soll der Kessel noch in 500 m Breite offen sein. Dort müssen wir durch. In die Freiheit? Wer weiß das? Jeden Augenblick kann der Feind irgendwo auftauchen. Panzer und Sturmgeschütze fahren vor uns. Unter ihrem Schutz müsste eigentlich der Durchbruch gelingen. Plötzlich knallt und schießt es vor uns. Erstaunt sehe ich die Besatzungen der Panzer und Sturmgeschütze, auch die Männer hinter ihren Selbstfahrlafetten, ausbooten und davon rennen. „Feindliche Panzer!“ Verdammt! Warum hauen die Männer einfach ab? Ist das eine impulsive Nervenreaktion ohne ruhige Überlegung? Warum schießen die Panzerleute nicht mit ihren schweren Kanonen auf den Feind? Warum kämpfen sie nicht den Weg frei, wie wir es im Osten oft genug taten? Haben sie keine Munition oder wollen sie einfach nicht mehr? Verständlich, dass ihnen ihr Leben wichtiger ist als sinnloser Widerstand. Ein furchtbares Chaos herrscht in kürzester Zeit. Schnell sind wir vom Lkw runter. Leutnant Eichhorn und ich gehen nach vorn an den verlassenen Panzern entlang. Landser [Fußsoldaten] schreien uns zu, wir möchten zurückgehen. Der Hohlweg vor uns ist von englischer Infanterie gesperrt. Es ist zwecklos, noch irgendetwas zu unternehmen. Die kampferprobten Kameraden fehlen und die richtige, sichere Führung, diese Situation vielleicht doch noch zu meistern. Resigniert gehen wir wieder zurück. Feindliche Granatwerfer schießen. Etwa 3-4 Meter vor mir schlägt ein Granatwerfergeschoß im Straßengraben ein. Ssst, klatsch!! Um Haaresbreite saust an meinem rechten Ohr ein Splitter vorbei und schlägt hart in das Schutzblech des Lkw hinter mir ein. Vorsicht ist längst keine Feigheit und mit Überlegung gehandelt ist besser als leichtsinnig sein.

Der Leutnant schlägt vor, einer nach links ausweichenden Gruppe Soldaten zu folgen. Der gesamte Trupp ist vielleicht 30 Mann stark. Als wir einen Hohlweg entlanggehen, springen plötzlich ein paar Tommies über den Weg. Es ist nicht ersichtlich, was sie eigentlich vorhaben. Geschossen wird nicht. Scheinbar Schockwirkung auf beiden Seiten. Wir haben wahrscheinlich die feindliche HKL [Hauptkampflinie] auf irgendeine geheimnisvolle Weise passiert. Aber wo sind wir jetzt? Im feindlichen Hinterland? Oder treffen wir auf deutsche Truppen außerhalb des Kessels?

Wir biegen in einen Hohlweg ein. In so mancher heiklen Situation habe ich schon gesteckt. Aber diese hier kann ich selbst kaum meistern. Ein trauriges Bild der Hoffnungslosigkeit bieten mir meine „fremden“ feldgrauen Kameraden. Sie lassen die Köpfe hängen, stieren, leeren Blickes, umher. Die Gesichter sind verstaubt, eingefallen von den Strapazen. Der Krieg hat seine Spuren tief eingegraben. Der Hunger wird sie alle quälen, matt und mutlos machen. Ich finde kaum die Kraft zu ein paar ermutigenden Worten und fühle doch, dass ich den Kopf nicht verlieren darf im Interesse aller und des fernen Vaterlandes. Der Posten berichtet, dass sehr viel Infanterie sich auf der Straße bewegt. Große Fahrzeugkolonnen und schwere Waffen dazu. Wir machen unsere Schusswaffen für jeden Fall schießbereit. Allerdings wird Widerstand wenig Zweck haben und auch sinnlos sein bei der großen Feindüberlegenheit. Langsam vergehen die Stunden, unendlich langsam. Es regnet und mich fröstelt. Langsam senkt sich die Dämmerung herab und mahnt uns zur Entscheidung. Die ist für uns sehr schwer. Es geht um das Vaterland, aber auch um 17 Menschenleben, die diesem Lande lebendig noch etwas nützen können. Jetzt schauert es mich mächtig zusammen. Die eisige Kälte kriecht mir förmlich den Leib hinauf.

Der Oberleutnant kommt allein von der Seite. „Schlagt euch einzeln durch.“ Mit diesen Worten ist er rasch verschwunden, statt bei uns zu bleiben und die Führung zu übernehmen. „Zurück!“ Einer flüstert es und rasch gehen wir in den Hohlweg zurück. Eifrig wird hin- und her debattiert. Die einen sind dafür, sich zu ergeben. Andere, vor allem zwei oder drei junge SS-Männer, wollen den Kampf. Jetzt ist aber keine Zeit für sinnlose Heldentaten. Es ist keine schöne Lage, in der wir uns befinden. Ein Kampf ist zwecklos und kostet nur unnötige Opfer. Schließlich sind Familienväter unter uns. Tot nützt zudem keiner von uns dem Vaterland. Darum mahne ich die Kameraden zur Vernunft. Es geht ja nicht um mich. Ich denke an die Mütter, Frauen und Kinder, Bräute und Mädchen meiner fremden Kameraden, von denen sie doch mit Sehnsucht lebend und gesund zurück erwartet werden. Ich denke auch an das Vaterland, das uns nach dem Krieg braucht, um alles wieder ins rechte Geleis zu bringen. Darum mahne ich zur Vernunft und rate von einem sinnlosen Kampf ab, mag es mir auch den Ruf eines Feiglings einbringen. Wer aber trägt die weiße Fahne? Keiner will es tun. Jeder der Kerle hat Angst voraus zu gehen. Der vorherige Heldenmut mit todbringenden Waffen ist vergessen. Es fällt mir äußerst schwer, aber ich nehme den Stock mit dem ekelhaften weißen Lappen in die Hand, gehe voraus, langsam, zögernd. Mir ist verdammt mulmig zumute bei dieser gemeinen Erniedrigung. Ausgerechnet mir muss das passieren. Aber mir bleibt auch nichts erspart im Leben und Gott mag wissen warum. Als ich, klopfenden Herzens, um die Ecke biege, stehe ich plötzlich vor einer großen Gestalt. Zwei Pistolen sind schussbereit auf mich gerichtet. Pfui Teufel! Das ist kein schöner Empfang.

„Hände hoch, weitergehen“, sagt der feindliche Soldat in halbwegs gutem Deutsch. Mit fast lächerlich anmutender Vorsicht, die Pistolen hochhaltend, tritt er zur Seite. Langsam gehen wir weiter. Ein Pfiff und neue bewaffnete Männer tauchen auf. Das kommt mir alles so lächerlich vor, wie die ihre Gewehre auf uns waffenlose Landser richten. Aber die fremden Männer sind anständig und freundlich und tun auch nur das, was sie in dieser Situation tun müssen. Bei uns war das ja nicht anders. Einige der in deren Diensten stehenden Polen kommen zu uns heran, unterhalten sich mit uns auf Deutsch. Sie waren meistens ein- bis anderthalb Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft nach dem Polenfeldzug 1939 und es war ihnen dort gut gegangen. Es tut wohl, das zu hören. Schließlich wird es den Männern verboten, sich mit uns zu unterhalten und sie ziehen sich zurück, wie es scheint, recht widerwillig. „Und jetzt ein paar Handgranaten zwischen uns.“ Einer aus unserer Mitte lässt diese Worte laut genug fallen. Da fährt ihn einer der Polen heftig an, sie wären Soldaten und keine Banditen, im Übrigen wären sie in deutscher Kriegsgefangenschaft äußerst anständig behandelt worden von den deutschen Soldaten und dasselbe gedenken sie auch mit uns zu tun. Sie bedauern nur, dass sie uns lediglich nur Wasser und nichts zu essen geben können. Etwas anderes haben sie leider augenblicklich nicht da. Schließlich werden wir in einen engen Raum geführt, wohl ein Stall, wo es doch etwas wärmer ist, als im Freien. An Schlaf ist aber trotzdem nicht zu denken. Wahrscheinlich sind die Nerven noch zu stark angespannt.

Sonntag, 18. August 1946: Wir machen alles zum Umzug des Gefangenenlagers fertig. Mit den beladenen Lkws fahren wir hinaus zum Schloss Hohenfeld, unserem neuen Quartier. Etwa 5-7 km von Münster entfernt. Vor zwei Jahren geriet ich an diesem Tag in Frankreich am frühen Morgen in britische Gefangenschaft. Wann werde ich endlich wieder ganz frei sein dürfen?

Donnerstag, 2. Januar 1947: Es ist zwei Uhr, als ich mich endlich niederlege. Wird mir das Neue Jahr nun endlich Freiheit, Arbeit, Heimat und Heim bringen? Ich bitte das allmächtige Schicksal, das so gütig über meinem Leben waltete, innigste darum. Lange, lange liege ich noch wach. Ich habe Sehnsucht, Sehnsucht nach dem, was mir in meinem Leben bisher fehlte. Ich habe Sehnsucht nach ein wenig Liebe, Zärtlichkeit, nach inniger, weiblicher Güte nur allein für mich bestimmt. Ach ja, das Leben ist allein und ohne Liebe so hart und schwer, so leer, so furchtbar leer. Nach dem Wecken vergeht der Tag wie immer. Ich habe viel zu schreiben bis zum späten Abend.

Mittwoch, 6. August 1947: Nach dem stundenlangen Abschiednehmen von den Kameraden dreier Gefangenschaftsjahre bis spät in die Nacht hinein, habe ich nur noch wenige Stunden geruht, um dann, noch im Dunklen, die Kaserne für immer zu verlassen. Trotz der Freude, nun endlich, nach mehr als sieben Jahren, wieder frei zu sein, tat es mir im Herzen weh, als ich davon gehe mit dem Wissen, nie mehr hierher zurückkehren zu müssen. Der Morgen ist warm und von den Blüten der Bäume duftet es wunderbar nach endlicher Freiheit. Das lange Abschiednehmen hatte mir gezeigt, dass es viele waren, die mir alles Gute wünschten und mich vielleicht doch mehr in ihr Herz geschlossen hatten, als ich glaubte. Die Abfahrt ging von Münster über Hagen nach Eiserfeld.

Mittwoch, 1. Oktober 1947: Heute ist mein erster Arbeitstag in der Chamotte-Fabrik. Es schien mir keinen Sinn mehr zu haben, auf die Erfüllung von Illusionen – oder leeren Versprechungen? – zu warten und es erschien mir besser, wenn ich mir durch Arbeit endlich meinen Lebensunterhalt selbst verdiente, statt anderen auf der Tasche zu liegen.

Freitag, 26. Januar 1951: Tour Niederschelden. Mit Frau Dechmann führe ich ein dreistündiges Gespräch. Sie fühlt sich sehr unglücklich. Erledige die Resttour. Fahre nach Eiserfeld und schreibe. An diesem Tag lernten sich meine Mutter, Frau Dechmann, (Name aus erster Ehe) und mein Vater kennen. Meine Mutter war unglücklich verheiratet.

Sonnabend, 3. Februar 1951: 1630 Uhr – Ingeborg Dechmann, Niederschelden, Bahnhofstraße 23. – Karnevalstanzabend mit Inge. Das soll heute ein froher Tag für mich werden und ich bin voll freudiggespannter Erwartung und wünsche mir bald die Stunde herbei, wo ich mit Inge ins Kino zur Stadt fahren kann. Am 18. Mai 1951 sind wir nach Bremen gezogen. Und am Sonnabend, den 18. Oktober 1952 haben wir in Bremen geheiratet.