Forst, Niederlausitz

Ich bin Joachim Lehnig, geboren 19. Januar 1935 in Forst, Niederlausitz. Mein Vater ist Fritz Lehnig, meine Mutter, Hildegard Lehnig, geborene Salzbrenner. Meine Mutter ist leider schon sehr früh, 1939, gestorben, mit 42 Jahren. Mein Vater hat noch einmal heiraten müssen. Für meine Stiefmutter bin ich sehr dankbar, dass sie uns alle so wunderbar gepflegt und aufgezogen hat. Ich habe nur Gutes von meiner Stiefmutter zu sagen. Sie hieß Adelheid, sie war eine verheiratete Niebraschk, geborene Lassmann

Ich bin noch im Krieg, im Januar 1943, getauft worden. Ich kann mich erinnern, dass da starker Frost war, aber es war eine wunderbare Taufe. Mein Täufer hieß Bruder Guido Schröller. Ein Leben lang haben wir eine gute, brüderliche Verbindung gehabt. Er war natürlich um einiges älter als ich und er ist auch schon lange verstorben. Er war ein tüchtiger Mormone, ein großartiger Sänger und ein tüchtiger Ältester gewesen.

Ich hatte noch vier andere Brüder und eine Schwester. Mein ältester Bruder Reinhold (geb. 1919), war vor dem Krieg noch auf Mission, hat 1939 geheiratet und mit seiner Frau Erna zwei Töchter gehabt. Als Soldat war er in Stalingrad eingesetzt und ist von dort nicht mehr nach Hause gekommen. Er war 23 Jahre alt als er im Krieg gefallen ist. Ein weiterer Bruder Werner ist leider mit 5 Jahren 1930 verstorben. Mein Bruder Alfred war ein tüchtiger junger Mann, hat seine Berufsausbildung als Bester von der Stadt Cottbus abgeschlossen. Mit 17 Jahren wurde er 1944 als Soldat eingezogen, war im Februar 1945 auf Urlaub zu Hause und ist dann, wahrscheinlich im Kampf um Berlin gefallen mit erst 18 Jahren. Glücklicherweise habe ich noch einen Bruder Norbert, geboren 1931, der von 1951 bis 1953 auf Mission war, 1957 nach USA ausgewandert ist und heute noch in Salt Lake City lebt.

Ich bin auch glücklich, dass meine Schwester Jenny noch lebt, die 1921 geboren wurde. Sie war meine erste liebe Ersatzmutter, als meine Mutter 1939 mit 42 Jahren verstarb. Ich bin dankbar für meine Familie, die alle treu im Werk des Herrn standen, bzw. noch aktiv stehen.

1945 habe ich das Lager mitgemacht, das Vater geschaffen hat. Man muss wissen, dieses Lager hat er von sich aus aufgebaut. Die Missions-Präsidentschaft konnte das nicht fördern, weil das gar nicht möglich war. Wie sollte das gehen damals, unter den Bedingungen? Das hat Vater tatsächlich von sich aus gemacht. Als Cottbus die Festungsstadt wurde, also dass da wirklich Kämpfe waren, hat er die Mitglieder alle zusammen rausgefahren zu einem Dorf.

Etwas habe ich als Junge miterlebt, was ein großes Zeugnis für mich später war. Damals habe ich das so noch nicht begriffen, aber später. Mein Vater wollte mit den Geschwistern damals zur amerikanischen Armee. Man hatte nicht gewusst, wo die Amerikaner sind. Man wusste nur, dass sie nach Berlin kommen und um Berlin kämpfen wollten. Dann sagte mein Vater: „Die müssen vom Westen kommen, in Richtung Berlin und wir müssen dort hin“. Nachdem er von den Russen die Pferde und die Wagen gekriegt hat, alles schwer vollgeladen, sind wir los und bis Vetschau gekommen. Wir kamen an eine Kreuzung. Nach Westen zu hieß der Ort Calau. Dort wollte Vater hin, weil er annahm, dass dort die Amerikaner durchkommen. Nördlich ging es nach Berlin und südlich nach Cottbus. Wir kamen an und ich war immer um Vater rum, 10 Jahre alt, ich war immer an seiner Seite. Da stand auf der Kreuzung eine russische Soldatin. Wir nannten die „Flintenweiber“‚. Mit Kalaschnikow und einer roten Handfahne. Der Vater ging zu ihr hin und sagte: „Nach Calau“. Sie schüttelt den Kopf und macht mit der Fahne „Cottbus, Cottbus“. „Nein“, sagte Vater, „Calau“. „Cottbus, Cottbus“ Ich weiß nicht, wie viel Mal das ging. Die hat uns nicht durchgelassen. Vater hat sich umgedreht und gesagt: „Es bleibt uns nichts anderes übrig, wir müssen wieder nach Cottbus“. Wir sind die Straße nach Cottbus gefahren und uns kamen die Russen entgegen, mit Kanonen und Fahrzeugen, Pferde und Pferdewagen und LKW. Und wir nach Cottbus. Die jungen Schwestern mussten sich alle alt machen. Die haben sich das Gesicht schwarz gemacht, Kopftuch drum, richtig wie alte Frauen. Das waren mindesten 10 Schwestern. Und dann immer am Wagen bleiben, ja nicht weggehen. Da war Vater ziemlich streng. Wir sind gut nach Cottbus gekommen

Ein Tag, nachdem die Festung Cottbus gefallen war, waren wir in Cottbus. Als die Russen Cottbus eingenommen hatten. Einen Tag danach waren wir da. Und das Schöne war, wir konnten in unsere Gemeinde! Es war nichts raus geschafft, gestohlen worden. Es war noch alles da. Die ganzen Betten und Decken und was alles dazu gehörte, unsere Wohnung, alles. Lediglich den ledernen Motorradmantel, einen langen, den mein Vater hatte, und eine Ziehharmonika, das haben die Russen geklaut. Sonst nichts. Es war alles da. Und alle Geschwister konnten dort in dem Lager wohnen und übernachten und haben dort gelebt. Später ist mir das erst klar geworden. Vater hat später, bevor er starb, gesagt: „Wären wir nach Calau gekommen, da waren gar keine Amerikaner. Wir hätten nie gewusst, wo wir hin sollten“. Wo hätte er die Geschwister unterbringen sollen? Ich sage, die Russin auf der Kreuzung war inspiriert. „Cottbus, Cottbus.“ Das war ein Glück für alle. Schwestern und Kinder, was das bedeutet hätte! Und so ist das alles gut ausgegangen.

Das war für mich als 10-11-Jähriger ein Zeugnis. Ich habe es gelernt, dass man ganz bestimmte Dinge durch Gottes Führung erreichen kann. Und im Lager noch mehr. Draußen sind die Menschen vor Hunger umgefallen, weil sie nichts zu essen hatten. Wir hatten immer noch zu Essen. Der Vater ging mit seinem Missionarausweis, von Heber J. Grant unterschrieben (ein herrlicher Ausweis von 1929), zu den Russen. Da hat er sogar einen Ochsen gekriegt, Kuhfleisch. Die Schwestern haben das aufgeschnitten und konnten es dann lange Zeit nutzen. Er hat Milch für die Kinder gekriegt. Was damals unmöglich war.

Die Russen kamen auch hin und wieder. Aber dann mussten die Schwestern alle sofort in den Keller. Dort hatten wir ein Stück Keller gehabt, den konnte man gut verstellen. Man konnte nicht stehen, man musste rein kriechen. Und da mussten die Mädchen alle rein. Bis auf die älteren Schwestern. Dann haben wir das zugestellt. So sind wir alle gut durchgekommen. Das muss ich auch sagen: Wo eine Frau mit kleinen Kindern war, haben die Russen den Frauen nichts getan – so habe ich es erlebt.

Das war damals in Cottbus. Ich muss sagen, es war eine wunderschöne Zeit im Lager. Es waren viel Jugendliche da. Wir haben viele schöne Sachen erlebt. Tüchtige Arbeit gemacht in der Kirche, gar keine Frage. Aber was ich dort auch als ein Zeugnis als junger Bursche erlebt habe: Es ist im Lager Typhus ausgebrochen. Damals gab es doch keine Medikamente, das war doch alles eingeschränkt. Ein Arzt konnte nicht gerufen werden. Wenn das jemand gemacht hätte, hätte der das ganze Lager gesperrt. Da wäre das ganze Lager kaputt gegangen. Und dann habe ich gesehen, wie die Ältesten von Bett zu Bett gegangen sind und Krankensegen gegeben haben. Keiner ist gestorben. Von Geschwistern, die außerhalb des Lagers gelebt haben und Typhus hatten, sind einige gestorben. Das habe ich als Junge erlebt und das war für mich ein ganz großes Zeugnis gewesen, dass Älteste mit der Macht Gottes das gemacht haben. Zur Entstehung des Lagers Ende des Krieges in Cottbus.

Im Jahr 1944 hat die Stadtverwaltung Cottbus Räume gesucht, wo die Flüchtlinge aus dem Osten, die vor den Russen geflohen sind, bis zur Weiterfahrt untergebracht werden konnten. Man hatte viele Räume dafür belegt, so auch den großen Versammlungsraum in der Gemeinde Cottbus. Der Raum wurde mit Holzbetten, Strohmatten und Decken ausgestattet. Im Vorraum gab es zusätzliche Toiletten und Kochmöglichkeiten für die Flüchtlinge. Das alles waren wichtige Voraussetzungen, um später die Geschwister im Lager unterzubringen. Als bekannt wurde, dass die Russen immer näher kamen, Anfang 1945. hatte mein Vater große Sorge um die Geschwister in den Gemeinden Frankfurt/Oder, Guben, Forst und Cottbus, des damaligen Spreewald Distriktes. Mein Vater hatte die Vertreter der Gemeinden zusammen gerufen und ihnen gesagt, dass er vorhatte, in Cottbus ein Lager aufzubauen. Das wir erst auf ein Dorf gehen mussten, hat sich erst später herausgestellt, nachdem Cottbus zur Festungsstadt erklärt wurde.

Cottbus wurde auch schwer bombardiert. Am 13. Februar Dresden und am 15. Februar Cottbus. Der Bahnhof war völlig zerstört. Der Südteil von Cottbus sehr zerstört. Tagelang lagen die Toten draußen. Im Bahnhof waren ein Lazarettzug der Armee, ein Flüchtlingszug, mit Leuten, die aus Schlesien oder sonst woher gekommen sind, und ein Munitionszug der Armee. Dort wurde bombardiert und alles ist explodiert. Können Sie sich vorstellen, was da los war? Wir haben nicht weit vom Bahnhof gewohnt. Ich war mit 10 Jahren noch nicht so schwer wie heute. Durch den Luftdruck damals bin ich quer durch den Keller geflogen. Ich will nur sagen, das war wirklich so.

Bei der Entstehung des Lagers ist vielleicht noch so viel zu erzählen. Es gab keine Verbindung zu den europäischen Missionen, es gab keine Verbindung nach Amerika und es gab auch keine Förderung durch die Missionen in Deutschland, das war die deutsch-österreichische Mission. Das ging nicht. Was sollten sie machen? Und so hatte Vater von sich aus das aufgebaut. Ich meine, das war seine Aufgabe gewesen. Dann noch etwas: Mein Vater war von Beruf Textilkaufmann. Hat allerhand geleistet in seinem Beruf. In der 20er Jahren hat er schon ein Auto für die Familie gehabt. Und das war in Deutschland schon etwas Besonderes. Er ist in Chemnitz zur Kirche gekommen und hat dort eine gute Stellung gehabt. Nachdem er 1923 getauft wurde, ist er durch die Kirche berufen worden, nach Forst zu gehen. Dort sollte er Gemeindepräsident werden. Er war damals erst Diakon. Er ist 1925 nach Forst gegangen. In Forst wurde er später Distriktspräsident. Wir haben in Forst gewohnt. Für die Gemeinde Cottbus hat er dann das Gemeindeheim aufgebaut. Er wusste nicht, dass dort einmal ein Lager hinkommen würde. Das konnte er nicht wissen. Aber das war bereits schon – bin ich der Meinung –durch Gottes Führung so gemacht worden.

Ich will nur weiter sagen: Vater hat Textilkaufmann gelernt. In Forst hat er auch als Textilkaufmann gearbeitet. Aber da er die Gemeinde in Cottbus, das Gemeindeheim aufgebaut hatte und da eine Wohnung vorhanden war, ist er nach Cottbus gezogen. Dort hat er nicht mehr als Textilkaufmann gearbeitet, sondern ist aufs Land gegangen und hat dort als Gemüse und Obst Kaufmann gearbeitet. Nicht an Kunden im Laden verkauft, sondern Großeinkauf vorgenommen und in ganz Deutschland weiter verkauft. Das war im Spreewald, und der Spreewald war und ist eine landwirtschaftliche extrem starke Gegend für Obst und Gemüse. Durch seine Arbeit hat er dort viele Bauern Kennengelernt und mit ihnen Geschäfte gemacht. Diese Arbeit hat er von 1937 bis Ende des Krieges durchgeführt.

Was hat uns das geholfen? Nach Ende des Krieges hat er den Kontakt zu den Bauern im Spreewald wieder gesucht und mit ihnen Geschäfte gemacht, Gemüse gekriegt, und so konnte er das Lager mit Gemüse versorgen. Mein Vater hat eine Strickerei gehabt. Das hatte er schon in den20er Jahren angefangen. Maschinenstrickerei, privat. An den Maschinen konnte man verschiedene Sachen, wie Unterröcke, Schlüpfer, Hemden, Pullover, stricken. Das habe ich auch noch gelernt. Das hat er genommen, ist rausgefahren, hat getauscht, und hat damit Gemüse für die Gemeinde beschafft. Das war für mich auch später ein Zeugnis. Dadurch konnte er den Mitgliedern helfen und sie retten. Das war wirklich so.

Ich habe vor einigen Jahren von einem Mann eine Liste bekommen. Er hatte sich in der Stadt die Unterlagen angesehen, auch über die Kirche. Die stand nach dem Krieg ständig unter Kontrolle. Das war eine Bestandsliste von den Mitgliedern, die im Lager waren. Ich habe die Liste von ihm im 9. September 1945 bekommen. Es waren insgesamt 118 Leute. Später sind es mehr geworden. Interessant ist, dass in diesen Unterlagen, die mir der Mann gegeben hat, ein Schreiben war, das später geschrieben wurde. Die haben nachgeprüft, ob Männer da waren, die in der NSDAP waren. Sie hatten bloß einen gefunden. Ein Schreiben vom 19. Oktober 1945 von der Abteilung ‚Inneres‘ an den Oberbürgermeister: „Diese Sekte ist unbedingt unter schärfster Beobachtung zu halten. Über das Ergebnis Ihrer Ermittlung wollen Sie mir laufend berichten.“ Dem Bezirk Brandenburg, Bezirksleitung, waren die Städte unterstellt. Der Bürgermeister wurde angeschrieben aus Potsdam, „dass die Sekte unbedingt unter Kontrolle zu halten sei und gib mir Bescheid“. Schmidt hieß der Mann, aus der Abteilung Inneres des Bezirkes Brandenburg. Ich will sagen, dass die Kirche dort ständig unter Kontrolle war und Berichte gegeben hat. Das war von der Zeit, als Vater dieses Lager aufgebaut hatte.

Dass es auch menschliche Probleme gab, kann man sich vorstellen. Dass das nicht immer so glatt ging, bei über 100 Leuten, dass manche versucht haben ihr eigenes Ding zu machen, was nicht möglich war. Man musste immer die Allgemeinheit sehen, so dass auch manche zur Rechenschaft gezogen wurden. Ich muss auch dazu sagen, Vater war kein labiler Kerl. Er war sehr konsequent, klar und deutlich. Er konnte nicht schnell laufen. Er hatte als Junge Kinderlähmung gehabt und dadurch sind ein Klumpfuß und ein verkürztes Bein entstanden. Aber Radfahren konnte er.

Später habe ich erfahren, das hat Vater erzählt, als er 1930 Gemeindepräsident in Forst war. Der damalige europäische Missionspräsident war mit dem Zug unterwegs von Berlin nach Breslau. Mein Vater wurde von der Missionsleitung angerufen, er möchte doch – in Forst hält der Zug — ganz kurz auf den Bahnsteig kommen, damit der Missionspräsident ihn begrüßen und ein paar Worte mit ihm reden kann. Natürlich hat der Zug nicht lange gehalten. Sie haben sich sehr schnell und kurz getroffen.

Zu der Zeit wollte mein Vater nach Amerika auswandern. Er hatte 1923, als er getauft wurde, Freunde gehabt, die auch getauft wurden, und die sind Mitte der 20er Jahre nach Amerika und Kanada gegangen. Mit denen stand er immer in Verbindung. Die haben immer gesagt: „Mensch Fritz, komm rüber“. 1930 wollte er das tun. Er hatte schon angefangen, Möbel zu verkaufen. Ich habe noch Schriftwechsel mit dem Bremer Lloyd, der Schifffahrtsgesellschaft.

Das war die Zeit, wo mein Vater den Missionspräsident getroffen hat. Er hat ihn angesprochen. Ich weiß nicht, ob er das von irgendjemand gewusst und erfahren hat. „Bruder Lehnig, Sie wollen nach Amerika auswandern? Wir würden ihnen vorschlagen, bleiben sie hier in Deutschland.“ Da hat er alles wieder rückgängig gemacht. Können Sie sich das vorstellen, auf dem Bahnsteig, kein langes Gespräch geführt, keine Auseinandersetzung, das waren nur ein paar Worte. Und er hat alles rückgängig gemacht und ist hier geblieben. Nicht um ihn herauszustellen sage ich: damals gab es hier in Cottbus keine Brüder. Wer hätte das Lager machen sollen? Es war überhaupt niemand da. Da gab es nur ein, zwei ältere Brüder, die aber gar nicht die Möglichkeiten hatten, die Vater hatte.

Heute sage ich, das war damals schon beabsichtigt: „geh nicht weg, denn das ist einmal deine wichtige Aufgabe“. Ist das nicht wichtig gewesen, die Schwestern vor den Russen zu schützen? Das war absolut wichtig! So sage ich, dass das lange vorbereitet war. Und das ist für mich ein Zeugnis gewesen, woran ich erkannt habe, wenn man in der Kirche geboren wird, kriegt man nicht das Zeugnis mit übertragen, man muss sich auch schon als Kind und Jugendlicher ein Zeugnis selbst erarbeiten. Das war für mich mit einer Basis, dass ich das beachtet habe.

Nach dem Krieg bin ich nach der achten Klasse aus der Schule gegangen. Eigentlich wollte ich weiter zur Schule gehen, aber nach dem Krieg gab es noch einmal die Beziehung zu Amerika. Es gab ein Bild und ein Schreiben von den Freunden: „Wir haben schon ein Haus und Land für dich“. Das war 1947/1948. Als Junge hatte ich einmal die Idee, Chemie zu studieren. Da sagte Vater: „Ach Junge, wir werden ja doch nach Amerika gehen. Und damit du was Praktisches kannst, lernst du Schlosser“. Da habe ich Schlosser gelernt, obwohl ich das nie wollte. Aber ich habe es gelernt und es hat mir nicht geschadet. Ich habe auch alles gut überstanden.

Vater wurde sehr krank, er hatte Krebs gehabt. Das kann ich vielleicht auch noch sagen: Im Dezember 1952 war Vater im Krankenhaus. Die Ärzte haben ihn operiert und der Chefarzt hat mich gerufen und gesagt: „Wir haben nur den Körper aufgemacht und sofort wieder zugemacht, weil alle Organe vom Krebs angefressen waren. Wir konnten nichts machen“, und er sagte zu mir: „Mein lieber Junge, wir geben ihnen ihren Vater mit nach Hause, aber sie müssen damit rechnen, dass ihr Vater jeden Tag sterben kann“. Er ist nach Hause gekommen und dort bin ich mit ihm – das war im Frühjahr 1953 – zur nach Zwickau, zur Konferenz nach Leipzig und zur Konferenz nach Dresden gefahren. Zu jeder Konferenz ist er aufgestanden und hat gesprochen. Er konnte nicht mehr laufen. Die Brüder haben ihn mit dem Stuhl vom Auto tragen müssen. Aber als er am Pult stand, hat das keiner gemerkt, dass er so krank war. Da hat er gesprochen. Drei Konferenzen habe ich noch mit ihm besucht.

Ich hatte den Führerschein früher machen dürfen. Weil mein Vater so krank war, konnte er nicht mehr Autofahren. Da hat der Rechtsanwalt einen Vertrag gemacht, dass mein Vater für alle Schäden, die ich – noch nicht 18-jährig – verursache, aufkommt. Da er mich aber gut angelernt hatte, hatte ich nie einen Schaden gehabt. Ich bin schon mit 17 Jahren Autogefahren, sehr viel. Damals sind wir zu den Konferenzen gefahren. Ich werde nicht erzählen, was für Probleme während der Fahrt entstanden sind. Jede kleine Erschütterung, und damals waren die Straßen schlecht in Deutschland, haben unerhörte Schmerzen bei ihm verursacht. Mehr sage ich nicht. Das geht nur meinem Vater und mich etwas an, was ich da erlebt habe. Er war mir ein großes Vorbild und ein Zeugnis. Er war immer noch Distriktspräsident. Deswegen ist er auch zu den Konferenzen gefahren worden. Er ist eingeladen worden und wir sind gefahren. Am 13. Mai ist er gestorben. 10 Tage vorher wurde ich von ihm noch zum Ältesten ordiniert. Am 3. Mai 1953 hat er mich zum Ältesten ordiniert. Das sind jetzt 55 Jahre her.

Im Juli 1953 bin ich auf Mission berufen worden, mit 18 Jahren, für 2 Jahre. Im Oktober 1955 bin ich wieder entlassen worden. Mein erster Mitarbeiter, Bruder Hering, war ein toller Junge. In Naumburg, das war wunderbar. Vorher waren wir in Leipzig. Da wurde ein Gemeindeheim am Hauptbahnhof, ich glaube es hieß Prellerstraße, neu aufgebaut. Wir haben dort gemalt und alles gemacht, wie es damals so war. Im November oder Dezember, weiß ich nicht mehr so genau, bin ich nach Halle versetzt worden und wurde gleich Gemeindepräsident, mit 18 Jahren! Aber das war damals so. In den Gemeinden waren die Brüder ja im Krieg geblieben, viele im Krieg geblieben. Oder es waren viel ältere Brüder da. So dass wir als Missionare sehr stark die Gemeinden aufbauen und unterstützen mussten. Natürlich auch Missionarsarbeit. Aber von Tür zu Tür durften wir damals sowieso nicht gehen, aber auf Empfehlung der Mitglieder. Wir hatten sehr viele Kontakte mit Freunden gehabt. Das war eine tolle Zeit.

Mein Mitarbeiter kam ein paar Wochen später, weil ihn der Betrieb nicht hatte gehen lassen. So hatte ich noch zwei Missionarinnen gehabt, die mich dort in Halle unterstützt haben. Es war eine schöne Zeit. Dann natürlich weitere Gemeinden, aber das will ich jetzt nicht alles aufzählen. Ich war dann noch eine ganze Weile in Aschersleben. Von dort haben wir eine Stadt Quedlinburg betreut. Da waren einige Geschwister. Meinen Mitarbeiter, Bruder Horst Maiwald, gibt es noch in Frankfurt. In Aschersleben, an einem Montag früh klingelt es, da steht ein Bruder aus Quedlinburg vor der Tür. Ein älterer Herr. Völlig aufgelöst und richtig niedergeschlagen. „Was ist los“? haben wir gefragt. Wir waren gar nicht verabredet. „Kommen Sie rein“. Dann erzählte er uns: In einer Nacht hat er eine Erscheinung gehabt. „Ich habe nicht geschlafen“ hat er ausdrücklich gesagt. „Da schien ein Licht in mein Schlafzimmer und eine Stimme hat mir gesagt, dass ich in der kommenden Woche sterben werde“. Völlig aufgelöst und zerschlagen war der Mann. Wir beide haben uns angeguckt, mein Mitarbeiter und ich, dann habe ich gesagt: „Bruder, wir verheißen ihnen, im Namen des Herrn, wenn sie nach den Grundsätzen des Evangeliums leben, werden sie nächsten Sonntag mit uns die Versammlung besuchen und sie werden nicht sterben!“ Wir haben natürlich mit ihm gebetet. Ich weiß nicht, ob er ein bisschen aufgebaut und erfreut war, er ist dann wieder losgegangen. Das waren doch ein paar Kilometer und er musste noch mit der Bahn fahren. Aber Wir Missionare haben in der Woche sehr hart gebetet. Am Sonntag hatten wir Hausversammlung dort. Ich habe oben noch etwas vorbereiten müssen, weil ich auch immer gespielt habe, und habe gesagt: „Horst, gehe auf die Straße und gucke, ob er um die Ecke kommt. Und wenn er kommt, dann sage mir Bescheid“. Auf einmal kommt er hochgerannt, „Achim, er kommt!“ Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich wir waren. Er hat noch einige Jahre gelebt. Ich bin schon lange von Mission weg gewesen, da hat er immer noch gelebt. Das war ein tolles Zeugnis!

Auf Mission bin ich mit meinen Mitarbeitern wunderbar ausgekommen. Und was hat man gelernt? Etwas, was man nirgends lernen kann! Auf keiner Universität und nirgendwo anders. Mit Menschen umzugehen und sich selbst ranzunehmen, dass man nicht über die Stränge haut. Jeder Mitarbeiter hat so seine Eigenheiten. Damit muss man auskommen und in Frieden miteinander leben. Hat wunderbar geklappt. Wir hatten damals auf Mission Lebensmittelkarten, die Schlechtesten, weil wir nicht produziert haben. Wir konnten nicht kaufen wie wir wollten. Aber die Geschwister haben uns gut versorgt. Unsere Lebensmittelkarten waren immer schnell alle.

Nach meiner Mission habe ich hier in Cottbus meine Frau Evelyn (Lehnig, geborene Strauß)

geheiratet. Sie war auch auf Mission und gehörte zur Gemeinde Cottbus: 1958 hatten wir das erste Kind, den Sohn, Luca. Inzwischen wird er jetzt im Juli 50 Jahre alt. Er ist Arzt geworden. Er war auf der Oberschule. Gymnasium gab es nicht, es hieß damals erweiterte Oberschule. Ich habe gesagt: „Junge, die wissen alle. dass wir in der Kirche sind. Das ist bekannt. Wenn du studieren willst, kannst du das nur schaffen. indem du Leistung zeigst“. Er hat sein Abitur mit Auszeichnung gemacht. Er hatte nur Einsen auf dem Zeugnis gehabt. Wirklich toll.