Haddorf, Stade, Niedersachsen

Mormon Deutsch Margarethe Schuldt GuertlerIch, Margarethe Schuldt Guertler wurde am 2 November 1875 als zweites Kind des Anbauerns Hinrich Schuldt und seiner Ehefrau Katharine Doerje in Haddorf, Stade geboren. Das erste Kind, ein Junge, starb kurz nach der Geburt. Bevor meiner Geburt hatten meine Eltern ihre 16 Wochen alte Nichte angenommen als ihre Mutter starb. Diese Cousine war eine richtige große Schwester für mich. Drei Jungen kamen noch in unsere Familie. So wuchsen wir fünf Kinder in Liebe und Harmonie zusammen auf.

Unsere Verhältnisse waren ärmlich. Mein Vater verdiente neun Mark die Woche im Sommer, 7.50 Mark im Winter als Tagelöhner auf Gut Hahle. Wir aber waren glücklich mit dem was wir hatten, und lernten früh zu arbeiten und mit zu helfen. Im Sommer sammelten wir Feuerholz, zogen Unkraut auf des Nachbarns Kartoffelfeldern und sammelten Pferdedung auf der Landstraße. Ein voller Korb brachte uns zwei Pfennige.

Unsere Schule wurde in dem Altenteilerhaus abgehalten. Durchschnittlich waren wir 20 Schüler in zwei Zimmern. Meine Konfirmation in 1890 war das End meiner Kindheit. Ich wurde als Kindermädchen und Magd in mehreren Höfen angestellt. Öfters aber wurde ich entlassen wegen schlimmen Beinleiden. Der Tod meiner lieben Cousine, Sofie, meiner Mutter sowie das Abbrechen meiner Verlobung waren sehr schwer für mich zu überstehen. Obwohl mein Vater mir Rat: „Nimm dich in Acht vor den Fremden!” fand ich meinen Richtigen. Er kam von Spandau, arbeitete als Gärtner, und war sieben Jahre älter als ich. Nachdem er mir sein gespartes Geld gab um unseren Hausstand zu kaufen, gab mein Vater uns auch seinen Segen. In 1896 haben Johannes Guertler und ich den Bund fürs Leben geschlossen. Das schwerste waren die schlechten Arbeitsverhältnisse. Oft musste er außerhalb Arbeit annehmen und kam nur zum Wochenende nach Hause.

Unser erstes Kind, Carl, wurde gesund geboren. Meine nächste Schwangerschaft waren Zwillinge die gleich starben. Durch die schwere Entbindung ohne Betäubung zerriss etwas in meinem Kopf. Die Schmerzen gingen auch nie fort. Unser Carl war sehr wissbegierig und brachte uns viel Freude.

Ich nähte gerade ein Stück Zeug als wir unerwartenden Besuch bekamen, Papas Onkel. Er staunte dass ich alles mit der Hand machte: “Bei uns zu Hause steht eine Handnähmaschine auf dem Boden, die werd ich dir schicken.” Diese hab ich dann fleißig gebraucht für uns und auch viele andern Unser kleiner Heinrich wurde geboren, aber er starb nach 13 Wochen von Brechdurchfall. Mein Vater starb zu der Zeit auch.

Papa [mein Mann] hatte den Wunsch nach seiner Heimatstadt, Spandau zurückzukehren. Sein Vater hatte ihm dort Arbeit und eine Wohnung beschafft. Auf der Umreise sah ich in Hamburg mein erstes Auto. Im April 1900 kamen wir in Spandau an, und wurden von meinen Schwiegereltern freundlich angenommen. Mein Kopfleiden verschlimmerte sich so dass ein Arzt scharfe Medizin verordnete. Als ein Töchterchen dann geboren wurde lebte sie nur ein paar Wochen, wahrscheinlich war sie von der Medizin vergiftet. Kurz darauf starb Papas Vater. Seine Frau passte auf Carl auf, so dass ich eine Arbeit annehmen konnte. Es gefiel uns dort gut, zum Wochenende machten wir kleine Ausflüge. Aber als das Vaterhaus verkauft wurde, mussten wir wieder umziehen.

Papa wollte zurück nach Hammoor, [östlich von Bargteheide] hier wurde Hans im Oktober geboren und wir zogen dann nach Hamburg, wo Papa bei einem Schiffswerft arbeitete. Mein Bruder Wilhelm wohnte bei uns, meistens hatten wir immer ein Zimmer vermietet. Baby Paul wurde geboren, aber starb nach neun Wochen von Lungenentzündung. Therese wurde in 1907 geboren und alles ging gut mit ihr. Aber in dem nächsten Jahr verloren wir noch einmal ein Baby, wir gaben ihm den Namen Paul. Papa wurde krank, sodass er für drei Monate in ein Sanatorium im Harz geschickt wurde. Auf seiner Zurückkehr nahm er eine Arbeit in einem Holzlager an. Einer der Mitinhaber erfuhr dass Papa Gärtner wäre, darauf hat Papa nach Bedarf die Gärtnerarbeit übernommen. Diese Arbeiten behielt er bis zu seinem Tod.

Carl kam aus der Schule und wollte Kaufmann werden und bekam auch eine Lehrstelle, aber wegen Gelenkenrheuma musste er eine sitzende Beschäftigung in einer Fabrik annehmen.

Als ich eines Tages mit meinen Kurzwaren unterwegs war, traf ich eine Frau Vollmer. Sie bemerkte dass ich krank aussah und lud mich ein mit ihr zur Kirche zu kommen, denn sie hätte auch die Krankenheilung. Papa gab Erlaubnis für die Missionare uns zu besuchen. Die Kinder gingen zuerst zur Versammlung und waren begeistert. In kurzer Zeit gab Papa Erlaubnis für meine und Carls Taufe. Bei meiner Taufe geschah ein großes Wunder. Als ich aus dem Wasser kam war ich von meinem Kopfleiden befreit.

Aber nun begann bei uns eine Zeit als wenn der Böse sich bei uns eingefunden hätte. Es gab Unannehmlichkeiten wenn wir Versammlungen besuchen wollten. Aber nicht lange, und eines Abends sagte Papa: „Jetzt lasse ich mich auch taufen.” Hans war elf und wurde bei der nächsten Gelegenheit auch getauft und Therese wurde gesegnet. So waren wir mit der ganzen Familie der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage beigetreten. Wir haben dann auch gleich entschlossen die Gesetze zu befolgen; Papa hat niemals wieder geraucht. Wenn wir des Sonntagmorgens in die Sonntagschule gingen, erregten wir bald Aufsehen bei Mitbewohnern, und drei ließen sich dann auch noch taufen.

Nach einer sehr schweren Fehlgeburt ermahnte mich der Arzt nicht noch mal in diese Lage zu kommen.

Wir übernahmen ein kleines Brotgeschäft. Alles ging gut bis im August 1914 der Welt Krieg ausbrach. Carl meldete sich zum Kriegsdienst. Hans ging von der Schule ab und wollte das Malerhandwerk lernen.

Dann war, trotz der Warnungen des Arztes wieder Familienzuwachs in Aussicht. Ich ging fortwährend mit dem Gedanken um, dass ich nun bald mit dem Leben abschließen würde. Aber Papa sprach mir immer Mut zu und hat dafür auch viel gefastet. Ein Wunder geschah – alles ist glatt vonstattengegangen mein kleiner Siegfried und ich haben alles gut überstanden. Carl bekam Urlaub und besorgte das Geschäft bis ich wieder die Arbeit gut tun konnte

Die Folgen des Krieges machten sich immer mehr bemerkbar. Alles wurde knapper. Brotwagen wurden überfallen und einmal wurde die Fensterscheibe in unserem Geschäft eingeschlagen, weil ich die Tür zugeschlossen hatte. Die Leute drangen ein für das Brot bis der Laden leer war. Uns wurde von der Kirche geraten einen Vorrat Steckrüben zu beschaffen. Wenn ich sie im Ofen getrocknet habe, konnte ich mit der Mühle Mehl daraus machen. Alles wurde so zum größten Teil aus Steckrüben bereitet. Es waren folgenschwere Kriegs und Nachkriegsjahre als nachher noch die Geldentwertung kam. Papa bekam jeden Tag seinen Lohn ausbezahlt. Dann ging ich sofort damit los um etwas einzukaufen, denn am folgenden Tag hatte das Geld schon keinen Wert mehr. Carl kehrte in Gesundheit vom Krieg zurück.

Siegfried, mit vier Jahren, wurde so krank, dass für 16 Wochen der Arzt ins Haus kam. Auch die Ältesten salbten ihn öfters. Als er endlich besser war, kam er mit zur Versammlung und sagte in seinem Zeugnis dass er dem Himmlischen Vater für seine Gesundheit dankte. Carl erfüllte eine Mission in Chemnitz und heiratete kurz danach. Hans wohnte mit der Tante eines Gemeinde Freunds und Therese nahm eine Stellung in einem Altersheim an. Ich war tätig im Frauenhilfsverein, in der Sonntagsschule und dann als Stadtmissionarin mit Schwester Lassig. Einige Taufen folgten.

Carl, als entlassener Missionar bekam Vergünstigung von der Kirche und wanderte aus nach Amerika. Papa starb nach einer kurzen Krankheit, ich war auch so krank dass ich die Beerdigung nicht mitmachen konnte. Therese nahm eine Tagestellung an um mich zuhause zu unterstützen. Weil ich nicht arbeitsfähig war bekam ich eine kleine Rente. Ich habe auch nie unterlassen meinen Zehnten zu bezahlen, und habe drauf reichlich Segnungen verspürt. Therese und Hans heirateten beide und im nächsten Jahr wurde ich eine Großmutter. Auch Siegfried wurde selbständig und für mich gab es täglich Gelegenheit irgendwo zu helfen.

In 1939 brach der große schreckliche zweite Weltkrieg aus. Im Sommer 1943 fand dann der große Angriff auf Hamburg statt wobei wir alle unser Heim, Hab und Gut verloren. Zu der Zeit vertrat ich meinen Bruder in Cuxhaven, der für längere Zeit im Krankenhaus war. Auch Paul, Therese, Hans, Karla, Siegfried und Ruth waren ausgebombt. Nun waren wir alle heimatlos und alles war dahin. Dann kamen die schweren Nachkriegsjahre, wo man nichts bekommen konnte. Ich fand Unterkunft bei meinem Bruder Klaus in Stade und ging täglich aus dem Haus bei Leuten zu nähen, stopfen oder Wäsche auszubessern. Ich verlangte nie Geld, wollte nur mein Essen verdienen, aber wurde doch von manchen anständig bezahlt.

In 1947 wurde Hans vom Französischen Kriegsgefangenlager entlassen. Thereses Sohn Peter war der Erste, der in 1949 mit der Hilfe Carls auswanderte. Hans Familie, Siegfried mit seiner jungen Braut Lotte und im Januar 1953 sind Paul Therese und ich auch ausgewandert.

Meinen ersten Eindruck von Salt Lake City war der Tempel der gleich in der Nähe des Busbahnhofes steht. Paul und Therese wohnten einstweilen mit Johannes zusammen. Ich fand Unterkunft bei Hans und Karla wo ich um das Hinterzimmer bat. Das wurde dann auch neu eingerichtet. Ich hab mich gleich wohlgefühlt. Es dauerte auch nicht allzu lange bis ich mich zurechtfinden konnte um mir alles selbst zu besorgen. Besonders glücklich bin ich auch hier die Deutsche Sonntagsschule besuchen zu können. Auch ohne English kann ich mir alles besorgen, komme überall hin, wo ich hin will, und somit gibt es für mich keine Schwierigkeiten. Außerdem gibt es einmal im Monat deutsche Versammlung im Tempel, deutschen Gottesdienst, Kino, Theater, Sportsvereine. Im Sommer 1960 konnte ich eine herrliche Deutschlandsreise mitmachen. Habe viele Freunde und Bekannte wiedergesehen. Es ist jetzt 1961, ich schließe hiermit meinen Bericht.