Mannheim, Baden-Württemberg
Ich heiße Karl Heinz Zepp und bin am 6. Juni 1924 in Mannheim geboren. Meine Mutter war Barbara Zepp. Sie hat später geheiratet und ich war in Pflege bei Pflegeeltern. Mit neun Jahren kam ich wieder nach Hause zu meiner Mutter. Ich habe dann die Schule besucht. Wir waren evangelisch. Bei meiner Konfirmation wusste ich noch nichts von anderen Kirchen. Das hat sich im Laufe der Zeit ergeben.
Ich habe den Bäcker-Beruf erlernt und meinen Gesellenbrief gemacht. Als der Krieg ausbrach, wurde ich eingezogen und wurde verwundet. Zu der Zeit war ich zwischen achtzehn und zwanzig Jahre alt.
Ich kam dann nach Seesen bei Hannover ins Lazarett. Dort hat man mich wieder einigermaßen hergestellt, wurde wieder zum Militär eingezogen und nach Russland geschickt. Vorher war ich schon dort und dann wieder. Dann begann der Rückmarsch. Wir sind über Tilsit in Deutschland weiter in den Westen gekommen, bis Königsberg. Dort wurde ich nochmals schwer verwundet, ich war schon fast begraben. Sie hatten keine Zeit mehr, zuzuschütten. Ich bin wieder aufgewacht und konnte das fast als Auferstehung bezeichnen. Auf dem Weg, den ich gegangen bin, waren die Russen eingegraben und sie ließen mich über den Steg laufen, den sie gebaut hatten, und haben mir nichts getan. Ich musste ungefähr zweihundert Meter gehen. Die ganze Gegend war vermint und ich bin nicht auf eine Mine getreten. Drüben habe ich nach dem Sanitäter gefragt und man hat mir erklärt, wenn ich noch ein Stück gehe, kommt die Schönstraße Nummer zehn. Ich kam dort hin und da wurde es mir schwarz vor den Augen und ich bin die Kellertreppe hinunter gefallen. Als ich wieder erwachte, war ich bereits operiert.
Der Krieg war fast zu Ende. Dann haben wir eine Hungerperiode mitgemacht. Das war damals in Marienburg, dort war auch eine Burg, die Marienburg hieß, auf der ungefähr zweihunderttausend Kriegsgefangene waren. Der größte Teil davon ist gestorben, verhungert.
Ich habe noch einmal Glück gehabt, denn ich bin durchgekommen. Dann waren wir sozusagen die Kriegsgefangenen, die überall herum geschoben wurden. Es waren fünf Städte, in denen wir Steine klopfen und andere, schwere Arbeiten verrichten mussten. Ich wurde wieder krank und hatte Hungerödem. Das Wasser kam zuerst von den Füßen herauf. Ich wurde wieder einigermaßen hergestellt, aber es hat nicht viel genützt. Nach einer gewissen Zeit kam das Wasser von oben runter. Dann hieß es, dass wir nach Hause kommen werden. Die Hoffnung hatten wir, es hat aber länger gedauert, als wir gedacht haben. Drei Jahre sind vergangen.
Als ich nach Hause kam, hatte ich das dritte Mal Wasser. Drei Mal habe ich das überstanden, während die anderen, die meisten von ihnen, nicht davon kamen. Ich habe mir immer wieder Gedanken darüber gemacht, warum das so gewesen ist. Zu Hause musste ich wieder hergestellt werden, ich war einhundert Prozent arbeitsunfähig. Meinen Beruf habe ich umsonst gelernt. Ich konnte darin nicht mehr arbeiten, weil ich die Hitze nicht mehr ertragen konnte. Trotzdem habe ich jede Arbeit angenommen. Damals habe ich sieben Reichsmark in der Woche erhalten. Damit konnte man nicht leben.
Als ich Arbeit hatte, musste ich nach Heidelberg kommen und wurde eingestuft. Da war ich nur noch fünfzig Prozent arbeitsunfähig. Als Kriegsbeschädigter habe ich etwas Rente bekommen, aber arbeiten habe ich trotzdem müssen.
Dann habe ich meine Frau kennengelernt. Wir haben uns geeinigt, dass wir heiraten wollten. Aber nur: „Wenn du in die Kirche gehst.“ Das habe ich dann auch gemacht. Ich habe mich taufen lassen. Mit der Zeit habe ich begriffen, wie wichtig es ist, die Gebote und die Gesetze in der Kirche kennenzulernen und ich habe es gut einzuschätzen gewusst. Ich habe mich daran gehalten. Ich habe nicht mehr geraucht und nie etwas getrunken. So konnte ich meine Gesundheit langsam herstellen. Allerdings bin ich nie ganz gesund geworden. Als ich die Kirche kennengelernt habe, habe ich mich tatsächlich bemüht, wieder ein Mensch zu werden. In der Gefangenschaft hat man sich nicht mehr als Mensch gefühlt. Das Misstrauen anderen Menschen gegenüber war so groß. Ich habe mich vollständig umstellen müssen. Meine Frau hat mir dabei geholfen. Ich habe mich auch bemüht, so gut wie es ging, nach dem Evangelium zu leben. Dabei habe ich viel gelernt. Heute sind wir ein glückliches Paar, zufrieden, und das ist die Hauptsache.
Als ich in dem Grab lag, war ich im Geisterreich. Dort war alles ringsherum grün, alles die gleiche Farbe. Wenn ich runter geschaut habe, habe ich immer Boden an den Füßen gespürt. Dann kamen welche, die ich aber erst sah, als sie mir ihr Gesicht zugewendet haben. Alles andere war Licht, verschiedene Farben, aber immer erst, wenn sie sich mir zugewendet haben. Sie waren froh, dass ich wieder da war. Ich habe sie nicht alle gekannt, aber von einigen glaube ich, dass ich mit ihnen Verbindung hatte. Dann kamen Zwei, die ein sehr helles weißes Licht hatten, Gesicht, Hände, Füße. Die habe ich gesehen. Sie haben mir erklärt, dass ich wieder zurück müsse. Ich war nicht fähig, zu widersprechen, denn so wie die mich angeschaut haben und wie sie das gesagt haben, musste ich. Als ich aufwachte, lag ich in dem Loch. Da war noch ein Unteroffizier, dem es die Schädeldecke abgehoben hatte. Ich dachte bei mir: „Da hast du aber Glück gehabt, dass die das Grab nicht zugemacht haben!“ Sie haben dafür keine Zeit gehabt.
Mit aller Mühe bin ich aus dem Loch raus gestiegen. Ich habe mich rumgedreht, mit dem Rücken an die Wand, und habe mich hintenüber fallen lassen. Dort lag etwas, daran habe ich mich hochgezogen und dann stand ich. Als ich lief, hatte ich das Gefühl, als würde mich einer hier und einer da unterhaken, und so bin ich gelaufen. Und als ich über den Steg gelaufen bin, saßen dort Leute, die mich nur angeschaut haben. Ich war voller Blut und dachte, warum die wohl nichts machen. Drüben habe ich es dann gewusst. Dort saß ein Leutnant im Graben, der sagte: „Mann, wo kommen sie her?“ Ich sagte zu ihm: „Sie sehen es doch.“ Er meinte: „Mann, da ist alles vermint.“ Da habe ich gewusst, die wollten das Schauspiel sehen. Aber es ist nichts passiert. Am Keller ist es mir schwarz vor den Augen geworden und als ich wieder bei mir war, habe ich darüber nachgedacht. Es muss tatsächlich so gewesen sein, dass ich dort war. Denn als ich in den Keller runter ging, war alles schwarz und ich hatte keine Erinnerung, nichts. Aber das war geblieben, das hatte ich im Kopf, und ich habe darüber nachgedacht, habe es aber nicht weiter vertieft.
Erst als ich zu Hause war, als sich meine Schwiegermutter mit mir über die Kirche und das Evangelium unterhalten hat, ist es mir gedämmert. Das hat sich mit dem gedeckt, was ich erlebt habe. Mit vollem Interesse habe ich mich damit beschäftigt. Aber ihr Wunsch war es dann auch, dass ich mich taufen lasse. Ich hatte sowieso die Absicht, weil mich das irgendwie gefesselt hat.
Jetzt kann ich sagen, dass ich es weiß. Ich habe keine Angst vor dem Tod, weil ich weiß, wie das geht. Angst hätte ich nur, wenn ich eine Krankheit bekäme, die sehr schmerzhaft wäre, die einen zum Wahnsinn bringt. Alles andere ist eine ganz normale Sache, das ist wie eine Umwandlung. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die, die mir zuhören, denken, dass ich fantasiere. Aber es ist tatsächlich so gewesen und für mich ist das maßgebend. Deswegen habe ich mich selbst regelrecht umgedreht. Es war schwer, ich habe lange Jahre gebraucht. Meine Frau war meine beste Unterstützung, sie hatte viel Geduld mit mir. Ich habe es auch verstanden, mich zurechtzubiegen.