Frankfurt an der Oder

Mormon Deutsch Manfred Hermann HenkelMein Name ist Manfred Hermann Henkel. Ich bin am 8. Dezember 1933 in Frankfurt an der Oder geboren. Mein Vater heißt Hermann Heinrich Henkel und meine Mutter Marie Frieda Hofmann. Die ersten Jahre meiner Kindheit habe ich in Frankfurt (Oder) gelebt. Dort bin ich auch in die achtklassige Volksschule, in die Pestalozzischule, gegangen. In der Kirche haben meine Geschwister und ich die Primarvereinigung besucht. Ab 1939 war der größte Teil der Männer und Väter bereits zur Wehrmacht eingezogen. Sie wurden ausgebildet und entweder an die Front geschickt oder – vor allem gesuchte Handwerker – als Nachhut oder Besatzer eingesetzt. Die ersten Kriegsjahre waren in unsere Gegend verhältnismäßig ruhig. Allerdings, Fliegeralarm gab es häufig. In kürzester Zeit musste die Mutter mit vier Kindern in den Schutzraum im Keller sein. Und das aus der dritten Etage des Hauses. Frankfurt (Oder) ist nur 80 Kilometer von Berlin entfernt. Die Luftangriffe auf Berlin und andere große Städte häuften sich. Es blieb nicht aus, dass auch kleinere Städte und Dörfer davon betroffen waren. Wir konnten oft den Feuerschein am Himmel vom brennenden Berlin sehen.

Im Februar 1944 schlugen bei einem Luftangriff in der Leipziger Straße, etwa 80 Meter von unserer Wohnung im dritten Stock des Hauses entfernt, Sprengbomben ein. Makaber dabei war, dass es sich bei dem getroffenen Gebäude um ein vierstöckiges Haus mit einem Sarggeschäft und Sargtischlerei handelte. Zeitweilig hatte Bruder Walter Krause, im ehemaligen Distrikt Spreewald gut bekannt, seine kleine Tischlerei im Hinterhof des Anwesens. Zu der Zeit war ich zehn Jahre alt. Auf dem Flur stehend schrie ich verängstigt zum Himmlischen Vater, er möge uns verschonen. Wir hörten sehr lautstark die Bomben auf uns herab kommen und sie schlugen neben uns ein. Seitdem hatte ich nur einen Wunsch, am 14. Februar des nächsten Jahres wollte ich nicht in Frankfurt (Oder) sein.

Sämtliche Fensterscheiben der Wohnung und Glasteile in der Wohnung waren entzwei. Die Wohnung konnte nicht beheizt werden. So nahmen uns vorübergehend die Großeltern auf dem Vorwerk Lietzen auf. Dort gingen wir im tiefen Schnee in Holzpantoffeln etwa vier Kilometer nach Dorf Lietzen zur Schule. Es handelte sich um eine zweistufige Volksschule. Das heißt, die erste bis vierte Klasse wurden zusammen unterrichtet; und die fünfte bis achte Klasse ebenfalls. Zu der Zeit war es noch üblich, dass der Lehrer alle Fächer einschließlich Religion unterrichtete und Ordnung mit dem Rohrstock schaffte. Ich habe ihm einmal eine lange Nase gezeigt und dafür Schläge bekommen. Er hat uns als Katechismuslehrer auf jeden Fall erklärt, wie die Dreieinigkeit zu verstehen ist, und zwar auf folgende Weise: „Seht mich an, ich bin Vater, Lehrer und Küster, alles in einer Person, und so müsst ihr euch auch die Dreieinigkeit vorstellen.“ In der Primarvereinigung hatte ich jedoch gelernt, dass das nicht stimmen konnte. Die Zeit ging vorüber, die Fenster wurden repariert und nach vielen Wochen konnten wir zurück nach Frankfurt (Oder) gehen.

Mit zehn Jahren wurde ich Pimpf. Das war eine vormilitärische Jugendorganisation der NSDAP. Die russische Front rückte näher und näher. Vom Spätherbst und Winter 1944/45 kamen laufend Trecks von Flüchtlingen aus Ostpreußen, Westpreußen, Pommern und Schlesien durch Frankfurt (Oder). Auf Grund des nahenden Unheils konnte die Jugendorganisation nicht mehr so straff geführt werden. Wir Pimpfe wurden jedoch zur Verteilung von Lebensmitteln und warmen Getränken an die Flüchtlinge beordert. Wer vor Hunger selbst ein Brot davon aß, wurde als Volksschädling verurteilt und nachhaltig bestraft.

Lange hielt dieser Zustand nicht an. Frankfurt (Oder) wurde Frontstadt und Festung und man wollte die Zivilbevölkerung aus der Stadt haben. In der Nähe, bei Kunersdorf, wo Friedrich der Große vor Jahrzehnten eine entscheidende Schlacht gewann, wurde schwer gekämpft und Boden verloren. Die Stalinorgeln mit ihrem typisch nervenaufreibenden schrecklichen Sound beschossen bereits die Stadt. Auch schwere Kaliber ließen die Häuser wackeln. Schließlich kam der Zeitpunkt, an dem wir unser Heim, Stube und Küche, verlassen mussten.

Meine Mutter und Ihre Schwester stammten aus Buchholz-Annaberg im Erzgebirge. Sie hatten zwei Brüder geheiratet. Die Männer waren nicht erreichbar. So entschlossen sie sich, zu ihrem Vater nach Buchholz zu reisen. Schwester Krause mit drei Töchtern kam mit ihnen, da sie kein anderes Ziel kannte und in der Gemeinde Frankfurt stark mit ihnen verbunden war.

Mit einem der letzten Züge sind wir aus der Stadt heraus gekommen. Mit häufigen Unterbrechungen der Fahrt kamen wir bis Dresden, wo wir die heftigsten Luftangriffe erlebten. Nur wenige Stunden, bevor Dresden in Schutt und Asche gelegt wurde, konnte die Mutter einen Zug ausfindig machen, der uns weiter nach Buchholz bringen sollte. Mit ihren vier Kindern, die Jüngste war zwei Jahre alt, erreichten wir den Zug, kamen nach verschiedenen Aufenthalten wegen Tieffliegerbeschuss schließlich nach Buchholz und dachten, dass wir dort erst einmal Ruhe finden könnten. Der Großvater mütterlicherseits konnte uns entgegen der Hoffnung von Mutter und Tante nicht aufnehmen, da die NSDAP die Wohnung, die er für sie frei gehalten hatte, an Leute aus dem Ruhrgebiet vergeben musste, die vor den fortwährenden Bombenangriffen flüchteten. Der Gemeindepräsident der Gemeinde Buchholz-Annaberg, Willi Schramm, hat sich unserer angenommen und bei Mitgliedern untergebracht. Wir kamen zu einem Ehepaar Seifert. Der Mann war bei der Zeitung beschäftigt. Sie haben uns Zimmer und Küche zur Verfügung gestellt.

Das währte jedoch nicht lange. Genau ein Jahr nach dem wir in Frankfurt unsere durch Sprengbomben beschädigte Wohnung vorübergehend verlassen mussten, wurden wir in Buchholz durch Luftangriff mit Brandbomben unserer letzten Habseligkeiten beraubt. Wir konnten nur noch aus dem Keller flüchten. Der gesamte Gebäudekomplex, zu dem eine Zeitungsdruckerei mit den üblichen Vorräten an Papier, Farben, Waschbenzin usw. gehörten, brannte vollständig aus. Das Feuer brannte tagelang. Willi Schramm, der Gemeindepräsident der Gemeinde Buchholz-Annaberg, war auch Feuerwehrmann. Er war bis zur Erschöpfung im Einsatz. Eine Schwester der Gemeinde, die auch in dem Haus wohnte, ließ sich nicht von den Luftschutzbeauftragten davon abhalten, noch während des Bombardements in ihre Wohnung zu gehen, um einen Teil ihrer Habe zu retten. Dabei sah sie eine nicht detonierte Brandbombe in ihren Ehebetten liegen. Sie nahm sie kurz entschlossen in die Hand und warf sie aus dem Fenster. Ich habe gelernt, dass man Vorahnungen nicht entgehen kann.

Etwa zweihundert Meter über den schräg gelegenen Marktplatz wohnten Mitglieder, die froh waren, dass ihnen nichts passiert war, Die nahmen uns vorerst auf. Die Wohnung war aber sehr klein, wir konnten nicht dort bleiben. Wieder hat sich der Gemeindepräsident um uns gekümmert. Wir wurden für eine gewisse Zeit in Geyersdorf bei Mitgliedern untergebracht. Dann kamen wir wieder in Buchholz auf der Höhe bei einem alleinstehenden älteren Bruder unter. Dort hatten wir einen Raum oder besser eine Kammer, in der wir schlafen und essen konnten. Mit dem Essen gab es zu dieser Zeit schon schwere Probleme. Wir waren fremd und hatten keine Beziehungen. Es gab wohl Lebensmittelkarten, aber die Ware dafür war nicht vorhanden.

Meine Mutter fühlte sich natürlich verantwortlich für uns vier Kinder. Sie ist mitunter betteln gegangen und hat dann zwei, drei Scheiben Brot bekommen, die dann aufgeteilt werden mussten. Die Not war so groß, dass der Bruder, bei dem wir wohnten, und der auch Hunger hatte, zu uns ins Zimmer kam, wenn er dachte, dass wir schliefen, um bei uns irgendetwas Essbares zu finden. Das war sehr unliebsam, aber es war eine Zeit, in der jeder gehungert hat. Ich kann mich noch daran erinnern: Wenn gar nichts mehr ging, dann haben wir die Schalen von Pellkartoffeln gesammelt, sie getrocknet und mit der Hand zerrieben. Wenn es irgendwo ausgekochten Kaffee-Ersatz gab, haben wir ihn mit den Schalen vermischt und auf der Ofenplatte, die mit dem Stearin einer Kerze eingerieben wurde, aufgebacken und gegessen. Es gab noch mehrere solche Notrezepte. Aber man denkt nicht gerne an diese Dinge zurück.

Nach dem Ende des Krieges konnten wir nicht in Buchholz bleiben. Es hieß, alle, deren Wohnplatz westlich von Oder und Neiße war, müssen wieder zurück. Nach Frankfurt (Oder) konnten wir nicht zurück; denn unsere Wohnung war durch andere Leute belegt worden. Die mit uns geflüchtete Tante wohnte auf der anderen Seite der Oder, heute Polen, sie stand nicht unter dem Druck, zurückgehen zu müssen. Meine Mutter hatte sich nach Cottbus gewandt. Dort waren wir bekannt. Bruder Fritz Lehnig war Präsident des Distriktes Spreewald. Er arbeitete häufig mit den Brüdern der Frankfurter Gemeinde zusammen. Er war es, der am Ende des Krieges das Cottbuser Gemeindehaus umrüstete, so dass Mitglieder, die als Flüchtlinge aus Schlesien oder Ostpreußen oder Pommern oder Posen kamen dort erst einmal eine Bleibe fanden oder Familien an diesem Ort wieder zusammengeführt werden konnten. Bruder Walter Krause war einer der Ersten, der aus dem Krieg zurückkam. Er hat intensiv mit Bruder Lehnig zusammengearbeitet, organisiert, Betten gebaut, die doppel- oder sogar dreistöckig waren, um mehr Leute unterbringen zu können.

Von Cottbus wollten wir ursprünglich wieder nach Frankfurt (Oder) gehen. Aber unsere ehemalige Mietwohnung war von anderen Leuten besetzt. Die wenigen Möbel wurden von ihnen benutzt. Auf dem Klageweg konnte die Mutter nicht viel erreichen. Bücher, vor allem Kirchenliteratur und Exemplare der Zeitschrift „Der Stern“ waren auf dem Boden (Süddeutsch Bühne) abgelegt. Die hatten wir, soweit sie zu tragen waren, in alten Koffern eingepackt und mit nach Cottbus genommen. Auf dem Cottbuser Bahnhof setzte ich mich auf einen der Koffer, um ihn nicht stehlen zu lassen. Das half jedoch wenig. Russische Soldaten kamen, stießen mich weg, und liefen mit dem Koffer davon. In einem Bahnabteil konnte ich sehen, wie sie sich mit dem Koffer zu schaffen machten. Möglicherweise waren sie enttäuscht von dem Inhalt, hauptsächlich Kirchenliteratur in deutscher Sprache. Zu der Zeit war ich etwa 11 Jahre alt.

In den nächsten Monaten ergab sich eine Möglichkeit, nach Wolfsgrün im Erzgebirge zu gehen. Die verantwortlichen Brüder für die vertriebenen und geflüchteten Mitglieder der Kirche suchten nach Möglichkeiten, sie unterzubringen. In Wolfsgrün gab es eine größere Villa, die von den Nazis benutzt worden war und nach dem Zusammenbruch frei wurde. Ein russischer Kommandant hatte die Genehmigung erteilt, dass die Mitglieder in diesem Gebäude unterkommen konnten. Dort haben wir längere Zeit gelebt und dort bin ich und die Geschwister im entsprechenden Alter einige Monate zur Schule gegangen. In Wolfsgrün wurde eine Gemeinde organisiert. Unter dem Gemeindepräsidenten Arnold Schmidt habe ich meine ersten Schritte im Aaronischen Priestertum gemacht, Ansprachen gehalten, Abendmahl vorbereitet und ausgeteilt usw. Die Ernährungslage für die dort untergebrachten Menschen war prekär. Es gab jedoch im Herbst 1946 im Wald so viele Pilze, dass wir sie eimerweise holen konnten. Eine ältere Schwester Naujoks aus Ostpreußen kannte sich hervorragend mit Pilzen aus. Sie gab jeweils an, wie bestimmte Pilze zuzubereiten waren. Das hat sehr zur Ernährung der Leute beigetragen.

Wolfsgrün war keine endgültige Lösung. Das Heim musste geräumt werden. Einige Mitglieder zogen nach Westdeutschland weiter. Andere wanderten nach den USA aus. Unsere Mutter versuchte mit uns Kindern zurück nach Frankfurt (Oder) zu gehen. Sie hat es geschafft. Wir haben zuerst bei unserer Großtante mit unserer Familie gelebt. Sie ist von dort aus jeden Tag unterwegs gewesen, um eine eigene Wohnung zu finden. Schließlich haben wir in der Ebertusstraße eine Kellerwohnung bekommen. Diese Wohnung war nicht sehr erbaulich, aber wir waren froh, dass wir erst einmal für uns waren. Nachts rumorten Ratten hinter den Wänden auf der Suche nach Nahrung. Und in der Nähe des Verschiebebahnhofs gelegen, lungerten russische Soldaten herum, denen die Zeit während des Aufenthalts ihrer Transporte lang wurde, und versuchten zu stehlen oder Frauen zu finden, die sie vergewaltigen konnten. Wir hatten das große Glück, dass uns nichts passierte; doch wir sahen oft die Stiefel und die Uniformen der Soldaten aus den Fenstern der Kellerwohnung.

In Frankfurt (Oder) ging ich schließlich zur Schule. Durch die Kriegsjahre und die Flucht verlor ich ein Schuljahr. Aber in der obersten Klasse gab es einen Lehrer, der gerne am Gymnasium unterrichten wollte. Er hat bei uns Volksschülern versucht, etwas von dem Lehrstoff des Gymnasiums zu vermitteln, um sich darin zu üben. Dadurch hatten wir den Vorteil, einen etwas erweiterten Horizont zu erlangen. Ich hatte die Möglichkeit, zur Oberschule zu gehen. Doch auf Grund der familiären Situation ohne Vater war das nicht durchzuhalten. Die Mutter hatte andere Sorgen. Es gab keinen Platz zum Lernen. Ich selbst war zwar motiviert, hatte aber von zu Hause keine Unterstützung, und wirtschaftlich war es schließlich nicht machbar.

Nach diesem Anlauf habe ich versucht, eine Lehrstelle zu bekommen. Doch die waren sehr knapp oder überhaupt nicht vorhanden. Man hat mich erst einmal als Bursche eingestellt mit dem Hintergrund, mich nach einem halben Jahr in ein Lehrverhältnis zu übernehmen. Das ist auch so geschehen. Ich habe dann Dreher gelernt, ohne vorher überhaupt zu wissen, was ein Dreher macht. Man hat mir erklärt, gedreht wird alles, was rund ist, und das war es dann. Die Lehre selbst konnte auf Grund des Fachkräftemangels frühzeitig abgeschlossen werden. Für einen Privatbetrieb war das natürlich nicht interessant, denn anstatt einer Ausbildungsbeihilfe musste nach bestandener Prüfung Gesellenlohn gezahlt werden. Mir wurden Schwierigkeiten beim Anfertigen des Gesellenstückes gemacht, indem einfach der Strom abgeschaltet wurde und die Maschinen nicht mehr liefen. Dadurch entstand ein Fehler im Werkstück. Ich habe diesen Umstand der Prüfungskommission geschildert. Trotzdem habe ich meine Prüfung mit der Note „zwei“ abgeschlossen und eine zusätzliche Auszeichnung als bester Dreher des Kreises erhalten. Später habe ich auf Grund der Unterschriften herausgefunden, dass mein Prüfer für die Gesellenprüfung der gleiche war, der meinem Vater einige Jahre vorher die Prüfung zum Sattlermeister abgenommen hatte.

Die Nachkriegsjahre waren wirtschaftlich äußerst schwierig. Meine Mutter versuchte, bei den Ämtern Hilfe zu bekommen. Ihr wurde gesagt: „Das war ein faschistischer Krieg, damit haben wir nichts zu tun. Da müssen sie sich schon selbst darum kümmern.“ Sie ist also trotz ihrer vier Kinder arbeiten gegangen. Die jüngste Schwester war etwa fünf Jahre alt. Sehr hilfreich war es, als die ersten Pakete von der Kirche mit Nahrungsmitteln und gebrauchter Kleidung kamen. Die Verteilung ging von Berlin aus zu uns nach Frankfurt (Oder). Wir bekamen Weizenschrot, Gries, Zucker, Milchpulver, Aprikosen-, Tomaten- und andere Konserven. Das waren alles Dinge, die uns über diese schlechte Zeit hinweg geholfen haben.

Ungefähr 35 Kilometer von uns entfernt lebten die Eltern väterlicherseits auf dem Lande. Sie waren ausgebombt und hatten alles verloren. Als Flüchtlinge kamen sie nach Lietzen-Vorwerk zurück und haben in einem kleinen Zimmer unter dem Dach gelebt. Da sie aber in der Gegend beheimatet waren und sich ihr Leben lang um gute Nachbarschaft bemüht hatten, konnten sie uns wiederholt einige Kartoffeln, und wenn es glücklich lief, auch ein paar Eier zukommen lassen. Um diese Nahrungsmittel zu bekommen, mussten wir mit dem Zug fahren, zu der Zeit meistens in Güterwagen, und dann noch eine Stunde laufen. Mit gefülltem Rucksack ging es den gleichen Weg zurück. Wenn sich die Großmutter danach fühlte, hat sie uns die Last mit dem Fahrrad zum Bahnhof geschoben und ist zurückgefahren. Unterwegs in der Bahn haben mein jüngerer Bruder und ich gebetet, dass meine jüngste Schwester inzwischen nicht sterben möge vor Hunger. Sie sah so elend aus, dass wir sie Spinne nannten.

Nach bestandener Gesellenprüfung habe ich in Frankfurt (Oder) Arbeit als Dreher gefunden. Die Arbeitszeit verlief in drei Schichten: Früh-, Spät- und Nachtschicht. Das war sehr belastend. Die Bezahlung war nicht besonders gut. Von dort bin ich als Dreher zur Grube Finkenherd gegangen, wo man im Tagebau Braunkohle förderte. Man konnte mit der Bahn dorthin fahren. Doch ich bin meistens die zwölf Kilometer mit dem Fahrrad gefahren. Einmal habe ich mich unterwegs an einem Kilometerstein mit dem Fahrrad überschlagen. Ein anderes Mal wurde einem Kollegen kurz nach dem ich die Gleise überquerte von einer Lokomotive der Arm abgefahren. Es war nicht immer ungefährlich. Zu der Zeit war ich etwa 19 Jahre alt. In Finkenherd habe ich herausgefunden, dass in Fürstenberg (Oder), heute Eisenhüttenstadt, ein großes Stahlwerk aufgebaut wurde. Das Erz kam aus der UdSSR und wurde im Stahlwerk gesintert und weiter verarbeitet. Dort wurde ich als Dreher in der Reparaturwerkstatt beschäftigt.

Im Eisenhüttenkombinat habe ich von einem Kollegen erfahren, dass in Wildau, Vorort von Berlin, eine Schiffskurbelwellendreherei aufgebaut wurde. Ich habe mich dorthin beworben und wurde eingestellt. Ich war damit beschäftigt, an einer großen Drehbank die geschmiedeten Rohlinge an zwei Supporten bis zu einem Aufmaß so weit zu drehen, dass sie weiter bearbeitet werden konnten. In Wildau wurde auch in Schichten gearbeitet. Trotzdem habe ich versucht, die Versammlungen der Kirche in der Gemeinde Friedrichshain in Ostberlin zu besuchen. Mit der S-Bahn ging das recht gut. Es war allerdings eine ganze Stunde Fahrzeit und man musste noch ein gutes Stück zu Fuß gehen. Das ging so über einen längeren Zeitraum. Irgendwie war ich jedoch auf mich gestellt und begann, mich einer Volkstanzgruppe der damaligen Jugendorganisation FDJ zu nähern. In der Gemeinde Friedrichshain war ich Ratgeber in der Sonntagschule, später Sonntagsschulleiter. Ich wohnte in einer waldreichen Umgebung. Ein Teil des Waldes war frisch geschlagen. Dort ging ich hin, um für meine Zukunft zu beten. Wenig später hat mich der Gemeindepräsident Bruder Alfred Gärtner für eine Mission vorgeschlagen. Von Missionspräsident Herold L. Gregory bekam ich die Berufung, in der damaligen DDR auf Mission zu gehen.

Zuerst ging es nach Halberstadt. Weitere Städte waren Halle, Aschersleben, Meerane, Gera und Gotha. Gera galt unter der Hand als „Missionarsgrab“, weil die wenigen Ältesten am Ort den jungen Missionaren das Leben schwer machten. Ein Bruder wurde um eine Ansprache in der Abendmahlsversammlung gebeten. Er predigte das Evangelium von Adam bis in die Neuzeit. Damit war die reguläre Zeit ausgefüllt. Jeder war gespannt, wie ich, der junge Missionar, als Gemeindeleiter reagieren würde. Ich ließ trotz noch anderer geplanter Sprecher das Schlusslied singen und das Gebet sprechen. In der Folgezeit lief die Arbeit reibungslos.

Zu unseren Aufgaben gehörte auch, die Mitglieder in den kleineren Gemeinden in der Nähe zu betreuen, da dort häufig keine oder nur wenige geeignete Brüder waren. Das galt für Bernburg, Quedlinburg, Mühlhausen, Pößneck und andere. Die Strecken dorthin wurden häufig mit dem Fahrrad zurückgelegt. Das waren durchaus vierzig und mehr Kilometer am Tag.

Am 15. August 1957 wurde ich entlassen. Mir war klar, dass ich nach der Mission wenige Möglichkeiten hatte, wieder ins Berufsleben zu kommen. In meinem Kündigungsschreiben vor der Mission hatte ich als Kündigungsgrund die Mission für die Kirche angegeben. Man hat mich damals schon sehr beargwöhnt, da ich nicht in der FDJ (Freie Deutsche Jugend) war. Die deutsch-sowjetische Freundschaft habe ich für Unsinn gehalten, weil wir nie persönlichen Kontakt mit Russen haben konnten. Und von der NVA (Nationale Volksarmee) wurde ich in Ruhe gelassen, wahrscheinlich weil mein Vater im Zweiten Weltkrieg gefallen war und meine Mutter mit vier Kindern auf sich gestellt war. Möglicherweise wollte man auch den männlichen Nachwuchs der Familie erhalten.

Während der Mission habe ich meine Frau mit gebührendem Abstand kennengelernt. Jedenfalls konnte ich sie in aller Ruhe beobachten. Sie ist eine geborene Gäbler und kommt aus einer gläubigen und fleißigen Mitgliederfamilie. Bald nach der Entlassung von unserer Mission wollten wir heiraten. Das sollte im Oktober 1957 geschehen. Doch dann ist ihr Vater gestorben und wir haben die Hochzeit mit Zustimmung der Familien um einen Monat verschoben. Nach allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellungen ist das nicht lange genug. Doch beide Familien waren Mitglieder der Kirche, sie hatten Verständnis dafür, und so stand einer Eheschließung im November 1957 nichts im Wege.

Nach der Heirat haben wir zuerst bei meiner Mutter in Cottbus in einem Zimmer gewohnt. Wohnraum war knapp. Ich habe mich um Arbeit bemüht. Meine Kaderakte (Personalakte) ging von Betrieb zu Betrieb. Jeder Arbeitgeber konnte sich über meine religiöse Einstellung informieren. Ich bekam also immer wieder Absagen auf meine Bewerbungen. Um überhaupt eine Familie ernähren zu können, bin ich schließlich Lumpen pressen und Papier erfassen gegangen. Danach habe ich Gardinenstangen genagelt. Eines Tages las ich in der Zeitung, dass die „Lausitzer Rundschau“, Zentralorgan der SED bzw. Tageszeitung, dringend Maschinensetzer benötigt. Ich hatte keine klare Vorstellung, was das beinhaltete. Aber ich hatte mich beworben und bin zu einem Gespräch eingeladen worden. Man hat mich ein Diktat aus der aktuellen Zeitung schreiben lassen, in dem ich einen Fehler hatte. Es ging darum, dass die SED-Leute die „Internationale Fahrt für den Frieden“ international als Eigenwort groß geschrieben haben wollten. Ich schrieb es als Eigenschaftswort klein. Danach hat man sofort einen Vertrag mit mir gemacht. Wahrscheinlich hatte man meine Kaderakte noch nicht in Händen. Der Personalangestellte erwähnte noch, dass sich vor mir ein Frisör beworben hatte. Der hätte aber vierzig Fehler in seinem Diktat gemacht und war dadurch für den Maschinensatz nicht geeignet.

Während meiner Mission hatte ich mir von meinem Geld eine Schreibmaschine gekauft und das Zehn-Finger-System erlernt. Da kirchliche Literatur nicht eingeführt werden durfte, waren wir intern darauf angewiesen, viel mit Durchschlägen auf der Schreibmaschine abzuschreiben. Das habe ich getan, und so war eine gewisse Beweglichkeit mit den Fingern vorhanden. Es kam mir bei der Arbeit an der Setzmaschine sehr entgegen. Außerdem war es aus meinem Beruf als Dreher heraus kein Problem, mit Maschinen und Metallen umzugehen. Zu einem späteren Zeitpunkt hat jemand, der möglicherweise Journalist werden wollte, die Leute der Kaderabteilung bei der „Lausitzer Rundschau“ darauf aufmerksam gemacht, dass ich Mitglied der Kirche sei. Es kam zu einem Gespräch zwischen den Herren Garke und Franke oder Franz. Sie haben mir erklärt, dass es so nicht gehen könne. Ich müsste Stellung beziehen, wenn ich bei einer SED-Zeitung arbeite. Es gehe nicht an, dass ich Zehnten bezahlen würde von dem Geld, das ich bei einer SED-Zeitung verdiene. Auch könnte ich als Agent oder Saboteur tätig werden. Man müsse sich trennen. „Gut“, sagte ich, „aber ich habe einen Arbeitsvertrag.“ – Ich wusste, dass aus dieser Druckerei eine kleine Setzmaschine nach Forst (Lausitz) in die Kreisdruckerei verkauft werden sollte. Daher habe ich den Herren vorgeschlagen, mich zusammen mit der Setzmaschine zu „verkaufen“. So ist es dann auch geschehen. Im Laufe der Zeit wurde ein Mitarbeiter auf mich angesetzt, um mich zu „beobachten“. Ein anderer Kollege hatte mir das mitgeteilt. Für mich war es jedoch erst einmal wichtig, zu arbeiten und Geld zu verdienen.

Inzwischen hatten wir eine Tochter. In Forst (Lausitz) bemühten wir uns um eine annehmbare Wohnung. Es gab ein Wohnungsbauprogramm, das waren die sogenannten Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaften. Dort bewarben wir uns um eine Zwei-Zwei-Halb-Zimmer-Wohnung. Doch man sagte mir, dass mir diese Wohnung mit Frau und einem Kind nicht zustände. Darauf antwortete ich: „Sorgen sie dafür, dass ich die Wohnung bekomme, und ich sorge dafür, dass wir noch ein zweites Kind bekommen.“ Man ließ sich darauf ein. Es war mit 600 Stunden unbezahlter Arbeitszeit und einigen Hundert Mark Genossenschaftsanteile verbunden. Die Wohnung war fast bezugsfertig. Die Belastung und Bedrängnis durch Bespitzelung wurde jedoch so unerträglich, dass wir möglichst ohne aufzufallen das Geringste unserer Habseligkeiten gepackt haben. Meine Frau ist mit dem Kinderwagen mehrmals nach Westberlin gefahren und brachte auf diesem Wege einige wenige Dinge weg. Eine Schwester in Westberlin gestattete ihr, sie dort abzustellen. Man konnte aber nie sicher sein, ob sie zurückkommt oder nicht. Ich habe in Bahnhofsnähe versteckt auf sie gewartet, bis sie kam und die Luft rein war.

Am achten Mai war in der damaligen DDR der sogenannte „Tag der Befreiung“, an dem auftragsgemäß demonstriert wurde. Um nicht aufzufallen, bin ich mit dem Fahrrad an der Hand mitgegangen. Als die Demonstration vorbei war, konnte ich damit schneller zu Hause sein. Am nächsten Morgen haben wir unser Zuhause, unsere Angehörigen und was wir sonst angeschafft hatten, verlassen mit der Gewissheit, dass damit jeder Kontakt auf ungewisse Zeit abgebrochen war. Es war der neunte Mai 1961. Meine Frau fuhr mit dem Kinderwagen mit der Bahn. Ich hatte meine ältere Tochter bei mir und konnte mit einem Fahrzeug über die Autobahn bis Ostberlin mitfahren. Von dort ging es mit der U-Bahn an der Zentrale der SED-Führung vorbei nach Westberlin. Überall in der Bahn grüne (Stasi-)Leute! Ich war froh, dass meine Tochter nicht gesprochen hat. Ich habe mein Funktionärsgesicht aufgesetzt. Und so sind wir auf die westliche Seite Berlins gekommen. Mit erheblicher Verspätung allerdings. Wir hatten unseren Treffpunkt bei einer Schwester ausgemacht, die auch aus der DDR fortgegangen war. Sie war uns sehr behilflich damit und ihr gebührt unser Dank. Von da aus ging der offizielle Weg über Marienfelde, Tempelhof und über Rastatt und schließlich nach Esslingen am Neckar zur Eingliederung. Unser Eingliederungsverfahren verlief regulär mit der Anerkennung der Zwangslage als Sowjetzonen-Flüchtlinge.

Meine Frau ist sehr beschützt gewesen, als sie damals die Reisen nach Westberlin gemacht hat. Wir hatten versucht, in der damaligen DDR zurechtzukommen. In Forst (Lausitz) hatten wir ein Grundstück erworben mit etwa 1200 Quadratmeter. Wir hatten dort einen Garten angelegt. Wir hatten eine Genossenschaftswohnung mit 600 Arbeitsstunden geschaffen. Es scheint mir im Nachhinein, dass wir vorangekommen sind. Nur politisch war es unerträglich für uns. Wir wollten nicht, dass unsere Kinder in dieser Unfreiheit aufwachsen. Deshalb hielten wir es für einen guten Entschluss. Obwohl die Mitglieder der Gemeinde Esslingen wenig oder keine Erfahrungen mit Flüchtlingen hatten, wurden wir von ihnen freundlich aufgenommen. Gewisse Missverständnisse konnten wir durch unsere Verhaltensweise aus der Welt schaffen.

Während meiner Zeit in der DDR hatte ich Berufungen als Ratgeber und Leiter der Sonntagschule in der Berliner Gemeinde Friedrichshain. Nach der Mission in Cottbus wurde ich Sonntagsschullehrer und hatte andere Berufungen inne. Im Cottbuser Wohlfahrt-Programm hielten die Schwester unter anderem Hühner. Sie trauten sich aber nicht, sie zu schlachten, so habe ich den Hühnern die Köpfe abgeschlagen. Das war keine hochoffizielle Berufung, aber sie war notwendig, man wollte schließlich außer Eiern einen weiteren Nutzen von den Hühnern haben und sie nicht an Altersschwäche sterben lassen. Auch ein sogenannter Wohlfahrtsgarten wurde bearbeitet mit einer außergewöhnlichen Brombeerernte als Ertrag. Der Garten war sehr verwildert. So wurden zum Beispiel die Brombeeren stark zurückgeschnitten. Als Reaktion darauf haben sie über und über Früchte hervorgebracht. Meine hochschwangere Frau hat viele davon gepflückt Sie wurden bei den Mitgliedern der Gemeinde abgesetzt. Für den Erlös hat man für die Cottbuser Musikgruppe ein Akkordeon angeschafft. Georg Dräger hat damit musiziert. Meine Frau und ich sind später nach Forst gegangen. In Forst wurde ich Ratgeber zum Gemeindepräsidenten Günter Gäbler. Das ist so geblieben, bis wir in den Westen „umgezogen“ sind. Manche sagen auch „flüchten“ dazu. Ich war in der Zeit nie ohne Berufung.

Im Spätsommer 1961 waren wir schließlich in Nellingen-Parksiedlung, oberhalb von Esslingen, auf den Feldern, untergebracht. In einer regulären Wohnung waren je nach Zimmern drei bis vier Familien mit gemeinsamer Küche untergebracht. Das war eine schwierige Zeit. Arbeit bekam ich bald bei der „Esslinger Zeitung“. Dort wurde auch die „Bild-Zeitung für die Region hergestellt. Die Arbeitsstelle war gut für uns. Leider wurde in zwei Schichten gearbeitet, und zwar auch am Sonntag und Feiertag. In der Regel konnte ich vormittags die Versammlungen besuchen. Aber um 14.00 Uhr begann die Spätschicht. Alle Versammlungen, die am Nachmittag oder Abend stattfanden, konnten nicht besucht werden. Auch die Familie litt darunter. Den Sonntag nicht heiligen zu können belastete uns. Da wir jedoch mit nichts in der Tasche ankamen, brauchten wir die Einnahmequelle. Die nächste Entscheidung, die wir zu treffen hatten, war der Zehnten. Wir brauchten praktisch jeden Pfennig. Ich setzte mich mit meiner Frau zusammen und fragte sie bezahlen wir den Zehnten oder nicht. Der Entschluss war schnell gefasst. Wir wollten von Anfang an den Zehnten auch hier in der Wahlheimat bezahlen. Bis heute bin ich der festen Überzeugung, dass der HERR uns tatsächlich gesegnet hat. In den achtundvierzig Jahren, die wir jetzt hier in der Bundesrepublik leben, sind uns fünf körperlich und geistig gesunde Kinder herangewachsen. Sie alle haben eine gute Ausbildung. Vier davon haben studiert. Einer hat die mittlere Reife und die Meisterprüfung. Er ist selbständiger Handwerker. Die drei Söhne haben insgesamt sieben Jahre in der Bundeswehr gedient. Die Motivation war vor allem, dass wir hier in der Bundesrepublik in eine freiheitliche Demokratie gekommen sind und sie wollten auf diese Weise ihren Dank abtragen. Sie sind alle gut verheiratet und haben uns dreizehn Enkel beschert. Inzwischen sind vier Urenkel geboren. Alles ist dran. Die Augen und Hände wollen die Umgebung erkunden. Beide Schwiegersöhne sind Bischöfe. Einer davon ist als erwachsener Mann zur Kirche gekommen. Ein Sohn hat promoviert und ist selbständiger Jurist. Töchter und Schwiegertöchter haben sich in ihren Gemeinden und Pfählen stark engagiert. Es gelang uns, hier zu bauen. Das Haus ist trotz Kopfoperation und Herzinfarkte bezahlt und wir sind schuldenfrei. Das alles macht uns nicht überheblich. Es erfüllt uns mit tiefer Dankbarkeit und sagt uns, dass der HERR seinen Teil für ehrliches Zehntenzahlen einhält.

In Esslingen war ich fünf Jahre Bischof und konnte mit den Mitgliedern zusammen etwa 80000,00 DM zusammenbringen für den Bau oder Ausbau eines langersehnten Gemeindehauses. Für mich war die Zeit auch eine Art Dank an die Gemeinde für die freundliche Aufnahme als Flüchtlinge. Im Pfahl Stuttgart war ich als Hoher Rat tätig. 1979, nach unserem Umzug nach Bretzfeld, wurde ich für etwa fünf Jahre Bischof in Heilbronn. Danach nochmals für eine gewisse Zeit als Überbrückung, weil der nachfolgende Bischof in Schwierigkeiten kam. Es war nicht ganz einfach, da ich meinen Arbeitsplatz im Stuttgarter Raum hatte und in Schichten gearbeitet habe. Außerdem war die Gemeinde klein und bestand vorwiegend aus älteren Schwestern. Man dachte zeitweilig sogar ans Schließen. Aber die „Hungerjahre“ wurden überstanden und die Gemeinde hat sich immer wieder konsolidiert. Es war sogar so, dass Mitglieder, die später wegzogen, in anderen Gemeinden gute Arbeit geleistet haben. Die Spendenbereitschaft der wenigen Mitglieder für den Bau der Gemeinde in den beginnenden siebziger Jahren und für den Bau des Tempels in Friedrichsdorf war großartig.

Etwa 1990 war ich durch eine Kopfoperation wegen eines Tumors gesundheitlich stark eingeschränkt. Wenige Jahre später kamen noch Herzinfarkte dazu. Das alles konnte ich mit der Hilfe des HERRN und meiner Frau überstehen und habe seit 1994 bis 2008 für fünfzehn Jahre die Familienforschungsstelle in Heilbronn (auch für Nichtmitglieder) geleitet und viele gute Erfahrungen gemacht. Der Geist des Elia hat wahrlich viele Menschen berührt. Eine junge Schwester hat sogar ihren russischen (armenischen) Großvater gefunden, was für die riesige Sowjetunion schon ein Ereignis ist. Er war seinerzeit als Rotarmist beim Sturm auf Berlin beteiligt und dafür mit dem Orden des Roten Banners ausgezeichnet worden. Auf Befehl und unter Androhung von Sanktionen musste er nach dem Krieg seine deutsche Geliebte samt seinen kleinen Sohn verlassen, und man hatte seitdem nie mehr etwas von ihm gehört. Durch dieses Werk sind nicht nur die Toten gesegnet, sondern auch die Lebenden, indem sie ihre Wurzeln wiederfinden.

In Bezug auf die Ratschläge der verantwortlichen Brüder in der Kirche, einen eigenen Garten zu bearbeiten, oder sich vorausschauend zu Verhalten (Wohlfahrtswerk) waren wir immer gut beraten. Aber nur deshalb, weil wir es ernst genommen haben. Ohne Übung gibt es auch auf diesem Gebiet nichts geschenkt. Es macht Freude, die eigenen Kartoffeln, Bohnen, Beeren oder Zinsen zu ernten. Sogar Wasser ernten macht in regenarmen Zeiten Spaß.