Waldburg, Schlesien

Mormon Deutsch Eva Lehnitzk Verheiratete KlunkerIch bin Eva Lehnitzk Verheiratete Klunker. Ich bin in Waldenburg in Schlesien geboren. Mit ein und halb Jahren, als meine Mutter starb, bin ich mit meiner Großtante nach Dresden gekommen, und dort bin ich aufgewachsen. Die Großtante – sie hieß Bertha Lehnitzk – hat mich später adoptiert; ich war ihr einziges Kind. Mein Adoptiv-Vater hieß Kurt Lehnitzk. Sie waren schon Mitglieder der Kirche seit 1920. Ich hatte eine schöne Kindheit in Dresden. Es war eine schöne Stadt; wir hatten schöne Gemeinden, eine in Neustadt und eine in Altstadt

Wir wohnten mitten in der Stadt, gleich neben der Frauenkirche. Zu der Zeit, wo der Krieg war, wurde alles natürlich schwieriger. Wie der Luftangriff anfing [13 Februar 1945], waren wir im öffentlichen Luftschutzraum, und zwar gegenüber von unserem Hause; das war das Albertinium – ein Museum. Wir mussten vielen Treppen hinunter in den Keller, wo es fast bombensicher war. So, wir waren eigentlich sehr geschützt in diesem Keller, aber wir hörten, wie die Flieger kamen, die uns bombardiert haben. Das war an einem Dienstagabend gegen, will ich sagen, 10 Uhr. Ich musste eigentlich ins Bett gehen, aber dann kam sofort Vollalarm und wir mussten sofort in diesen Luftschutzraum gegen. Wir waren nach diesem Angriff okay; wir mussten wieder raus und haben dann erst gesehen, was die Bomben angerichtet hatten.

Die Leute, automatisch, auch wenn sie früher nie gebetet haben, haben dort gebetet. Wenn man die Bomben hört, und die Einschläge und wenn der Boden wackelt, betet man garantiert. Da wird jeder Nichtgläubige, gläubig.

Nach dem ersten Angriff war unser Hause noch in Ordnung. Da war nichts zerstört; ich glaube, es waren ein paar Fensterscheiben kaputt. Ich war damals ein junges Mädchen, 15-16 Jahre alt, und wollte mit löschen gehen. Wir mussten löschen, weil einige Phosphorbomben geworfen waren, und in den Dächern waren einige Brände und da wollte ich mitgehen. Aber wir kamen nicht mehr dazu, denn der zweite Angriff kam. Und danach war Dresden vollkommen zerstört. Wir mussten im Keller bleiben bis zum anderen Morgen. Dann sahen wir, dass alles brannte.

Wir konnten nicht durch die Stadt; wir mussten unten nach der Elbe und sind an den Elbwiesen entlang bis nach dem Blauen Wunder – das ist eine Brücke, die über die Elbe geht, und weil die blau angestrichen war, nannte man sie das Blaue Wunder. Dann mussten wir über diese Brücke nach dem Schloss Pilnitz laufen. Wir hatten nichts weiter. Meine Mutter hatte eine Tasche mit ihren Papieren, die Urkunden, unsere Geburtsscheine, alle Papiere, die wir als wichtig bezeichneten. Auch Sparbücher hatte sie drin, und dann hatten wir einen Koffer für uns beide. Das ist, was wir mitnehmen oder, was wir tragen mussten. Und dann sind wir gelaufen, bis zum Schloss Pillnitz. Dort wurden wir dann aufgenommen, beköstigt, das heißt, da war eine Gulaschkanone, wo das Militär beköstigt wurde. Sie hatten dann uns eine Suppe gebracht.

Das Glück war, mein Vater war beim Militär, aber wir wussten gar nicht, wo er war. Und er war die ganze Nacht in dem Schloss, und hatte Verpflegung gebracht für alle die Flüchtlinge mit großen Lastwagen. Er wusste aber nicht, dass wir in der Schloss Küche waren, wo Stroh gelegt worden war, worauf wir schliefen. Eine Nachbarin von uns ging, um sich etwas zum Essen zu holen, und sie trafen meinen Vater. Da fragte er, wo wir waren, und er war natürlich glücklich und überrascht, dass wir gesund waren und dass wir da waren, wo er uns gleich finden konnte. Er brauchte nur die Treppe hinauf gehen und dort waren wir. Das war ein glücklicher Umstand; der Herr hat uns wirklich gesegnet, dass wir meinen Vater überhaupt fanden. Denn wir wussten gar nicht, wo wir ihn hätten erreichen können.

Er war dann in der Lage uns mit einem Lastwagon nach Pirna zu bringen. Wir sind dann bei Leuten in der Nähe von Plauen untergekommen. Er hatte uns dorthin gebracht, und wir sind einige Monate dort geblieben und waren dann gut aufgehoben. Aber wir wollten eigentlich wieder zurück nach Dresden. Uns wurde immer gesagt, dass wir nicht kommen durften. Es war alles zu heiß. Wir wollten in den Keller unseres Hauses, wo meine Mutter einige Sachen aufbewahrt hat. Die Sachen wollten wir natürlich haben, weil wir sonst nichts mehr hatten, absolut nichts – nur das, was wir auf dem Leibe hatten. Aber, wie gesagt, das durften wir nicht.

Und dann von da aus haben wir den Bombenangriff auf Plauen erlebt. [Das durfte am 10 April 1945 gewesen sein.] Am Himmel haben wir helle Lichter gesehen, die wir „Christbäume“ nannten, um die Stadt zu erhellen. Und danach haben sie die Bomben abgeworfen. Und das alles haben wir von weitem erlebt. Wir haben gesehen, wie Plauen brannte. Wo wir waren, war alles ruhig.

Ich wollte mit dem Zug zurück nach Dresden fahren um zu sehen, was dort noch stand. Aber dazu musste ich eine Fahrerlaubnis bekommen, welche ich nur in Plauen erhalten konnte. Aber wie sollte ich dorthin kommen? Da gab jemand mir ein Fahrrad. Ich war noch nie auf einem Fahrrad gewesen. Ich habe ein wenig geübt und bin dann losgefahren. In Plauen habe ich das Büro gefunden, wo ich die Erlaubnis bekam. Auf dem Rückweg bin ich durch den Wald gefahren, wo auch noch andere Leute waren. Da kam plötzlich ein Tief-Flieger Angriff auf uns und wir mussten uns ganz schnell in den Straßengraben werfen. Das Flugzeug kam die Straße entlang, und auf wen es geschossen hatte, der war gleich tot. So, das habe ich auch überstanden.

Nun konnten wir – meine Mutter und ich – mit der Genehmigung nach Dresden fahren. Und nach einigen Tagen waren wir wieder in Dresden und mussten sehen, dass in Dresden nichts mehr stand. Selbst von dem Albertinium, in welchem wir waren, war oben der Dachstuhl abgebrannt. Aber wegen der hohen Sandschicht über dem Keller wurde es ein „bombensicherer Luftschutzkeller“. In diesem Keller, in dem wir waren, befanden sich auch viele wertvolle Gegenstände, Statuen aus Stein, und vieles mehr.

Wir kamen dann zu unserem Haus und sahen, dass nichts mehr da war. Dann kamen wir in die Waschküche, die ausgebrannt, verschmutzt und voller Asche war. Wir fanden einen Koffer, den meine Mutter für den Notfall aufbewahrt hatte. Er war aufgebrochen in der Waschküche, wo er sonst nie gestanden hatte. Unter diesem Keller war ein Kohlenkeller, in welchem der Koffer eigentlich stand. Man hat ihn in die Waschküche gebracht und dort ausgeraubt. Es war auch eine Holzkiste mit Porzellan in diesem Keller die uns gehörte. Aber das Porzellan war alles zerbrochen. Ich konnte einige von unseren Bilder-Fotografien, welche die Leute auf den Schutt geworfen hatten retten Einige waren zusammengeklebt. Wie gesagt, das war für mich wichtig. Ich habe auch eine kleine Stand-Uhr gerettet. Das ist das alles, was wir von unserem Daheim gerettet haben.

Wir bekamen dann eine andere Wohnung. Die war vollkommen eingerichtet mit Bettwäsche, mit Geschirr, mit allem, was man brauchte. Da wurden wir einfach reingesetzt. Dort konnten wir wohnen. Wir wohnten mit einem Polizisten zusammen; er hatte sogar zwei Schäferhunde bei sich. Alles in einer Wohnung. Wir hatten zwei Zimmer und Küchenbenutzung. Auf jeden Fall hat es mir gefallen. Ich war jung. Ich habe damals nicht darüber nachgedacht, dass uns etwas verloren gegangen war.

Ja, und dann kamen die Russen, ganz plötzlich, über Nacht. Ich stand im Milch Geschäft und wollte Milch kaufen. Da kamen zwei Russen ins Geschäft. Wir wussten gar nicht, was sie wollten; wir verstanden kein russisch. Sie machten eine Bewegung, dass sie etwas trinken wollten. Da haben wir ihnen Töpfe hingereicht. Sie haben getrunken und dann waren sie wieder weg. Das war wunderbar; es war nichts passiert. Wir hatten solche Angst vor den Russen. Denn da fingen die Vergewaltigungen an.

Aber später haben die Russen uns nichts Weiteres getan. Während unserer Gottesdienste waren einige Russen da und haben uns beobachtet, ob wir irgendwelche Propaganda oder irgendwas von Amerika erzählten. Das taten wir natürlich nicht. Zions Lieder konnten wir natürlich nicht singen. Sie haben uns wenig verboten und in Ruhe gelassen. Auch vor dem Krieg hatten wir als Familie keine Probleme; wir hatten ein schönes Leben, uns hat nichts gefehlt und wir waren sehr glücklich.

Übrigens, das Gemeindehaus in Altstadt war auch vollkommen kaputt. Wir mussten dann nach Neustadt gehen. Ich kann mich nicht besinnen, aber ich denke, es fuhr irgendwann dann die Straßenbahn. Unser Pfahlpräsident war Bruder Hegewald, soweit ich mich entsinnen kann. Aber er wohnte nicht in Dresden. Wir hatten eine schöne Gemeinde. Durch alles, was wir durchgemacht haben, wuchsen wir zusammen. Wir waren wie eine große Familie. Es war zu dieser Zeit nur eine Gemeinde in Dresden Neustadt. Und zwar war sie oben in einer Kaserne. Die Versammlungsräume hat die Kirche gemietet, aber sie ließen uns in Frieden.

Nachdem die Kommunisten an die Macht kamen, wurde die Verpflegung schlechter. Es war nicht mehr so viel Essen da. Wir bekamen Lebensmittelkarten, worauf kleine Abschnitten waren für Brot, Fleisch, Milch usw. Jedes Mal 50 oder 100 Gram; ich denke, es war eine Marke für 500 Gram Brot. Alles andere waren kleinere Portionen. Im Monat gab es so und so viel, aber manchmal, wenn man in das Geschäft ging, gab es nichts. Wenn wir Kleidung brauchten, wurden dann Bezugscheine ausgegeben, für einen Mantel oder für ein Paar Schuhe. Da musste man sehen, wenn etwas da war, um es zu bekommen. Wenn nichts da war, hatte man Pech und musste warten bis zum nächsten Mal.

In der Zwischenzeit hatten wir von Amerika die Spenden bekommen – Lebensmittel und Kleidung. Es wurde doch damals geteilt. Unsere Kirche bekam so und so viel und die katholische Kirche bekam so und so viel. Da haben wir Schuhe von Amerika bekommen. Ich hatte ein schönes blaues Kostüm und eine rosa Pullover erhalten. Ich war so stolz darauf, aber ich hatte keine Schuhe. Es wurde überall in den Gemeinden gefragt, haben sie die und die Größe? Und Schuhe habe ich dann bekommen, aber sie waren so schmal. Ich kann mich besinnen, ich bin manchmal barfuß gegangen bis kurz vor die Gemeinde, weil meine Schuhe drückten und mir wehtaten. In der Gemeinde habe ich sie getragen aber sobald ich aus der Gemeinde herauskam, bin ich wieder barfuß gelaufen.

Wie gesagt, es gab nicht viel zu essen. Obst haben wir Jahrelang nicht gesehen. Aber es war genug zum Überleben. Ich denke, wer nicht direkt in der Stadt gewohnt hat, war etwas besser dran, denn der konnte ab und zu mal zu den Bauern gehen und konnte dann fragen, ob sie was geben konnten. Aber die Bauern sagten uns, sie könnten einen Kuhstall auslegen mit Teppichen, so viele Teppiche haben wir, Aber sie wollten uns nichts geben, weil wir nichts zum Tauschen hatten.

Einmal kam zu einer Konferenz Bruder Walter Stover und hatte für uns Essen mitgebracht. Und zwar hatte er Säcke mit Grütze und Dosen mit Pfirsichen. Das war eine Delikatesse. Das wurde dann in einer großen Küche gekocht, und das war unser Essen für die Konferenz. Wir kannten so etwas gar nicht. So, das war eine große Überraschung für uns. Es waren sehr viele Mitglieder da von Dresden und von der Umgebung. Es waren wenigstens 200 Personen.

Es waren zu dieser Zeit viele „Büchsen-Mormonen“; di zur Kirche gekommen sind, weil sie gehört hatten, dass wir Essen aus Amerika erhalten hatten. Viele sind dann weggeblieben, als es nichts mehr gab. Da hat man den Weizen von der Spreu getrennt .Aber Einige sind doch geblieben.

Wir sind dann von Dresden nach Berlin gezogen. Mein Vater hat uns dann nach Westdeutschland gebracht. Aber um dorthin zu kommen, brauchte er aber eine Ein oder Ausreise-Genehmigung und weil er Bauführer bei einer Baufirma war, hatte er das Glück, eine Genehmigung zu bekommen, mit der er noch zwei Begleiter mitnehmen konnte. Und diese waren meine Mutter und ich. So kamen wir mit dem Zug bis an die Grenze in die Nähe des Ortes Helmstedt. Und dann sind wir schwarz über die Grenze gelaufen; denn der Schein galt nur bis die Grenze und dort mussten wir aussteigen.

Da kamen Leute uns entgegen und wir fragten, ob wir noch im Osten waren. „O, ihr seid in Westdeutschland, geht mal gerade aus, da ist der Bahnhof.“ Wir konnten dort in einen Zug einsteigen und weiter nach dem Westen fahren. Das war dann unsere Freiheit. Im Ruhrgebiet, wo wir hinfuhren hatten wir Verwandtschaft und dorthin sind wir gefahren. Sie waren glücklich, uns zu sehen.

Mein Vater brachte uns dann nach Hamburg. Aber dort hatten wir keine Wohnung. Da war auch alles kaputt. In den Hausruinen hat man irgendwie die alten Steine abgeklopft und sauber gemacht, um sie wieder zu verarbeiten. So bauten wir uns einen Raum aus, in dem wir eine Weile gewohnt haben. Wir waren, schätze ich, nur ein paar Monate drin. Wir hatten kein Wasser, wir hatten nichts zu heizen; es muss nicht zu lange gewesen sein.

Mein Mann, der damals noch jung war, hat uns besucht und uns Äpfel von der Kirche gebracht. Dann kamen wir in ein Lager in Altona, in dem wir nur ein Zimmer hatten. Wir hatten einen elektrischen Anschluss zum Kochen. Wir bekamen dann einen Propankocher mit zwei Flammen. Auf dem konnten wir unser Essen zubereiten Die Toiletten und wo man sich duschen konnte waren ziemlich weit weg, wie es bei Soldaten der Fall ist. Es waren alles nur Baracken. Wir waren dort auch einige Monate.

Mein Mann und ich haben 1952 Geheiratet. Wir kannten uns schon von Dresden her. Er kam ab und zu dort zur Gemeinde. Wir haben uns bei Tanzabenden gesehen oder kennen gelernt, aber wir hatten noch keine nähere Beziehung zueinander. Er war ein Bruder der Gemeinde; das war alles. Aber ich kann es verraten – ich mochte ihn damals schon. Mit der Zeit sind wir uns dann näher gekommen.

In Hamburg waren mehrere Gemeinden. Wir waren in Altona, wo wir die Gemeinde besucht haben. Und dort haben wir auch geheiratet. Und dann ist die Familie gewachsen. Wir haben eine Tochter und vier Söhne.

Die Eltern meines Mannes wanderten in dieser Zeit – 1954 – nach Amerika aus. Sie hatten eine Wohnung, in der auch mein Mann vor unserer Heirat wohnte. Um ein Anrecht auf diese Wohnung zu bekommen, mussten wir ein Jahr mit meinen Schwiegereltern in dieser Wohnung wohnen, damit wir unberechtigt waren. Mein Mann hat auf dem Fußboden geschlafen, auf einer Matratze. Wir konnten keine Möbel groß stellen, Wir hatten nur einen Schrank und ein Bett. Als die Schwiegereltern wegfuhren, kriegten wir die Erlaubnis in dieser Wohnung zu bleiben. Meine Mutter war mit uns zusammen.