Königsberg, Ostpreußen

Mormon Deutsch Manfred KarpIch bin Manfred Karp und am 18.Februar 1942 in Königsberg/Ostpreußen geboren. Mein Vater Paul Karp, von Beruf Polizist, war in den Krieg eingezogen. Er war in Russland und kam am Kriegsende nach Sibirien in Gefangenschaft. So war meine Mutter Eva Karp allein, als Königsberg 1945 zerbombt wurde. Sie versorgte auch ihre kranke Mutter, Bertha Kilian, und ihre kranke Schwester Margarethe Kilian. Beide hatten Typhus.

In Königsberg war fast alles zertrümmert und es gab nichts mehr zu kaufen. Daher wollten alle so schnell wie möglich aus dieser Trümmerstadt fliehen. Es gingen auch Schiffe von Königsberg weg. Meine Mutter packte mich, ihr 2. Kind (das erste war verstorben) in den Kinderwagen und ein paar Habseligkeiten. Meine Oma und Tante waren so geschwächt, dass sie noch nicht einmal eine Handtasche tragen konnten.

Wir fuhren von Königsberg mit dem Schiff nach Swinemünde. Dort wurden wir ausgeladen und es hieß, wir könnten machen, was wir wollten. Es gab noch ein letztes Schiff, welches für Flüchtlinge nach Dänemark vorgesehen war. Alle anderen Schiffe waren bereits abgefahren. Dieses letzte Schiff war bereits völlig überfüllt. Die Situation war äußerst beunruhigend, aber meine Mutter verzweifelte nicht. Sie suchte den Kapitän auf und bat ihn, dass er uns doch noch mitnähme. Er hatte Mitleid mit ihr, besonders auch deshalb, weil sie schwanger war und ich mit meinen drei Jahren hilflos im Kinderwagen lag. Er sagte: „Sie können mit Ihrem Kind in meine Kabine kommen, ich nehme eine Offzierskabine. Aber Ihre Angehörigen müssen in den Mannschaftraum.“

Meine Mutter erzählte immer wieder von dieser Begebenheit mit dem Kapitän und wie viel Glück wir doch hatten. Jedes Mal habe ich gespürt, dass die Begegnung mit diesem Kapitän für meine Mutter ein ganz besonders tiefes Erlebnis war. Wir durften also noch mitfahren und hatten weiterhin Hilfe von oben. Die Ostsee, die wir überquerten, war voller Minen. Aber das Schiff konnte allen ausweichen, im Gegensatz zur „Gustloff“, die mit allen Passagieren sank. Wir kamen wohlbehalten in Kopenhagen an. Von dort wurden wir in ein Flüchtlingslager nach Allesø, Kreis Odense, gebracht, Es war ein Barackenlager mit Wanzen in den Strohsäcken, auf denen wir schliefen. Wir mussten aber nicht hungern. Es gab fast jeden Tag Eintopf, manchmal auch Fisch, besonders deshalb, weil meine Mutter im Lager half.

Das sind meine frühesten Kindheitserinnerungen. Ich konnte viel im Wald spielen, mit einer Fahrradfelge, die ich mit einem Stock vorwärts trieb. Wir spielten auch viel mit einem Kinderwagenuntergestell. Einmal war ich Kutscher, einmal Pferd.

Meine Tante starb bald in Dänemark an Typhus. Meine Mutter bekam auch Typhus, wurde aber, ebenso wie ihre Mutter, wieder gesund. Sie gebar dort im Lager meinen Bruder Burkhard. Wir blieben drei Jahre in Dänemark, bis 1948. Von dort sind wir nach Rheinland-Pfalz, nach Böhl, Landkreis Ludwigshafen am Rhein, weiter geflüchtet. Mein Vater kam 1950 als 70 % Kriegsbeschädigter aus der russischen Gefangenschaft zu uns. Er hatte einen schweren Leberschaden, an dem er 1955 mit 42 Jahren starb. Vorher bekam meine Mutter noch ihr viertes Kind, Jürgen. Meine Mutter pflegte ihre Mutter in Böhl bis sie starb.

Die Rente meiner Mutter war sehr klein. Sie verkaufte Schokolade von Haus zu Haus und fertigte für die Bauern Hüte und Mützen an. Als gelernte Hutmacherin konnte sie das aus alten Mänteln herstellen, denn es gab nach dem Krieg keine Stoffe. Ich habe als Junge oft für 20 Pfennig am Tag verschiedenen Bauern geholfen, z.B. im Frühjahr Kartoffeln legen und im Spätjahr lesen.

Eine besondere Freude war immer Heiligabend. Da gab es Kartoffelsalat und heiße Würstchen und ein paar Rippen Schokolade. Einen Weihnachtsbaum besorgte mein Vater. Er wurde mit Lametta und ein paar Kugeln geschmückt. An diesem Abend wurde auch der Sägmehlofen, den mein Vater aus einem Blechfass gebaut hatte, besonders gut angeheizt, sodass wir es warm hatten. Das war alles, was es zu Weihnachten gab. Da ich Weihnachtsgeschenke nicht kannte, habe ich auch nichts vermisst.

1965 habe ich meine Frau Doris geheiratet. 1972 habe ich mich, nach meiner Frau 1968, auch der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, angeschlossen. Wir hatten damals zwei Kinder, danach bekamen wir noch zwei Söhne. Die beiden älteren wurden 1973 im Schweizer Tempel an uns gesiegelt, die beiden jüngeren wurden im Bund geboren. Wir haben viel Freude an unseren vier Kindern und sieben Enkelkindern. Zurzeit warten wir auf das achte.

Meine Mutter ist heute 91 Jahre alt und für ihr Alter recht gesund. ich bin froh, dass sie bei uns im Hause leben kann. Ich bin dem Herrn sehr dankbar, dass der Kapitän ein weiches Herz für uns hatte und dass der Herr uns bis heute behütet und geführt hat und dass wir die Kirche kennenlernen konnten.