Misdroy, Usedom, Pommern

Mormon Deutsch Erika Ilse Alma HartmannIch heiße Erika Ilse Alma Hartmann, geborene Haelke, und bin am 16. Februar 1931 in Misdroy Kreis Usedom Wollin in Pommern geboren. Misdroy ist ein Ostseebad und wir haben hauptsächlich von den Feriengästen gelebt. Mein Vater ist Friedrich Richard Ernst Haelke und meine Mutter heißt Ida Alma, geborene Richter. Mein Vater ist auch in Pommern geboren, in Finkenwalde Kreis Ramdow, das ist mehr in Hinter-Pommern. Meine Mutter kommt aus Meißen/in Sachsen.

Meine Mutter, junges Mädchen, kam als Küchenhilfe nach Misdroy und hat dort meinen Vater kennengelernt, geheiratet und ist da geblieben. Ich habe noch drei Geschwister. Ich bin die Einzige, die zur Kirche gehört. Wenn ich in Misdroy geblieben wäre, weiß ich nicht, ob ich heute Mitglied der Kirche wäre. In meiner Jugend und Kindheit war diese Kirche nicht bekannt. Weit und breit wusste niemand davon.

Ich hatte eine schöne Jugend. Meine Eltern waren lieb und treu ihren Kindern ergeben. Sie haben dafür gesorgt, dass es uns Kindern gut ging. Mein Vater hat immer gearbeitet, damit es uns gut gehen soll und meine Mutter hat mitgeholfen.

Als der Krieg kam, war ich gerade acht Jahre alt. Ich hatte keine große Vorstellung, was Krieg überhaupt bedeutet, aber ich weiß, dass meine Eltern sehr ernst waren. Als wir hörten, dass Krieg ist, schickte mein Vater meine Mutter zum Schuhmacher und sagte ihr: „Geh und kaufe den Kindern noch ein paar Schuhe“. Weil ich nun acht Jahre alt war und wir nicht wussten, wie lange der Krieg dauern würde, sollte ich ganz bequeme Schuhe bekommen. Ich sagte aber, dass ich ein Paar für junge Damen haben möchte, weil ich meinte, wenn ich in der evangelischen Kirche konfirmiert werde, bräuchte ich ein paar Pumps. So haben wir alle ein Paar Schuhe bekommen.

Mein Vater ist nicht gleich eingezogen worden. Er ist 1900 geboren, war also schon neununddreißig Jahre alt. Wir waren aber trotzdem in Sorge. Mein Vater hatte immer englische Sender gehört, damit er genau unterrichtet war. 1941 wurde mein jüngster Bruder geboren und mein Vater wurde dann auch zum Militär eingezogen. Ich ahnte schon, dass es eine gefährliche Sache war und habe angefangen, abends in meinem Gebet den Vater im Himmel darum zu bitten, dass die Männer aus unserer Familie, die im Krieg waren, wieder nach Hause kommen, dass sie nicht sterben. Diese Bitte hat mir der Vater im Himmel tatsächlich erfüllt. Aus unserer Familie ist niemand im Krieg gefallen.

1945 war der Krieg fast zu Ende und uns war klar, dass er für uns Deutsche verloren war. In Pommern waren die Russen im Anmarsch. Wir hörten die vielen Gerüchte, was die Soldaten machten, wenn sie in die deutschen Städte und Dörfer kommen. Wir hatten große Angst davor. Meine Schwester war schon verheiratet, ihr Mann war bei der Marine. Er war auf einem Schnellboot-Begleitschiff in Swinemünde, das ist dreizehn Kilometer von Misdroy entfernt. Dort war er stationiert. Eines Abends kam er und sagte, dass wir als seine Familie irgendwann weggeholt würden, er wüsste aber nicht genau wann. Wir könnten vor den Russen flüchten. Es hat uns gefreut, dass wir vor den Russen flüchten konnten. Wir haben das Notwendige gepackt. Wir hatten ganz viele Kaninchen und Hühner und meine Mutter fing an, alle Tiere abzuschlachten und diese mit uns zu essen. Als das letzte Kaninchen gebraten auf dem Tisch stand und wir essen wollten, kam ein LKW auf den Hof gefahren und holte uns ab. Das war am 8. März 1945. Wir waren so aufgeregt und haben natürlich den Braten auf dem Tisch stehen lassen. Wir haben unser Gepäck genommen und sind auf den LKW gestiegen und sind mitgefahren. Zu der Zeit waren die Straßen in unserem Ort vollkommen verstopft mit Pferdegespannen aus Ostpreußen. Das waren die Deutschen, die geflüchtet waren und nicht mehr weiter konnten. Als wir im Sommer zurückkamen, erzählte unsere Nachbarin, dass am selben Abend diese Leute, die schon wochenlang auf ihrem Pferdegespann übernachtet hatten, natürlich bei uns gleich eingezogen sind und in unseren Betten geschlafen haben. Das kann man ja verstehen.

Wir sind vierzehn Tage auf diesem Kriegsschiff auf der Ostsee gefahren. Wir haben miterlebt, wie ein anderes Flüchtlingsschiff bombardiert und versenkt wurde. Dann kamen ganz viele Flüchtlinge mit auf unser Schiff. Nach vierzehn Tagen wurden wir in Kiel ausgeladen und dann hieß es: „Sie können sich aussuchen, wo sie hin wollen. Entweder zu Verwandten, wenn sie aber keine Verwandten haben, können sie in Dänemark untergebracht werden“. Meine Mutter sagte: „Ich will zu meiner Mutter nach Meißen“. So sind wir alle mit dem Zug nach Meißen gefahren. Das war der größte Fehler! Wir waren gerade vierzehn Tage dort, da war der Russe auch im Anmarsch und wir waren wieder in derselben Situation. Die Deutschen fingen an, die Elbbrücken zu sprengen. Meine Großmutter wohnte ganz dicht an einer Elbbrücke und als die gesprengt wurde, mussten wir in den Keller gehen. Vor dem Keller war eine feuerfeste Tür, trotzdem kamen die Flammen durch die Ritzen in den Keller rein.

Meine Mutter hatte eine Schwester und deren Mann hatte ungefähr sechs Kilometer von Meißen eine Fähre über die Elbe und einen Ausflugsdampfer, mit dem er im Sommer Ausflugsfahrten in die Sächsische Schweiz machte. Man hat ihm gesagt, wenn er seine Schiffe nicht verlieren wolle, müsse er sie in Bewegung setzen. Wenn er sie am Ufer stehen ließe, würden sie auch gesprengt. Mein Onkel hat gesagt, dass er sie nicht so ohne weiteres sprengen lassen und sie in Bewegung setzen wollte. Er hat uns alle mitgenommen mit seinem ganzen Hausrat und wir sind die Elba aufwärts den Russen entgegengefahren. Jedes Mal in Dresden und auch später, wenn wir durch eine Brücke mussten, sagten wir: „Hoffentlich wird sie nicht jetzt gerade gesprengt“. Wir sind bis Pirna gefahren und dort durften wir nicht weiter, weil uns jeden Moment der Russe einholen konnte. Acht Tage waren wir dort, dann kam das Kriegsende. Nachdem es sich ein bisschen beruhigt hatte, durften wir wieder zurückfahren. Weil die Russen die Frauen vergewaltigt haben, hat mein Onkel nachts sein Schiff in der Mitte der Elbe geankert. Wir dachten, wenn sie erst durch das Wasser schwimmen müssen, dann werden sie sich das vielleicht noch überlegen. Das ist dann auch gut gegangen.

Wir sind dann wieder dorthin zurückgefahren, wo mein Onkel sein Haus hatte. Später sind wir wieder nach Meißen zu meiner Großmutter gegangen. Damals waren die Lebensmittel rationiert, wir bekamen Lebensmittelkarten, also zugeteilt, was wir im Monat kaufen konnten. Weil die Tschechen die Deutschen aus ihrem Land ausgewiesen hatten und alle nach Sachsen gebracht wurden, hieß es, dass alle, die nicht hier her gehören und nicht aus der Tschechei sind, wieder dahin gehen müssen, wo sie hergekommen sind. Sie haben uns keine Lebensmittelkarten mehr gegeben und wir mussten weg. Das war im Juli 1945. Was sollten wir machen? Wir hatten ein kleines Brett mit vier Eisenrädern, auf dem wir unser Gepäck aufgeladen hatten. Damals fuhr die Bahn noch nicht überall und wir konnten nur streckenweise mit der Bahn fahren. Dann sind wir wieder zu Fuß gegangen, bis wir nach ungefähr zehn Tagen in unserem Misdroy wieder angekommen sind.

Wir waren vielleicht vier Wochen dort, da hieß es, die Polen kommen hier her, der Pole hat das eingenommen. Zwar mussten wir für die Polen arbeiten, aber wir hatten kein Einkommen. Damals war ich sechzehn Jahre alt. Mich haben sie zum Saubermachen der Polizeiräume geholt. Wenn Polen kamen, die bei uns angesiedelt werden sollten, meldeten sie sich bei der Polizei. Meistens kamen sie bei Nacht, dann bummerten sie an unsere Fensterläden, bis wir vor Angst aufmachten. Sie haben uns aus unseren Betten rausgeholt und haben sich in unsere Betten gelegt. Weil wir im Sommer immer Feriengäste hatten, hatten wir noch zwei Bettgestelle auf dem Boden. Die konnten wir uns runterholen und in einem anderen Zimmer aufstellen. Sonst hätten wir auf dem Fußboden schlafen müssen.

Wir hatten bei den Polen getauscht, ein Tischtuch oder einen Bettbezug oder was wir entbehren konnten, und haben das gegen Lebensmittel eingetauscht. Ich war sechzehn Jahre alt und musste bei einer polnischen Familie das Haus sauber halten und manchmal auch kochen. Wenn ich abends nach Hause ging, durfte ich die Reste mitnehmen oder die Kartoffelschalen. So haben wir uns durchgeschlagen. Im Sommer haben wir Brennnessel gegessen. Im Herbst ist meine Mutter als Erntehelferin zu den Polen gegangen. Sie hatte sich unter dem Rock eine Tasche genäht und hat darin heimlich ein paar Weizenkörner mitgenommen. Dann ist sie zu den Fischern gegangen und hat geholfen, die Fischernetze sauber zu machen für den nächsten Fischfang. Wenn sie vom Fischen zurückkamen, haben sie die Eingeweide entfernt. Vom Dorsch, oder man sagt auch Kabeljau, haben sie auch die Leber weggeworfen und das ist das Beste. Die hat meine Mutter dann mitgebracht. So haben wir uns vor dem Verhungern bewahrt.

Mein Vater war in englische Kriegsgefangenschaft gekommen und hatte sich heimlich bei Nacht und Nebel durchgeschlagen, immer an der Ostsee entlang. 1946, kurz von Weihnachten, war er dann zu uns gestoßen. Das war zu einem Zeitpunkt, wo wir nichts mehr zu essen hatten. Wir hatten nichts mehr, was wir noch eintauschen könnten. Ich weiß noch, dass meine Mutter an einem Abend noch ein Stückchen Brot hatte. Wir waren vier Leute und meine Mutter hat jedem eine dicke Scheibe gegeben und hat gesagt: „Das ist das Letzte. Was Morgen wird, das wissen wir nicht“. Wir waren evangelisch, aber wir sind nie zur Kirche gegangen. Ich wurde zwar konfirmiert, aber sonst sind wir nie zur Kirche gegangen. Mein Vater, der eigentlich nie an Religion interessiert war, sagte: „Na ja, der liebe Gott wird uns schon helfen“. Da wusste er, wo er sich Hilfe erhoffen durfte. Am anderen Morgen ging er aus dem Haus auf die Straße und kam an einem Bäcker vorbei. Das war auch ein Pole. Er stand am Zaun und sagte: „Komm mal her, ich brauche Holz zum Brotbacken. Kannst du mir Holz machen? Du bekommst ein Brot dafür“. Natürlich wollte mein Vater das machen. Er hat dann den ganzen Tag Holz in Stücke gesägt und gehackt und hat am Abend ein Brot bekommen. Da war unsere Ernährung wieder gesichert. Es kamen dann immer mehr Polen und der Bäcker musste mehr backen, so dass das Holz nicht mehr ausreichte, das mein Vater gehackt hatte. Der Bäcker sagte dann zu meinem Vater: „Du musst dir noch einen dazu nehmen, damit ihr mehr Holz machen könnt!“ Mein Vater hat sich dann meine Mutter dazu genommen und sie bekamen zwei Brote. Nun konnten wir nicht jeden Tag zwei Brote essen, so hat er sich Mehl geben lassen. Aber wir haben immer alles ohne Salz, ohne Zucker, ohne Gewürze gegessen.

Das ging zwei Jahre lang, bis der Pole anfing, die Deutschen auszuweisen. Zwei Transporte gingen nach Burgdorf bei Hannover und zwei Transporte nach Neumünster. Wir konnten nicht mitfahren, weil meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, im Sterben lag, sie war nicht transportfähig. Mein Vater sagte: „Ich lasse meine Eltern hier nicht alleine. Entweder sie kommen mit oder wir bleiben hier, solange, bis die Mutter gestorben ist“. Nachdem meine Großmutter gestorben war, sind wir mit dem letzten Transport, mit den letzten Deutschen, ausgewiesen worden und wir kamen nach Thüringen, in die ehemalige DDR.

Man sagte uns, dass wir alles mitnehmen dürften, was wir wollten. So sehr viel hatten wir ja nicht mehr. Was wir noch hatten, haben wir auf einen großen Handwagen geladen. Am Abend mussten alle Deutschen zur Turnhalle kommen. Wir sollten unsere Wagen draußen stehen lassen und in der Turnhalle übernachten. Natürlich haben wir nur das Handgepäck mitgenommen. Als wir am anderen Morgen raus kamen, waren alle Wagen weg. Sie hatten uns das alles weggeschafft.

In dem Dorf in Thüringen war nichts, keine Arbeitsmöglichkeit. Die Bauern hatten schon genug Flüchtlinge als Arbeitskräfte. Die konnten uns also auch nicht gebrauchen. Der Bürgermeister sagte zu meinem Vater: „Gehen sie mal da in die Mühle, da können sie ein bisschen aufräumen“. Was nützte das, er wollte doch etwas verdienen, damit wir uns was kaufen konnten. In der Mühle gab es in der Ecke einen kleinen Haufen Weizen, der vollkommen mit Kornkäfern und Maden durchsetzt war. Mein Vater hat diese Körner mitgebracht und meine Mutter hat die gekocht, damit wir sie essen konnten, mit Käfern, mit Maden. Hauptsache wir hatten etwas zu essen.

Mein Vater hatte drei Schwestern in Berlin wohnen. Mit ihnen hatten wir Kontakt aufgenommen. Eine Schwester hat geschrieben, dass es in Berlin eine Firma gebe, die für die Russen eine Bosch-Filiale demontieren muss. Die Russen hatten doch alles nach Russland abgeschleppt. Die Firma brauche Arbeitskräfte und wenn mein Vater das machen wollte, dann bekäme er auch eine Zuzugsgenehmigung. Damals konnte man nicht einfach irgendwohin gehen und sagen: „Hier wohne ich jetzt!“ Dazu musste man eine Erlaubnis haben. Das war in Kleinmachnow, einem Vorort von Berlin. Wir sind gekommen und wurden in einem kleinen Behelfsheim untergebracht. Als der Chef mich sah – ich war noch ein wenig zurückgeblieben – sagte er: „Was will die Kleine denn, die kann doch nicht. Die kann in meinen Garten gehen und Unkraut zupfen“.

Wir hatten meinen Großvater dabei und er sollte bei meiner Tante, die in Berlin lebte, unterkommen. Eines Tages habe ich ihn dorthin gebracht. Als ich in der Mittagszeit dorthin kam, kam eine Frau zu meiner Tante, die sich vierzehn Tage vorher selbständig gemacht und ein Geschäft eröffnet hatte. Meine Tante sagte zu ihr: „Na, Wanda, wie geht es dir denn mit deinem Geschäft?“ „Ach, es geht gut. Aber ich kann das nicht aushalten, den ganzen Tag nur in dem Laden stehen. Ich nehme mir jetzt eine Verkäuferin, ein junges Mädchen oder eine Frau, die mich ablösen kann, damit ich beweglich bin“. Meine Tante sagte dann: „Meine Nichte ist gerade aus Polen gekommen. Kannst du sie nicht nehmen?“ Ich hatte schönes blondes Haar und meine Tante hatte mir die erste Dauerwelle verpassen lassen. Die Frau schaute mich an und sagte: „Ja, sie soll einmal mit ihrer Mutter kommen“. Ich bin mit meiner Mutter hingegangen. Sie war eine alleinstehende Frau. Sie sagte dann, dass ich bei ihr arbeiten könne. Ich wohnte bei meiner Schwester, die auch in Berlin lebte, denn bis nach Kleinmachnow zu meinen Eltern war es zwei Stunden mit der S-Bahn. Das wäre schlecht gewesen, jeden Tag zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück. Ich habe mich gut mit der Frau verstanden, bei der ich gearbeitet habe und sie sagte zu mir, dass ich sie Wanda nennen sollte. Ich sagte, dass ich das nicht könne. Sie war doch so viel älter als ich. Tante Wanda, das ginge schon eher. Sie bot mir an, dass ich bei ihr wohnen sollte. Es hat sich so ergeben, dass ich für sie wie ihr Kind wurde. Sie war gut zu mir und hat mich verwöhnt. Da habe ich gut mir ihr gelebt. Sie war eine sehr gläubige Frau. Sie war 1914 mit ihren Geschwistern und mit der Mutter sogar nach Russland verschleppt worden, bis an die Wolga. Nach Jahren war sie zurückgekommen. Sie hat mich gelehrt, wenn man sich zum Essen an den Tisch setzt, dass man auch für die Speise dankbar sein sollte, dass man betet. Wir sind auch zusammen zur Kirche gegangen. Manchmal sonntags, aber meistens mittwochs zur Bibelstunden in die evangelische Kirche. Der Pastor hat einen Vers aus dem Neuen Testament genommen und das besprochen. Wenn man dann so richtig aufgerüttelt war, dachte man, da musst du wohl in deinem Leben etwas ändern, da stimmst du nicht mit überein. Am Schluss sagte er immer, das war sein letztes Wort: „Wir können sowieso nichts machen, es geschieht ja alles aus Gnade“. Wir sind nach Hause gegangen und haben gesagt: „Wenn alles aus Gnade geschieht, brauchen wir nichts zu machen“. Das hat uns nicht befriedigt. Wir sind dann zu anderen Gemeinschaften gegangen, Adventisten, Neuapostolische. Zeugen Jehovas sind zu uns ein halbes Jahr gekommen. Aber das war alles nichts.

Dann wurde bei uns im Geschäft eingebrochen und ganz viel gestohlen. Wir waren bei der Allianz-Versicherung versichert, die ihren Sitz in West-Berlin hatte. Damals ging das noch, dass man westliche Versicherungen in Anspruch nehmen konnte. Der Herr, der den Schaden aufnehmen musste, kam zu uns und hat alles aufgeschrieben. Irgendwie kamen wir auch auf Religion und Glauben zu sprechen. Er sagte: „Am Sonntag ist hier in Lichtenberg, in ihrer Nähe, eine Konferenz von unserer Kirche. Ich lade sie ein, dahin zu kommen“. Von den Mormonen, Kirche Jesu Christi, hatten wir keine Ahnung. Allerdings wusste ich schon, dass diese Kirche existiert, weil die Tante meines Schwagers im Tabernakel-Chor war. Als 1955 in der Schweiz der Tempel geweiht wurde, kam sie mit nach Deutschland. Da habe ich das erste Mal durch meinen Schwager von der Kirche gehört. Aber nur das Negative. Jedenfalls hat er uns eingeladen und wir sind zu dieser Konferenz gegangen. Das war in einem Kino. Was so gesagt wurde, war sehr schön und hat uns auch gefallen. Aber wir hatten weiter keinen Kontakt. Es kamen keine Missionare zu uns oder auch der Herr von der Allianz hat uns nicht angesprochen oder gefragt, ob wir noch mehr wissen wollten.

Ich habe immer für mich alleine abends gebetet, ohne dass meine Eltern mich dazu angehalten haben. Diese Gebete habe ich auswendig gelernt, wie: „lieber Vater mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm“, und „abends wenn ich schlafen geh‘, vierzehn Engel bei mir steh’n“. Am Schluss habe ich immer gesagt: „Aber lieber Vater, lass meine Verwandten, die Männer, die im Krieg sind, nicht sterben, lass sie wieder nach Hause kommen“. Als ich konfirmiert wurde, mussten wir uns für die Konfirmation einen Bibelspruch selber aussuchen. Ich hatte das für den nächsten Unterricht vergessen. Das war mir sehr peinlich und ich sagte zu meinen Freundinnen: „Ich habe meinen Spruch nicht, ich habe das vergessen. Zeigt doch einmal eure Sprüche, vielleicht kann ich mir davon einen aussuchen“. Ich habe ein paar gelesen und der eine hat mich vollkommen angesprochen. Das war der Psalm 23 „Herr weise mir deinen Weg, dass ich wandle in deiner Wahrheit. Erhalte mein Herz, dass ich deinen Namen fürchte“. Von da an habe ich das noch dazu gebetet. Elf Jahre ging das so. Zum großen Teil war das meine Schuld. Wir waren sehr beschäftigt. Wir hatten das Geschäft und am Wochenende sind wir rausgefahren, Berlin hat viele Seen. Dort haben wir uns über das Wochenende ein schönes Leben gemacht. Dann kam dieses Hin und Her in Berlin. Berlin war in vier Teile geteilt. Dann hieß es: „Diesen Herbst wird Berlin Eins, dann kommen wir zum Westen“. Es wurde Herbst und es war wieder nichts. Dann hieß es: „Im Frühjahr, dann ziehen die Russen ab, dann wird Berlin ganz dem Westen angeschlossen“. Das ging so von einem Jahr zum anderen. Die Kommunisten haben dann auch die privaten Geschäftsleute vollkommen ausgeschaltet, sie wollten nur ihre staatlichen Geschäfte. Meine Tante verdiente nicht mehr genug. Sie sagte dann zu mir, dass sie mich nicht mehr beschäftigen könne, ich müsse mir eine andere Arbeit suchen. Das habe ich auch gemacht.

Meine Schwester ist mit ihrer Familie von Berlin nach Hildesheim geflüchtet. Sie haben uns gesagt, wenn sie Fuß gefasst und eine Wohnung haben, dann soll ich nachkommen. So war es auch. Um Ostern herum sind sie geflüchtet und im Oktober bekamen sie eine Wohnung. Dann sagten sie mir, dass ich kommen könne. Damals konnte man sich noch besuchsweise bei Verwandten in Westdeutschland aufhalten, man bekam die Erlaubnis. Das habe ich beantragt und bin besuchsweise hingefahren und bin dageblieben. Zu der Zeit konnte ich nur Wintersachen mitnehmen, weil man kontrolliert wurde, bevor man über die Grenze fuhr. Ich habe meine Sommersachen und meine Aussteuer (Bettwäsche usw.) um den Körper gebunden und einen weiten Mantel angezogen und habe das alles vorher nach West-Berlin gebracht. Dort hatte meine Tante eine Nichte, zu der ich das gebracht habe. Von da haben wir diese Sachen mit der Post nach Westdeutschland geschickt. Wir haben genau ausgeklügelt, wann die DDR-Polizei die S-Bahn-Züge kontrolliert. Wir haben festgestellt, am Sonntag in der Mittagszeit sind die S-Bahn-Züge ganz voll, überall stehen sie in den Gängen, da kommen sie nicht rein. Ich habe Koffer mit meinen Federbetten genommen und habe alles vorher rübergebracht. Am 4./5. November 1956 bin ich besuchsweise nach Westdeutschland gefahren und bin da geblieben. Meine Tante hatte mich nicht abgemeldet, wir waren nicht verwandt, ich war nur ihre Angestellte. Sie hat so getan, als wenn sie nicht wüsste, was mit mir ist. Nach acht Wochen, als die Zeit abgelaufen war, kam die Polizei und fragte, wo ich denn wäre. „Die ist doch nach Westdeutschland gefahren. Dort hat sie einen Mann kennengelernt und kommt nicht wieder, sie heiratet da“. Das stimmte gar nicht, aber das hat sie gesagt. Sie musste fünfhundert Mark Strafe zahlen, weil sie das nicht gemeldet hatte.

Nun war ich ganz alleine in Hildesheim. Ich hatte da keine Freunde. Zwar hatte ich meine Schwester mit ihrer Familie, aber sonst niemanden. Ich dachte mir, dass ich sonntags einmal in die evangelische Kirche gehe. Hildesheim ist sehr katholisch, aber ich ging zur evangelischen Kirche. Was dort ablief, war mir so fremd. Ich dachte bei mir: „Bist du hier bei den Katholiken?“ Jedenfalls hat es mir überhaupt nicht gefallen. „Da gehst du nicht wieder hin“, dachte ich mir. Im November war ich in Hildesheim angekommen. Anfang Dezember kamen wir abends von der Arbeit, mein Schwager und ich, da sagte meine Schwester: „Heute waren hier zwei amerikanische Missionare, die wollen uns etwas von den Mormonen erzählen und sie wollen wiederkommen, wenn die Familie zusammen ist“. Ich habe gesagt, dass sie am Sonnabend kommen müssen. Mein Schwager war ein ganz Ungläubiger, er wollte nichts davon wissen. Er hat aber nichts dagegen gesagt. Am Samstag kamen die Missionare und was die sagten, das ging mir und auch meiner Schwester runter wie Öl. Am meisten hat mich beeindruckt, als sie sagten, dass wir wieder einen lebenden Propheten haben, zu dem Gott spricht. Ich wollte immer mehr wissen und hatte immer das Gefühl: „Ja, das kommt dir so bekannt, so vertraut vor“. Sie haben uns dann eingeladen, zur Kirche zu kommen. Als wir den ersten Sonntag zur Kirche gingen, war eine Fast- und Zeugnisversammlung. Meine Schwester und ich saßen da und hörten die Zeugnisse und wir fühlten, dass diese Menschen, die mit einfachen Worten ihr Zeugnis gaben, etwas besaßen, was wir nicht hatten, das uns aber sehr kostbar erschien. Das hat uns so begeistert und auch in der Sonntagsschule, wenn sie gesprochen haben, war das meistens etwas, womit wir uns gerade beschäftigt hatten. Wir fragten uns, wie das kam, sie konnten doch gar nicht wissen, dass wir uns gerade damit beschäftigt hatten. Wieso sprechen sie jetzt gerade darüber? Das war wunderbar. In Hannover war dann eine Konferenz, zu der ich auch mitgefahren bin. Eine alter Schwester aus Hildesheim sagte zu mir: „Na Fräulein Haelke, wann lassen sie sich denn taufen?“ Ich sagte, dass ich mich schon ganz gerne taufen lassen würde, aber was dann alles von mir verlangt würde und ich wisse nicht, ob ich das alles halten könne. Wenn ich etwas mache, dann muss ich das auch richtig machen. Sie sagte, dass das gar kein Problem sei. Wenn ich getauft würde, bekäme ich den Heiligen Geist und dann könne ich alles schaffen. „So einfach ist das“, sagte ich. Als die Missionare wiederkamen, sprachen sie wieder von der Taufe und ich sagte: „Ja, ich möchte mich taufen lassen“. Aber, da war noch ein Haken, der Zehnte. Meine Schwester hatte ihre Wohnung mit Möbeln und allem einrichten müssen und das alles auf Kredit. Wir arbeiteten in einer Fabrik, die Fernsehgeräte und Autoradios herstellte. Zu Weihnachten haben sie an die Belegschaft Auslaufgeräte, oder wo ein kleiner Fehler dran war am Gehäuse oder so, ganz billig verkauft. Da gab es auch eine Musiktruhe, in der ein Fernseher, Radio und Plattenspieler drin war, für fünfhundert D-Mark. Wir hatten aber diese fünfhundert D-Mark nicht, hätten aber gerne so ein Ding gehabt. Ins Kino konnten wir nicht gehen, wir hatten weiter nichts. Mein Schwager sagte aber, dass wir nicht noch mehr Schulden machen können. Ich sagte: „Kauf dir die Truhe und ich gebe euch so lange, bis die fünfhundert Mark bezahlt sind, alles, was ich verdiene“. Ich brauchte ja nichts, ich brauchte kein Taschengeld. Einhundert-fünfundzwanzig Mark bekamen sie von mir für Wohnen und Essen. Den Rest, den ich darüber hinaus verdiente, wolle ich geben, bis das bezahlt sei. Irgendwann könnten sie mir das wiedergeben.

Ich wollte mein Versprechen halten, damit sie das bezahlen können. Ich sagte zu den Missionaren: „Tut mir leid, ich möchte mich gerne taufen lassen, aber…“. Ich habe das ein bisschen hinausgezögert. Dass ich kein Geld hatte, um den Zehnten zu zahlen, wollte ich nicht sagen, weil ich mich geschämt hatte. Kurz darauf, an einem Samstag, als wir gerade in die Stadt zum Einkaufen gehen wollten, kommt der Postbote und sagte, dass er für Erika Haelke einen Einschreibebrief hätte. Ich staunte: „Für mich?“ Der war von Tante Wanda aus Berlin. Sie schickte mir in diesem Einschreibebrief dreitausend DM Westgeld – damals stand das Ostgeld zum Westgeld eins zu vier – mit der Begründung, ich hätte bei ihr einen Wohnzimmerschrank stehen lassen, den ich habe nicht mitnehmen können, und einiges andere, und dafür wollte sie mich entschädigen. Da konnte ich meiner Schwester alles geben, was sie für das Fernsehgerät noch brauchte und ich hatte noch so viel übrig.

Am 26. Mai 1957 wurde ich in einem Hallenbad in Hildesheim getauft. Das war so wunderbar für mich. Meine Schwester ist noch eineinhalb Jahre mitgegangen. Sie wollte sich auch gerne taufen lassen, aber damals war es so, dass der Mann die Einwilligung geben musste. Er hat gesagt, dass er keine Mormonin zur Frau haben wolle, er gebe die Einwilligung nicht. Sie war genauso begeistert wie ich. Wir haben das Buch Mormon verschlungen. Sie war zu Hause und hat das Buch Mormon gelesen und hat mir dann erzählt, was sie gelesen hatte. Sie sagte aber, dass sie ein Zeichen haben möchte, sie möchte wissen, ob das alles stimmt. Als wir eines Tages nachts halb zwölf von unsere Schicht nach Hause kamen, war sie noch wach und saß im Wohnzimmer ganz verängstigt und ich fragte: „Was ist denn los?“ „Ich habe heute Abend etwas Furchtbares erlebt. Ich wollte gerade schlafen gehen über den Flur zum Schlafzimmer, da stand eine Gestalt auf dem Flur. Die sah furchtbar aus. Sie war ganz grau und hässlich und zusammengekrümmt“. Das war die andere Seite, von der sie wahrscheinlich ein Zeichen bekommen hat. Jedenfalls ein Himmelsbote war es nicht. Der ist immer leuchtend und hell. Wir sollen ja auch keine Zeichen verlangen. Jedenfalls sind die nach eineinhalb Jahren von Hildesheim nach Hanau bei Frankfurt gegangen. Dort hat sie den Kontakt zur Kirche nicht wieder gesucht. Heute will sie überhaupt nichts mehr davon wissen. Ich bin die einzige aus unserer Familie geblieben.

Ich war so erfüllt von dem, was ich jetzt hatte. Eigentlich war ich kein Frühaufsteher, es fiel mir immer schwer, früh aufzustehen. Aber an einem Morgen lag ich noch, schaute zur Uhr und sagte mir, dass ich noch Zeit habe, dass ich noch nicht aufstehen müsse. Ich dachte wieder darüber nach, was mir geschehen ist und dachte, wenn ich nicht nach Westdeutschland gekommen wäre, dann hätte ich immer noch nicht die Kirche kennengelernt. Auf einmal hörte ich eine Stimme, die mir etwas ins Ohr flüsterte. Ich habe es aber nicht verstanden. Dann habe ich gebetet: „Vater im Himmel, ich habe gehört, dass mir jemand etwas ins Ohr geflüstert hat, aber ich weiß nicht, was es bedeutet. Ich wüsste aber gerne, was es bedeutet“. Nach einem Moment hörte ich wieder, wie eine Stimme flüstert: „Gesegnet bist du!“ Ich habe darüber nachgedacht: „Ja, ich bin wirklich gesegnet!“ Ich habe die Wahrheit, die Kirche gefunden, habe den Sinn meines Lebens erkannt und was Jesus Christus mir bedeutet, was der Vater im Himmel alles für seine Kinder getan hat. Dann habe ich erst einmal mein Leben zurückverfolgt. Ich wusste nicht genau, wer Gott war und was Jesus Christus für mich bedeutet, weil ich nie darüber belehrt wurde. Jetzt erst habe ich gesehen, wie sehr er mich beschützt, geführt und gesegnet hat in so vielen Momenten. Danach habe ich noch viel mehr Zeugnisse davon erhalten, wie der Herr unsere Gebete erhört, wie er immer für uns da ist und dass er mich genau kennt und weiß, was ich brauche.

Die Großmutter meines Mannes ist 1923 zur Kirche gekommen. Die Gemeinde war hier in Stadthagen, früher noch in einem anderen Dorf. Sie haben sich in einem Pferdestall versammelt. Außerhalb von Stadthagen, in Wenthagen, lebten seine Großeltern. Der Großvater ist nicht zur Kirche gekommen, er trank gerne Alkohol. Dadurch ist natürlich auch mein Schwiegervater, der Vater meines Mannes, zur Kirche gekommen und auch die Mutter meines Mannes. Mein Mann und seine Schwester wurden mit acht Jahren getauft und sind in der Kirche aufgewachsen.

Ich war in Hildesheim und er war in Stadthagen. Zu der Zeit haben sich die Ältesten einmal im Jahr getroffen und haben einen Ausflug gemacht. Damals war Hannover noch kein Pfahl, die Ältesten gehörten zu dem Distrikt. Einmal sind sie nach Bremen gefahren, einmal nach Hamburg und so weiter. 1960 fuhren sie nach Goslar, nahe der Grenze zur DDR. In Hildesheim gibt es eine Familie Jensen. Bruder Jensen war Patriarch im Pfahl Hannover. Sie haben gesagt, dass sie wieder Ältestenkollegiums Treffen haben und dass sie mich mitnehmen wollen. Ich habe gesagt, dass ich dabei doch nichts zu suchen habe, das sei doch nur für die Ältesten. Aber sie wollten mich mitnehmen. Sie und auch meine Schwiegereltern und mein Mann haben es nie zugegeben, aber ich glaube, dass sie etwas gekungelt haben. Jedenfalls bin ich mitgefahren und als wir in Goslar ausstiegen, kam gleich mein Mann zu uns gelaufen und begrüßte uns alle. Er beschlagnahmte mich gleich und lud mich zum Eis essen ein. Als wir dann noch woanders hingefahren sind, sollte ich mit in seinen Bus kommen, da war noch Platz. Die Schwiegermutter hat Mettbrötchen ausgepackt. Das kam mir schon komisch vor, er kannte mich doch gar nicht.

Nach eineinhalb Jahren haben wir geheiratet. Mein Mann hat auch ein ganz großes Zeugnis. Er ist 1989 an Krebs erkrankt. Erst hatte er Darmkrebs und später Leberkrebs. Er hatte vier Operationen. Bei der letzten Operation hatte er Bauchschmerzen und wurde hier in Stadthagen ins Krankenhaus eingeliefert. Sie haben ihn operiert, weil sie dachten, es sei ein Darm- oder Magendurchbruch oder Blinddarm. Sie haben aber festgestellt, dass er einen Tumor an der Leber hatte und der hat fürchterlich geblutet und sie konnten das Blut nicht stillen. Während der Narkose wurde er in einem Hubschrauber nach Bad Oeynhausen in eine Spezialklinik gebracht. Das sind ungefähr fünfzig/sechzig Kilometer von hier. An dem Tag war es so nebelig, dass sie nicht am Krankenhaus landen konnten. Sie sind auf dem Feld runter gegangen und er wurde im Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Dieser Akt war im Krankenhaus natürlich eine Sensation. Am anderen Morgen, bei der Visite, sagte der Arzt zu meinem Mann: „Sie haben sich gestern vielleicht etwas geleistet. Das ganze Krankenhaus spricht von ihnen!“ Mein Mann wusste von nichts, er war doch in der Narkose. Der Arzt hat ihm dann alles erzählt. Dann dachte er: „Meine Güte, mein Leben hing doch am seidenen Faden. Warum bin ich nicht gestorben?“ Er hat das auch den Vater im Himmel gefragt. Mein Mann sagte, dass da eine Stimme zu ihm gekommen sei und gesagte habe: „Ich wollte dir meine Liebe erweisen!“

Ich habe gefragt, wie lange mein Mann noch zu leben hatte. Der Arzt sagte, dass man das nicht sagen könne. Auf mein Drängen sagte er: „Na ja, ich sage einmal sechs Monate“. Als mein Mann wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ging es ihm sehr gut. Er hatte keine Schmerzen, konnte essen, ist Autogefahren. Bis auf den letzten Tag. Nach fünf Monaten ist er gestorben. Mein Mann heißt Karl Heinrich Gottfried Hartmann.

Als ich zehn Jahre alt war, bekam ich noch einen Bruder. Damals gab es noch keine Papierwindel, die Mutter musste die Windeln waschen. Das habe ich ihr abgenommen. Meine Mutter und die Verwandten haben gefragt: „Warum machst du das? Warum wäschst du die Windeln?“ Ich sagte, dass ich das gerne mache, dass es mir Spaß mache. Sie fragten, ob ich auch einmal Kinder haben möchte. Ich habe gesagt, dass ich vierzehn Kinder haben möchte. „Warum gerade vierzehn?“ Ich wusste auch nicht warum, aber das kam mir gerade in den Sinn. Später habe ich gedacht, wenn ich vierzehn Kinder bekommen hätte, das wäre ein bisschen viel geworden.

Als ich mich der Kirche angeschlossen hatte, war ich fünfundzwanzig Jahre alt. Die Gemeinden hier waren sehr klein. Es gab zum Beispiel in Hildesheim keine Menschen in meinem Alter. Ich war die einzige mit fünfundzwanzig Jahren. Wir hatten auch nicht solche Veranstaltungen, wie die Jugendlichen heute, so regelmäßig, wo die Jugendlichen in der Kirche zusammenkamen. Ich dachte: „Wenn ich mich der Kirche anschließe, werde ich überhaupt nicht heiraten“. Ich wollte doch einen in der Kirche heiraten. So hatte ich mich schon damit abgefunden, dass ich nicht heiraten würde. Aber, hundertprozentig wohl doch noch nicht. Weil ich nun auch gelernt hatte, wie wichtig die Familie ist und wie wichtig die ewige Ehe ist, wollte ich unbedingt heiraten und auch Mutter sein. Von da an habe ich immer darum gebetet: „Vater im Himmel, ich möchte so gerne heiraten und Kinder haben, und wenn es nur von jeder Sorte eins ist!“ Das habe ich bekommen. Ich habe einen Jungen und ein Mädchen. Ich war schon fünfunddreißig und bekam meine Tochter und elf Monate später meinen Sohn. Dann war Schluss, dann kam nichts mehr.