Hamburg
Mein Name ist Dieter Picklapp. Meine Eltern sind: Mathilde Haßelmann geboren am 17 April 1909 in Hamburg (verstorben 28 Februar 1992 in Hamburg) sowie Erich Picklapp, geboren 07 Mai 1899 in Groß-Lappienen, Ostpreußen– heute russisches Militärgebiet Bolschije Bereschki – (verstorben 16 Oktober 1981 in Hamburg) hatten am 21.Dezember 1930 geheiratet. Am 2. April 1932 in Hamburg wurde ihr erster Sohn Gerhard geboren, dem ich am 5.Oktober 1936 folgte und am 16. Januar 1940 mein jüngerer Bruder Rainer (welcher am 24 März 2008 in Hamburg verstarb).
Es muss für meine Eltern damals eine recht schwere Zeit gewesen sein. Mein Vater nahm Privatunterricht ein Reifezeugnis nachzuholen, um damit eine Laufbahn bei der Post zu beginnen. Seine Familie ernährte er als „Kassierer“ bei den Gaswerken. Angefangen hatte er als Malerlehrling bei seinem Onkel Albe in der Heide. Die Frau war die Schwester seiner Mutter, einer geborenen Suttkus. Unter dem Regiment dieser seiner Tante hielt er es aber nicht lange durch und kam dann innerhalb des ersten Jahres nach Hamburg in die Maschinenschlosserlehre. In den 12 Jahren seiner darauf folgenden Militärzeit hat er dann die Meisterprüfung darin gemacht und sich vorgenommen zur Post zu wechseln. Mit Ausbruch des Krieges Ende 1939 musste Vater die Postuniform gegen die Wehrmachtsuniform tauschen, um wieder einmal bei der Truppe zu dienen. Abermals Militärzeit, wurde allerdings wegen eines Magenleidens wieder entlassen. Januar 1940 wurde ihm dann sein dritter Sohn, Rainer, geboren. Etwa in diesem Zeitraum wird auch meine Erinnerung deutlicher.
Den Krieg erlebte ich als lebendes Bilderbuch. Ich kann heute noch viele Begebenheiten und
S4zenen aus der Erinnerung holen und nachträglich Rückschlüsse ziehen, wie wenn es gestern gewesen wäre. Vor dem Großangriff auf Hamburg, Ende Juli 1943, war die Familie zum Wochenende auf Besuch nach Uetersen, (Kreis Pinneberg, Schleswig-Holstein) aufs Land gefahren. Zum Haus meiner Urgroßmutter mütterlicherseits, welches ein Zentrum verwandtschaftlicher Zusammenkünfte war und geblieben ist. (Nach dem Tod meiner Tante (26 Juni 1899 Grete Kurt,+16 Dezember 1989) wurde das Haus verkauft und verlor an Bedeutung.)
25. Juli 1943 Samstagabend begannen die Zerstörungen der Bahnanlagen durch unaufhörlichen Bombenabwurf, wodurch wir daran gehindert wurden nach Hamburg zurückzukehren. Glücklicherweise – denn auch das Haus, in dem wir wohnten, fiel in diesen drei Tagen und Nächten der dritten Angriffswelle zum Opfer. Zwei Mal war mein Vater – der gerade beurlaubt war – mit dem Fahrrad nach Hamburg gefahren und hatte noch ein paar Wertsachen vor der Vernichtung retten können. Beim dritten Mal stand er vor rauchenden Trümmern. Nur einen ausgeglühten Tortenheber hatte er noch in den Steinhaufen entdeckt und mitgebracht. Ich war damals 6 Jahre alt.
Mein Vater musste wieder fort zu seiner Truppe. Mama wurde mit uns drei Kindern (3, 6 und 11 Jahre) nach Calvörde bei Magdeburg evakuiert. Ein kleines Dorf, in dem die ausgehungerten deutschen „Graubärte“ (lustlose deutscher Soldaten) Panzergräben schaufelten, die Brücken über den Mittellandkanal verminten und mit brüllenden Vorgesetzten Angriff und Verteidigung übten. Bis wir eines Tages das harte Böllern eines Panzerabschusses hörten. Der sich kräuselnde Rauchring des Schusses zog langsam über den Hof, auf dem wir wohnten. Man hörte schon das entfernte Rasseln der Panzerketten, aber keine gebrüllten Befehle mehr. Es war mäuschenstill geworden. Zu still. Wir verkrochen uns hinterm Haus in den – wie eine Rübenmiete aufgebauten – Erdbunker und kamen erst wieder heraus, als uns die US-Soldaten mit Gewehr im Anschlag dort herausholten.
Gegen Abend kauten wir auf Gummi mit Geschmack und bestaunten die in der Straße aufgereihten Panzer. Unsere Wohnung hatten wir als Quartier für die US-Soldaten abgeben müssen. Es gab etliche Deutsch sprechende Soldaten dabei. Sie erklärten ihre Liebe zu ihrer deutschen Heimat, und einige sogar, dass sie deutsche Staatsbürger seien, aber sie wollten Deutschland helfen den grauenhaften Diktator Hitler zu entfernen, der alle nur in den Untergang führte. Wir Kinder konnten es nicht begreifen. Es war uns jahrelang etwas anderes gesagt worden.
Die nächsten Tage waren äußerst interessant zwischen den auf der Straße stehenden Panzern zu spielen. Jeeps fuhren hin und her. In einem war ein riesiger, schon angebrochener, ca. 1 Meter im Quadrat großer Block Schokolade, von dem immer mal wieder zwischendurch ein kleines Stückchen an die Kinder ausgeteilt wurde.
Hinter den Häusern waren mannstiefe Gruben ausgehoben um den ganzen Unrat aufzunehmen. Dort wurden, Bananen, Apfelsinen, viele Toastbrote und Suppenreste hineingeworfen, alle Essenreste, die im Camp übrig blieben und wir Kinder standen an den Rändern und bewunderten die auf dem Müll landenden guten Speisen. So manche noch gut erhaltene Banane und Apfelsine ist uns dabei von den GIs zugeworfen worden und wir waren dankbar dafür. Doch dann war eines Tages der Spuk innerhalb weniger Stunden vorbei. Das ging so mehrere Male und jedes Mal erlebten wir eine andere Besatzungsmacht. Es wechselten Deutsche, Amis, Deutsche doch dann hieß es plötzlich: „Die Russen kommen, sie besetzen schon Magdeburg. Morgen sind sie hier“!
Das setzte wieder machtvolle Aktivitäten in Gang. Denselben Abend noch wurden wir drei Hamburger Familien mitsamt ihrer wenigen Habe in einen Güterwagen verladen und Richtung Hamburg an einen Zug angehängt. In Öbisfelde (Landkreis Börde, Sachsen-Anhalt) hatten wir den ersten Halt. Wir wurden abgekoppelt und auf das letzte Wartegleis geschoben. Es war Nacht und Familie Schmidt mit Mann – der bei Militär auch für die Bahn arbeitete und den Waggon besorgt hatte – seine Frau, ihren Sohn und ihre alte Dame – Familie Krohn mit Frau und ihren drei Söhnen Ernst-August, Peter und Uwe und unsere Familie mit Mama und ihren drei Söhnen die sich irgendwie eingerichtet hatten noch etwas zu schlafen. Ich lag auf einer Decke auf dem Boden.
Irgendetwas hatte mich geweckt. Wahrscheinlich das Rangieren auf den vielen Bahnhofsgleisen. Auch wehten die Lautsprecheransagen vom Bahnsteig herüber. Die Erwachsenen ermahnten uns Kinder leise zu sein. Ein langer Zug war gerade in Öbisfelde eingelaufen und machte Halt am Bahnsteig. Die Trittbretter waren voll besetzt. Alle Menschen quollen aus den Türen und Fenstern und begannen sich im Gelände zu verteilen ihre Notdurft zu verrichten. Es waren ungefähr 15 bis 20 Gleise zwischen uns und dem angekommenen Zug, doch kamen sie auch bis zu uns herüber und setzten sich hinter unserem als letztem stehenden Waggon in die dort liegenden Steinhaufen für Gleisanlagen. Wir hörten sie miteinander sprechen und einer von uns stellte fest, dass es Polen waren. Alle durch die neue Besatzung frei gewordenen polnischen Landarbeiter, die Hitler zwangsweise nach Deutschland geholt hatte. Es war äußerst riskant in dem Waggon mit so vielen Kindern zu sein, von denen jederzeit eines durch Husten oder Weinen alle hätte verraten können. Die ganze Meute wäre wahrscheinlich über uns hergefallen und hätte uns gelyncht.
Nachdem der Spuk vorbei war, wurden wir nach mehrstündigem Aufenthalt abermals an einen Zug nach Hamburg angehängt und konnten weiterfahren. Ich schlief endlich fest ein. In Hamburg kam ich gegen 11 Uhr langsam wieder zu mir und konnte noch so halb miterleben wie die Familie Schmidt und Krohn den Waggon verließen.
Hier hörte ich auch erstmals davon, dass wir bei Uelzen ein Zugunglück hatten. Unser Zug war so gegen 5 Uhr morgens frontal auf einen anderen aufgefahren und es hatte viele Tote und Verletzte gegeben. Zu unserem Vorteil waren wir der letzte Wagen gewesen. Viel Wucht war dadurch schon abgefangen, bevor in unserm Waggon die Möbel durcheinander flogen. Mir war das Sofa von oben auf den Leib gefallen. War es Vorsehung, dass die hoch stehenden Seitenteile sich über mich stülpten und mich darunter geschützt begruben? Von all dem hatte ich in meinem tiefen Schlaf nichts mitbekommen. Glücklicherweise ist außer einigen Prellungen keiner im Wagen zu Schaden gekommen. Wir wurden in Hamburg-Altona an einen anderen Zug angehängt und fuhren, nachdem die anderen ausgestiegen waren, weiter bis Tornesch, von dort mit einem Pferde-Leiter-Wagen – den meine Mutter irgendwo bestellt hatte – zu unseren Verwandten wieder zurück nach Uetersen an den Deich, wo wir ja auch schon waren, bevor wir nach Calvörde evakuiert wurden.
Mein Vater war in den letzten Tagen in der Eifel noch in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten und in die USA gebracht worden. Oktober 1945 traf er aus Kansas kommend bei uns ein. Die Familie war wieder vollzählig zusammen und hatte außer materiellem Schaden nicht einen Kratzer davongetragen, die seelischen Schäden nicht mit gerechnet.
Es war jetzt Frühjahr 1945 und der Krieg war vorüber. Deutschland war am Boden zerstört, Hamburg war eine ausgebrannte Ruine und das übrig gebliebene Volk war bereit wieder neu anzufangen. Der völlig neue Aufbau eines Staates – einer Stadt – eines Zuhauses wurde in Angriff genommen und in diesem, meinen Zehnten Lebensjahr, begann für mich ein neuer Lebensabschnitt.
Auf dem Lande in Uetersen, am Deich der Pinnau, eines Nebenflusses der Elbe, in Gottes freier Natur relativ behütet und beschützt, wuchs ich dann weiter auf. Ohne nennenswerte andere Prüfungen reiften meine Jahre dahin und ließen mich nur langsam wach werden. Es war scheinbar alles richtig so, wie es war, wir hatten ja auch keine andere Vergleichsmöglichkeit. Ich ging zur Schule bis zu meinem 15. Lebensjahr und bekam dann von einem Tag zum Anderen den Unterschied zu spüren, der zwischen Schulzeit und Arbeitszeit liegt – zwischen Spiel und Pflicht – zwischen Landleben und Großstadtleben, zwischen Sorglosigkeit und schmerzvoller Aufgabenfülle, die zu bewältigen mir plötzlich oblag. Von morgens 4.30 Uhr, bis ich abends gegen 19.00 Uhr müde, wieder nach Hause kam. Wir arbeiteten 48 Stunden die Woche. Ich absolvierte die Malerlehre, ging 1 Jahr in die Schweiz zum Arbeiten und von dort für 3 Jahre nach Toronto in Kanada. Nach 3 Jahren (September 1959) erlitt ich dort einen Berufsunfall als ein 20 Meter hohes Baugerüst – auf dem ich stand – um fiel und mich für neun Monate arbeitsunfähig machte. Wieder ein Fingerzeig, dass meine Stunde noch nicht gekommen war. Doch waren durch den Fall für mich die Grundvoraussetzungen geschaffen worden, aufmerksamer zu werden.
Es war vorher schon meine Absicht gewesen zu Besuch nach Hause zu fahren und so bot sich mir durch diese neue Wende die Gelegenheit diesen Besuch in die Heimat auch endlich Wirklichkeit werden zu lassen. Und hier in meiner Heimatstadt Hamburg stellte sich mir kurz nach meiner Ankunft in meinem Inneren die Frage: „Was willst Du eigentlich machen mit Deinem Leben?“ – und ich war sehr überrascht, dass diese Frage mich nicht wieder los ließ. Es ergab sich aus den mir zur Verfügung stehenden Mitteln nur die Möglichkeit bis 1961 die Meisterprüfung im Malerhandwerk zu machen und mich dann ebenfalls 1961 gleich darauf selbstständig zu machen, was ich dann auch tat.
1964 heiratete ich meine erste Frau. Wir suchten ein Haus und hatten eine Zeitungsanzeige gesehen, die zwar interessant, aber außerhalb der von mir gesetzten Grenze lag, deshalb fuhr ich zuerst allein hin, um mir ein Bild davon zu machen. Während der Besichtigung überkam mich das Gefühl, dass eine unsichtbare Begleitung anwesend sei. Es war alles sehr merkwürdig. Es bemächtigte sich meiner ein zufriedenes Gefühl der Erleichterung, dass mich am Ende des Rundganges dann bewog, zu äußern: „Das Haus nehme ich!“ Und alles entwickelte sich zum Wohle dieser Entscheidung.
Jahre vergingen – sie waren aufreibend und wir blieben weiterhin kinderlos. Es fehlte etwas. Ich erlitt einen Zusammenbruch. Blutdruck 90 zu 60, mein Malereibetrieb brachte nur den Lebensunterhalt und wir ließen uns scheiden. Ich blieb allein zurück und hatte alles neu aufzubauen. Die Spannungen, ständig auf etwas Unangenehmes gefasst sein zu müssen, waren seit der Scheidung nicht mehr vorhanden. Es war keiner mehr da, der mir meine Persönlichkeit zu rauben versuchte. Ich sog die Ruhe auf wie ein Schwamm, wie ein Gefäß, das sich langsam – (viel zu langsam) – wieder füllte und ich entdeckte eine poetische Ader in mir, wodurch ich rund 200 Gedichte schrieb, die mir halfen vieles zu durchdenken und zu positiven Schlüssen zu gelangen. Ich spürte sehr stark Einflüsse spiritueller Führung.
Mein Haus hatte ich noch nicht versucht zu verkaufen, obwohl es aufgrund meiner derzeitigen Situation hätte sein müssen. Ich wollte erst einmal abwarten, wie sich die Sachlage weiterhin entwickelt. Bei meinem riesigen Schuldenberg mussten die Gläubiger ja von alleine kommen. Ich kümmerte mich nicht darum, sondern sagte mir: „Wer etwas haben will, wird sich schon melden.“ – und damit legte ich alles vertrauensvoll in die Hände dessen, der mich – wie ich erkannt hatte – zurzeit führte und tat gut daran mich dieser Führung zu beugen.
Ich hatte nicht allzu viele Aussichten – außer denen, die in der Bibel angeboten waren, nämlich die Sorgen vertrauensvoll in die Hände Gottes zu legen. So kam es, dass wenn immer eine Zahlung fällig wurde, ich kurz vorher einen Auftrag erhielt, der die notwendige Summe erbrachte, die Schuld zu begleichen. Und jetzt begannen sich meine noch geschäftlich überall aufgestockten Reserven beruhigend bemerkbar zu machen. Dadurch konnte ich auch Möglichkeiten der Rabatte nutzen, aufschieben, verzögern, Stunden lassen, sodass ich 1975 bereits fast schuldenfrei war.
Hier ist ein Wunder geschehen! Ich wusste schon immer mit Bestimmtheit, dass wenn eine größere Zahlung auf mich zu kam, ich auch ganz sicher einen größeren Auftrag dafür erhalte das bezahlen zu können und spürte dadurch ganz deutlich die Hand des Herrn in der Führung meines Lebens, genauso wie bereits ahnungsvoll beim Kauf des Hauses. Ich hatte erkannt, dass die Evangelische Kirche nicht die Kirche Gottes sein konnte und hatte mich – so ca. Weihnachten 73 – schriftlich bei ihr abgemeldet, was aber April 74 erst rechtlich wirksam wurde.
So ca. Juli 74 gelangte ich in der mir gegebenen Erkenntnisfülle zu dem Standpunkt: „Und wenn die ganze Welt lügt und betrügt, so ist das noch kein Grund für dich dieses ebenfalls tun zu müssen“ – und ein weiteres viertel Jahr darauf, am 21 September. 1974 – bekam ich Kontakt mit den Missionaren der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzen Tage.
Ich verließ das Haus, um nach Altona in einen Jeansshop zu gehen. Dazu kam es jedoch nicht. Vor dem Shop stand ein kleiner aufgebauter Stand der Missionare, die mich in ein Gespräch verwickelten, mir einige Traktate gaben und mich aufforderten doch einmal in die Gemeinde an der Elbchaussee zu kommen. Zuhause las ich die Traktate durch, hielt sie aber für die gleichen Ermahnungen Gott nur in dieser Kirche zu suchen, wie alle anderen Kirchen es ebenfalls tun und damit war mein Interesse erloschen.
Am Sonntagnachmittag fuhr ich an die Elbe und ging dort von „Teufelsbrück“ nach Altona spazieren. Immer an der Elbe entlang. Dreiviertel des Weges hatte ich hinter mir und war auf der Höhe der so bezeichneten „Himmelsleiter“, eines Weges, der nach oben an die Elbchaussee führt, als es mir durch den Kopf schoss, dass auf dieser Höhe der Elbchaussee doch irgendwo die Nr. 180 sein müsse, das Gemeindehaus der Mormonen. Es war jetzt 16.00 Uhr und um 17 Uhr war dort eine Versammlung angesagt. Ich könnte mir eigentlich ansehen, was da so los ist und einmal feststellen, was das für Menschen sind. So stieg ich den Weg nach oben, mit dem so bezeichnenden Namen „Himmelsleiter” und machte mich direkt auf zum Gemeindehaus Altona.
Nachdem ich in einer der hinteren Reihen Platz genommen hatte, beobachtete ich, wie jemand den ein paar Reihen vor mir sitzenden Mädchen etwas zuflüsterte. Sie sahen sich wie auf Kommando um, standen auf und kamen zu mir, sich links und rechts neben mich setzend und ich erwartete nun von zwei Seiten mit Gottes Wort eingedeckt zu werden. Doch nichts dergleichen geschah. Ein paar freundliche Worte – sonst nichts. Auf meinem Heimweg fragten sie mich dann, ob sie mich mal besuchen könnten, um mit mir über das Evangelium zu diskutieren. Das war nun genau mein Thema und ich sagte zu. Es waren diese Missionarinnen, die sich vorgenommen hatten mich zu bekehren. Und sie gaben sich alle Mühe meine, aus der Verteidigung heraus gestellten Fragen, zu beantworten, sowie auch meine Einwände zu zerstreuen. Mit einer beantworteten Frage tauchten aber 10 neue wieder auf und ich spürte, wie ich mich wie ein aufsässiger Rebell in einem Käfig zu fühlen begann. Irgendwo und irgendwie war eine Entscheidung zu fällen. Aber wie?
Die Missionarinnen konnten mir die Entscheidung nicht abnehmen und ich war in den letzten Wochen derart aufgewühlt worden, dass ich selbst kaum noch klar denken konnte. Nach etwa fünf oder sechs Diskussionen hatten sich die beiden Schwestern voll engagiert und bearbeiteten mich abwechselnd. Wie sehr engagiert sie waren, merkte ich allein schon daran, dass die Ruhigste von beiden (Sister Hansen, zur jetzigen Zeit Professor Hansen an der Brigham Young Universität in Utah, USA) – die eigentlich nie aus ihrer Ruhe zu locken war – einmal mit allen Anzeichen der Erregung ausrief: „But the Lord wants you!“ (Die andere war Sister Prohaska.)
Ich muss recht dämlich ausgesehen haben, denn es war mir im Moment, als würden diese Worte nicht von ihr, sondern von irgendjemand anderem gesprochen. Obwohl es zwar ihre Stimme war, verblüffte es mich, dass es mir derart direkt und persönlich ins tiefste Herz drang und eine Antwort forderte.
Es war hier etwas ausgesprochen worden, was sie als Mensch eigentlich gar nicht hätte sagen können – es sei denn durch die Stimme des Herrn. Es war so völlig unmenschlich zu sagen: „Der Herr will.“ Woher weiß sie denn was der Herr will? Bisher waren es immer nur die Propheten Gottes gewesen, die sagen konnten: „Der Herr will …“ – oder – „So spricht der Herr.“ doch dies war ein junges Mädchen, eine Missionarin, die im Aufruhr ihres Herzens ausrief: „Der Herr will Sie!“ Und das wiederholte sich zu meinem Erstaunen im Laufe dieser Debatte drei Mal und dabei fiel mir auf, dass die dreimalige Wiederholung ebenfalls ein Zeichen Gottes war.
Etwa um die gleiche Zeit, Anfang Oktober 1974, war ich noch nicht getauft, aber die Missionare nahmen mich mit zu einer Taufversammlung und ich war mit den Missionaren im Taufraum des Pfahles sehr damit beschäftigt von vielen der Missionare begrüßt und unterhalten zu werden. Dabei drehte es sich natürlich immer wieder um ein Zeugnis und die Taufe. Dann kam ein untersetzter schmächtiger Mann auf mich zu. Er schien den Missionaren ein Vorgesetzter zu sein. Forsch im Auftreten und ganz knapp und präzise in seinen Anweisungen, die er hier und da gab.
Erst jetzt wurde ich richtig aufmerksam auf ihn, als er sich mir zu wandte und mich etwas zu laut in Englisch ansprach: „You read the Book of Mormon?“ „No.“ „You read it and you’ll know!“ Er drehte sich ab und verließ unseren Kreis. Für ihn war die Sache erledigt, ich aber stand da – aufgewühlt und unfähig etwas zu erwidern. Erst viel später erfuhr ich, dass dieser „Grobe Flotz“, die Generalautorität S. Dilworth Young war, und ich konnte die von ihm ausgehende Kraft besser einordnen als die Macht des Heiligen Geistes.
Ich möchte von einer weiteren Begebenheit berichten, in der ich die Macht des Heiligen Geistes kennenlernte. Ich war von den Missionaren als Untersucher der Kirche im Pfahlhaus zur Oktober-Konferenz eingeladen worden und nahm bereits an der Priestertumsversammlung am Sonnabend teil. Zu der Zeit kamen noch Apostel zu den jährlichen Pfahlkonferenzen. Für mich war es etwas ganz Besonderes den Apostel McConkie zu erleben, als er am Samstag zur Priestertumsversammlung alle Anwesenden mit Handschlag begrüßte. Als ich in die Halle trat und den Gang nach vorne ging, kam er auf mich zu und sah mir direkt in die Augen. Ich hatte dann so etwas wie einen Blackout. Jedenfalls war ich – während seine Augen in den meinen ruhten – wie paralysiert und unfähig selbst zu denken oder zu handeln. Ich stand in seinem Bann mit groß aufgerissenen Augen. Dieser Mann stand spürbar unter dem Einfluss des Heiligen Geistes. Den nächsten Tag zur Mitgliederversammlung hätte ich darauf vorbereitet sein sollen, doch geschah genau das Gleiche noch einmal.
Es waren mir jetzt ausreichend Zeugnisse von der anderen Seite gegeben worden. Ich hatte mich zu entscheiden, welchen Weg ich gehen wollte und mir kam das Folgende in den Sinn: „Wenn das Richtige im Leben nicht mehr richtig ist, wie könnte das Falsche dann besser sein?“ und blieb mit aller mir zur Verfügung stehenden Konsequenz bei der Wahrheit in allem. Ein paar Tage darauf bekam ich vom Herrn die Entscheidung vorgelegt entweder in Seine Kirche oder in die Hölle zu gehen, indem Er auf meine Frage – was passieren würde, wenn ich die Taufaufforderung nicht annehme – mir ein schwarzes Loch zeigte, in das ich hätte, hinein springen können, um für immer verschluckt zu werden. Dieses Loch war wie beim Mittelpfahl der Eismaschinen, farblich überlagert mit durchsichtigen, sich nach unten drehenden gelblich-rötlich-violetten Nebelschwaden, doch mein Körper überzog sich mit einer Gänsehaut und ich drehte mich ab, denn mein Geist war nicht fähig länger in dieses bedrohliche Loch zu sehen.
Seltsamerweise beinhaltete dieses Loch auch Gefühle und alles was mit schwarz, blutrot und violett in Verbindung gebracht werden kann war darinnen enthalten, wie seelische Not, Schwermut, Dunkelheit und Grauen, ja, hoffnungsloses Entsetzen und ich hatte das Gefühl einen Schlag auf den Kopf bekommen zu haben. Dann hörte ich eine gütige Stimme, die mich fragte: „Und wie sieht es jetzt aus mit der Taufe?“ Ich hob lauschend den gesenkten Kopf und mit der größten Selbstverständlichkeit antwortete ich: „Ja.“ – Unmittelbar darauf setzten die Segnungen ein, obwohl ich noch nicht getauft war. Innerhalb einer Woche wurde mir meine bestehende moderne Wohnungseinrichtung in eine Jugendstilmöbelierung ausgewechselt.
Ich hatte ein Zeugnis erhalten, das ich nicht fähig bin, zu leugnen! Genau so wie ich nicht fähig sein werde Gott zu leugnen. Denn was ich gesehen und gehört habe, das habe ich gesehen und gehört und ich kann es nicht leugnen, denn dem Herrn ist es ebenfalls bekannt. Ich gab meine Taufeinwilligung und wurde am Freitag, den 1. Nov. 1974 im Pfahlhaus in Hamburg von Elder Peter Hunt aus England, der mich zuletzt mit Elder Brunner aus Salzburg belehrt hatte, getauft.
Jetzt (2009) im Nachhinein betrachtet, begann für mich daraufhin das eigentliche Leben. Ich war Heim gekommen. Mir wurde das Priestertum übertragen und ich arbeitete darin in fast allen Berufungen der Gemeinde Altona. Privat schrieb ich sehr viel, weil ich dadurch das Evangelium verstehen lernte und bin heute als Sekretär für Geschichte im Pfahl Hamburg eingesetzt.
Inzwischen habe ich meine zwanzig Jahre jüngere Frau auf einer Tempelfahrt kennen gelernt und geheiratet und wir haben jetzt insgesamt fünf Kinder.
Als ich mit 60 Jahren vorzeitig aus dem Beruf entlassen wurde, machten wir uns selbstständig im Hotelgewerbe und haben heute vier Häuser, in denen wir rund 20 Apartments und Zimmer vermieten. Mein Wunsch eine ausreichend finanzielle Absicherung für meine Frau und Kinder zu erarbeiten ist damit gelungen. Unser Betrieb kann zur Not auch durch meine Frau und unsere Kinder weiterhin aufrecht erhalten bleiben, wenn es mir nicht mehr möglich ist mitzuarbeiten und alle unsere Kinder hätten die Möglichkeit ebenfalls im Betrieb zu arbeiten, wenn es schwierig werden sollte Arbeit zu bekommen, den Lebensunterhalt zu verdienen. Heute bin ich 72 Jahre und die Beine gehorchen mir nur noch für Kurzstrecken, was mich dazu bewog im Pfahl die Aufgabe des Zweitsekretärs mit der Zuständigkeit der Geschichtsschreibung zu übernehmen.
Der Herr hat uns alle reich gesegnet, doch der größte Reichtum ist, das mir wahrhaftig gegebene Zeugnis, dass Er lebt.
Durch Zufall bin ich auf diese Seite gestoßen. Ich habe jemanden Anderes gesucht und bin auf den Namen Dieter Picklapp gestoßen. Der Bericht ist spannend und zeigt aber auch, was ein Mensch alles ertragen und leisten kann.
Doch bei dem Namen „Picklapp“ komme ich ins grübeln. Sind Sie der Dieter Picklapp, der meinen Mann „Lothar Pick“ viele Jahre wegen der Klassentreffen angeschrieben hat? Aufgrund von vielen Erkrankungen konnte Lothar meistens nicht teilnehmen. Lothar ist in Uetersen aufgewachsen und hat „Am alten Sportplatz“ gewohnt. Gelernt hat er bei Schlachter Prekow. 1957 ist Lothar dann zur Bundeswehr gegangen.
Leider ist Lothar am 31.1.14 nach kurzer sehr heftiger Krankheit verstorben.
Gruß Gisela Pick
Heute – wir schreiben den 17.12.14-.
Habe den Lebenslauf noch einmal gelesen, weil er sehr spannend und aufregend ist.
Ich glaube, mein Lothar könnte Ähnliches berichten. Aufgewachsen bis zum 7. Lebensjahr
in einem kleinen Dorf in Pommern, nahe Köslin. 1945 musste die Familie flüchten und kam
auf Umwegen schließlich nach Uetersen., usw.usw.