Annaberg-Buchholz
Mein Name ist Arndt Henry Ihln. Geboren wurde ich am 15. November 1931 in Annaberg-Buchholz. Meine Eltern waren auch Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Ich wurde am 8. Juni 1940 in Geyersdorf bei Annaberg in einem Fluss getauft.
Als ich vier Jahre alt war, haben sich meine Eltern leider getrennt. Meine Mutter hat uns alleine großgezogen. Mein Vater hat wieder geheiratet. Ich habe noch einen Bruder. Weil mein Vater nicht mehr da war und weil er für uns nichts bezahlt hat, musste meine Mutter arbeiten. So wohnten wir bei unseren Großeltern Edmund u. Frieda Richter. Nachdem meine Großmutter krank wurde, musste sie von meiner Mutter gepflegt werden. Da es für meine Mutter zu anstrengend war für so viele Personen im Haushalt zu sorgen ging ich zu einer Arbeitskollegin meiner Mutter namens Johanne Nestler nach Geyersdorf bei Annaberg. Sie wurde meine Pflegemutter. Ihr Mann war gestorben. Sie hatte ein kleines Bauernhaus. Gegenüber war ein großer Bauernhof, wo ich meine Kindheit verbrachte. Ich habe die Kühe gehütet und in der Landwirtschaft mit geholfen.
Meine Mutter kam mich sonntags besuchen und hat mich mit zur Kirche genommen. Sie kam auch manchmal samstags und hat da übernachtet und sonntagmorgens sind wir gemeinsam zur Kirche gegangen. Nach meiner Schulzeit hatte ich die Möglichkeit, entweder in der Landwirtschaft zu bleiben oder einen Beruf zu erlernen. Ich habe mich entschlossen, einen Beruf zu erlernen. Ich wollte gerne Elektriker werden, aber 1945 nach der Kriegszeit lag Deutschland in Trümmern und da war es nicht möglich, diesen Beruf zu erlernen. Man sagte, es gäbe nur die Möglichkeit, dass ich in die Weberei gehe. Da in der Zwischenzeit meine Großmutter verstorben war, so bin ich wieder zurück nach Annaberg –Buchholz und habe Weber gelernt. Damals gab es nicht viel zu essen. Der Bergbau im Erzgebirge war sehr groß, da ihn die Russen damals gefördert haben und da gab es besondere Lebensmittelscheine. So bin ich nach meiner Lehre in den Bergbau gegangen und habe in der Zentralwerkstatt als Dreher gearbeitet. Später wurde die Zentralwerkstatt geschlossen und ich bin wieder in die Weberei gegangen.
Als ich schon lange erwachsen war und eine eigene Familie hatte, hat meine Mutter wieder geheiratet. Sie hatte schriftlich festgelegt, dass sie nicht an meinen Vater gesiegelt werden möchte, denn die Ehe war nicht so glücklich. Mein Vater war sehr jähzornig. Er hatte die tschechische Staatsangehörigkeit und war Mitglied unserer Kirche. Meine Mutter hätte nie außerhalb der Kirche geheiratet. Es kam die Frage auf, an wen sich mein Bruder und ich siegeln lassen sollen. Da uns unsere Mutter aufgezogen hat, so haben wir uns an unseren Stiefvater und unserer Mutter siegeln lassen.
Nachdem meine Eltern auseinander waren, hatten wir keinen Kontakt mehr zu meinem Vater. Da mein Bruder auch im Bergbau unter Tage gearbeitet hat, haben sie eines Tages durch den Lautsprecher gesagt: „Herr Ihln soll sich im Büro melden.“ Mein Bruder ist ins Büro gegangen und es kam noch ein Herr Ihln rein. Das war mein Vater. Er hat meinen Bruder angeschaut und hat gesagt: „Du bist doch nicht etwa der Manfred?“ Da haben sie sich erst wieder kennengelernt. Mein Vater hat meinen Bruder zu sich und zu seiner Frau eingeladen und fragte: „Was macht der Arndt? Bringe ihn mit. So haben wir mit der Genehmigung unserer Mutter unseren Vater besucht. Mein Vater hat zu dieser Zeit die Kirche nicht besucht. Später ist er mit seiner Familie nach Leipzig gezogen und hat dort die Kirche besucht.
Meine Mutter ist durch ihre Großmutter zur Kirche gekommen. Sie schrieb in ihrer Lebensgeschichte: „Mein Vater war 1914 im Krieg. Meine Mutter war mit uns vier Kindern alleine. Sie gingen zu einem Fotografen, um dem Vater ein Familienbild zu schicken. Der Fotograf, Bruder Krämer, erzählte ihr von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und lud sie zu den Gottesdiensten ein. Als sie zu den Gottesdiensten kamen, waren auch Missionare da. Sie lud sie zum Essen ein. Meine Großmutter wurde im Februar 1920 getauft. Es war Winter und bei eisiger Kälte musste der Fluss vom Eis befreit werden. Im gleichen Jahr, also 1920, wurde auch meine Mutter im Alter von vierzehn Jahren getauft.“
Da es zu der Zeit als ich ca. 14 Jahre alt war, 1945, kaum etwas zu essen gab, schickte die Kirche aus den USA Lebensmittel. Ein großer Teil dieser Lebensmittel musste für die Regierung abgezweigt werden. Einen Teil konnten wir als Mitglieder behalten. Es gab auch sehr viele Kleiderspenden. Woran wir uns ganz besonders erinnern können, waren diese kleinen Säckchen mit Weizenschrot. Wir waren dafür so dankbar. Auch viele Pfirsichdosen gab es. Das alles hat uns sehr geholfen, so dass wir die Nachkriegszeit gut überleben konnten. Der Gemeindepräsident hatte ein Komitee berufen und die Brüder haben Listen erstellt, wer was bekam. Wir konnten abends zur Gemeinde gehen und diese Lebensmittel abholen.
1951, im Alter von zwanzig Jahren, bin ich auf Mission, d.h. in die ostdeutsche Mission gegangen. Ich hatte mit der SED keine Schwierigkeiten. Man hat uns eigentlich in Ruhe gelassen. Damals bin ich mit dem Zug zwölf Stunden von Annaberg nach Berlin gefahren. Präsident Arthur Glaus war damals Missionspräsident der Ostdeutschen Mission. Er hat mich in West-Berlin als Missionar eingesetzt. Eine Nacht habe ich im Gemeindeheim übernachtet. Am anderen Tag bin ich mit der Bahn Richtung Weimar gefahren. Mein erstes Arbeitsfeld war Weimar in Thüringen. Mein erster Mitarbeiter war Bruder Erhard Jelitto. Dann bin ich nach Pößneck in Thüringen gekommen, dort war ich Gemeindepräsident. Dann war ich in Gera und danach bin ich im März 1953 nach Mecklenburg in die Gemeinde Prenzlau versetzt worden. Dort habe ich eine Zeit bei Geschwister Walter Krause gewohnt. Am Gemeindeheim hinten angebaut war ein kleines Zimmer, das man mir als Missionar eingeräumt hatte. Da ich damals keinen Mitarbeiter hatte, weil sie keinen gefunden hatten, war ich für fünf Monate alleine in Prenzlau. Bruder Krause war mein Distriktspräsident und hat mich als reisenden Missionar berufen. Von dort aus habe ich die einzelnen Gemeinden besucht. Wenn irgendwo etwas zu tun war, habe ich geholfen. Bruder Krause sagte: „Bruder Ihln fahren sie nach Neubrandenburg zu Bruder Kurt Meyer und helfen sie dort beim Fischen.“ Bruder Meyer war Fischermeister auf dem Camminer See und anderen Gewässern der Umgebung. Morgens um vier Uhr sind wir rausgefahren und haben gefischt. Zwei oder drei Tage bin ich dortgeblieben und dann bin ich wieder zur nächsten Gemeinde gefahren. Später dann sagte Bruder Krause, das ich nach Rostock zu Geschwister Walter Ruthenberg fahren sollte, da ich dort wohnen könne.
In Rostock habe ich den 17. Juni 1953 miterlebt, als die Russen mit den Panzern reinfuhren. Bruder Krause hat uns ganz schnell gesagt, dass wir zu Hause bleiben und nicht mehr auf die Straße gehen sollen. Als das wieder besser wurde, war der Bruder, der in der Gemeinde Warnemünde Gemeindepräsident war, nach West-Deutschland gegangen. Bruder Krause sagte, ob es nicht möglich wäre, runter zu fahren, um einige Sachen aus der Gemeinde zu holen. Als ich zum Gemeindehaus kam, war es versiegelt. Ich konnte nicht rein. Da ich mich aber auskannte, bin ich zur Hintertür reingegangen. Ich habe einige Stühle und die ganzen Unterlagen rausgeholt und sie in einem kleinen Wagen, den ich mit Fahrer gemietet hatte, nach Rostock gefahren. Ein paar Tage später sagte der Gemeindepräsident, Bruder Rutenberg: „Bruder Ihln, fahren sie doch noch einmal runter ins Gemeindeheim, ich habe dort noch ein paar persönliche Dinge.“ Eigentlich hatte ich ein ungutes Gefühl, aber ich sagte: „Gut!“ Er meinte, dass sei ihm wichtig, er wolle die Sachen gerne haben. Natürlich bin ich runtergefahren. Als ich an das Gemeindeheim kam, haben sie mich verhaftet. Die Kriminalpolizei hat mich mit auf die russische Kommandantur genommen. Ich habe dort eine ganze Nacht verbracht. Ich hatte noch keinen Mitarbeiter, ich war ganz alleine. Morgens vier Uhr kam ein Mann rein und sagte: „Hören sie mal, kommen sie einmal mit. Hier können sie nicht bleiben. Das ist hier viel zu gefährlich. Ich habe gehört, sie sollen nach Sibirien kommen, denn sie sind in einer amerikanischen Kirche.“ Ich hatte mich als Missionar vorgestellt. Er hat mich mitgenommen und hat mich morgens fünf Uhr zum Bus gebracht. Halb fünf kamen die ersten Busse, die wieder von Warnemünde nach Rostock fuhren. Er sagte: „Ich warte, bis sie eingestiegen sind.“ Ich bin eingestiegen und wieder nach Rostock zurück gefahren. Das war mein spezielles Erlebnis in Warnemünde.
In Wolgast hatten sie noch kein Gemeindehaus. Bruder Krause hatte eine große Offiziersbaracke gekauft und die Teile davon lagen in Rostock im Hafen. Bruder Krause sagte zu mir: „Bruder Ihln, versuchen sie diese Teile nach Wolgast zu bekommen.“ Ich bin zum Hafen gegangen, habe mir Arbeiter ausgeliehen und bei der Eisenbahn habe ich mir einen Waggon geliehen. Bruder Krause hat mir das alles bezahlt. Dann habe ich mir einen Lastwagen mit Fahrer besorgt und wir haben die großen Teile von dieser Offiziersbaracke auf das Auto geladen, in den Waggon geschafft und nach Wolgast gebracht. Dort haben wir die Baracke aufgebaut. Bruder Krause war Zimmermann. Wolgast hat dann diese jahrelang als Gemeindeheim gehabt.
Im August 1953 bekam ich einen Mitarbeiter namens Bruder Werner Baumgart und wurde als Gemeindepräsident der Gemeinde Rostock berufen. Am 4. Jan. 1954 wurde ich nach Döbeln in Sachsen versetzt und wurde dort als Gemeindepräsident der Gemeinde Döbeln berufen und bekam als Mitarbeiter Bruder Helmut Schulz. Döbeln war meine letzte Gemeinde in der ich als Missionar tätig war. Im Juni 1954 hatten wir eine Missionsversammlung in West Berlin, wo ich vom Missionspräsidenten Herold L. Gregory als Vollzeitmissionar nach fast drei Jahren ehrenvoll entlassen wurde.
Der Gemeindepräsident von meiner Heimatgemeinde Annaberg-Buchholz, Bruder Willi Schramm, hat damals schon auf mich gewartet. Ich wurde als Gemeindepräsident der Gemeinde Blauenthal eingesetzt. Das große Flüchtlingslager damals in Wolfsgrün wurde aufgelöst und die Geschwister, die noch übrig geblieben waren, haben dann in Blauenthal gewohnt. Dort haben wir ein Gemeindeheim gemietet und ich war Gemeindepräsident. Sonntagmorgens um vier Uhr bin ich oft mit der Eisenbahn nach Blauenthal gefahren und kam halb acht dort an. Neun Uhr haben wir unseren Gottesdienst gehabt. Ich habe zwei Jahre in Blauenthal gearbeitet. Wir waren ungefähr fünfundzwanzig bis dreißig Mitglieder. Viele Mitglieder sind nach West-Deutschland ausgewandert.
In der DDR mussten wir jede Versammlung anmelden. Wir mussten mitteilen, wer die Ansprachen zu welchem Thema hält, und wer das Gebet spricht. Wir mussten damit zur Kommandantur gehen und das genehmigen lassen. Dann konnten wir unsere Gottesdienste abhalten. Wir durften aber keine Literatur von West-Deutschland haben. Damals wurden die Leitfäden mit der Hand abgeschrieben und das haben wir benutzt. Allgemein haben sie uns wenige Schwierigkeiten gemacht, wenn wir uns entsprechend verhalten haben.
Der Vater meiner heutigen Frau war zu der Zeit Distriktspräsident und wohnte in Chemnitz. Meine Frau war damals für die Jungen Damen im Distrikt zuständig. Ich habe am Monatsende immer die Berichte zu ihren Vater gebracht. So habe ich seine Tochter von Zeit zu Zeit einmal gesehen. Habe mir aber keine Gedanken darüber gemacht. Bruder Henry Burkhardt, der für die Mission zuständig war sagte zu mir: Bruder Ihln, wenn sie von Mission zurückkommen, gehen sie einmal in Chemnitz ins Theater.
Ich dachte mir, dass ich das einmal mache. So habe ich den Vater meiner heutigen Frau gebeten, dass er mir Theaterkarten besorge. Er hatte zwei Theaterkarten gekauft, und teilte mir mit, dass er selbst nicht mitgehen könne, aber seine Tochter bitten werde mitzugehen. Ich sagte, das sei mir egal. Sie war aber gar nicht so begeistert.
Sie sagte, dass sie doch nicht mit einem jungen Mann ins Theater gehen wolle. Ich kann mich noch entsinnen, dass sie ihre höchsten Schuhe angezogen hatte und wir sind gemeinsam ins Theater gegangen. Da sie mich an Größe überragt, war der Größenunterschied umso deutlicher. Als das Theater zu Ende war, habe ich sie gefragt, ob ich ihr einmal schreiben dürfte. Sie hat zugesagt. So haben wir uns kennengelernt. Es hat ein Jahr gedauert, bis wir uns verlobt haben. Zur Verlobung haben wir festgelegt, dass wir am 12. Mai 1956 heiraten wollen. Zu dieser Zeit war ich noch immer Gemeindepräsident in Blauenthal. Diese Berufung hatte ich, bis ich nach West-Deutschland gegangen bin.
Als wir verheiratet waren, habe ich noch in Annaberg gewohnt und meine Frau in Chemnitz. Wir hatten noch keine gemeinsame Wohnung. Für eine kurze Zeit war es den Mitglieder in der DDR möglich über Frankfurt am Main zum Tempel in die Schweiz zu fahren. Auf der Polizeistelle in Frankfurt gaben wir unseren DDR Reisepass ab und haben einen westdeutschen Reisepass bekommen. Damit sind wir in die Schweiz gefahren. Das war im Oktober 1956. In Zollikofen sind wir aneinander gesiegelt worden. Als wir wieder zurück nach Frankfurt gefahren sind, haben wir den Pass von der Bundesrepublik wieder abgegeben und haben unseren DDR-Pass bekommen. Bevor ich wieder zurückgefahren bin, habe ich ein paar Tage bei Geschwistern gewohnt. Sie haben mir vorgeschlagen, dass ich bleiben solle. Das habe ich meiner Frau gesagt, die darüber gar nicht glücklich war. Ich sagte ihr: „Ich glaube, ich bleibe hier.“ Ich bin geblieben. Meine Frau ist mit Geschwistern aus ihrer Gemeinde nach Hause gefahren. Ich habe ihr einen Brief geschrieben und ihr mitgeteilt, dass ich hier in Essen eine Wohnung hätte, wenn sie aber nicht kommen möchte, komme ich wieder zurück.
Ich habe damals meine Einreise nach Westdeutschland in Annaberg beantragt. Meine Frau in Chemnitz. Da sie wieder zurück nach Chemnitz gefahren ist, hat sie später nochmals einen Antrag für eine Reise nach Westdeutschland zu ihren Bruder nach Oberhausen gestellt. Er wurde genehmigt, denn man konnte sich damals gegenseitig besuchen. Da viele aus Ostdeutschland Verwandte in Westdeutschland besuchten, hatte man keinen Überblick, wer schon einmal einen Antrag gestellt hatte. Da hat meine Frau Glück gehabt, sie hätte sonst kein zweites Mal eine Genehmigung bekommen.
Als ich 1954 von der Mission zurückgekommen bin, habe ich eine kleine Reise durch die einzelnen Gemeinden gemacht. In Annaberg zurückgekehrt bin ich am anderen Tag zu meiner Firma gegangen, bei der ich vorher gearbeitet habe, und habe gefragt, ob ich wieder bei ihnen anfangen kann. Sie haben gesagt, dass ich sofort anfangen könne. Der Betriebsleiter war ein Schulkollege von mir, wir kannten uns. Ich bin dann zur Arbeit gegangen. Das ist mir sehr schwer gefallen, weil ich drei Schichten arbeiten musste. Morgens musste man stempeln und dann konnte man nicht mehr raus. Da wir als Mormonen die besten Arbeiter sein sollen, habe ich mich sehr engagiert in der Firma. Ich wurde als Brigadier berufen und hatte zehn Frauen unter mir. Jede Woche einmal musste ich eine politische Versammlung abhalten, mit dem Thema: Der Unterschied zwischen Kapitalismus und dem Sozialismus in der DDR, unserem Arbeiter- und Bauernstaat. Es sollte herausgestellt werden wie gut wir als Arbeiter- und Bauernstaat arbeiten, so dass wir bald West-Deutschland überholen werden.
Die Zehntengelder mussten wir nach West-Berlin bringen. Bruder Lothar Flade, der später auch einmal Missionspräsident in Frankfurt war, hatte damals die Zehntengelder nach West-Berlin gebracht. Er bat mich, mitzukommen. Da habe ich den Unterschied zwischen West-Deutschland und Ost-Deutschland gesehen. Bei uns gab es noch Lebensmittelmarken und in West-Deutschland gab es beinahe alles zu kaufen. Da habe ich bei mir gedacht, dass kann es doch nicht sein und ich habe mich entschieden nach West Deutschland zu gehen. Von seitens der Kirchenleitung sollten wir in Ostdeutschland bleiben und die Gemeinden aufbauen.
Ich habe erst eine Zeitlang in Frankfurt gewohnt. Wer Arbeit hatte, der bekam eine Wohnung. Wer keine Wohnung hatte, bekam auch keine Arbeit. Damals war es schwierig eine Arbeit zu bekommen. Ich bin in Frankfurt auf das Arbeitsamt gegangen. Sie haben mich zur Reichsbahn geschickt, dort sollte ich arbeiten. Sie haben jemanden gesucht, der die Schienen abgeht. Dann habe ich auch ein Zimmer bekommen. Als ich der Vermieterin gesagt habe, dass meine Frau nachkommt, sagte sie: „Herr Ihln, ich habe im Vertrag festgelegt, wenn sie in dieser Wohnung Kinder bekommen, müssen sie sofort ausziehen. Ich wünsche nicht, dass in dieser Wohnung Kinder kommen.“ Meine Frau war schwanger und so musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Ich bin zum Missionspräsidenten, Bruder Dyer, gegangen und habe ihm das gesagt und gefragt: „Was soll ich tun?“ Er sagte: „Kein Problem, ich habe gehört, dass in München ein Hausmeisterehepaar nach Amerika ausgewandert sei, und auch in Essen sei das Hausmeisterehepaar nach Amerika ausgewandert. In beiden Orten suchen sie einen Hausmeister. Wenn sie Interesse haben, könnten sie entweder nach München oder nach Essen gehen.“ Jetzt habe ich mir gedacht, dass in Essen der Bergbau sehr stark ist. Da werde ich bestimmt Arbeit finden, zumal ich ja schon im Bergbau gearbeitet hatte. Vielleicht habe ich Glück, dass ich da eine Arbeit bekomme.
Er hat mir zwanzig D-Mark für das Fahrgeld nach Essen gegeben. Ich wollte es ihm wieder zurückzahlen, wenn ich Arbeit habe. Aber er wollte das nicht, das sei in Ordnung, ich solle versuchen, dort Arbeit zu bekommen. In Essen habe ich mich beim Gemeindepräsident, Bruder Nietz, gemeldet. Er sagte, dass sie jemanden suchen. Er ist mit mir zum Gemeindeheim gegangen und hat gesagt: „Sie können hier als Hausmeister arbeiten. Sie wohnen miet- und heizungskostenfrei, aber alles andere müssen Sie bezahlen.“ Die Hausmeisterwohnung bestand aus zwei kleinen Zimmern. Da hatte ich schon einmal eine Unterkunft, wenn meine Frau kommt.
Man sagte mir, dass im Kaufhaus Karstadt ein Elektriker gesucht werde. Ich ging zu Arbeitsamt und wurde gefragt, ob ich etwas von Elektrik verstehe. Als Elektriker zu arbeiten war schon immer mein Wunsch. Ich sagte ja und bekam einen Arbeitsschein. Damit bin ich zum Kaufhaus Karstadt gegangen und habe gesagt: „Das Arbeitsamt schickt mich.“ Sie haben mich als Aushilfe eingestellt. Ich habe mich hochgearbeitet bis in die technische Leitung. So habe ich achtunddreißig Jahre in dieser Firma gearbeitet.
In der Gemeinde Essen wurde ich als Ratgeber zum Gemeindepräsidenten Bruder Nietz berufen.
Zu dem damaligen Ältesten- Kollegium im Rhein-Ruhr-Distrikt gehörten die Gemeinden von Köln bis Bielefeld. Ich diente unter den Ältestenkollegiumspräsidenten Bruder Wolferts, Bruder Dr. Hämisch sowie Bruder Busche als Ratgeber. Zur Gründung des Pfahles Dortmund 1976 wurde ich von Präsident Thomas S. Monson zum Siebziger ordiniert. Im Jahr 1981 wurde die Gemeinde Essen geteilt und ich wurde als Bischof der Gemeinde Gelsenkirchen eingesetzt. Nach meiner Entlassung als Bischof wurde ich in der Deutschland – Düsseldorf – Mission als Ratgeber zum Missionspräsidenten Glade F. Howell berufen. Im Mai 2000 wurde mir von Dallin H. Oaks die Sieglungsvollmacht für den Frankfurt Tempel übertragen.
Lieber Brd. Ihln,
meine Name ist Karl Köcher, geboren 1949 in Berlin, Mitglied unserer Kirche und bin im Internet auf Ihren sehr interessanten Lebens- und Kirchenbericht gestoßen.
Ich wohne in Berlin und habe als Projekt der Sonntagschule vorgeschlagen, einen Geschichtsbericht unserer Gemeinde Glienicke im Pfahl Berlin von 1949 bis 2015, unter dem Titel „65 Jahre Mormonen im Norden von Berlin“ zu verfassen. Derzeit trage ich alle möglichen Erinnerungen und Bilder von Zeitzeugen zusammen.
Ich bitte daher um Erlaubnis, aus Ihren niedergeschriebenen Dartsellungen auszugweise zitieren zu dürfen.
Sie können mich bei Rückfragen unter 030 430 93 889 erreichen.
Mit freundlichen Grüßen
Brd. K. Köcher