Chemnitz, Sachsen
Mein Name ist Erika Ihln geborene Heidler. Ich wurde am 26 September 1926 in Chemnitz in Sachsen geboren. Meine Eltern Emil Heidler und Marie Gleisberg waren Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Sie haben sich innerhalb der Kirche kennen gelernt. Mein Vater diente im ersten Weltkrieg von 1914 – 1918 für ein Jahr im österreichischen Heer. Als er 1918 aus dem Krieg zurückkam, schrieb er in sein Tagebuch etwa folgendes: Seitdem ich vom Heer entlassen bin, besuche ich regelmäßig die Versammlungen der Kirche Jesu Christi. Da hab ich schon viele schöne Stunden verlebt. Ich hab mich immer bemüht, nach den Gesetzen meines Vaters im Himmel zu leben und ich werde mich auch fernerhin bemühen, ein meinem Vater im Himmel wohlgefälliges Leben zu führen. Er ließ sich am 24 Mai 1919 taufen. Von seiner Familie war er der Einzige, der sich der Kirche anschloss. Seine Schwester Kamilla ging auch mit ihm zur Kirche, ließ sich aber nicht taufen.
Meine Mutter, Marie Gleisberg, hat in Chemnitz bei einem Professor als Hausmädchen gearbeitet. Sie wohnte in einem kleinen Zimmer auf dem Dachboden. Im Nebenzimmer wohnte ein junges Mädchen, das ein Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage war. Meine Mutter erzählte uns, dass sie sich oft vor dem Schlafen über die Lehren der Kirche mit ihr unterhalten habe. Meine Mutter war für das, was sie da hörte sehr aufnahmebereit. Sie ließ sich am 13 März 1914 taufen.
So lernten sich meine Eltern in der Kirche kennen. Sie heirateten am 24 Juli 1926 in Chemnitz in Sachsen Ich hatte noch vier Geschwister. Mein Bruder Hans wurde zum Militärdienst eingezogen und ist im Krieg gefallen. Meine Schwester Elfriede und meine beiden Brüder Helmut und Herbert haben innerhalb der Kirche geheiratet. Meine Schwester Elfriede und mein Bruder Helmut sind schon verstorben. Mein Bruder Herbert wohnt in Leipzig.
Ich hatte eine wunderschöne Kindheit. Meine Eltern hatten einem großen Garten, wo sie Gemüse anbauten. Es gab Sträucher mit Beeren sowie ein großes Stück Land wo Kartoffeln angebaut wurden. Wir Kinder hatten eine Schaukel und ein kleines Schwimmbad. Dort wurden später die Taufen durchgeführt. Es wurde immer gewartet bis mehrere Personen bereit waren sich taufen zu lassen. Bevor die Taufen in unserem Garten stattfanden wurde immer in dem Fluss Chemnitz an einer besonders tiefen Stelle getauft. Als die Brüder wieder taufen wollten, war ein dicker Drahtzaum um unsere Taufstelle gezogen. Nach einer kurzen Beratung wurde beschlossen, in unseren Garten zu gehen. Dort wurde aus einem tiefen Brunnen im Garten Wasser gepumpt und mit Eimern zu dem Schwimmbad getragen bis es so voll war, das getauft werden konnte. So wurde ich als erste mit 8 Jahren am 27 Aug 1937 darin getauft. Von dieser Zeit an fanden die Taufen immer in unserem Garten statt.
In Chemnitz gab es vor dem Krieg drei Gemeinden. Später wurden die Geschwister auf zwei Gemeinden aufgeteilt. Im Krieg wurde das eine Gemeindehaus von Bomben zerstört. So mussten alle Geschwister das eine Gemeindeheim, welches kleiner war, mit benutzen. Viele Geschwister sind im Bombenhagel umgekommen oder wurden in ihren Häusern verschüttet. Dadurch dass zwei Gemeinden dasselbe Gemeindeheim benutzten, hatte die eine Gemeinde ihre Gottesdienste am Vormittag, die andere am Nachmittag.
Ich war 11 Jahre alt als der Krieg ausbrach. Zu dieser Zeit konnten wir unsere Versammlungen in den Gemeindehäusern ohne Schwierigkeiten und wie gewohnt abhalten. Viele unserer jungen Brüder wurden zum Militärdienst eingezogen. Auch meine zwei Brüder waren dabei. Mein Vater wurde auch zur Wehrmacht einberufen, kam aber nicht an die Front, sondern an einen Militärstützpunkt in Halle. Mein Bruder Hans ist zwischen Bautzen und Görlitz 14 Tage vor Kriegsende gefallen. Er war beim Arbeitsdienst und hatte keine militärische Ausbildung. Kurz vor Ende des Krieges wurden alle jungen Männer noch an die Front geschickt. Es sind viele gefallen. So ist auch mein Bruder gefallen. Ein junger Mann der in Chemnitz wohnte und ihn kannte, hat gesehen wie er zu Tode kam und hat ihn beerdigt. Er hat meinen Eltern die Nachricht überbracht als er zurückkam. Meine Eltern haben von den Behörden nie Bescheid bekommen. So waren sie dankbar, dass sie erfahren haben, wie ihr Sohn verstorben ist und dass er beerdigt wurde.
Unter Hitler mussten wir, als wir nach acht Jahren unsre Schulzeit beendet hatten, ein Pflichtjahr leisten. So habe ich nach meinem Volksschulabschluss bei einem Bäcker gearbeitet. Da hatte ich ein kleines Zimmer in dem ich wohnte. Das war schön, denn es gab damals nicht so viel zu essen. Ich durfte Brötchen essen und habe auch selbst für mich Kuchen gebacken. Der Bäckermeister wurde aber dann zu Militär eingezogen und schloss die Bäckerei. So konnte ich dort nicht weiterarbeiten.
Eine Frau Hornbogen, die in dieser Bäckerei einkaufte, lebte in einem großen Haus. Sie fragte mich, ob ich zu ihr kommen wolle, sie wollten mich als Haushaltshilfe haben. Meine Eltern waren damit einverstanden. Auf dem Dachboden hatte ich ein kleines Zimmer. Die Familie hatte drei Kinder. Die Eltern von Frau Hornbogen wohnten in Talheim und hatten eine Strumpffabrik. Nachts gab es oft Fliegeralarm, so dass man nicht schlafen konnte. Wir mussten in den Keller gehen um uns zu schützen. Wenn der Alarm vorbei war, habe ich das Haus kontrolliert, ob alles in Ordnung war.
Oft gab es auch tagsüber Fliegeralarm. Als ich nach dem Alarm durch das Haus ging habe ich in alle Zimmer geschaut. Nach dem ich die Schlafzimmertür im ersten Stock öffnete, sah ich wie eine Phosphorbombe ein Loch in den Fußboden gebrannt hatte und der Teppich brannte. Ich schlug das Feuer aus und ging eine Treppe höher, wo sich mein Zimmer befand. Überall standen Eimer mit Wasser und Behälter mit Sand. In einem Sandbehälter steckte noch eine Stabbrandbombe die sich noch nicht entzündet hatte. Ich habe sie einfach angefasst und aus dem geöffneten Fenster geworfen. Zum Glück ist diese Bombe nicht explodiert.
Ein anders Mal explodierte eine Sprengbombe im Vorgarten. Sie riss ein tiefes Loch in die Erde. Durch den Luftdruck gingen alle Fensterscheiben zu Bruch und die Erde aus dem Bombentrichter lag in den Räumen. Frau Hornbogen, die Kinder und ich liefen dann mit einem Handwagen und einigen Habseligkeiten ungefähr 15 Kilometer nach Talheim zu Frau Hornbogens Eltern, um dort für ein paar Tage zu bleiben. Nachdem Herr Hornbogen die Fenster mit Holzbrettern vernagelt hatte, sind wir wieder zurückgekommen. Da gab es keinen Strom und kein Wasser. Mit großen Töpfen im Handwagen haben wir vom Tankwagen das Wasser geholt. Wenn wir Brot holen wollten, mussten wir schon morgens um sechs beim Bäcker stehen. Dort war schon eine große Schlange und als wir dran waren, da gab es manchmal kein Brot mehr. Das war mühsam, aber es wurde dann doch schon besser
In einer Nacht, am 5. März 1945 wurde 90% von Chemnitz zerstört. Ich wohnte etwas außerhalb und wenn ich dann Richtung Stadt ging, um zu schauen, ob bei meinen Eltern alles in Ordnung war, da sah ich das große Ausmaß der Zerstörung. Mein Vater hatte auf dem Hof ein tiefes Loch gegraben und einen kleinen Bunker gebaut, wo er bei Fliegeralarm mit meiner Mutter hineingegangen ist. Sie fühlten sich darin sicherer als im Haus. Meine Eltern sind verschont geblieben und das Haus auch. Als der Krieg zu Ende war, war Chemnitz zerstört. Das war nicht so schön, weil viele Geschwister zu Tode gekommen waren. Mein Vater war damals Distriktspräsident und ist mit dem Rad überall hingefahren, wo die Geschwister wohnten. Er hat nachgesehen, ob sie noch am Leben sind. Wir waren jedes Mal traurig, wenn er wiederkam und sagte, dass nichts mehr übrig geblieben sei. Einige Mitglieder sind im Keller verschüttet worden als die Bomben kamen.
Die Familie Hornbogen wusste, dass ich Mitglied der Kirche war. Sie erlaubten mir die Sonntagschule und die Abendmahlsversammlung zu besuchen. Wenn wir bei Fliegeralarm im Keller Schutz suchten, sagte Frau Hornbogen: Erika bete doch einmal, bete doch einmal, damit wir beschützt sind. Wir hatten einen weiten Weg in die Gemeinde. Meine Mutter und ich sind morgens eine dreiviertel Stunde hin gelaufen und nach der Versammlung wieder zurück und nachmittags das Gleiche. Wir kannten es nicht anders und es war wunderschön. Wir sind durch den Stadtpark gelaufen. Wir haben keine Versammlung ausgelassen. Im Krieg bei der Verdunkelung gab es keine Straßenlaternen. Auch die Wohnungen mussten verdunkelt werden, wenn Fliegeralarm war, damit die Flieger kein Licht sehen konnten. Mein Vater war nicht da, der große Bruder war auch im Krieg und der kleine Bruder wohnte bei seinem Lehrmeister. Meine Mutter und ich gemeinsam zu den Versammlungen gegangen. Das war im Dunklen nicht einfach. Man sah nur die Bäume rechts und links. Das Gemeindeheim war ein bisschen außerhalb.
Als ich einmal mit meinem Bruder Herbert zur Chorstunde fuhr, hatten wir einen Straßenbahnunfall. Damals waren die Türen der Straßenbahn auf der Seite, an der man ein und ausstieg noch offen. Der Straßenbahnfahrer, der geradeaus fahren sollte, hatte die Weiche für den Linksabbieger nicht gesehen und ist mit vollem Tempo gefahren und die Straßenbahn ist aus der Weiche zur Seite gekippt. Ich fiel aus der Bahn und brach mir mein linkes Bein. Trotzdem bin ich noch zur Chorstunde gegangen. Ich hatte ein so dickes Bein, dass ich nicht mehr laufen konnte. Vier Wochen lag ich im Krankenhaus. Ich kam ins Krankenhaus auf ein Zimmer mit zehn Betten. Da man keinen Gips hatte, wurde das Bein nur geschient. Deshalb ist es schief zusammen gewachsen. Dadurch konnte ich nicht mehr knien. So musste ich bei Hornbogen aufhören zu arbeiten. Denn ich musste alle Fußböden im Knien sauber machen. Eine Bekannte hat in einer Strumpfappretur gearbeitet. Sie sagte, dass ich dort Arbeit finden könne, ich solle doch einmal hinkommen. So fing ich bei der Firma Herbert Schuhmann in einer Strumpflegerei in Altchemnitz an zu arbeiten. Mein Chef wusste, dass ich im Haushalt gearbeitet hatte. Manchmal rief er mich in seine Wohnung, die direkt nebenan war, um sauber zu machen. Dort machte ich Großputz, weil das Mädchen, das sie hatten, es nicht ganz schaffte. Ich war ganz froh, dass ich eine Abwechslung hatte. Im Grunde war es mir gleich, womit ich mein Geld verdiente.
Dann kam die Zeit, als mein Vater auf Mission ging. Ich habe nicht so sehr viel verdient. Mein Vater fragte mich, ob ich nicht eine andere Arbeit suchen wollte, bei der ich ein bisschen mehr verdiene. Aber mir gefiel es, wo ich war. Eines Tages rief mich der Chef, ich solle ins Büro kommen. Mein erster Gedanke war, ob ich etwas falsch gemacht habe. Er sagte mir, dass er mit meiner Arbeit zufrieden sei und dass er mir mehr Lohn geben wolle. Das war doch eine feine Sache. Ich habe mich sehr gefreut. Alles, was mein Vater gespart hatte, hat er mit auf Mission genommen. Mein Bruder und ich, wir mussten den Haushalt aufrechterhalten. Meine Mutter musste leben und wir auch. Das alles haben wir mit unserem Geld gemacht.
Unter dem Missionspräsidenten Walter Stover gab es 1948 in Berlin Grünewald eine Jugendtagung „Freud Echo „ genannt. Ich war zu dieser Zeit Hüterin der Bienen bei den Bienenkorbmädchen in unserer Gemeinde. Es gab drei Altersgruppen. Die Baubiene, Honigbiene und Wächterin des Schatzes. Mit den älteren Mädchen habe ich am Zeitlager teilgenommen .Wir hatten ein großes Zelt in dem wir schlafen konnten. Tagsüber gab es viele Aktivitäten. In Deutschland waren die Lebensmittel noch sehr knapp, besonders in der DDR. Ich kann mich noch erinnern, dass wir mittags einen Weizenbrei gegessen haben, der uns so gut geschmeckt hat. Er wurde von Lebensmittelspenden der Kirche aus Amerika gekocht. Wir hatten eine wunderschöne Zeit, die wir nie vergessen werden.
Meine beiden Brüder waren auch auf Mission. Mein Bruder Helmut in Mecklenburg bei Bruder Walter Krause und mein Bruder Herbert in Thüringen. Seine letzte Gemeinde in der er tätig war, war Leipzig. Als er von Mission entlassen wurde, hat ihn der Missionspräsident Bruder Henry Burkhardt als Gemeindepräsident der Gemeinde Leipzig berufen. Später hat er Schwester Helga Müller aus Dresden geheiratet. Mein Bruder Helmut hat nach seiner Mission Schwester Emmi Giermann aus Demmin geheiratet. Später sind sie nach Oberhausen in Nordrhein –Westfahlen gezogen.
Mein Vater war auf Mission sowie auch mein Mann und unsere drei Kinder. Mein Vater in Thüringen. Er war zuletzt Distriktspräsident in Thüringen. Mein Mann war in Thüringen, Mecklenburg und Sachsen. Unser Sohn Uwe in England Birmingham, unsere Tochter Elke in England London, unser Sohn Ralf in England Manchester Zum ersten Mal sah ich meinen späteren Mann als er Missionar in der Gemeinde Döbeln war. Ich war im Distrikt für die jungen Damen berufen und bin mit meiner Ratgeberin nach Döbeln zu einem Balladenabend gefahren. Präsident Burkhardt sowie Elder Sommer und Elder Ihln waren auch anwesend. Es war ein sehr schöner Abend. Als das Programm zu Ende war, fuhr kein Zug mehr nach Chemnitz. So habe ich mit meiner Ratgeberin auf Stühlen im Gemeindeheim geschlafen und wir sind mit dem ersten Zug zurück gefahren und vom Bahnhof aus zu Arbeit gegangen.
Ich hatte mich in der Firma Schuhmann gut eingearbeitet. Die Direktriese in dieser Abteilung war eine ältere Dame, die gerne aufhören wollte zu arbeiten. Da hat der Chef mir diese Stelle übertragen. So habe ich die Ware ausgegeben und die Löhne eingerechnet. Ich war morgens als erste in der Firma und schloss die Räume auf und ging abends erst nach Hause, wenn alle anderen gegangen waren. Die Arbeit machte mir viel Freude. Ich verließ die Firma, als ich 1956 nach Westdeutschland ging.
Nun kam die Zeit, wo ich meinen späteren Mann Bruder Ihln näher kennen lernte. Als Bruder Ihln von seiner Mission entlassen war, schlug der Missionspräsident Bruder Burkhardt ihm vor, einmal nach Chemnitz ins Opernhaus zu gehen. Da Bruder Ihln in Annaberg wohnte, bat er meinen Vater, ob er ihm Theaterkarten besorgen könnte. Er besorgte 2 Karten und da er selber nicht mitgehen konnte, bat er mich mitzugehen. Es wurden die Meistersänger von Nürnberg aufgeführt. Eine Woche später fand unsere Distriktskonferenz in Chemnitz statt. So kam Bruder Ihln wieder nach Chemnitz. Als er mich sah, fragte er mich, ob er mir auch einmal schreiben darf. Ich war damit einverstanden. Von da an hat er mich öfters besucht. Zu dieser Zeit hatten wir noch Sonntagmorgens und abends Versammlungen. So bin ich auch ab und zu nach Annaberg gefahren oder mit ihm nach Blauental, da er Gemeindepräsident in der Gemeinde Blauental war. Nach einem Jahr haben wir uns verlobt und den Termin für die Hochzeit festgelegt. So haben wir im Mai 1956 geheiratet.
Ich wollte so eine schöne Hochzeitsfeier im Gemeindeheim haben wie sie meine Schwester zu ihrer Hochzeit in der Gemeinde hatte. Aber unser Gemeindepräsident sagte, dass es in der Gemeinde keine Hochzeitsfeier mehr geben sollte, da wir jetzt in der Schweiz einen Tempel hätten. Wir haben dann zu Hause eine schöne Feier gemacht. Der Gemeindepräsident kam und der Chor ist gekommen und hat schöne Lieder gesungen. Wir sind zum Standesamt gefahren mit dem Taxi. Sein Opa und mein Vater waren unsere Trauzeugen. Als wir dann vom Standesamt gekommen sind, habe ich mir bei den Nachbarn oben mein Brautkleid angezogen. Es war ein Braukleid mit Schleier und die Kinder meiner Schwester waren meine Blumenkinder. Als ich die Treppe herunterkam, war da ein Bruder, der das Largo von Händel gespielt hat. Das war ganz feierlich.
Im Oktober 1956 hatten wir zum ersten Mal die Möglichkeit von der DDR aus über Frankfurt am Main in die Schweiz zum Tempel zu fahren. Wir haben unser erspartes Geld genommen und sind in die Schweiz gefahren. Für 100 Ostmark bekamen wir nur 20 Westmark .In Frankfurt auf der Polizei konnten wir unseren Interzonenpass, den wir in der DDR bekommen hatten, für die Einreise in die Schweiz in einen Ausweis der Bundesrepublik umtauschen. Den mussten wir aber bei der Rückreise wieder zurückgeben. Von Frankfurt aus sind wir mit der Bahn weiter in die Schweiz gefahren. Es war alles sehr aufregend für uns. In der DDR hatten wir noch Lebensmittelkarten und hier konnte man alles kaufen. Die Woche im Tempel mit so viel Neuem musste man erst verarbeiten. Eine Tempelherberge gab es damals noch nicht, so dass wir in einer privaten Unterkunft gewohnt haben. Wir waren sehr glücklich und dankbar, dass wir die Möglichkeit hatten gesiegelt zu werden. So wurden wir am 3. Okt. 1956 für Zeit und alle Ewigkeit gesiegelt. Mein Mann ist dann in Frankfurt geblieben und ich bin mit den anderen Geschwistern, die mit in der Schweiz waren, nach Chemnitz zurück gefahren.
Meine Eltern und meine Schwester waren sehr erstaunt, dass ich ohne meinen Mann nach Hause kam. Meine Mutter fragte mich: „Was ist los, du kommst alleine“ Ich habe ihnen dann ganz in Ruhe erzählt, dass mein Mann vorerst in Westdeutschland geblieben ist. Mein Vater sagte sofort „Das hätte ich auch getan, wenn ich noch jung wäre.“ Mein Mann hat mir dann einen Brief mit ungefähr folgendem Inhalt geschrieben. „Ich bin hier in Essen und habe im Gemeindeheim eine Hausmeisterstelle. Wenn du kommen möchtest, kannst du das gerne tun. Wenn du nicht kommen willst, komme ich wieder zurück.“ So habe ich mich entschlossen nach Essen zu fahren. Denn in der DDR gab es noch Lebensmittelkarten und in Westdeutschland konnte man schon alles kaufen. Ich hatte überlegt, dass wir unsere Kinder in Westdeutschland viel besser mit Lebensmitteln versorgen könnten. Vierzehn Tage später stellte ich dann nochmals einen Besuchsantrag nach Westdeutschland zu meinem Bruder, der in Oberhausen wohnte. Die DDR Behörden hatten keinen Überblick wer wann einen Antrag stellte, da damals ganz viele einen Antrag für einen Besuch nach Westdeutschland stellten. So bekam ich noch mal eine Genehmigung, was nicht üblich war. Bei der Kontrolle an der Grenze, die immer sehr genau war, hatte ich keine Schwierigkeiten. Ich war schwanger, was nicht zu übersehen war. Als ich in Essen auf dem Bahnhof ankam, hat mich mein Mann mit einem Bruder aus der Gemeinde, der ein Auto hatte, abgeholt.
Die Kirche hatte für die Gemeinde Essen eine große Offiziersbaracke gekauft, die als Gemeindehaus benutzt wurde. Als ich im Gemeindeheim ankam war gerade die GFV zu Ende. Viele Geschwister haben mich herzlich begrüßt und sich gefreut, dass sie jetzt wieder einen Hausmeister hatten. Zu unserer Wohnung gehörten zwei kleine Zimmer, die wir als Wohnküche und Schlafzimmer benutzten. Unsere Aufgabe war es, dass Haus sauber zu halten, den Garten zu pflegen und den Rasen zu mähen. Wir bekamen dafür kein Geld, hatten aber freies Wohnen. Die Baracke bestand neben unseren beiden Zimmern aus einem Vorraum, einer Garderobe und einer Kapelle sowie noch einem Zimmer, in dem die Missionare wohnten. Im Keller stand ein Gasherd auf dem ich kochen konnte. Ich kochte dann für die zwei Missionare mit.
Einmal hatte sich Apostel Romney angemeldet um das Haus zu besichtigen. Er kam mit dem Gemeindepräsidenten Bruder Nietz. Als er zur Gartentür herein kam, sah er unseren ca. drei Jahre alten Sohn Uwe, der im Garten spielte. Apostel Romney lief zu ihm hin, nahm ihn in den Arm und gab ihm ein Küsschen, denn er hatte ihn an seine Enkel erinnert. Wir haben sieben Jahre in diesem Haus gewohnt. In dieser Zeit (1957-1959) sind unsere drei Kinder geboren. Das Gemeindehaus mit Garten stand direkt am Bahndamm und war mit einem Zaun umgeben .So konnten die Kinder, als sie größer waren, ungestört spielen ohne gleich auf die Straße zu laufen. Da mein Mann arbeiten musste, hatte ich alle Hände voll zu tun. Ich hatte drei kleine Kinder zu versorgen, dass Gemeindehaus zu putzen und den Garten in Ordnung zu halten. Außerdem habe ich für die Kinder Sachen zum Anziehen gestrickt und genäht. Es hat mir auch Freude gemacht, denn ich hatte meine Kinder sehr lieb und war eine glückliche Mutter.
Eine Familie wurde getauft, welche eine Tochter im PV Alter hatte. Zwei von unseren Kindern waren auch im PV Alter. Ich wurde als PV Leiterin berufen. Viele Kinder aus der Nachbarschaft besuchten die PV. Mit meiner Ratgeberin habe ich ein großes PV Fest organisiert .Das hat allen Freude bereitet.
Ein wichtiges Ereignis war der Bau des neuen Gemeindehauses.1960 wurde an der Alfredstraße in Essen – Bredeney mit dem Bau des neuen Gemeindehaus begonnen. Die Geschwister der Gemeinde mussten zwanzig Prozent der Baukosten selbst aufbringen. Für die Bauausführung wurden damals keine Firmen beauftragt. Die Kirche berief einen Bruder aus Amerika als Bauleiter. Es wurden deutsche Brüder als Baumissionare berufen, die mit den Brüdern aus der Gemeinde gemeinsam arbeiteten. So wurde in drei Jahren das Gemeindehaus fertig gestellt. Jeder hat seinen Teil zur Finanzierung des Baus beigetragen. Wer kein Geld für eine Spende übrig hatte, der bekam vom Gemeindpräsidenten 50 DM als Startkapital, um damit zu arbeiten. So habe ich für 50 DM Wolle gekauft und dafür nach Auftrag und Maßanfertigung Jacken und Pullis sowie andere Teile gestrickt. So habe ich aus meinen 50 DM zweihundertfünfzig gemacht und konnte diesen Betrag zum Bau des Gemeindeheimes beisteuern.
In der Gemeinde und im Pfahl hatte ich viele Berufungen. Ich war PV Leiterin, Beauftragte für den Kindergarten, Lehrerin in der PV und Sonntagsschule sowie als Gesangsleiterin für die Musik zuständig. In der FHV war ich Ratgeberin sowie Sekretärin in der Pfahl FHV. Auch in der JD war ich als Ratgeberin berufen.
Ich singe gern und habe von meiner Jugend an im Gemeindechor mit gesungen. Die schönen Lieder, die in den Gemeinden und zu den Pfahlkonferenzen gesungen werden, haben mein Leben sehr bereichert. Ein besonderes Erlebnis war es für mich, als ich im Pfahlhaus Düsseldorf mit dem Pfahlchor eine Musik Kassette besungen habe. Unser Sohn Uwe hat auch mitgesungen. Bei der Aufnahme durften wir keine Schuhe anziehen, damit wir keine Geräusche machten. Wir hatten wunderbar gesungen und dann haben wir die Aufnahme abgehört. Leider war während der Aufnahme ein Flugzeug darüber geflogen und wir mussten es noch einmal singen. Später haben wir in der Tonhalle in Düsseldorf ein großes Chorkonzert gegeben, welches auf eine CD aufgenommen wurde. Bei der Weihung des Frankfurter Tempels 1987 hatte ich das Vorrecht, im Tempel im Chor mit zu singen. Das sind Erinnerungen die mir unvergesslich geblieben sind.