Floriansdorf, Schweidnitz, Schlesien

Mormon Deutsch Lieselotte Erika HiemerIch bin Lieselotte Erika Hiemer, geborene Guzinski, geboren am 22. Oktober 1929 in Floriansdorf, Kreis Schweidnitz, in Schlesien. Mein Vater war Bernhard Guzinski und meine Mutter Hildegard Guzinski, geborene Brückner. Ich war das einzige Kind meiner Eltern und hatte eine schöne Kindheit, bis der Krieg ausbrach und mein Vater in den Krieg ziehen musste.

Im Januar 1945 kam die russische Front in Richtung meines Heimatdorfes voran. Am 13. Februar 1945 mussten meine Mutter und ich Floriansdorf verlassen. Wir waren vorbereitet und begannen mit allem was wir tragen konnten unsere Flucht in den Westen – weg von unserer Heimat. Zunächst wurden meine Mutter und ich mit einem Auto mitgenommen. Wir sind in Richtung Waldenburg/Schweidnitz gefahren. In der Nähe von Waldenburg sind wir erst einmal geblieben, weil wir im Moment sicher waren. Es waren sehr viele Menschen auf der Flucht. Wir haben in einer Gaststätte übernachtet. Oben war ein großer Saal, in dem sehr viele Doppelstockbetten aufgestellt waren. Jeder Familie war ein kleines Areal überlassen worden, dass mit Tüchern abgetrennt war. In der Nähe gab es ein Lager, in dem früher Fremdarbeiter lebten. In diesem Lager haben wir eine Zeit gewohnt. Als es unsicherer wurde sind wir über Hirschberg nach Glabonz und Bautzen an die tschechische Grenze gezogen. Wir wollten anschließend mit dem Zug weiter nach Bad Schandau, das in der Nähe von Dresden liegt.

In Bad Schandau hatte mein Vater einen Kriegskameraden, Herrn Uhlig. Er sagte einmal zu meinem Vater: „Wenn der Krieg zu Ende ist, musst du unbedingt mit deiner Familie zu uns kommen.“ In Bad Schandau, einem Erholungsgebiet, hatte der Kamerad eine Pension in der man Urlaub machen konnte. Weil wir im Westen keine Verwandten hatten, haben wir uns gefragt wo wir hingehen sollen. Meine Mutter und ich entschlossen uns in die Pension nach Bad Schandau zu gehen. Wir mussten ein paar Mal mit dem Zug umsteigen. Abends sind wir in Bad Schandau angekommen und haben im Bahnhofsgebäude im Wartesaal übernachtet. Am nächsten Morgen machten wir uns, ohne unser Gepäck, auf den Weg und fanden die Pension. Die Familie nahm uns begeistert auf. Obwohl sie das Haus voll mit Übernachtungsgästen hatten, sagten sie: „Ihr könnt bei uns bleiben!“ Wir haben unsere Sachen vom Bahnhof geholt und sind bei der Familie Uhlig geblieben. Herr Uhlig war kurz vorher verwundet worden und konnte aus diesem Grund zum Gesunden zu Hause bleiben. Er ist auch nicht mehr zurück an die Front gegangen. Mein Vater war zu dieser Zeit als Soldat in Jugoslawien. Herr Uhlig sagte zu uns: „Bleibt bei uns, so lange ihr könnt.“ Wir mussten uns bei der örtlichen Behörde anmelden. Wir bekamen lediglich einen Aufenthalt von sechs Wochen genehmigt. Herr Uhlig sagte zu mir: „Lass Deine Mutter doch fahren, Du bleibst bei uns.“ Diese Bitte schlug ist ab. Der Krieg war noch nicht zu Ende und es bestand die Gefahr, dass ich meine Mutter nicht wieder sehen würde. Ich blieb also bei ihr, denn ohne mich wäre sie ganz alleine gewesen.

Wir sind dann nach Blankenburg im Harz gegangen, wo wir auch das Kriegsende erlebten. Erst kamen die amerikanischen Soldaten, dann kamen die Engländer und dann die Russen. Bei den Russen hat es uns nicht gefallen. Wir haben dort bis zum Herbst 1945 gewohnt. Ein Bekannter, der in Düsseldorf wohnte, hatte zu meiner Mutter gesagt: „Versucht über die Grenze zu kommen.“ Das haben wir dann versucht. Beim ersten Mal hat es nicht geklappt, so dass wir wieder zurück mussten. Die Russen haben uns erwischt und über Nacht eingesperrt. Beim zweiten Mal sind wir mit dem Zug in einen anderen Ort gefahren und abends mit Fluchthelfern durch den Grenzwald gegangen. Dieses zweite Mal waren wir bei der Flucht eine Gruppe von ca. 10 – 15 Leuten. Als wir endlich drüben – im Westen – waren, wurde auf andere flüchtende Menschen im Wald geschossen.

In unserer ersten Nacht im Westen durften wir nicht raus, weil Sperrstunde war. Am anderen Tag sind wir zu dem Sammellager nach Osterode im Harz gefahren. Wir mussten uns melden und registrieren lassen. Von dort aus wurde ein Sonderzug zusammengestellt, der uns am 01. November 1945 in den Westen, nach Soest in Westfalen, brachte. Da es sehr kalt war, wurden wir vom Roten Kreuz mit warmer Milchsuppe versorgt. In Soest wurden wir auf einzelne Bauerhöfe verteilt. Meine Mutter und ich kamen zum Bauern Johannes Koch in Theiningsen. Meiner Mutter hat es bei dem Bauern nicht gefallen. Sie versuchte in Soest Arbeit und eine Wohnung zu finden. Ich bin erst einmal dageblieben. Die Bauernhöfe in der Soester Börde lagen sehr verstreut und einsam. Man musste sehr aufpassen, weil immer wieder eingebrochen wurde. Tagsüber schauten sich die Diebe um und nachts brachen sie ein, weil es wenig zu essen gab. Wenn jemand am Tage vorbeikam wusste man nie so recht mit wem man es zu tun hatte.

Auf dem Bauernhof arbeiteten zwei Mädchen und drei junge Männer. Die Zusammensetzung wechselte immer wieder. Eines Tages kam Georg Hiemer, mein (damals zukünftiger) Mann in Theiningsen an. Er kam in das Bauernhaus und sah gar nicht gut aus. Er war sehr dünn, da er nach dem Krieg wenig zu essen bekommen hatte. Es war eine schwierige Zeit. Ich habe ihn näher kennengelernt, aber es war nichts zwischen uns. Er war gekommen, weil seine Mutter in Werl lebte und seine Großmutter in Deiringsen.

Von dem Bauernhof Koch bin ich zu meiner Mutter, die in Opmünden bei Soest wohnte, gezogen. In Soest konnte ich in einer Pension als Hilfe arbeiten. Zwischenzeitlich hatte ich mich in Georg verliebt.

Als wir die Aussicht hatten, eine Wohnung in Hagen in Westfalen zu bekommen, haben wir geheiratet. Wir bekamen ein Zimmer. Man konnte keine Wohnung normal mieten, weil die Innenstadt zu 80 Prozent zerstört worden war. Es gab nichts. Viele haben so geheiratet, dass die Frau dann bei ihren Eltern wohnte und der Mann bei seinen Eltern. Wir beide haben aber gesagt, dass wir das nicht machen. Wenn, dann wollten wir auch zusammen ziehen. In Hagen haben wir dann in der Behringstraße 13 und einige Jahre später in der Berghofstraße 16 gewohnt.

Im Frühjahr 1958, im Laufe des Vormittags, schellten zwei Männer und stellten sich als Missionare vor. Es waren Elder Allen Reinhold und ein anderer dessen Namen ich nicht mehr kenne. Sie fragten, ob sie mich und meinen Mann sprechen könnten. Ich antwortete, dass mein Mann nicht da sei und sie abends wieder vorbeikommen könnten. Sie haben sich das notiert und sind wieder gegangen.

1958 hatten wir schon zwei Kinder, zwei Jungen – Rainer und Wolfgang. Als die Missionare anschellten war ich gerade im Begriff wegzugehen. Ich habe noch lange über den Besuch nachgedacht: „Missionare (sie hatten die Kirche nicht erwähnt), wer war denn das?“ Mir sagte der Begriff „Missionare“ nichts. Als mein Mann, meine Kinder und ich am Abendbrottisch saßen, schellte es an der Wohnungstür. Es waren die Missionare, sie waren tatsächlich wiedergekommen.

Die beiden freundlichen und nicht aufdringlichen Männer gaben meinem Mann ein paar Traktate und erklärten, dass sie von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage seien. Mein Mann ließ die Missionare in unsere Wohnung ein und hörte zu. Von diesem Tag an wurden wir belehrt und ließen uns am Samstag, den 26. Juli 1958 in Hagen-Bathey, im Hengsteysee, das ist ein See zwischen den Ortsgrenzen Hagen und Dortmund, taufen.

Es begann ein neues Leben für mich und meine Familie. Bald bekam ich eine Aufgabe: Ich wurde Leiterin der Heim-Primarvereinigung für meine Kinder. Die Missionare waren am Anfang noch dabei, später sagten sie, dass ich meine Aufgabe auch sehr gut alleine schaffen könne. Im Verlauf meiner Mitgliedschaft war ich Gemeinde-Primarvereinigungsleiterin, Lehrerin in verschiedenen Organisationen, Ratgeberin in der Gemeinde-Frauenhilfsvereinigung und der Pfahl-Frauenhilfsvereinigung und Bibliothekarin.

Ich habe sechs Kinder, fünf Jungen und ein Mädchen. Im Januar 1972 fuhren mein Mann und ich zum Bern Tempel in die Schweiz. Wir erhielten unser Endowment und wurden aneinander gesiegelt. Am 24.März 1972 fuhren wir mit unseren sechs Kindern erstmalig als Familie zum Schweizer Tempel und ließen unsere Kinder an uns siegeln.

Ich bin seit vielen Jahren Tempelarbeiterin im Frankfurt-Tempel und sehr gerne an diesem Ort.