Topolcany, Slowakei
Mein Name ist Miroslava Menssen–Bezakova. Am 29. Januar 1939 in Topolcany in der Mittelslowakei habe ich das Licht der Welt erblickt. Mein Vater, Mikulas Bezak, 1911 in der Ostslowakei geboren, kam als junger Mann in die Tschechei, um in Brunn, auf der Militär-Akademie zu studieren.
Meine Mutter, Miroslava Vesela, wurde 1914 in Süd Böhmen geboren. Als fünfjähriges Mädchen zog sie mit ihrer Familie nach Brunn, wohin ihr Vater, als Offizier, verlegt wurde. Dort haben sich meine Eltern später kennengelernt, und 1938 geheiratet.
Das von Zweitem Weltkrieg geprägtes Jahr 1939 brachte dem jungen Ehepaar eine große Umstellung. Die Tschechei wurde ein Protektorat von Deutschland, wobei die Slowakei mit Hitlers Regierung einen Pakt geschlossen hat. Die Grenze zwischen der Slowakei und der Tschechei wurde geschlossen. Es gab einen Aufruf, in dem alle Slowaken in die Slowakei, und die Tschechen in die Tschechei umsiedeln sollten. Mein Vater, ein gebürtiger Slowake, musste als junger Offizier in die Slowakei zurück. Meiner, zu der Zeit, hochschwangeren Mutter blieb nichts anderes übrig, als mitzukommen. In dieser Zeit fängt die Bekehrungsgeschichte unserer Familie an.
Mein Vater diente in Topolcany, einer kleinen Stadt in der mittleren Slowakei. Meine Mutter konnte noch nicht slowakisch und fühlte sich dort sehr einsam. Sie fing an, die katholischen Gottesdienste zu besuchen. Eines Tages hörte sie mit großem Erstaunen, was der Pfarrer predigte, nämlich, dass jeder Slowake, der einen Tschechen umbringt, wird ins Himmelreich kommen. Diese Aussage des Geistlichen verursachte bei meiner tschechischen Mutter Panik. Mit dem Gedanken: „Mit Kirchen will ich nie wieder etwas zu tun haben“, rannte sie aus der Kirche. Am nächsten Tag, als sie mit dem Kinderwagen, in dem ich lag, spazieren ging, erlebte sie, dass ein junger Mann, mit einem Messer in der Hand, hinter ihr herlief. Zum Glück standen in der Nähe Soldaten, die diesen Mann festgehalten haben.
Wir sind oft mit meinem Vater umgezogen. Zuletzt lebten wir in Poprad, einer reizvollen Stadt im Osten der Slowakei. Als 1943 meine Schwester Vera unsere Familie vergrößerte, waren meine Eltern schon gut situiert. Es gab Dienstpersonal, ein Auto, und in den großzügigen Räumen unserer Wohnung Gesellschaftsabende. Mein Vater war ein angesehener Mann und meine Mutti eine Pianistin, die oft in der Öffentlichkeit auftrat.
Vor dem Ende des Krieges gab es eine dramatische Wende in unserer Familie. Im Jahr 1944, als noch die slowakische Armee auf der Seite der Deutschen, kurz vor dem Rückzug nach Westen, in Russland kämpfte, haben sich die Slowaken gegen das deutsche Regime erhoben. Unmittelbar nach der Rückkehr in die Slowakei wurden Soldaten, besonders Offiziere aufgefordert, sich sofort dem Aufstand anzuschließen, der als Partisanen-Krieg geführt wurde. Auch mein Vater hat sich dem Aufstand angeschlossen. Aber er hat befürchtet, dass es im Fall einer Niederlage, für meine Mutter, als eine Frau des Offiziers, der jetzt als Partisan gegen die Deutschen kämpft, gefährlich sein könnte, in der Stadt zu bleiben. Deswegen hat er uns alle in das Kampfgebiet mitgenommen. Ich war damals fünf Jahre und meine Schwester ein Jahr alt. Man hat uns die „jüngsten Partisanen“ genannt.
Leider wurde die Erhebung zerschlagen, und die deutschen Soldaten haben eine Verfolgungsjagd nach den Partisanen begonnen. Auch mein Vater musste flüchten. Selbstverständlich, mit der ganzen Familie. Zuerst fuhren wir mit unserem Auto von Ort zu Ort, immer in der Nacht, in der Furcht von den Deutschen gefangen zu werden. Als wir tief in den Bergen waren, musste mein Vater das Auto stehen lassen, und weiter ging es zu Fuß. Wir haben viele Männer gesehen, die ebenfalls auf der Flucht waren. Zum Schluss strebten alle zu dem vor uns liegendem Wald. Das war die allerletzte Rettungsmöglichkeit. Ich sehe es noch heute vor meinen Augen: Rechts vor uns befand sich ein dichter Wald mit Tannen und Fichten, ein ideales Versteck, wie es schien, und alle liefen dorthin. Aber meine kluge Mutter sagte: „Da möchte ich nicht hin, wenn die Deutschen kommen, werden sie hineinschießen. Lass uns weiter gehen“! Nicht weit entfernt, links von uns, befand sich ein dünn bewachsener Buchenwald. Die Bäume waren sehr dick. Meine Mutti hat vorgeschlagen, uns dort zu verstecken. Mein Vater war damit einverstanden und fing gleich an, ein Loch hinter einem dicken Baum zu graben, wo wir uns verstecken wollten. Unterwegs hatten meine Eltern eine Zeltplane gefunden, die sie mitgenommen hatten. Dann haben wir uns in das Loch hineingelegt, und mit der Plane zugedeckt. Dort lagen wir viele Tage. Der Herbst war schon da, und es hat geregnet. Ich kann mich erinnern, dass ich nur leicht angekleidet war. Es gab nichts zum Umziehen, und es gab keine Windeln für meine kleine Schwester. Um unseren Hunger zu stillen, gab uns unser Vater hin und wieder etwas in den Mund. Er hatte nämlich noch ein kleines Stück Soldatenbrot, das feucht geworden war, und ein paar Zuckerwürfel in der Hosentasche. Wenn meine Schwester anfing, zu weinen, mussten meine Eltern dem armen Kind den Mund zuhalten.
Nicht weit von unserem Versteck wurde mit Maschinengewehren geschossen. Auch Granatfeuer war zu hören. Das war schrecklich. Aber es wurde immer nur in die Richtung des dichten Waldes geschossen. Nicht dorthin, wo wir lagen.
Nach einigen Tagen hörte die Schießerei auf. Es schien so zu sein, dass die Soldaten abgezogen waren. Wir brauchten dringend Wasser. Es war spät abends, als mein Vater losgegangen war, um nach Wasser zu suchen. Wir haben auf ihn gewartet, und er kam stundenlang nicht zurück. Meine Mutti hat uns später erzählt: „Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass ich beten soll.“ Sie hat sich hingekniet, und inniglich um Gottes Hilfe gefleht. Unmittelbar bekam sie ein Gefühl, dass irgendwie alles gut sein wird. Bald danach kam auch mein Vater mit einem Helm voll Wasser zurück.
Am nächsten Morgen, da keine Schießerei mehr zu hören war, haben meine Eltern die Plane abgedeckt, und meine Schwester durfte endlich nach Herzenslust schreien. Es hat nicht lange gedauert, bis wir Soldaten- Schritte hörten. Das Versteck hat mein Vater wieder schnell zugedeckt, aber es war zu spät. Wir wurden entdeckt. Mann konnte schon die Nähe der Soldaten spüren. Da waren sich meine Eltern einig: „Lass uns doch die Plane schnell abdecken, damit sie sehen können, dass hier nur eine Familie versteckt ist, dann werden sie nicht hineinschießen“.
Die Deutschen Soldaten haben uns in einem schrecklichen Zustand entdeckt. Aber etwas Besonderes ist dabei passiert, was wiederum zeigt, wie das Gebet meiner Mutter erhört worden ist. Einer der Soldaten hat gemerkt, dass mein Vater eine Uniform Jacke trug. Er riet ihm, die Jacke auszuziehen und wegzuwerfen, damit er melden kann, dass wir nur als Zivillisten gefunden worden sind, die aus Angst vor den Partisanen geflüchtet waren. Dieser inspirierte Mann muss ein Werkzeug in der Hand Gottes gewesen sein, um unsere Familie zu retten.
Wir wurden in eine naheliegende Ortschaft mitgenommen. Dort haben wir noch viele gefangene Partisanen gesehen. Man hat uns zuerst mit den anderen Männern an eine Mauer gestellt. Die deutschen Soldaten, mit ihren auf uns gerichteten Gewehren, standen uns gegenüber und hatten aufgeregt miteinander diskutiert.
Alle an der Mauer waren sich sicher, dass wir erschossen werden. Niemand hatte Angst gezeigt. Meine Eltern haben es mir später erklärt, dass der Gedanke „wir haben gemeinsam für eine gute Sache gekämpft“ die Leute so tapfer machte. Ich habe gesehen, dass sich alle an den Händen hielten. Ich kann mich noch erinnern, dass ich es ebenfalls begriffen habe, dass wir getötet werden. Meine einzige Sorge war, es nicht sehen zu müssen, wie meine Eltern sterben werden, und ich habe meiner Mutti zugeflüstert: „Bitte sag den, dass sie mich zu erst erschießen sollen, damit ich nicht sehen muss, wie ihr umfällt.“ Aber da kam schon ein Offizier und hat unsere Familie aus der Reihe herausgeholt. Man hat uns dann mit einem Lastwagen weggefahren, und in einer unbewohnten Wohnung einquartiert. Dort durften wir eine Zeit lang bleiben. Unsere Nachbarn, die ganz liebe Leute waren, haben für uns gesorgt, und uns sehr geholfen. Meine Schwester wurde schwer krank, und ich habe oft meine Mutti weinen sehen.
In dieser schweren Zeit wurde die Grundlage dafür gelegt, dass meine Eltern später das Evangelium annehmen konnten. Meine Mutter war vorher eine stolze Frau. Diese demütigenden Erlebnisse, so sagte sie immer wieder, waren eine Vorbereitung darauf, dass sie sehr schnell erkennen konnte, dass die Botschaft der Missionare der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wahr ist. Bevor aber die Missionare unsere Familie gefunden haben, ist noch viel geschehen. Wir kamen zurück nach Poprad. In unserer Wohnung lebten fremde Menschen. Die deutsche Armee bewegte sich westwärts, dafür aber kamen die Russen – „die Befreier“, ein wahrer Schreck der Bevölkerung.
Eines Tages verschwand mein Vater. Es hat Monate gedauert, bis meine Mutter erfuhr, dass man ihn ins Gefängnis gesteckt hat. Mein Vater war ein rechtschaffener und gerechter Mann. Als ein Offizier sorgte er immer dafür, dass es seinen Soldaten gut geht. Dadurch hat er sich unter den Offizieren aber Feinde gemacht. Einer von diesen Männern hat zu meinem Vater gesagt: „Ich werde dafür sorgen, dass du und deine Familie zerstört wirst“. Nach dem Kriegsende hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sein Vorhaben zu verwirklichen. Mit lügenhaften Anschuldigungen hat er meinen Vater denunziert, und verhaften lassen. Mein Vater kam in das Untersuchungsgefängnis in Prag. Da man ihn nichts beweisen konnte, wurde er in ein Irrenhaus gesteckt. Dort hat man ihn mit allen möglichen Drogen vollgestopft. Er war damals nur 36 Jahre alt.
Nach der Inhaftierung meines Vaters blieb meine Mutter in der Slowakei, allein mit uns zwei Kindern, schwanger und mittellos. Im Sommer 1945 kam mein Großvater, um uns in die Tschechei nach Brunn mitzunehmen. Das war eine sehr beschwerliche Reise. Wo die Bahnstrecke durch Bombardierung unterbrochen wurde, sind wir, meine schwangere Mutter, meine 1½ Jahre alte Schwester, mein Großvater und ich zu Fuß gegangen. Wenn wir Glück hatten, wurden wir gegen Bezahlung ein Stück des Weges mit einem Bauernwagen mitgenommen. Die Entfernung von Poprad nach Brunn ist etwa 550 Kilometer. Tagelang waren wir unterwegs. Leib an Leib mit vielen anderen Mitreisenden, darunter etliche Soldaten, die nach Unsauberkeit rochen, übernachteten wir in den Bahnhöfen auf dem Fußboden. Dabei bekamen wir Läuse, meine Schwester erkrankte an Diphtherie und musste gleich nach unserer Ankunft in Brunn ins Krankenhaus. Am 1.September wurde ich eingeschult, und vier Tage später wurde meine zweite Schwester Eva geboren. Es war eine Frühgeburt. Meine arme Mutter, was hat sie doch alles in dieser Zeit ertragen müssen! Mein Vater war verschollen, sie selbst, nach der Geburt noch sehr geschwächt, musste um die Gesundheit ihren beiden kleinen Kindern bangen. Bei meinen Großeltern haben wir in sehr armseligen Umständen gewohnt. In einer Einzimmer-Wohnung ohne Badezimmer lebten wir mit 5 Erwachsenen und 3 Kindern. Es hat Monate gedauert, bis wir eine eigene Wohnung bekamen.
Eine Zeit später erfuhr meine Mutter, dass ihr Klavier aus Poprad ihr nachgeschickt werden kann. Somit konnte sie, als das Klavier da war, Unterricht geben, um uns über die Runden zu bringen. Eines Tages kam auch mein Vater wieder zurück. Er hatte sich sehr verändert, und war schwierig geworden. Aber er hatte seinen klugen Kopf behalten, und war erfinderisch, was ihm dazu verholfen hatte, als Konstrukteur in einer renommierten Firma eine gute Arbeitsstelle zu bekommen. Wir fingen an, wieder zu leben.
1948 kamen Missionare an unsere Tür. Sie versuchten uns zur Kirche einzuladen. Aber meine Mutter wollte mit „Kirchen“ nichts zu tun haben. Schon das Wort „Kirche“ war für sie wie ein rotes Tuch. Dennoch hatte sie nicht vergessen, dass der Vater im Himmel uns so geholfen hatte. Die Missionare haben es einige Mal versucht, meine Eltern einzuladen zur Versammlung zu kommen, aber meine Mutter hat ihnen deutlich gezeigt, dass sie nicht interessiert ist. Auch unsere Nachbarn waren nicht interessiert, sodass die Missionare beschlossen, sich in der Straße, wo wir wohnten, nicht mehr zu bemühen. Sie mussten dennoch an unserem Haus regelmäßig vorbei gehen, denn an der Ecke unserer Straße befand sich eine Gaststätte, wo die Kirche einen Raum gemietet hatte. Dort fanden die Versammlungen statt.
Richard Winder, der Ehemann von Barbara Winder, war als junger Mann in der Tschechoslowakei auf Mission. Elder Winder diente zu der Zeit in Brunn. Als er an einem kalten Wintertag mit seinem Mitarbeiter wieder an unserem Wohnhaus vorbei ging, bekam er einen inspirierten Gedanken, noch einmal in unser Haus zu gehen. In diesem Haus wohnten 18 Familien. Aber er ist gezielt nur an unsere Wohnungstür gegangen, und hat geklingelt. Meine Mutti hat die Tür aufgemacht, und als sie sah, dass wieder die Missionare an der Tür stehen, sagte sie gleich: „Wissen Sie, wir waren schon in ihrer Kirche.“ Meine Mutti hat nicht geahnt, dass die Versammlungen nur von wenigen Leuten besucht wurden, und dass die Missionare jedes Gesicht kannten. Elder Winder hat sie nur mit seinen gütigen Augen lange angeschaut. Sie erkannte, dass sie durchschaut wurde, und hat sich für ihre Lüge sehr geschämt. Und dann versprach sie: „Diesmal aber werden wir wirklich kommen.“
Am darauf folgenden Sonntag ist unsere Familie zum Gottesdienst gekommen. Meine Eltern haben den Geist so stark verspürt, dass sie gleich wussten, dass wir auch dazugehören sollten. Seit diesem Sonntag sind wir regelmäßig zur Kirche gegangen. Meine Mutti hat bald als Organistin mitgeholfen. In der Woche besuchten meine Eltern die Gemeinschaftliche Fortbildungs- Vereinigung. Ich durfte auch mitkommen. Ich war damals neun Jahre alt, ging auch in die Primarvereinigung, wo ich mich sehr wohl fühlte. Das hat aber Elder Winder nicht mehr erlebt, denn er wurde gleich den Tag darauf versetzt, nachdem er an unsere Tür kam. Erst nach ca. 40 Jahren als Schwester Winder, die damalige FHV Präsidentin der Kirche war, in Kanada – Alberta, wo meine verwitwete Mutter nach ihrer Emigration lebte, eine Fireside gab, hat meine Mutti sie angesprochen, und gefragt, ob ihr Mann zufällig Missionar in der Tschechoslowakei war. Dadurch kam es zu der Verbindung mit Bruder Richard Winder, der überhaupt keine Ahnung hatte, dass sein inspirierter Besuch an unserer Tür so erfolgreich war.
Als mein Mann und ich ihn in der Tschechoslowakei 1991 besuchten, wo er als Missionspräsident diente, konnten wir ihm über die Früchte berichten, die sein Kontakt an unserer Tür hervorbrachte. Fünf Enkelkinder meiner Eltern dienten als Vollzeit-Missionare dem Herrn. Er war von Freude überwältigt.
Seit Herbst 1948 kamen Missionare Elder Olsen und Elder Backer regelmäßig zu uns nach Hause, um uns zu belehren. Wir sind eine goldene Familie geworden. Nach einigen Monaten sollten wir getauft werden. Der Interview-Termin mit den Zonenleitern wurde schon abgemacht. Aber es kam anders.
Im Februar 1948 kamen nämlich die Kommunisten in der Tschechoslowakei an die Macht. Die Kirche, als eine amerikanische Organisation, wurde ins Visier genommen. Ein Jahr später hieß es, dass die Kirche der amerikanischen Spionage dient, und somit wurde sie verboten. Die Familie des Missionspräsidenten Wallace F. Toronto und alle Missionare mussten die Tschechoslowakei unverzüglich verlassen. Somit konnten unsere Taufen nicht stattfinden.
Zum Glück hat meine Mutter nicht aufgegeben. Sie hat mit Bruder Cenek Vrba, dem Zweigpräsidenten in Brunn, Verbindung aufgenommen, und bat ihn, uns zu taufen. Da es verboten worden war, war es eine gefährliche Sache. Aber Bruder Vrba war ein mutiger Mann. Meine Eltern haben einen besonderen Ort in der Nähe von Brunn vorgeschlagen, wo wir jahrelang jeden Sommer unsere Ferien verbrachten. Ein wunderschöner, stiller und einsamer Ort am Fluss Svratka.
Am Sonntag, dem 21. Mai 1950, am frühen Morgen sind wir dort angekommen. Wir waren sicher, dass wir ungestört sein würden. Erstaunlicherweise waren dort schon etliche Ausflügler, die sich am Ufer des Flusses niedergelassen hatten. Es schien so, als dass die Taufen nicht durchgeführt werden könnten. Bruder Vrba und Bruder Kosek, der mich taufte, sollte, sind in den Wald gegangen, um den Herrn zu bitten, doch ein Wunder zu machen, damit die Taufen stattfinden können. Nachdem die Brüder zurückkamen, haben sich die Leute nach und nach erhoben, und sind weggegangen. So konnten die Taufen in aller Ruhe durchgeführt werden.
Trotz aller Vorsicht, die Polizei wurde doch über unsere Taufen informiert. Meine Mutter wurde zum Verhör vorgeladen, und das war nicht das letzte Mal. Man hat ihr damals gedroht, ihre Kinder in ein kommunistisches Erziehungsheim zu bringen, wenn sie uns im Evangelium weiter belehren wird. Zum Glück ist das nicht eingetreten. Bruder Vrba sorgte dafür, dass wir im Evangelium Fortschritt machen konnten. Er hat uns regelmäßig besucht, und belehrt. Einmal im Monat wurden wir in das Heim der Familie Vrba eingeladen, wo wir eine Fast- und Zeugnisversammlung abgehalten haben. Auch das war nicht ungefährlich. Denn es hieß, wenn sich mehr als acht Personen versammeln, ist es eine illegale Versammlung, was strafbar war. Diese Zahl hatten wir immer überschritten, denn die Vrbas hatten fünf Kinder, somit waren es sieben Personen, und wir kamen mit fünf Personen noch dazu.
Auch die FHV und die PV wurden mindestens einmal im Monat in unseren Wohnungen abgehalten. Die Gesangsbücher in tschechischer Sprache enthielten nur die Texte der Lieder, aber keine Noten. Dennoch sangen wir die Lieder richtig, denn wir haben die Melodien von den älteren Geschwistern gelernt. Wir hatten die Heiligen Schriften, wir lernten zu beten und zu Fasten. Wir bezahlten unseren Zehnten, allerdings jeder auf ein eigenes gesondertes Sparkonto. Und wir hatten die Genealogie. Das war die einzige Aktivität, die nicht verboten war. Ich war noch sehr jung, als ich anfing die staatlichen Archive zu besuchen und nach unseren Vorfahren zu forschen.
Die Mitglieder der Kirche waren ständig im Visier der Polizei. Verhöre waren an der Tagesordnung des Staatsapparates. Ich ahnte es nicht, dass man auch mich beobachtet. Irgendwann, ich war 17 oder 18 Jahre alt, wurde ich zu einem Verhör vorgeladen. Der Beamte öffnete einen dicken Ordner, auf dessen erster Seite sich ein Foto von mir befand, und sagte: „Sie brauchen uns nichts zu verheimlichen, wir wissen alles“. Die Ausfragerei war sehr unangenehm. Wir haben uns angewöhnt, immer vor einem Verhör zu fasten, damit wir nicht etwas sagen, was unserem Bruder Vrba schaden könnte. Bruder Dr. Cenek Vrba war ein Tierarzt und ein Wissenschaftler auf dem Gebiet der Medikamenten-Forschung. Aufgrund seiner kirchlichen Tätigkeit wurde er zum Schluss leider so diskriminiert, dass er nur noch Schweine in den umliegenden Dörfern impfen durfte.
Wir waren unter dem Verdacht, amerikanische Spione zu sein. Ich habe manchmal unter unserem Fenster einen Mann gesehen, der da angelehnt an einem Baum stand, und wenn ich das Haus verlassen habe, folgte er mir. Unsere Bespitzelung war so offensichtlich.
Ich sehnte mich danach, im Westen zu leben, wo die Kirche in Freiheit arbeiten konnte, wo es junge Priestertumsträger gab. Denn ich hatte mir vorgenommen, nur ein Mitglied der Kirche zu heiraten.
Im Frühjahr 1965 war es so weit. Ich habe die Tschechoslowakei verlassen können. Zwei Jahre später habe ich „meinen Priestertumsträger“ Dieter Menssen für Zeit und Ewigkeit in dem Schweizer Tempel geheiratet. Wir haben zwei Söhne, die als Missionare dem Herrn dienten. Und wir sind bis heute nach 41 Jahre noch immer ein glückliches Ehepaar. Wir lieben die Kirche Jesu Christi und haben ein starkes Zeugnis von der Wahrheit des Evangeliums.
Ich möchte nur noch erwähnen, wie es mit meiner Familie in der Tschechoslowakei weiter ging. Im Jahr 1968 kam „der Prager Frühling”, der neue Hoffnungen weckte, aber durch die russische Invasion brutal zerschlagen wurde. Nach der Invasion drohten den Mitgliedern weitere Repressalien. Tagelang hat Bruder Vrba gefastet und gebetet, was zu tun sei. Es folgte eine göttliche Inspiration, die Tschechoslowakei zu verlassen. Im Herbst 1968 emigrierten einige der damals aktiven Mitglieder mit der Familie Vrba nach Kanada. Darunter war auch ein Teil meiner Brunner Familie.
Article on Mira Menssen
Ich war sehr berührt, als ich diesen Artikel gefunden und gelesen haben. Ich danke sehr dem Verfasser.
Miroslava Menssen-Bezakova