Wien, Österreich
Ich bin Antoinette Mila Stanek, geborene Meduma und bin in Wien geboren am 1. April 1940. Mein Vater war Franz Meduma und meine Mutter Ludmila Pastorek. Wir haben im 18. Bezirk gewohnt. Mein Vater war im Krieg eingerückt, und meine Mutti war mit uns alleine. Ich kann mich noch erinnern an meinen Großvater, an meine Großmutter, Franz Meduna und an meine Großmutter Josephine Pazdera, die hin und wieder bei uns zu Besuch waren.
An einem der letzten Kriegstage wurde unser Haus von einer Bombe getroffen. Die Mutti hatte immer die Koffer und ich meinen Puppenwagen mit in den Keller genommen; aber an dem Tag haben wir gesagt: „Na, heute brauchen wir das nicht zu tun. Wir lassen die Sachen oben.“ Und an dem Tag hat die Bombe eingeschlagen. Ich erinnere mich noch genau: Im Keller waren ja alle Leute. Wir hatten ein Radio dort, und plötzlich ist das Radio ausgegangen, es ist finster geworden und der Staub hat gerieselt. Meine Mutter, mein Bruder Franz und ich, wir waren etwas weiter hinten im Keller, so dass uns nichts passiert ist. Aber weiter vorne hat es zehn Tote gegeben. Die Rettung kam aber ziemlich schnell. Die Rettungsleute haben die Trümmer fortgeschaufelt, damit wir wieder Luft bekamen. Die Mutti hat keine Angst auf uns übertragen. Das ist das Wunderbare, an das ich mich auch erinnere. Es war keine Angst da, wir saßen einfach und warteten, bis sie uns ausgegraben hatten. Wir sind dann herausgekommen, meine Mutti, mein Bruder und ich.
Meine Großeltern, die im 16. Bezirk lebten, haben uns aufgenommen. Wir sind zu ihnen gefahren und haben ein paar Tage bei ihnen gewohnt. Ich weiß noch, dass sie zwei Katzen hatten. Dann kam der Vati zurück. Es war ja im April, wo der letzte Angriff stattfand. Und der Krieg ging ja zu Ende. Am 1. Mai ist mein Großvater gestorben. Er sah schön aus. Er sah ganz weiß aus und hatte einen so schönen Gesichtsausdruck. Wir haben ihn gestreichelt. Es waren die Eltern meines Vaters. Die Eltern mütterlicherseits haben in Tschechien gewohnt. Ich glaube, dass sie schon länger tot waren.
Als der Vati zurückgekommen ist, waren wir gerade an dem Ort, an dem die Bombe eingeschlagen hatte. Sie war im hinteren Trakt eingeschlagen. Von vorne hat man kaum etwas gesehen, nur dass die Fenster kaputt waren und auch das Haustor. Wir haben hinten in den Trümmern nach Sachen gegraben, die eventuell noch zu gebrauchen waren. Die Mutti hat mit der Großmutter noch ziemlich viel Kleidung heraussuchen können. Es war so ein wunderschöner Tag im Mai, als der Vati zurückgekommen ist. Er stand bei der Bäckerei, die geschlossen war. Aber der Bäcker schaute gerade aus dem Fenster, und der Vati hat mit ihm gesprochen. Wahrscheinlich hat er sich nach uns erkundigt. Und ich habe ihn gesehen und bin gleich auf ihn zugesaust, und wir waren glücklich, dass wir wieder beieinander waren. Wir haben dann eine Wohnung in derselben Straße zugewiesen bekommen. Es war eine sehr schöne Wohnung, nur zwei Häuser entfernt. Sie war wahrscheinlich von Nazis bewohnt worden, die nach Rosenheim geflüchtet waren. Dort haben wir ein paar Jahre gewohnt. Als die Wohnungsbesitzer wieder zurück waren, beanspruchten sie „ihre“ Wohnung.
Meine Eltern wollten die Wohnung behalten und beauftragten einen Rechtsanwalt. Ich glaube, dass das viel Geld gekostet hat. Ich erinnere mich, wenn sie zum Rechtsanwalt gegangen sind, dann haben sie sich immer ganz besonders schön angezogen. Sie sind immer guter Dinge wieder zurückgekommen. Inzwischen hatte der Vati mit Geld von der Schwester meiner Mutti aus der Schweiz die Wohnung total renovieren lassen. Er hatte schöne Möbel machen lassen in der Tischlerei bei der Großmutter hinten im Hof. Wir haben in der Wohnung ein paar Jahre gelebt. Dann hieß es plötzlich, dass wir dort herausmüssen. Alle Möbel wurden dann zu meiner Großmutter ins Schlafzimmer gebracht, das ziemlich groß war.
Der Vati ist Schuhmachermeister gewesen. Er hatte ein schönes Geschäft mit guten Kunden. Hinter dem Geschäft, wo früher zum Teil die Wohnung gewesen war, befand sich noch ein großer Raum, in dem wir alle geschlafen haben, gelebt haben. Im Gang gab es eine Küche. Aber es gab kein Badezimmer, kein warmes Wasser. Aber mit dem warmen Wasser, das hat uns nicht soviel ausgemacht. Es gab immer einen Topf mit heißem Wasser und ein großes Waschbecken, in dem wir uns gewaschen haben. Auch das Geschirr wurde hier gewaschen. Wir sind oft zum Wohnungsamt gegangen, damit wir endlich eine Wohnung bekommen konnten.
Einmal, als wir auf das Land gefahren sind, haben wir ein nettes Ehepaar kennengelernt, das beim Wohnungsamt gearbeitet hat. Dem hat die Mutti alles geschildert. Daraufhin sind sie zu uns gekommen und haben sich alles angeschaut. Sie sahen, wie beengt wir dort wohnten, sie haben gesehen, dass alles sauber und ordentlich war. Dann haben wir im Jahre 1952 eine Gemeindewohnung bekommen im 17. Bezirk in der Nähe von der Großmutter. So hatten wir auch immer guten Kontakt mit ihr.
Ich wollte noch gerne sagen, dass es uns immer recht gut gegangen ist, was die Lebensmittel betraf, weil der Vati einen Kriegskameraden hatte, der Bauer war. Der hat uns die ganze Zeit versorgt. Hunger habe ich nie gekannt. Einmal ist der Vati “hamstern“ gegangen, und da haben sie ihn erwischt und eingesperrt deswegen. Das war schlimm. Die Mutti hat immer auf Aushänge geschaut, auf bestimmte Blätter. Sie sagte uns, dass dort immer die Namen der Personen draufständen, die erschossen werden sollten. Und da hat sie immer nachgesehen, ob sein Name auch darauf stand. Auch die Großmutter war „hamstern“. Aber ich weiß nicht mehr genau, ob das im Krieg oder nach dem Krieg war. Einmal sind wir zu Fuß zum Landesgericht gegangen, wo der Vati eingesperrt war, ihn zu besuchen. Aber vorher hat Mutti auf die ausgehängten Blätter geschaut.
Ein Jahr bin ich in die tschechische Schule gegangen. Dann bin ich in eine österreichische Klosterschule gekommen. Das war ebenfalls etwa ein Jahr. Dann bin ich ganz normal in eine öffentliche Schule gegangen. Die letzten zwei Jahre von der Hauptschule bin ich dann wieder in einer Klosterschule gewesen. Meine Kindheit, obwohl wir sehr arm waren, war eigentlich schön. Wir hatten einen riesigen Garten zur Verfügung, so etwa dreitausend Quadratmeter. Der Garten war wie ein Park angelegt mit wunderschönen Ziersträuchern und hohen verschiedenartigen Bäumen, wiese Flocken und vielen Wege. Für uns war es ein Eldorado. Darum hat es uns nicht so viel ausgemacht, dass wir so ärmlich gewohnt haben. Wir hatten Wärme, wir hatten Essen, wir konnten wohnen, wir waren geschützt, und nach der Schule waren wir sofort draußen im Garten. Eine Katze hatten wir auch, die Minky. Nach der Schule bin ich zwei Jahre in die Handelsschule gegangen. Danach habe ich in einer Kanzlei bei einem Steuerberater gearbeitet. Ich bin nur eingeschult worden und habe dann alleine weitergearbeitet. Die Arbeit hat mich interessiert, und ich habe sie mit Freude getan. Dann bin ich in eine andere Kanzlei gegangen, weil ich in der ersten zu wenig Geld bekommen habe. Dann wollte er mir mehr zahlen, aber ich wollte nicht mehr bleiben. Dann bin ich in die Privatwirtschaft gegangen. Insgesamt war ich zehn Jahre berufstätig, bis ich das erste Kind bekam. Wir haben 1963 geheiratet du haben drei Kinder.
Der Vater im Himmel hat mich mit meinem Mann zusammengeführt. Ich bin sehr dankbar dafür, dass er uns zum gleichen Zeitpunkt die Idee gegeben hat, da hin zu gehen, wo wir uns getroffen haben in der Nähe von meinem Arbeitsplatz in einem Kaffeehaus. Das war Ende 1961. In meinen Kalender hatte ich geschrieben – ich war damals noch nicht in der Kirche: „Lieber Gott, schick mir einen Mann, der mich liebt und den ich auch lieben kann.“ Das habe ich jedes Jahr in den Kalender geschrieben. Das war für mich sehr wichtig. Und ich weiß, dass der Vater im Himmel uns zusammengeführt hat.
Mein späterer Mann war schon Mitglied der Kirche. Er ist im Februar 1961 getauft worden. Er hat mich belehrt und ich habe fleißig gelernt, damit ich ihm gut gefalle. Ich habe das Ganze noch nicht so ernst genommen. Ich bin ja katholisch erzogen worden. Mein Bruder und ich sind auch immer am Sonntag in die Kirche gegangen. Aber als ich dann Jugendliche war, da dachte ich: „Jesus war so einfach, er hat so einfach gelehrt. Wie kann das sein, dass es so viel Prunk in der Kirche gibt. Das „Gewand“ vom Pfarrer hat mich auch Fragen lassen, ob das die wahre Kirche Gottes ist. Dann habe ich alles dabei bewenden lassen.
Als mein Mann, damals noch mein Freund, mir von der wahren Kirche erzählt hat, da war ich aufgeschlossen. Ein Zeugnis hatte ich noch nicht aber Glauben. Für den 14. April 1962 war mein Taufdatum festgesetzt. Aber in der Nacht davor • …. Ich schlief abends rasch ein und schlief gut und vor dem Morgengrauen erwachte ich, und ich fühlte mich von einer unsichtbaren Macht bedroht. Große Angst befiel mich. Ich kämpfte mit diesem mir unbekannten Gefühl bis kurz vor dem Aufstehen. Wahrscheinlich habe ich Gott angefleht, mich zu befreien. Daran kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Das Gefühl nach der Taufe und Konfirmation war unbeschreiblich schön, ein Glücksgefühl – Herzensfreude. Ich bin mir richtig wie ein Engel vorgekommen
Meine erste Berufung war in der Sonntagsschule die Jugendlichen zu unterrichten. Ich war erst 22 Jahre alt und die Schüler in meiner Klasse waren meist 18 Jahre alt. Es ist aber damals gut gegangen. Ich hatte immer eine Berufung. Unter anderem war ich FHV-Leiterin, Ratgeberin in der PV, Leiterin des Aktivitäten-Kommitees und Besuchslehrbeauftragte. Auch jetzt habe ich eine Berufung mit meinem Mann zusammen: wir sind für die Inspektionen der Missionarswohnungen zuständig. Wir machen das jetzt schon im siebenten Jahr und es macht uns viel Freude. Es ist eine wunderbare Berufung