Drohne, Niedersachsen

mormon deutsch irma minna schunkeMein Name ist Irma Minna Schünke, geborene Hadeler. Mein Vater war Franz Heinrich Hadeler und meine Mutter Karoline Wilhelmine Klanke. Mein Vater war 1866 geboren, meine Mutter war die zweite Frau. Mein Mann ist Werner Friedrich Wilhelm Schünke; er ist vor sechzehn Jahren gestorben. Ich bin in einem ganz kleinen Dorf aufgewachsen, nördlich von Osnabrück. Ich bin in Osnabrück geboren, aber nördlich von Osnabrück in einem kleinen Försterhaus im Wald aufgewachsen, in Drohne. Wir hatten kein Licht im Haus, wir mussten mit Petroleum und Kerzen haben, wir hatten kein Wasser im Haus. Draußen war ein Brunnen, da musste ich mit einem ganz langen Stock und ein Eimer dran das Wasser herausholen. Wir hatten dann auch Schwierigkeiten im Winter, wenn es zugefroren war.

Mein Vater ist 1942 gestorben, somit war ich mit meiner Mutter, die dann nervenkrank wurde allein. Meine Schwester ist geboren, wie meine Mutter schon in den Wechseljahren war. Dadurch ist meine Mutter krank geworden. Sie hat wohl nicht viel mehr gemacht. Sie ist dann, wie Vater tot war, mit dem Fahrrad fort und weg. Es war Krieg. Beim Fahrrad war vorne eine Karbidlampe und sie durfte es nicht anmachen, sonst hätten uns die Flugzeuge abends gesehen und hätten uns noch mehr Bomben drauf geworfen. Da haben die Leute gesagt, bleib einmal hier die Nacht. Ich war mit meiner kleinen Schwester immer allein. Wir, (meine meine Schwester und ich) sind fast zwölf Jahre auseinander. Ich musste meine Schwester großziehen, so zu sagen. Ich hatte auch einen weiten Schulweg. Ich musste fast dreiviertel Stunde laufen, weil wir so weit vom Dorf weg waren. Einkaufsmöglichkeiten gab es im Dorf auch nicht. So musste man zum nächsten Dorf. Später, wie ich dann zur Arbeit gegangen bin, dann musste ich noch weiter laufen und musste schon um fünf Uhr weg und musste noch weiter ins nächste Dorf. Da musste ich dann mit dem Bus 32 Kilometer zur Arbeit fahren.

Ich habe zuerst bei der englischen Besatzung in der Küche gearbeitet. Danach habe ich eine Arbeitsstelle gekriegt in einer Fabrik, wo ich das Nähen gelernt habe. Was mir auch sehr zugute kam. Mein Mann fand da keine Arbeit, wie er aus der Gefangenschaft kam, und so sind wir nach Oberhausen gekommen. Wir waren früher evangelisch. Mein Vater ist aus der Kirche herausgeworfen worden. Der Pastor hat von Hitler erzählt und da ist mein Vater aufgestanden, (mein Vater war so ein derber, ein Deutscher) er hat gesagt: “Herr Pastor, in der Kirche will ich Gottes Wort hören und nicht deine Politik“. Da haben die Kirchendiener ihn genommen und haben ihn rausgeworfen. Er durfte in die Kirche nicht wieder hineinkommen.

Ich habe noch eine Luthers Hauspastille, nennt sich das, das Vater zu seiner ersten Hochzeit gekriegt hat, da steht für jeden Sonntag eine Predigt drin, von Dr. Martin Luther. Das hat mein Vater sonntags vorgelesen. Sechs Kilometer davon war ein Diakonissen-Mutterhaus, aus Pfandsburg. Da bin ich sonntagmorgens schon oft hingegangen und habe dann aber wirklich was gelernt. Eine Schwester, die hatte mich sehr lieb. Die zeigte mir Stücke aus der Bibel, Kirchenlieder, das habe ich mit ihr gelernt. Ich habe das genossen, wenn es auch sechs Kilometer waren. Ich war Sonntag dort. Es war jemand da, der mich lieb hatte. Das war das wichtigste. Meine Mutter hat sich nicht groß um uns gekümmert. Als mein Vater dann nicht mehr da war, da war ich wirklich einsam mit meiner kleinen Schwester.

Wie mein Mann und ich nach Oberhausen kamen, da sind die Kinder so nacheinander geboren. Wir sind dann einmal zur Kirche gegangen, einmal nicht, wir waren noch evangelisch und haben auch evangelisch geheiratet. Dann musste unsere Große in den Konfirmandenunterricht. Ich hatte meine Kinder immer darauf hingewiesen, auf Göttliches, dass sie wirklich im Göttlichen erzogen werden sollten. Unsere Große kam nach Hause heulend und sagte: “Ich gehe da nicht mehr hin“. „Warum gehst du da nicht mehr hin“? „Nein, da geh ich nicht mehr hin!“ Ich sage: „Da musst du den Grund sagen, warum nicht“. Da kam mein Mann von der Arbeit und sagte: “Was heulst du denn?“ „Da geh ich nicht mehr hin“. Er sagte: „Warum nicht?“ „Der Pastor hat gesagt, die Bibel ist ein Romanbuch, aber er müsste uns ja etwas beibringen“. Mein Mann sagte: „Da kommst du nicht mehr hin, da gehst du da nicht mehr hin“! Das war samstags. Wir gehen montagmorgens zum Gericht und lassen uns aus der Kirche austragen. Wenn der selber nicht daran glaubt, was er predigt, brauchst du da nicht mehr hingehen.

Jetzt hatten wir keine Kirche. Meine Schwiegermutter gehörte zu Pfingstgemeinde, zur Urchristlichen Mission, die da in Oberhausen ist, da sind wir dann ein paar Mal hingegangen. Das war auch nicht das Richtige. Was die da gesagt haben, was wir sollten und so weiter, das war auch nicht das Richtige. Dann kamen Missionare bei uns an die Tür. Die Hatten ein großes Traktat. „Haben Sie dies schon einmal gelesen“? „Nein“, wieso“?. Es ist an jeder Litfasssäule!“ „Da habe ich keine Zeit zu, Ich habe einen großen Haushalt, (da war meine Mutter noch bei mir). Wenn ich in die Stadt gehe, da gehe ich einkaufen und wieder zurück, weil ich gar keine Zeit habe“! Ob sie wieder kommen dürften. „Ja, mein Mann ist heute Nachmittag da, gegen Abend, kommen Sie dann noch einmal“. Ich sagte meinem Mann: „Da waren zwei, die haben etwas von Mormon oder was erzählt, unterhalt dich heute Abend mit ihnen“. Da sagte mein Mann: “Ja, wenn du die Bücherreihe, (mein Mann war sehr belesen), wenn du die Bücherreihe von Conny Köll gelesen hättest, da gibt es einen, der ist Mormone, der heißt, ‘Der Besondere’, wenn du das gelesen hättest, dann wüsstest du. Und wenn wir keine andere Kirche mehr haben, lass uns da hin gehen“!

Dann haben aber die Missionare mittwochs die Kinder abgeholt zum Primarverein. Da war ich damit einverstanden. Ich hatte auch nicht das Geld, dass ich sie hätte mit der Straßenbahn fahren lassen können. Dann haben sie die Kinder abgeholt. Ich war froh, in der Zeit, wo die nicht da waren, Ich hatte ja alles für die Kinder selbst genäht, da konnte ich in der Zeit nähen und ich hatte keinen um mich. Das war so schön. Das ging eine ganze Zeit. Dann kam Pfingsten und dann sagten die Kinder: “Mutti, da ist es so schön, da hat uns keiner ausgelacht, die haben alle gesagt, das ist so schön, dass wir so viele Kinder sind, komm doch einmal mit“! Da hat mein Mann gesagt: „Da geh du alleine. Ich geh da nicht mit, weil schon so viele gesagt haben: „Sie mit den vielen Kindern, Sie mit den vielen Blagen“. So richtig böswillig. Dann bin ich mitgegangen und ich war so überrascht, keiner hat was gesagt gegen die Kinder, und dass ich so viel Kinder hatte. Es waren alle so freundlich zu mir. Das konnte ich im Moment gar nicht begreifen. Als ich dann wiederkam sagte mein Mann: „Haben sie dich auch ausgelacht mit den vielen Kindern“? Ich sagte: „Du die waren begeistert davon“! „Das kann doch nicht wahr sein“ sagt er. Dann ist mein Mann auch einmal mitgegangen. Aber das war alles noch nicht das Richtige. Mein Mann, der war immer noch ein bisschen vorsichtig. Der eine Missionar hat meinen Mann wie einen Freund behandelt, er hat eine Freundschaft aufgebaut und das hat meinem Mann so gut gefallen. Er hat gesagt: „Ich werde als Mensch akzeptiert“. Dann sind wir dahin gegangen. Am 3.März 1963 sind wir getauft und seitdem immer da gewesen.

Zwei Mal bin ich Missionarin gewesen, Genealogiemissionarin, mit meinem Mann zuerst zusammen, und dann kriegte er den Herzinfarkt nach einem Jahr und da konnte er nicht weiter und der Missionspräsident hat damals gesagt, wie ich meine zwei Jahre herum hatte, ob ich nicht noch zwei Jahre machen würde, weil mein Mann seine Mission nicht zu Ende gemacht hatte und dann habe ich noch zwei Jahre in Wuppertal gemacht.

Ich bin 1929 geboren, ich habe eine schöne Schulzeit gehabt , obwohl ich weit, weit zur Schule hatte, dann war Schloss Haldem, das es heute noch gibt, eine Aufbereitungszeit für Alkoholiker und so weiter. Damals war das so, das war Gebietsführerschule Langenmark zur Hitlerzeit. Da musste man immer hin zur Hitlerzeit. Die Uniform, die wir hatten, die habe ich gerne gehabt. Das waren was Schönes, die Westen, weiße Söckchen und schönen Rock, das habe ich gerne gehabt. Das war Bund Deutscher Mädchen (BDM). Unser Vater hielt da nichts davon.

Wie der Krieg ausbrach, da hatte unser Vater gerade einer Judenfamilie geholfen nach England hin. Er hatte immer Kontakt. Die Mutter habe ich nie gesehen. Das waren der Vater und die Tochter. Mein Vater hat sich immer mit dem Vater unterhalten und ich habe mit der Tochter in einem Zimmer gespielt, so habe ich viel mitgekriegt, was die miteinander gesprochen haben. Da habe ich einen Tag gesagt: „Papa, warum gehen wir nicht mehr nach den Debären“? „Die sind nicht mehr da“. Da war ich sehr traurig und habe geweint. Sagte er: „Ne, ne denen geht es jetzt gut, die sind nicht mehr da“. Die vom Dorf haben das mitgekriegt, dass die nicht mehr da waren und dass sie nicht mehr fangen konnten. Dann haben sie gesagt: „Entweder verschwindest du hier oder wir müssen dich aufhängen“. Das war wirklich eine schlimme Sache. Wo wir da wohnten, gegenüber war ein Arbeitslager. Somit waren wir wirklich in Gefahr. Dann sagte mein Vater: „Gut, dann such ich mir etwas anderes“. Wo wir dann wohnten, das gehörte zu Niedersachsen. Und dann sind wir nach Westfalen gegangen. Dann hat er sich das gesucht. Das uralte Försterhaus im Wald. Da sind wir dann gewesen, bis ich nach Oberhausen kam. Für mich war eigentlich, wie der Krieg ausbrach, ich weiß noch wie mein Vater stand und sagte: „jetzt ist es vorbei“ und hat bitterlich geweint. Wie die ersten Bomben fielen, hat er gesagt: „Jetzt ist das Ende“. Mein Vater ist 1942 gestorben und hat somit nicht alles mehr mitgekriegt. Das Dorf ist sehr kaputt geschmissen worden. Es sind Bomben auf den Friedhof geschmissen worden. Die Gräber sind verschüttet worden, es war ganz furchtbar, man kann es gar nicht in Worte fassen. In dem Dorf ist auch eine Luftmine geflogen und ein Mann, dem das gehörte, der ist in Stücke. BDM hat ihn wieder zusammengesucht. Da habe ich zum ersten Mal Stücke von Toten gesehen, die zusammengetragen werden mussten, dass er aufgebahrt und dann beerdigt werden konnte. Das war eine sehr harte Zeit.

Einmal, da hatte ich gar nichts mehr zu essen. Da wusste ich gar nicht mehr, wie ich das machen sollte. Hinten im kleinen Garten , da hatten wir Kohl gehabt und die Kohlköpfe abgeschnitten und was da wieder neu aufsprießt, das habe ich in einen Topf getan und ich hatte noch ein Margarinepapier im Schrank und das habe ich zusammen gekocht, und das war das, was wir zusammen gegessen haben. Wenn Pilze waren, dann habe ich gesorgt, dass die Pilze auf den Faden aufgezogen wurden, ans Haus gehängt. Wenn gar nichts war, dann haben wir einfach Wasser und die Pilze da rein und Salz kriegten wir auch Zuteilung. Für unseren drei Personenhaushalt , meine Mutter, meine Schwester und ich und wir kriegten alle zwei Monate ein halbes Pfund Salz., da mussten wir aufpassen, sonst hätten wir bald keines gehabt. Das war schon eine schlimme Zeit. Aber ich habe von meinem Vater, der war Landschaftsgärtner und somit habe ich auch gelernt, Kräuter sammeln und so weiter. Es gibt wilde Melde. Es gibt Melde, die kann man kaufen, da kann man Gemüse davon machen. Diese wilde Melde, die wächst als Unkraut. Bei den Leuten habe ich gefragt, ob ich ringsum wilde Melde herausreißen kann, da habe ich dann Essen davon gekocht. Ich bin ohne Fett aufgewachsen. Und wie ich nach Oberhausen kam, es war auch gleich sehr wenig, weil mein Mann ja nur 40 Pfennig in der Stunde bekam. Und dann war ich mit dem dritten Kind schwanger, dann war ich lungenkrank. Ich war so runtergekommen. Ich hatte noch 72 Pfund. Es war eine ganz schlimme Zeit. Ich war ein ganzes Jahr im Lungenheim gewesen. Mein Mann und meine Mutter und meine Schwester, die auch noch Schulkind war, die hat sich dann um meine beiden Kinder, die da waren mit gekümmert. Mein Mann hat sich eine zweite Steuerkarte geholt, und hat versucht, Nebenarbeit zu machen. konnte. Denn, was er verdient hat, das war wirklich nicht das meiste. Das war eine ganz, ganz schlimme Zeit.