Wien, Österreich
Mein Name ist Dr. Kurt Stättner, geboren am siebten März 1921 in Wien und bin verheiratet mit Eva Maria Stättner. Wir sind seit sechsundfünfzig Jahren miteinander verheiratet. Mein Vater hieß Rudolf Stättner und ist schon sehr früh, mit fünfunddreißig Jahren verstorben. Der Name meiner Mutter ist Angela Ostermann, sie ist 1986 gestorben. Sie war dreimal verheiratet: zuerst mit meinem Vater, danach in zweiter Ehe war sie Frau Plachy und in der dritten Ehe Frau Hoffmann. Ich habe meine Kindheit zum großen Teil bei meiner Großmutter verlebt. Sie war eine arme Frau, was Besitz anbelangt, aber geistig und in ihrer ganzen Haltung eine reiche, wunderbare Frau. Sie hat an mir die Mutter- und Vaterstelle vertreten und war immer ihr ganzes Leben für mich da. Ich habe ihr sehr viel zu verdanken. Ihr Name ist Therese Seiter geborene Stättner. Ich bin zuerst in diversen katholischen Kinderheimen und Kindergärten gewesen.
Schließlich war ich dankbar, bei meiner Großmutter wohnen und leben zu können. Nach dem Tode meines Vaters habe ich ständig bei meiner Großmutter gelebt. Ich bekam bei ihr alle Freiheiten, die ich brauchte und konnte alles selbst entscheiden. Das hat meine Großmutter mir immer gewährt. Und so habe ich mich schon als junger Mann entschlossen, Tierarzt zu werden. Ich bin auf das Gymnasium in der Kuntmanngasse in Wien gegangen.
Als ich in der achten Klasse vor der Matura war kam der Direktor herein und sagte: „Ich habe die Ehre” und er führte die halbe Klasse namentlich auf, „euch für Volk und Vaterland in den Krieg zu schicken.” Wir waren davon nicht sehr begeistert, aber es ist dann alles sehr schnell gegangen. Am nächsten Tag war schon die Tauglichkeitsuntersuchung, und ruck zuck waren wir auf dem Bahnhof, und ich bin nach Schlesien verfrachtet worden. In Schlesien, noch auf dem Bahnhof, wurden eine Gruppe zu Funkern und die andere zu Fernsprechtechnikern eingeteilt. Nach einer sehr rabiaten Methode habe ich dann das Funken gelernt. Man musste sehr schnell und sehr gut lernen; aber da ich eine gute Auffassungsgabe hatte, habe ich die Prüfung sehr gut bestanden. Danach wurde ich gleich zu einer Einheit nach Metz in Frankreich geschickt. Dort gab es eine Auffrischungskompanie, zu der ich kommandiert wurde. Von Metz aus wurde ich dann nach Ostpreußen an die russische Grenze versetzt und bin vom ersten Tag im Jahr 1941 an mit in den Feldzug gegen Russland gezogen.
Ich war bei der 8. Division, das war die Oberschlesische Division, weil die Österreicher aus taktischen Gründen aufgeteilt worden waren. Es war eine Infanteriedivision, bei der ich war. Von ihr aus gingen die ersten Angriffe auf Russland. Am Anfang haben die Deutschen sehr gründlich und schnell Eroberungen gemacht. Dieses war möglich, obwohl die Russen personal- und materialmäßig weit überlegen waren und zwar im Verhältnis von 7:1; aber sie hatten kein Führungspersonal. Stalin hatte in diesen Jahren alle guten und höheren Kommandeure seiner eigenen Wehrmacht erschießen lassen. Die russischen Truppen wurden derzeit von politischen Kommissaren angeführt, und die waren mit Kriegsführung überhaupt nicht vertraut. Hingegen die Deutschen waren gut ausgebildet und ihnen taktisch weit überlegen. Aber wie es oft ist, Hitler hatte damit gerechnet, dass er spätestens im Herbst fertig sei mit Russland. Doch dann ist ein wirklich russischer Winter gekommen, und die deutschen Soldaten hatten nicht einmal Mäntel zum Anziehen. Die deutsche Wehrmacht hat insgesamt sehr gelitten, und das Ziel, Moskau einzunehmen, wurde nicht erreicht.
Wenige Kilometer, vielleicht knapp 35 Kilometer vor Moskau, war unsere Division. Die Verluste in dieser Zeit waren wirklich gigantisch. Es waren Minustemperaturen von 30 Grad und mehr. Es gab keine Unterkünfte für die Soldaten, weil alles verbrannt war. Des Weiteren kam den Russen zum Nutzen, dass Stalin durch einen Spion erfahren hatte, dass die Japaner Russland nicht angreifen würden. Dadurch hatte Stalin die Möglichkeit, die Truppen von dort an die russische Westfront zu bringen. Das hatte zur Folge, dass die deutschen Truppen in diesem Winter 50 Kilometer zurück weichen mussten. Die zweite Offensive war ein taktischer Fehler. Man hat über Stalingrad hinaus nach Süden wollen. Und im Kessel von Stalingrad ist eine ganze Armee aufgerieben worden. Zu der Zeit konnte man eigentlich erkennen, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis es vorbei sei.
Meine Aufgabe war das Funken. Ich war meistens beim Kommandeur der Division, weil der ja jede neue Information benötigte und Sprechfunk nicht bestand. Mein Wagen wurde im Dezember durch einen Treffer zerstört. Das war übrigens ein russischer Wagen, den wir erbeutet hatten. Dieser Wagen war ganz modern ausgestattet, mit neuen Doppelachsen, richtig fürs Gelände ausgerüstet. Man konnte sogar darin schlafen, und es war auch ein Ofen in diesem Fahrzeug. Vor diesem russischen Wagen hatten wir einen umgerüsteten Bäckerlieferwagen, und ich musste mir eine Erlaubnis einholen, an dessen Stelle den russischen Wagen benutzen zu dürfen. Mir wurde dann befohlen, den Ofen auszubauen, weil wir ihn nicht gebrauchen würden. Doch ich sagte, dass wir den sicher noch brauchen würden. Und dafür habe ich drei Tage Arrest bekommen.
Danach wurden wir von der Ostfront an die Westfront nach Dijon in Frankreich verlegt. Dort wurde dann unsere Division wieder neu aufgebaut. Eine Division bestand aus fünf Regimentern, und ein Regiment hat drei Kompanien. Die Kompanien waren aber so schwach, dass sie statt einhundertundachtzig nur aus fünfundzwanzig bis dreißig Mann bestanden. Auch das Material, welches zur Verfügung stand, war sehr dürftig. Aber im Februar wurden wir zurückverlegt nach Russland, neu aufgerüstet. Wir kamen nach Demiansk in Russland, wo im Winter eine ganze Armee eingeschlossen war, die aber durchgehalten hatte. Wir kamen zu ihrer Entlastung und Verstärkung dort hin. Demiansk lag in einem Sumpfgebiet, und es war ein fürchterlicher Platz. Aber als wir im Februar ankamen, um die Eingeschlossenen zu befreien, was uns auch gelungen ist, war der Boden noch tief gefroren.
Ich bin damals sehr schwer an der Ruhr erkrankt und bin in ein Lazarett gekommen. Dieses Lazarett bestand aus einer Hütte mit Grasboden, auf dem die Verwundeten lagen. Ich war mehr tot als lebendig, doch ich habe alle meine Kräfte zusammen genommen und ich habe festgestellt, dass der Sanitätsoffizier immer durch die Reihen ging und kontrollierte, wie gut es dem Einzelnen ging. Er kam auch zu mir und fragte mich, wie es mir ginge. Ich sagte ihm, dass es besser sei obwohl es mir eigentlich schlechter ging. An einem der Tage landete bei uns eine JU 52, was auf der Knüppelpiste kaum möglich war. Das Kriegsmaterial wurde ausgeladen und dafür Verwundete aufgenommen, und ich war auch dabei. Aber es hat dann noch vier Wochen gedauert, bis ich schließlich in Bamberg in ein Lazarett kam. In diesem Lazarett war ich drei Monate, bis ich auskuriert war. Von da aus bin ich dann nach Breslau auf eine feste Funkstelle gekommen.
Eine feste Funkstelle beinhaltete mehrere Außenstellen, die zentral von der festen Funkstelle gesteuert wurden. Breslau war ja Deutschland, also die Heimat. Dort wurden meistens junge Damen als Funkerinnen eingesetzt. Nach meinem Empfinden haben die sehr schlecht gehört. Es war mit ihnen ein Krampf, weil sie nichts verstanden. Daraufhin hat der Kommandeur gesagt, dass ich einen zweiten Mann bekommen solle. Das war ein großes Glück. Ich habe einen jüngeren Mann genommen, mit der Annahme, wenn eine Versetzung kommen sollte, würde man zuerst den jungen Mann versetzen. Drei Tage später kommt ein Nachrichtengeneral zu mir mit Namen Fehn, schüttelt mir die Hand und sagt: „Sie haben mir eine Arbeit abgenommen.” Ich frage: „Wieso?” Und er antwortete mir: „Der Mann, den sie aufgenommen haben, ist mein Sohn, und ich werde meine Hand über euch halten.”
Er erklärte uns auch, dass es eine Technik gebe, mit der man Bilder übertragen könne. Die Amerikaner waren noch nicht soweit mit den Funknachrichten. Bei den Deutschen hat das schon absolut funktioniert. Diese Technik war eine Erfindung, mit der man funken konnte über ein Fernsehgerät. Man hat den Funkspruch schon vorher vorbereiten können, um ihn dann in absolut kurzer Zeit zu senden. Ein weiterer Vorteil dieses Geräts war, dass es absolut abhörsicher war. Die vorherige Codeverschlüsselungsmaschine hatten die Polen entschlüsselt; doch mit diesem neuen Gerät war das nicht möglich. Wir mussten dafür in Berlin eine Schulung machen. Ich hatte in meinem Soldbuch einen Vermerk vom obersten Kommando bekommen, der besagte, dass ich für nichts Anderes eingesetzt werden dürfe. Danach hat dieser Nachrichtengeneral veranlasst, dass fünf Trupps aufgestellt wurden und zwar in Paris, Rom, Saloniki, in Finnland und noch irgendwo anders, ich habe es vergessen. Wir wollten natürlich nach Paris. Doch der Vater meines Mitstreiters sagte: „Das kommt nicht in Frage”, denn er war sehr gut informiert. Dort findet ein Teil der Invasion statt. Ich hatte ja niemanden, der für mich in dieser Situation gebürgt hätte. Der General hat für mich gebürgt gegenüber der höchsten Stufe der Geheimhaltung. Andernfalls wäre ich als einfacher Obergefreiter gar nicht zu dieser Truppe gekommen. Wir sind dann Anfang 1944 nach Griechenland gekommen und haben die Nachrichten der Heeresgruppe E geschrieben.
Ein Erlebnis aus meiner Russlandzeit muss ich noch einschieben. Es muss in meinen Papieren vermerkt worden sein, dass ich Tiermedizin studieren wolle. Auf Grund dessen hat man mich wahrscheinlich von der Funktruppe abberufen und mich für einen Pferdetransport von Riga nach Leningrad abkommandiert. Zu der Zeit hatte ich aber noch überhaupt keine Ahnung von Pferden. Es war ein ganzer Zug mit Pferden, den ich von Riga nach Leningrad führen sollte. An der letzten Station vor Leningrad habe ich die Pferde ausgeladen. Danach sind wir mit schwerer Artillerie beschossen worden. Das war wirklich grausam, alles auf dem Bahnhof war zerstört. Ich selbst konnte mich schützen, da ich Zuflucht hinter einem Felsen gefunden hatte. Aber alle Menschen und Pferde waren tot. Ich selbst habe nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Es hat noch viele weitere solcher Situationen gegeben.
Wie schon zuvor erwähnt, war ich nach Saloniki in Griechenland gekommen und habe dort die Heeresgruppe E mit Nachrichten versorgt. Es waren sehr spezielle Nachrichten aller Agenten. Ich hätte nie gedacht, dass Deutschland so viele Agenten im Einsatz hat. Sie waren überall an den wichtigen Punkten. Sie haben täglich gemeldet, wie viele amerikanische Schiffe angekommen sind. Die Amerikaner waren derzeit in der Lage, wöchentlich ein sechstausend Tonnen großes Kriegsschiff zu bauen. Das war für die Deutschen natürlich sehr interessant zu erfahren, was da vor sich ging. Einmal habe ich die Nachricht gehört, dass die Amerikaner mit hundert und einem Schiff gekommen sind. Keines dieser Schiffe ist versenkt worden, da es keine deutschen U-Boote mehr gab. Mit dieser Information hat man auch als einfacher Soldat gewusst, dass der Krieg verloren ist. Nach dem ich ein wenig Einblick bekommen hatte, und das war schon zwei Jahre vor Kriegsende, war mir klar, dass wir den Krieg verlieren würden. Für mich gab es dafür verschiedene Gründe. Hitler hat am Anfang irrsinnig viel geglaubt, erreichen zu können. Aber in Wirklichkeit hat er vom Militär nichts verstanden und hat fähige Leute abgesetzt.
Aber der Krieg in Griechenland war mit dem Krieg in Russland nicht zu vergleichen. Es hat dort drei verschiedene Partisanengruppen gegeben: die EAM [Ethnikó Apelevtherotikó Métopo], das waren Kommunisten und die Gergerdis, das waren die Königstreuen. Glücklicherweise waren dort, wo wir waren, die Königstreuen. Der Kommandeur dieser Partisanentruppe ist zu mir gekommen und hat zu mir gesagt: „Du bist ein Österreicher, dir kann man vertrauen. Ich benötige unbedingt Medikamente.” Es gab derzeit in Griechenland Malaria. Man glaubt gar nicht, was es alles für Krankheiten dort gab. Ich habe ihm heimlich Medikamente gegeben. Als dann alles zusammenbrach, und die Russen schon in Skopje waren, durften von unseren Leuten die, die verheiratet waren, nach Norden gehen, und wir jungen mussten bleiben. Als wir schließlich noch acht Mann waren und die Partisanen einhundert achtzig Mann stark waren, wollten sie uns gefangen nehmen. Doch der Kommandeur erkannte mich wieder und sagte: „Ich übergebe euch an die Engländer.” Diese waren auch in Griechenland eingezogen. Ich sagte zu ihm: „Ich möchte nach Hause.” Doch er sagte: „Du kommst nicht mehr nach Hause, alles ist schon blockiert.” Doch ich sagte: „Ich möchte aber nach Hause und nicht in Gefangenschaft gehen.” Er erwiderte darauf: „Dann geh mit Gott.” Auf diese Art und Weise hat er sich erkenntlich gezeigt. Wir acht sind dann immer nur in der Nacht gegangen. Den ganzen Balkan haben wir zu Fuß durchquert. Die ersten deutschen Truppen habe ich erst wieder im Jahr 1945 in Slowenien getroffen. Wir müssen sehr schlecht ausgesehen haben; denn der erste Lazarettzug hat uns gleich mit nach Brunn genommen. Und da ich ein wenig von Medizin verstand, konnte ich dann in Brunn arbeiten.
Ich habe dort als Hilfe im Laboratorium gearbeitet, und die haben mich gehalten so lange sie konnten. Wir sind oft kontrolliert worden; doch die Laborleitung hat gesagt: „Der hat doch eine Lungentuberkulose.” Dieses haben sie noch untermauert, in dem sie eine Röntgenaufnahme, die nicht von mir war, zeigten. Auf diese Weise habe ich nicht wieder an die Front müssen. Dann war es soweit, dass die Russen bis nach Brunn gekommen sind. Daraufhin bin ich nach Prag geflüchtet. Von Prag aus habe ich mich bemüht, zu meinem Ersatztruppenteil zu kommen, der in Berlin war. Ich bin dann auch nach Berlin gekommen. Aber am nächsten Tag waren meine Kameraden verschwunden, denn sie meinten, wenn wir in Berlin bleiben, kommen wir in russische Gefangenschaft, und wenn schon Gefangenschaft, dann doch lieber in die englische.
Die Elbe war die Grenze zwischen den Engländern und den Russen. Alles was östlich der Elbe lag war russisch, und alles was westlich der Elbe lag war englisch. Wir sind bis zur Elbe gekommen, konnten sie aber nur mit dem Durchschwimmen überqueren. Auf der anderen Seite der Elbe, drei Tage vor Kriegsende, standen die Kanadier und haben uns in Empfang genommen. Und so bin ich in englische Gefangenschaft gekommen. Aber ich muss sagen, die Engländer waren wirklich fair zu uns. Wir haben zwar nur eine winzige Verpflegung bekommen, aber täglich. Und es waren ja auch zehntausende, die zu verpflegen waren. Aber sie waren anständig und haben uns gut behandelt. Das Ganze hat mir dann doch zu lange gedauert, und ich habe mich mit einem älteren Mann, ebenfalls aus Österreich, zusammen getan. Gemeinsam sind wir der englischen Gefangenschaft entwichen, volkstümlich ausgedrückt: Wir sind abgehauen. Wir haben ungefähr vierzehn Tage bis zur österreichischen Grenze gebraucht. Ich hatte stets meine österreichischen Papiere bei mir. Für mich war es leicht, über die Grenze zu kommen. Doch mein älterer Fluchtkumpan, der sechzig Jahre alt war, hatte keine Papiere. Nun mussten wir zusehen, wie wir zu Entlassungspapieren kommen konnten.
Wir waren in der Nähe einer amerikanischen Kaserne. Als wir dort hinkamen, haben die unser Ausreißen wie eine sportliche Tat angesehen und waren nicht erbost. Doch sie haben uns sehr genau untersucht ob wir Nazis waren. Sie haben zu mir gesagt: „Sie waren bei der Hitlerjugend.” Ich antwortete: „Ich war nie bei der HJ, ich bin von der Schule aus eingezogen worden.” Am nächsten Tag sagt er zu mir: „Sie waren in der Partei!” “Ich war nie bei der Partei, ich bin doch sofort eingezogen worden.” Am dritten Tag habe ich gedacht, der gibt mir keine Ruhe. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich beim Deutschen Roten Kreuz war. Daraufhin sagte er: „Na sehen sie!” Ich habe dann die benötigten Papiere bekommen und bin von da aus nach Linz gekommen, weil dort mein Onkel lebte, der Amtstierarzt war.
Mein Onkel war ein großer Mann bei der Heimwehr. Als die Nazis kamen, war er einer der ersten, die sofort eingesperrt wurde. Er ist in Konzentrationslager gekommen. Doch sie haben ihn wieder entlassen, denn er war ja kein Jude, sondern nur ein politischer Gegner. Sie haben ihn als Hilfsveterinär beim Militär eingesetzt. Als er von dort nach Hause kam, hat man ihn zum Landesveterinär gemacht. Ich habe immer Veterinärmedizin studieren wollen. Ich war den ganzen Sommer immer bei ihm und habe sehr viel gelernt. Als ich dann nach Wien nach Hause kam, hatten wir nichts, wir waren bettelarm .
Ich bin früher vor dem Krieg immer im Sommer mit dem Fahrrad gefahren und habe große Touren gemacht. Einmal bin ich mit einer amerikanischen Gruppe bis nach Jugoslawien gefahren. Mit einem von ihnen habe ich mich befreundet. Er hieß Cunningham. Dieser Cunningham war Legationsrat in der Botschaft, und er hat mich in Wien besucht. Wir haben uns dann auch getroffen. Er ist lebenslang ein guter Freund geblieben. Der Osten Österreichs war damals durch die Russen besetzt, und es war überall eine Hungersnot. Zu der Zeit hat ein Kilogramm Schmalz fünfhundert Schillinge gekostet. Dadurch, dass ich durch diesen Freund hin und her fahren konnte habe ich viele Hilfe durch ihn gehabt. Und er selbst hat mir auch Lebensmittel aus dem Westen gebracht.
Genau am selben Tag, fünf Jahre nach dem ich in den Krieg gezogen bin, bin ich auch wieder nach Hause gekommen. Am nächsten Tag schon bin ich zur Universität gegangen und habe mich einschreiben lassen. Ich habe dort studiert, das Tierarztexamen gemacht und anschließend das Doktorrat. Danach war ich Tierarzt in Gutenstein. Und wie es im Leben mitunter so geht, habe ich dort den Wiener Bürgermeister kennen gelernt. Die Familie hatte dort große Güter mit vielen Pferden. Der Wiener Bürgermeister hat zu mir gesagt: „Was reist du hier herum im Land, komm zu mir als Amtstierarzt nach Wien.” Da bin ich nach Wien gegangen. Inzwischen hatte ich geheiratet. Dann wurde in Wiener Neustadt eine neue Stelle ausgeschrieben, und ich bin dann fünfundzwanzig Jahre lang Veterinärdirektor von Wiener Neustadt gewesen. Ich hatte eine eigene Magistratsdirektion. Nicht nur die Aufsicht über den Schlachthof hatte ich, sonder auch das Marktamt und alles was dazu gehört. Ich habe hundertundzwanzig Leute unter mir gehabt, und das bis zu meiner Pensionierung.
Wenn man eine anständige Frau haben wollte, musste man zuerst eine Existenz haben. Früher war es so in Österreich. Wenn man keine Existenz hatte, hat man auch keine Frau bekommen. Aber ich war ja schon Tierarzt in Gutenstein, habe gut verdient, und es ist mir gut gegangen. Einmal wollte ich eine Tante in Wien besuchen. Sie war aber nicht zu Hause. Da bin ich durch die Rathausgegend geschlendert und habe ich meine jetzige Frau gesehen. Ich bin ihr nachgegangen. Zu meinem Glück ging sie in eine Tanzschule, und so konnte ich ihr folgen. In dieser Tanzschule habe ich sie dann kennen gelernt. Das war im November 1951, und nach elf Monaten waren wir verheiratet.
Eines abends in den 60iger Jahren standen die Missionare bei uns vor der Tür, und ich wollte die Tür schon wieder schließen. Aber die jungen Männer sahen so hungrig aus. Ich habe dann zu ihnen gesagt: „Ich lade euch ein zum Essen, aber wir sprechen nicht über Religion. Ich bin katholisch aufgewachsen und sehe keinen Grund, meine Konfession zu wechseln.” Die Missionare haben sich daran gehalten, und wir haben ein wenig geplaudert. Aber sie sind dann jeden Dienstag wieder gekommen. Sie haben wieder bei uns gegessen und wollten uns auch unterweisen. Aber ich sagte ihnen, dass ich nichts davon hören wolle. Wir wurden zehn Jahre lang von Missionaren besucht. Der Missionspräsident war sicher schon verzweifelt, wenn er Berichte über uns bekam. Als wir dann eine Reise nach Amerika unternahmen, haben wir einen der uns zuerst besuchenden Missionare besucht. Dieses war eine so liebe Familie und ist es heute noch. Wir haben auf unserer Rundreise auch Salt Lake City besucht, und meine Frau hat dort am Tempel Square im Gästebuch recht positive Gedanken zurückgelassen. Daraufhin besuchten uns in Österreich wieder die Missionare. Ich war nicht zu Hause. Meine Frau erklärte den Missionaren, dass wir früher schon gute Kontakte mit Missionaren hatten, aber in punkto Religion sind wir nicht interessiert. Diese Missionare sind auch nicht wieder bei uns erschienen. Aber dieser Jim, einer unserer ersten Missionare, hat uns immer geschrieben und zu Weihnachten kleine Aufmerksamkeiten geschickt – und das über Jahre hinweg. Meiner Frau hatte die liebevolle Art sehr gefallen und wollte wissen, wie die Mitglieder bei uns in Österreich sind. Sie ist zuerst allein hin gegangen.
Wir hatten da einen wunderbaren Lehrer. Die Untersucherklasse war ganz voll, und ich konnte Fragen stellen. Und sie wurden mir auch zufrieden stellend beantwortet. Später hat meine Frau dann herausgefunden, dass die Anderen in der Klasse alle abkommandierten Mitglieder waren, nur damit ich nicht alleine dort sitzen würde. Meine Frau hat mich dann überredet, auch einmal mit zu kommen. Erst dann kamen die Missionare wieder zu uns. Und wir haben uns dann im Jahr 1974 taufen lassen.
Eine sehr schöne und interessannte Geschichte!