Sprindacker, Schlossberg, Ostpreußen
Mein Name ist Gerda Lemke, geborene Schmäling. Mein Vater war Albert Schmäling und meine Mutter Emma Schön. Wir lebten in Sprindacker, Kreis Schlossberg in Ostpreußen auf unserem Bauernhof. Mein Vater war Soldat. Meine Mutter musste die Wirtschaft allein führen. Es lebten auf dem Hof noch meine Großeltern, also die Eltern meiner Mutter. Sie hießen: August Schön und Wilhelmine Schön, geborene Broszeit.
Die Schwester meiner Mutter wohnte in Herne, seit sie verheiratet war, war aber zu der Zeit evakuiert und lebte auch seit 1½ oder zwei Jahren bei uns auf dem Hof. Dann hatten wir noch einen Gefangenen Polen, mit Namen Franz, der uns bei der Arbeit half, weil mein Vater Soldat war.
Im Oktober 1944 kam die russische Front immer näher. Zwei Tage, bevor wir flüchten durften, hatten wir meinen Großvater begraben. Am Tag nach der Beerdigung kam dann schon das deutsche Militär auf den Hof. Es waren etwa dreißig Mann, die irgendwo in der Scheune oder im Stall geschlafen haben. Die Bäume wurden abgesägt und die Militärfahrzeuge damit getarnt. Am Tag danach bekamen wir den Befehl auch wegzufahren. Jeder, der ohne Erlaubnis flüchten wollte, musste um sein Leben fürchten. Die Einwohner unseres Dorfes sollten sich schon mittags, etwa acht Kilometer entfernt, in einem Dorf, mit anderen treffen. Aber wir konnten erst vom Hof fahren, als die Sonne unterging. Die Verzögerung war durch die vorangegangene Beerdigung bedingt, und so waren wir nicht mit unserem Dorfbewohnern zusammen. Meine Großmutter war seit drei Jahren gelähmt und wir haben immer auf sie Rücksicht genommen.
Wir sind dann über Westpreußen bis nach Rummelsburg in Pommern gekommen. Dort wurden wir bei einem Bauern eingemeindet, das heißt, wir mussten dort bleiben. Ich weiß nicht, wann wir ankamen, aber zu Weihnachten waren wir schon dort. Im März kam dann das deutsche Militär auf den Hof. Die Soldaten sagten uns, dass die Front ganz nah ist und die Russen in 15 Minuten da sein könnten. Wir mussten schnellstens weiterziehen. Gleich nach der Abfahrt kamen wir zwei Mal unter Beschuss. Einmal vom Flugzeug aus und ein Mal durch Granaten. Die Kugeln pfiffen an unseren Köpfen vorbei und wie durch ein Wunder wurden weder Mensch noch Tier verletzt. Von vorbeifahrenden deutschen Soldaten bekamen wir die Auskunft, dass wir den kürzeren Weg durch die Stadt Rummelsburg noch benützen könnten.
Als wir an den Abzweig nach Rummelsburg kamen, sagte uns der Pole, „Frau, meine Herz sprechen, nicht durch Stadt fahren“. Da er ein ausgebildeter Soldat war und genau wie wir um sein Leben fürchtete, vertraute meine Mutter dem Empfinden des Gefangenen und wählte den Umweg. Wie wir später erfuhren, war die Stadt zu diesem Zeitpunkt bereits von den Russen besetzt. Unsere Flucht dauerte dann noch eine Woche.
Wir waren in Schmolsin an der Ostsee und wollten unsere Fahrt morgens fortsetzen, als die ersten russischen Soldaten uns Flüchtlinge von dem Wagen holten und gefangen nahmen. Nach einer Woche begaben wir uns auf die Heimfahrt. Jedenfalls dachten wir, dass wir wieder nach Hause fahren könnten. Kurz vor Stolp wurde uns alles weggenommen, allerdings durften wir soviel mitnehmen, wie wir tragen konnten. Wir sind dann zu unserem letzten Quartier zurückgegangen und dort geblieben (bei Familie Kowalke in Schmaatz, Kreis Stolp). Der Pole hat uns ein paar Tage nach der Gefangennahme verlassen. Wenn er länger geblieben wäre, hätte er als deutschfreundlich gegolten und selbst Schwierigkeiten bekommen. Meine Großmutter ist einige Tage nach Ostern 1945 gestorben und wurde in Schmaatz begraben. Für die Beerdigung hat meine Mutter von jedem Bauern ein Brett bekommen und ein Flüchtling hat daraus einen Sarg gezimmert.
Dann kam ein Zeitpunkt, den ich nicht mehr bestimmen kann, der aber unser Leben etwas erleichterte. Irgendwann sah ein russischer Soldat, dass meine Mutter nähen konnte. Er fragte erstaunt: „Du Schneiderin“? Frau Kowalke hatte eine Nähmaschine, aber das Schiffchen für die Spule war verloren gegangen. Der Soldat ging durch das ganze Dorf und nahm alle Schiffchen der Nähmaschinen mit, damit meine Mutter das passende Teil aussuchen konnte. Dann sollte sie aus einem Militärmantel eine Hose nähen. Als Bezahlung brachte er ein Weißbrot und etwas Zucker, etwa zwei Esslöffel voll. Danach ließen immer mehr Soldaten etwas nähen und als Bezahlung gab es immer Lebensmittel. Ohne Mutters Arbeit hätten wir betteln müssen.
Als die Bauernhöfe in Schmaatz an Polen übereignet wurden, lebten wir auf dem benachbarten Gut Nipnow. Dieses Gut wurde weiterhin von russischen Soldaten verwaltet und die Erträge wurden an das Militärhospital in Stolp geliefert. Als das Gut im Sommer 1947 auch an einen Polen übergeben wurde, musste Mutter sich nach einer anderen Arbeit umsehen.
Die Russen hatten unsere Mähmaschine mitgenommen, und so fragte sie in Schmaatz bei den Polen, ob sie eine Mähmaschine hätten und Mutter etwas für sie nähen könnte. Die Frage wurde positiv beantwortet. Wir hatten wieder Arbeit und der Lohn für die Näharbeit bestand aus täglich drei Mahlzeiten. Damit ich auch etwas zu essen bekam, musste ich den ganzen Tag dort sein und mithelfen. So konnte ich mir etwas von den Fähigkeiten meiner Mutter absehen, und habe mein Leben lang davon profitiert.
Im Herbst 1947 durften wir dann nach Deutschland auseisen. Zuerst ging es in das Lager Dommitzsch in Sachsen. Nach vier Wochen Quarantäne kamen wir nach Paußnitz auf einen Bauernhof. Hier hat Mutter fleißig bei der Ernte geholfen und wieder hatten wir unser tägliches Brot. Im Dezember 1947 durften wir nach Westdeutschland ausreisen.
Mein Vater war aus der französischen Gefangenschaft nach Herne entlassen worden und bewohnte ein kleines Mansardenzimmer. Hier lebten wir eine Zeit lang mit drei Personen. In Herne kamen wir mit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage in Kontakt und ließen uns im Dezember 1948 taufen.
Im Oktober 1944 kam die russische Front immer näher. Zwei Tage, bevor wir flüchten durften, hatten wir meinen Großvater begraben. Am Tag nach der Beerdigung kam dann schon das deutsche Militär auf den Hof. Es waren etwa dreißig Mann, die irgendwo in der Scheune oder im Stall geschlafen haben. Die Bäume wurden abgesägt und die Militärfahrzeuge damit getarnt. Am Tag danach bekamen wir den Befehl auch wegzufahren. Jeder, der ohne Erlaubnis flüchten wollte, musste um sein Leben fürchten. Die Einwohner unseres Dorfes sollten sich schon mittags, etwa acht Kilometer entfernt, in einem Dorf, mit anderen treffen. Aber wir konnten erst vom Hof fahren, als die Sonne unterging. Die Verzögerung war durch die vorangegangene Beerdigung bedingt, und so waren wir nicht mit unserem Dorfbewohnern zusammen. Meine Großmutter war seit drei Jahren gelähmt und wir haben immer auf sie Rücksicht genommen.
Wir sind dann über Westpreußen bis nach Rummelsburg in Pommern gekommen. Dort wurden wir bei einem Bauern eingemeindet, das heißt, wir mussten dort bleiben. Ich weiß nicht, wann wir ankamen, aber zu Weihnachten waren wir schon dort. Im März kam dann das deutsche Militär auf den Hof. Die Soldaten sagten uns, dass die Front ganz nah ist und die Russen in 15 Minuten da sein könnten.
Wir mussten schnellstens weiterziehen. Gleich nach der Abfahrt kamen wir zwei Mal unter Beschuss. Einmal vom Flugzeug aus und ein Mal durch Granaten. Die Kugeln pfiffen an unseren Köpfen vorbei und wie durch ein Wunder wurden weder Mensch noch Tier verletzt. Von vorbeifahrenden deutschen Soldaten bekamen wir die Auskunft, dass wir den kürzeren Weg durch die Stadt Rummelsburg noch benützen könnten. Als wir an den Abzweig nach Rummelsburg kamen, sagte uns der Pole, „Frau, meine Herz sprechen, nicht durch Stadt fahren.“ Da er ein ausgebildeter Soldat war und genau, wie wir um sein Leben fürchtete, vertraute meine Mutter dem Empfinden des Gefangenen und wählte den Umweg. Wie wir später erfuhren, war die Stadt zu diesem Zeitpunkt bereits von den Russen besetzt. Unsere Flucht dauerte dann noch eine Woche.
Wir waren in Schmolsin an der Ostsee und wollten unsere Fahrt morgens fortsetzen, als die ersten russischen Soldaten uns Flüchtlinge von dem Wagen holten und gefangen nahmen. Nach einer Woche begaben wir uns auf die Heimfahrt. Jedenfalls dachten wir, dass wir wieder nach Hause fahren könnten. Kurz vor Stolp wurde uns alles weggenommen, allerdings durften wir soviel mitnehmen, wie wir tragen konnten. Wir sind dann zu unserem letzten Quartier zurückgegangen und dort geblieben (bei Familie Kowalke in Schmaatz, Kreis Stolp). Der Pole hat uns ein paar Tage nach der Gefangennahme verlassen. Wenn er länger geblieben wäre, hätte er als deutschfreundlich gegolten und selbst Schwierigkeiten bekommen.