Basel, Kanton Basel

Mormon Deutsch Werner Heinrich HugIch Werner Heinrich Hug, Bürger von Opfikon, Schweiz wurde am 18. September 1933 in Basel geboren. Das sind auf den Tag genau 108 Jahre nach meinem Urgroßvater Hans Jakob Hug, dem Förster in Opfikon. Bei meiner Geburt waren meine Eltern bereits elf Jahre verheiratet. Auch meine Schwester Irene kam erst acht Jahre nach der Eheschließung meiner Eltern zur Welt. Immerhin ist zu sagen, dass meine Eltern in der Zwischenzeit nach Brasilien auswanderten. Mit ihnen reisten auch mein Onkel Albert Probst und seine erste Frau. Von dieser Zeit in Brasilien weiß ich beinahe nichts, nicht nur weil es vor meiner Zeit war, sondern auch, weil meine Eltern zu früh starben, als dass ich sie ernsthaft darüber befragt hätte. Ich weiß noch, dass mein Vater einmal von der Zeremonie der Äquatortaufe auf dem Schiff erzählt hat und dass sie einmal in einen recht ansehnlichen Sturm gerieten. Gelebt haben sie sicher einige Zeit in Sao Paulo, die andern Orte sind mir nicht bekannt. Während dieser Zeit wurde die Frau meines Onkels schwanger, doch verlor sie ihr Kind und starb bald darauf selbst. Das mag einer der Gründe gewesen sein, warum meine Eltern und mein Onkel wieder in die Schweiz zurückkehrten.

Von meinen Vorfahren sind mir – außer meinen Eltern – auf der väterlichen Seite mein Großvater Heinrich Hug und auf der mütterlichen Seite beide Großeltern persönlich in Erinnerung. Dabei ist die Erinnerung an meinen Großvater Heinrich Hug nicht so ausgeprägt, denn er lebte nie bei uns zu Hause. In seinen späteren Lebensjahren lebte er für einige Zeit in Pratteln und auch in Holzhäusern bei Rotkreuz im Kanton Zug und bestritt damals seinen Lebensunterhalt mit hausieren. In früheren Jahren war er in der Maschinenindustrie tätig, er war – wie mein Vater sagte – ein gesuchter Facharbeiter und wurde als solcher einmal sogar für längere Zeit nach Charleroi in Belgien berufen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, so muss ich fast annehmen, dass das Verhältnis zwischen meinem Vater und meinem Großvater nicht besonders herzlich war, auf jeden Fall pflegten sie keinen eifrigen Kontakt miteinander. Dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass meine Großmutter väterlicherseits – Bertha Isler – schon starb, als mein Vater noch in der Rekrutenschule war.

An dieser Stelle will ich noch eine kleine Erinnerung aufschreiben, wie ich sie meine Eltern erzählen hörte. Mein Vater hatte in seinen jüngeren Jahren nicht weniger als vier Mal eine Lungenentzündung zu überstehen. Besonders schlimm sei es das dritte Mal gewesen. Während dieser Zeit hatte er einen Traum. Er sah eine Leiter, die bis in den Himmel hinauf reichte und darauf stiegen Engel hinauf und herunter.

Meine Mutter erlernte nach der Schule den damals noch recht neuen Beruf einer Telefonistin. Sie erzählte auch aus der Zeit, da sie das Evangelium kennen lernte (oder kurz zuvor), wie sie am Pult saß und es ihr war, als ob sie jemand mit dem Finger „gestupft“ habe, doch sei niemand in der Stube gewesen.

Hier will ich das Wenige beifügen was ich weiß, wie meine Eltern das Evangelium kennen lernten. Sie beschäftigten damals (1938, vielleicht auch schon früher) in der Rheinlehne eine Putzfrau, und das war Schwester Ritter, also die Mutter von Bethli Schaffner-Ritter, von Hans Ritter in Amerika und von Susi Looser-Ritter, ebenfalls in Amerika. Die Familie Ritter kam damals mit dem Evangelium in Kontakt und schloss sich der Kirche an. Schwester Ritter erzählte meinen Eltern darüber und die interessierten sich auch dafür. Mein Vater schaute zuerst im Lexikon nach, was da über die Mormonen stand. Doch das genügte meinen Eltern nicht. Bald wurden sie von Missionaren weiter belehrt. Das alles muss sich im Jahr 1938 ereignet haben, also ein Jahr, nachdem die Gemeinde in Pratteln von Basel abgetrennt und selbständig geworden war. Persönlich kann ich mich an einige Missionare erinnern und auch an den ersten Versammlungsbesuch in Pratteln. Es war für mich selbstverständlich, dass das was für meine Eltern recht sei, auch für mich recht war. Das Buch, welches meine Eltern anfänglich am meisten beeindruckte war die Kirchengeschichte, denn sie sagten sich, wenn die Pioniere alle diese Verfolgungen mitmachten, dann muss wirklich etwas dahinter stecken. Am 5. November 1938 wurden meine Eltern getauft und in der Fastversammlung vom 6. November konfirmiert. Mit ihnen wurden auch Emil Schaffner, Babette Schaffner, Willi Schaffner und Karl Schaffner, der Mann von Ursinas Schwester Julia, getauft. Laut Karl Schaffner fanden diese Taufen in der Ergolz statt. Mein Vater wurde von Otto Handschin aus der Gemeinde Basel getauft, meine Mutter von Max Hohloch, einem Missionar aus der Gemeinde Winterthur. Auch meine Schwester Irene wurde von Otto Handschin getauft, und zwar am 1. Juli 1939 im Rhein. Ich selbst wurde von meinem Vater am 8. November 1941 im Gemeindehaus Basel getauft. Das Jahr 1938 war ein Jahr mit vielen Taufen, denn schon am Pfingstsamstag, den 4. Juni dieses Jahres wurden in der Wiese bei Basel zwölf Personen getauft. Es waren das Familie Ritter mit drei Kindern, Flora Dill mit drei Kindern sowie Frieda Steinle mit zwei Kindern. Es ist gut möglich, dass die Ungewissheit über die heraufziehende Kriegsgefahr aus Deutschland die Menschen empfänglicher machte für das Wort Gottes.

Meine Großeltern mütterlicherseits lebten seit ich mich erinnern kann mit uns zusammen in der Rheinlehne bei Pratteln-Schweizerhalle, wo ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens verbrachte. Mein Großvater – Gregor Probst – lebte früher in seinem Heimatort Mümliswil, später in Oberwil Kanton Basel-Landschaft und er war während vielen Jahren ein eifriges und geschätztes Mitglied. Am besten habe ich meine Großmutter Rosalia Probst-Probst in Erinnerung. Sie war noch körperlich und geistig gesund und da mein Vater geschäftlich, durch den Luftschutz und durch die kirchlichen Ämter stark in Anspruch genommen war, so besorgte sie größtenteils unseren recht großen Garten. Es war ja die Zeit des Zweiten Weltkrieges und da hatte praktisch jedermann einen Garten. außerdem hatten wir noch Kaninchen, die hauptsächlich von meiner Mutter betreut wurden und mein Vater hielt eine Anzahl Bienenvölker.

Meine Mutter erzählte einmal, sie habe einen Traum gehabt, und darin habe sie gesehen wie mein Großvater Gregor Probst in der Geisterwelt das Evangelium noch annehmen werde, meine Großmutter aber nicht.

Ich wuchs also in der Rheinlehne bei Schweizerhalle auf und in Schweizerhalle besuchte ich auch die ersten fünf Klassen der Primarschule. Wegen unserer Religion hatte ich keine Schwierigkeiten, ich wurde von den andern Schülern akzeptiert und nie deswegen ausgestoßen.

Meine Schulzeit in Schweizerhalle war fast identisch mit der Zeit des zweiten Weltkriegs und so will ich hier ein wenig erzählen, was ich aus meiner Sicht davon mitbekommen habe. Ich kann mich zum Beispiel gut daran erinnern, wie mein Vater eines Tages zu mir sagte, jetzt habe der Krieg angefangen (womit er jedenfalls den Überfall Deutschlands auf Polen gemeint hat). Wir standen damals beide im Hof vor dem Haus. Zwar konnte ich mit dieser Nachricht noch nicht viel anfangen und sie machte mir auch keine Angst, aber nach und nach lernte ich doch einige Folgen des Krieges kennen. Man sah z.B. auf der Straße immer weniger Autos, denn das Benzin wurde sehr knapp, ja es kam die Zeit, wo wir als Kinder getrost auf der Straße spielen konnten, denn mehr als ein bis zwei Autos pro Stunde fuhren selten vorbei. Besonders im Winter bei Glatteis war die Straße ein idealer Spielplatz, denn das Glatteis wurde nur sehr langsam bekämpft. Eine andere Folge des Krieges war die nächtliche Verdunkelung. Es brannten keine Straßenlampen mehr und auch in den Häusern musste man schauen, dass kein Licht durch die Fenster oder Türen drang. Diese Verdunkelung wurde kontrolliert, es sollte also kein fremdes Flugzeug feststellen können, wo jetzt ein Dorf lag oder wo freies Feld war. Eine Maßnahme, die möglicherweise eher den Deutschen zugutekam. Bei den Straßenkreuzungen wurden die Wegweiser abmontiert und auf den Landstraßen wurden sogenannte Tanksperren errichtet. Eine solche befand sich auch auf meinem Schulweg vor der Saline in Schweizerhalle. Bis auf einen Durchgang, der breit genug war, damit ein Lastwagen S-förmig durchfahren konnte, war hier die Strasse mit Eisenkonstruktionen abgesperrt. Eine weitere Folge des Kriegs war die Rationierung der Lebensmittel. Man konnte also nicht einfach einkaufen gehen und dafür bezahlen, man musste gleichzeitig die entsprechenden Lebensmittelkarten abgeben. Wenn ich mich recht erinnere, so bekam man jeden Monat die Lebensmittelkarten zugestellt, gelegentlich mit neuen Produkten darauf, die inzwischen knapp geworden waren und nun rationiert wurden. Zur Beschaffung von Lebensmitteln gehörte auch der „Plan Wahlen“ oder die sogenannte Anbauschlacht. So wurden etwa in der Stadt Parkanlagen in Kartoffelfelder verwandelt oder junge ledige Leute mussten im Sommer für drei Wochen in den Landdienst zu einem Bauern. Ziel dieser Maßnahmen war, dass sich die Schweiz möglichst selbst mit Lebensmitteln versorgen konnte und diese Versorgung sollte möglichst gerecht vor sich ging. In einem kleinen und meist unbewohnten Haus bei der Rheinlehne, von uns Kindern das „Schwobehüsli“ genannt (weil einmal einige Zeit eine Familie Schwob darin wohnte, als ihr Haus in Schweizerhalle renoviert wurde), waren Soldaten einquartiert. Diese Soldaten hatten viel Kontakt mit uns, einmal, weil sie über kein eigenes Telefon verfügten und dann auch, weil meine Großmutter oft für sie das Geschirr abwusch. Ich schaute ihnen gerne bei ihrer Tätigkeit zu und unterhielt mich auch mit ihnen. Allzu streng hatten sie es nicht, sie standen Wache, hielten ihre Waffen sauber und mussten jederzeit bereit sein, Befehle entgegenzunehmen und auszuführen.

Von der unglückseligen Rede von Bundesrats Pilet-Golaz erfuhr ich erst später, aber auch vom Rütlirapport General Guisans. Zumindest kann ich mich an diese Ereignisse nicht mehr erinnern, obwohl in meiner Familie sicher darüber gesprochen wurde. Meine Mutter hatte ein „Leiterwägeli“ gekauft für den Fall, dass wir in die Innerschweiz fliehen müssten. Immerhin lebten wir ja direkt am Rhein und damit an der Grenze zu Deutschland. Doch kam es nie zu einer solchen Flucht und mit der Zeit wurde das Leiterwägeli ein beliebtes Spielzeug für uns Kinder. Besonders bei fast autofreien Straßen.

Später im Verlauf des Krieges wurden auf dem sog. „Spainihübel“ (auf der Anhöhe gegen Pratteln zu, wo heute fast alles überbaut ist) Fliegerabwehrkanonen und Scheinwerfer aufgestellt. Die leichte Flak konnte etwa drei Kilometer hoch schießen, die schwere zehn Kilometer. Besonders nachts war es für uns Buben ein interessantes Schauspiel, zu beobachten, wie im Schnittpunkt mehrere Scheinwerfer ein Flugzeug zu sehen war und wie dann darauf geschossen wurde. Ob aber von Pratteln aus je ein Flugzeug abgeschossen wurde bezweifle ich, jedenfalls ist mir nichts darüber bekannt. Wahrscheinlich wollte man auch gar keine alliierten Flugzeuge treffen. Es gab jedoch eine ganze Anzahl von Notlandungen alliierter Flugzeuge in der Schweiz, so einmal ein Liberator-Bomber in Birsfelden, den wir (unsere ganze Familie) anschauen gingen. Vereinzelt wurden in der Schweiz auch Bomben abgeworfen, so einmal zwischen Augst und Pratteln, als ein Zug von einem einzelnen Bomber angegriffen wurde. Der Lokomotivführer sah den Angriff kommen und bremste den Zug ab, damit sich die Fahrgäste ins Freie begeben konnten, denn das Ziel war ja der Zug selbst. Getroffen wurde er allerdings nicht, man sah nachher vier Bombenkrater, zwei auf jeder Seite des Zuges. Verletzte gab es meines Wissens keine. Am schlimmsten war der Bombenangriff auf die Stadt Schaffhausen, ich glaube das war am 1. April 1944. Bei diesem Angriff kamen etwa vierzig Leute ums Leben. Ich glaube kaum, dass dieser Angriff mit Absicht geschah, denn Schaffhausen liegt ja auf der von uns aus gesehen deutschen Seite des Rheins und war somit für einen unerfahrenen Piloten eine deutsche Stadt. Jedenfalls hat Amerika die Stadt Schaffhausen für diesen Fehlangriff finanziell entschädigt. Mit der Zeit begann ich mich für die Nachrichten am Radio zu interessieren, besonders für die Meldungen von den Kriegsschauplätzen. Über dem Radio in der Stube hing lange eine Europakarte, und nach und nach interessierte ich mich auch dafür. So erinnere ich mich z.B. noch daran, wie ich erstmals feststellte, dass England ja eine Insel war und wie groß Russland war usw. Ferner verfolgte ich auf der Karte den Vormarsch der Alliierten in Italien und in Frankreich. Die Nachrichten haben also wesentlich dazu beigetragen, dass ich mich in der Geographie Europas bald recht gut auskannte. Die Straßen waren inzwischen wieder etwas belebter geworden. Nicht weil es mehr Benzin gab, sondern weil sich die Automobilisten mehr und mehr einen Holzvergaser anschafften. Besonders bei Lastwagen wurde das ein gängiges Fortbewegungsmittel. Gegen Ende meiner Schulzeit in Schweizerhalle ging endlich auch der zweite Weltkrieg seinem Ende entgegen. Ich erfuhr davon zuerst von den Soldaten und dann auch durch ein sog. Extra Kanton Basel-Landschaftatt (der Zeitung), welches meine Mutter von der Stadt heim brachte. Himmler hatte den Westmächten die bedingungslose Kapitulation angeboten, doch diese lehnten ab, wenn die Kapitulation nicht an alle Alliierten (also auch an die Sowjetunion) gerichtet sei, was bald darauf geschah. Die Soldaten schickten mich in den Konsum um Kuchen zu holen und meine Großmutter kochte unterdessen Tee. So feierten die Soldaten bei uns das Ende des zweiten Weltkriegs für Europa mit Kuchen und Tee. Der Krieg der Amerikaner gegen die Japaner ging allerdings noch einige Zeit weiter, bis dann die Amerikaner ihre neue Waffe – die Atombombe – einsetzten, an welche Radiomeldungen ich mich noch gut erinnern kann.

Die ganze Kriegszeit war für meinen Vater sehr anstrengend, denn er war ja nicht nur Leiter des technischen Büros in der Säurefabrik Schweizerhalle, sondern er hatte dort auch den Luftschutz unter sich, was u.a. bedeutete, dass er sich bei Fliegeralarm zu jeder Tages -und Nachtzeit in die Säurefabrik zu begeben hatte. Daneben war er seit anfangs Krieg Gemeindepräsident unserer Kirche in Pratteln, und wenn man damals auch noch nicht so viele Sitzungen kannte wie heute, so brachte ihm dieses Amt doch viel zusätzliche Arbeit, die er aber gerne verrichtete. Wohl die Summe aller dieser Belastungen brachte es mit sich, dass mein Vater Herzkrank wurde. Ganz gesund wurde mein Vater aber nie mehr, auch wenn er seine Arbeit wieder aufnehmen konnte.

Mit dem Ende der fünften Schulklasse in Schweizerhalle kam die Zeit, wo man entweder in Pratteln oder in Muttenz die weiteren Schulklassen besuchen musste, denn mehr als fünf Schulklassen gab es in Schweizerhalle nicht. Da wir in dem Gebiet von Schweizerhalle lebten, das zu Pratteln gehört, besuchte ich also von nun an nach einer dreiwöchigen Probezeit die Sekundarschule in Pratteln, welche dann etwa ein Jahr später in Realschule umbenannt wurde. Normalerweise hatte man für die Sekundarschule eine Aufnahmeprüfung zu bestehen, bei unserm Jahrgang wurde stattdessen jedoch die etwas mildere Form einer dreiwöchigen Probezeit angeordnet, dies deshalb, weil viele Lehrer oft im Militärdienst waren und sie uns deshalb nicht so gut auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten konnten.

Mit dem Ende der Schulzeit in Schweizerhalle ging für mich auch der schönere Teil meiner Schulzeit insgesamt zu Ende. Ich meine damit jene (trotz des Krieges) recht unbeschwerten Jahre im Kreise guter Kameraden, die ich in Pratteln nicht mehr fand. Dazu kam, dass ich um diese Zeit unter epileptischen Anfällen zu leiden begann und auch der Tod meiner Mutter fällt in jene Zeit.

Ich will nun vom Tod meiner lieben Mutter erzählen, so wie ich das als damals 14-jähriger miterlebt habe. Aufmerksam auf die Krankheit meiner Mutter wurde ich eigentlich erst richtig, als sie an einem Sonntag nicht in die Kirche kam, sondern sich daheim mit Umschlägen pflegte. Von da an ging es meiner Mutter gesundheitlich immer schlechter, so dass eine Überführung ins Spital – und zwar nach Riehen ins Diakonissen-heim – nötig wurde. Ihre Krankheit bestand aus einem Leberleiden, von welchem zu dieser Zeit – im Sommer 1947 – viele Frauen mittleren Alters befallen waren. Auf dem Totenschein wurde die Krankheit als Leberdystrophie bezeichnet. Im Spital kam bald noch eine Gelbsucht dazu und der Gesundheitszustand meiner Mutter wurde immer schlimmer, so dass mit dem 23. August 1947 die Zeit des Abschiednehmens von ihr kam.

An dieser Stelle muss ich einschieben, dass meine Großmutter Rosalia Probst zum Zeitpunkt des Todes meiner Mutter seit einiger Zeit auch nicht mehr gesund war und da sie von meiner kranken Mutter nicht gepflegt werden konnte, nun bei meinem Onkel Albert Probst in Pratteln lebte. Dort starb sie noch im gleichen Jahr wie meine Mutter, nämlich am 20. Dezember 1947. Meine Großmutter überlebte also meine Mutter um rund vier Monate und sie war bei ihrem Tod schon seit über drei Jahren Witfrau, denn mein Großvater Gregor Probst war schon am 12. März 1944 im Spital in Liestal gestorben.

Langsam ging meine Schulzeit in Pratteln zu Ende und man fragte mich, „was willst Du werden?“ Da ich keine Antwort auf diese Frage wusste, außer dass mein Hobby die freie Natur war (Fischen, Tiere filmen, Astronomie etc.), fand es der Berufsberater am besten, wenn ich zuerst die Berufswahlklasse in Muttenz besuchen würde. In dieser Klasse traf ich meinen ehemaligen Schulkameraden aus Schweizerhalle, Robert Plieninger wieder, und wir gingen nochmals ein halbes Jahr miteinander zur Schule. In der Berufswahlklasse gab es viel Praxis in verschiedenen handwerklichen Berufen, Betriebsbesichtigungen und sonstige Informationen.

In die Zeit während der Berufswahlklasse fiel die zweite Verehelichung meines Vaters mit Olga Runser aus Basel, eine Ehe, die sich leider als nicht immer sehr glücklich erweisen sollte. Doch davon später noch mehr. Mein halbes Jahr Berufswahlklasse ging rasch vorbei, aber was ich werden sollte wusste ich immer noch nicht. Ich ging deshalb zuerst einmal in die Pneufabrik Firestone in Pratteln arbeiten und Kanton Basel-Landschaft für fast 1 1/2 Jahre dort.

Wie schon erwähnt, verehelichte sich mein Vater am 29. April 1948 in zweiter Ehe mit Olga Runser aus Basel, aus welcher Ehe am 25. Juni 1949 meine Halbschwester Denis Elisabeth geboren wurde. Die zweite Ehe meines Vaters war leider nicht sehr glücklich und ich weiß, dass er sich mit Scheidungsgedanken befasste, doch wurde er vorher vom Tode ereilt.

Meine Lehrzeit als Wollappreteur ging unterdessen ihrem Ende entgegen und es nahte die Zeit der Prüfungen. Da ich in der Firma Schild Gelegenheit hatte, mich in allen Sparten der Appretur gründlich auszubilden, war ich relativ gut auf die Prüfungen vorbereitet; dass es aber dann so gut gehen sollte und ich mit der Note 1,1 Bester des Kantons Baselland wurde (die Lehrlinge aller Berufe eingerechnet), war doch eine Überraschung.

Nach den Prüfungen bekam ich Gelegenheit, noch vier Monate lang im Betrieb der Tuchfabrik Schild in Bern zu arbeiten, um mich noch weiter auszubilden. Es war dies das erste Mal, dass ich von zu Hause fort ging und es sollte, wie sich nachher herausstellte, auch gleich der endgültige Abschied von dem Haus am Rhein sein, in dem ich die ersten 20 Jahre meines Lebens verbrachte.

Ich hatte in Bern auch sofort Kontakt mit der Kirche und wurde gelegentlich von Mitgliedern eingeladen. Mit Bruder Karl Stüssi und seiner Frau verbindet mich bis heute ein guter Kontakt, wenn wir uns gelegentlich bei Kirchenanlässen sehen. In Bern ging ich auch erstmals einige Male mit einem Mädchen (aus der Berner Gemeinde) aus, doch wurde daraus nichts Ernsthaftes. Diese vier Monate waren die Ersten in meinem Leben, in denen ich über meine Zeit völlig frei verfügen konnte, und das war eine interessante Erfahrung.

Nach der Zeit in Bern begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Ich trat nun meine Mission in Österreich an. Am 27. Mai 1954 gab es in Pratteln noch eine kleine Abschiedsfeier. Ich bestieg also in Basel den Arlberg-Express und fuhr damit nach Wien-Westbahnhof. Dort bestieg ich ein uraltes Taxi und fuhr damit nach meinem ersten Bestimmungsziel, der Missionarswohnung an der Grünentorstraße. Wien war ja damals – im Juni 1954 – noch eine (von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs) besetzte Stadt und dementsprechend in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Mein erster Mitarbeiter war Bruder James R. Christensen, der zuvor auch schon Missionar in Pratteln gewesen war und den ich demzufolge bereits kannte. Es gab damals noch mehr Missionare aus der Schweiz in Österreich. So aus unserer eigenen Gemeinde in Pratteln Heini Roffler, dann aus Zürich Max Müller, aus Chur Urban Schmid und aus Ebnat-Kappel Jakob Mettler. Die Schweiz und Österreich bildeten ja damals zusammen die sog. Schweizerisch-Österreichische Mission mit dem Missionsbüro in Basel. Außer der Gemeinde in Wien gab es damals in Österreich kleinere Gemeinden in Linz, Graz, Salzburg und dem kleinen Ort Hag (Haag?) am Hausruck. Als Folge des Zweiten Weltkriegs war Österreich damals noch ein recht armes Land. So haben wir als Missionare einmal gezählt, wie viele Mitglieder im ganzen Land ein Auto besitzen, und kamen dabei auf deren vier.

Bevor es aber mit der Missionsarbeit so richtig losging, hatte ich zuerst noch ein gesundheitliches Problem zu lösen. Wie ich schon erwähnt habe, litt ich seit etwa meinem 12. Lebensjahr an epileptischen Anfällen, von denen ich so ungefähr alle zwei Monate des Nachts befallen wurde. Das war auch noch am Anfang meiner Mission so. Zwar hatte ich längst gelernt, mit dieser Krankheit zu leben, doch auf Mission schlief ich ja nicht mehr allein, sondern ich hatte einen Mitarbeiter im Zimmer, und das war ein wichtiger Unterschied. Mein erster Mitarbeiter machte sich zwar ob dem einen Anfall, den ich zu seiner Zeit hatte, nicht viel Aufhebens. Er kannte mich ja schon von Pratteln und wir setzten einfach unsere Arbeit fort. Doch mein zweiter Mitarbeiter war von etwas sensibler Natur. Er schlug Alarm und ließ einen Arzt kommen, der mir natürlich auch nicht helfen konnte. Dadurch wurde meine Krankheit bekannt und sogar der Missionspräsident in Basel benachrichtigt. Man sagte mir, wenn es nicht bessere, so gäbe es nur die Möglichkeit, dass ich meine erst wenige Monate alte Mission im Missionsheim in Basel fortsetzen müsse. Das war nun nicht gerade nach meinem Geschmack. Nichts gegen das Basler Missionsheim, aber wenn man nur wenige Kilometer davon entfernt zu Hause ist, dann möchte man nicht gerade dort den größten Teil seiner Mission verbringen. Was sollte ich also tun? Als ich so darüber nachdachte, kam mir die Geschichte eines Missionars in den Sinn, die ich einmal gelesen hatte. Dieser Missionar litt auch an einer Krankheit, an welcher weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall hätte er nach Hause zurückkehren müssen, wenn sich sein Zustand nicht gebessert hätte. In dieser Situation sprach er ein Gebet und bat darin seinen Vater im Himmel, ihn doch wenigstens für die Zeit seiner Mission von der Krankheit zu verschonen. Sein Gebet wurde erhört und er konnte seine Mission ohne Behinderung durch die Krankheit beenden. In genau der gleichen Situation befand ich mich nun auch. Ich tat darum das gleiche wie jener Missionar. Ich sprach ein Gebet und bat darin den Vater im Himmel, er möge doch machen, dass ich wenigstens für die Zeit meiner Mission von den epileptischen Anfällen befreit sei. Das mag alles so einfach klingen und im Grunde genommen war es das auch. Ich habe nie von mir behauptet, ein besonders glaubensstarker Mensch zu sein, aber ich kann bezeugen, dass ich von diesem Tag an die ganze Mission lang nie mehr einen epileptischen Anfall hatte. Ja, ich dachte überhaupt nicht mehr an diese Krankheit, erst als ich dann nach der Mission wieder meinen ersten Anfall hatte, sagte ich zu mir selber, ach so, natürlich, dein Gebet hat ja nur für die Dauer der Mission Gültigkeit gehabt. Diese Begebenheit kam mir später noch oft in den Sinn, wenn ab und zu mein Glaube etwas schwächer wurde.

In die Missionsarbeit selbst hatte ich mich bald einmal eingelebt. Doch verlief sie aus Gründen, die ich nicht beeinflussen konnte, nicht gerade nur rund. Nach fünf Monaten in Wien wurde ich nach Salzburg versetzt, wo es mir eigentlich noch besser gefiel als in der Großstadt Wien. Die Mitglieder in Salzburg besaßen damals noch keine eigenen Lokalitäten für die Versammlungen, die Kirche hatte lediglich einen Raum in einem Gasthaus gemietet, welches den bezeichnenden Namen Gasthaus Höllbräu trug. Mein Mitarbeiter dort war schon etwas älter (und auch verheiratet!) und er war Gemeindepräsident von Salzburg. Es gab einige sehr gute junge Familien dort, die noch nicht lange getauft waren und auch solche, die sich erst noch taufen ließen. Alles war recht familiär, und das gefiel mir. Doch am 19. März (1955) traf ein Telegramm mit folgendem Wortlaut ein: „Heinrich Hug-Runser gestorben. Komm sofort heim. Irene“. Und ich fuhr mit dem Zug nach Hause.

Es war ein sehr großer Trauerzug, der sich am Tage der Beerdigung von Schweizerhalle zum Friedhof hinauf nach Pratteln bewegte. Mein Vater war ein angesehener Mann, und das kam an dieser Beerdigung deutlich zum Ausdruck. Die Abdankungsrede hielt Bruder Willy Zimmer und ich kann mich noch erinnern, dass er sagte, er habe – als er die Nachricht vom plötzlichen Tod meines Vaters erhielt – an die Worte in der Heiligen Schrift (Lehre und Bündnisse) denken müssen, wo es heißt, „diejenigen, die in dem Herrn sterben, werden den Tod nicht schmecken, denn er wird ihnen süß sein“. Auch mein Missionspräsident nahm an der Abdankungsfeier teil und er hatte fast ein wenig Hemmungen, mich zu fragen, wie es nun mit der Mission weitergehe. Es war aber für mich keine Frage, dass der Tod meines Vaters nur ein kurzer Missionsunterbruch war.

Einige Tage nach der Beerdigung fuhr ich nach Salzburg zurück, um dort meine Missionstätigkeit wieder aufzunehmen. In der Schweiz machte unterdessen der Bau des ersten Tempels in Europa große Fortschritte und es nahte der Tag der Einweihung. Zu den Einweihungsfeierlichkeiten – am 11. Sept. 1955 und den folgenden Tagen – fuhren sämtliche Missionare nach Zollikofen. Dort wurden alle mit gewissen Aufgaben betraut. So hatte ich zum Beispiel an einem Tag auf der Empore Platz anzuweisen und an einem anderen Tag vor dem Tempel darauf aufzupassen, dass niemand den Rasen betrat. Anschließend gingen wir als europäische Missionare zum ersten Mal selbst durch den Tempel.

Unmittelbar nach der Tempeleinweihung; wir waren noch nicht wieder nach Österreich zurückgekehrt, musste ich ein weiteres Mal nach Hause fahren. Grund: Meine Stiefmutter, die sich nach dem Tod meines Vaters eine Wohnung in Pratteln gemietet hatte, hatte sich in dieser Wohnung das Leben genommen. Ich war dabei, als die Polizei einen Schlosser herbeirief, der die Wohnungstüre öffnete. Dort fanden wir dann meine Schwiegermutter, die sich an einer Türfalle erhängt hatte. Bald nach der Beerdigung fuhr ich wieder nach Österreich zurück und ich machte mir so meine Gedanken, was sich alles während den vergangenen nicht einmal zwei Jahren verändert hatte: Von meinen Eltern lebte nun gar niemand mehr, nicht einmal meine Stiefmutter, und unser Heim in Schweizerhalle, in dem ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens verbracht hatte und mit dem mich so viele schöne Erinnerungen verbanden, war nun nicht mehr unser Heim. Wenn ich jetzt an jene Zeit zurück denke, so wird mir klar, dass ich eigentlich erst damals so richtig persönlich erfuhr, wie vergänglich doch alles Irdische ist; aber auch, dass nun meine Jugendzeit endgültig vorbei war.

Ich fuhr also wieder zurück nach Österreich, wo ich nach einiger Zeit von Salzburg nochmals nach Wien versetzt wurde. So vergingen meine zwei Jahre in Österreich sehr rasch.

Ich kehrte also von Wien nach Hause zurück. Doch was war nun mein Zuhause? Meine Schwester Irene, — sie war ja noch ledig – hatte sich in Birsfelden (Garage Hammernick) eine Wohnung gemietet und zu ihr zog ich vorerst. Als Erstes hieß es dann, wieder eine Stelle zu finden. Ich fand diese in der Basler Stückfärberei. Es war noch keine ideale Stelle, denn sie entsprach nicht ganz meiner beruflichen Ausbildung. Außerdem gehörte Schichtarbeit dazu. Doch zuerst war es wichtig, wieder ein wenig Geld zu verdienen und zu sparen. Nach einiger Zeit konnte ich – dank eines (kantonalen) Stipendiums und eines Studiendarlehens – den ½-jährigen Kurs für Wollappreteure an der Textilingenieurschule in Aachen besuchen. Es gab noch mehrere Schweizer an dieser Schule, und wir wohnten alle im nahegelegenen Holland, denn dort war es günstiger, eine Vollpension zu erhalten. Noch bevor die Schule vorbei war, erhielt ich dort eines Tages einen Brief von der Basler Stückfärberei. Darin wurde mir die Stelle eines Leiters der Nassappretur angeboten, da diese vakant geworden sei. Es wurden mir Fr. 700.– als Anfangssalär offeriert, die dann nach meinem Antwortschreiben auf Fr. 750.– erhöht wurden. Das war in den Augen meiner Mitstudenten eine gute Bezahlung für die damalige Zeit. So führte mich also mein Weg nach Abschluss der Schule in Aachen wieder nach Basel in die Basler Stückfärberei.

Die Kirche besuchte ich während dieser Zeit in Köln, wo eine kleine Gemeinde bestand. In Aachen selbst lebten damals nur eine oder zwei Mitgliederfamilien.

Bald einmal lernte ich meine jetzige Frau kennen. Das heißt, ich kannte sie ja schon von Pratteln her, aber damals war sie noch ein Kind. Ursina war zwar mit 18 Jahren noch sehr jung, aber sie war nicht zu klein und nicht zu groß, nicht zu dick und nicht zu dünn, kurz, sie gefiel mir und ich gefiel ihr offensichtlich auch, wobei sie aber rascher in mich verliebt war als ich in sie. Ich wollte nach der ersten schlechten Erfahrung nicht zu schnell wieder eine feste Bindung eingehen, auch wenn wir uns recht oft trafen. Ich glaube, dass das bei ihr einigen Liebeskummer verursachte. Trotzdem waren wir uns bald einmal einig, dass wir heiraten wollten. So kam der 1. April 1960, an welchem Tag wir in Birsfelden zivil die Ehe eingingen und am andern Tag folgte im Tempel in Zollikofen die Tempelehe.