Stuttgart, Baden Württemberg

mormon deutsch helga reithmeierMein Name ist Helga Reithmeier. Ich bin im August 1938 in Stuttgart geboren. Mein Mädchenname ist Beck. Ich bin in einer Familie in Stuttgart-Weilimdorf aufgewachsen, in der nur meine Mutter und zwei meiner Schwestern Mitglieder waren. Wir waren zu Hause fünf Mädchen, ich war die Jüngste. Da ich ein Jahr vor Ausbruch des Krieges geboren wurde, bin ich sozusagen mit dem Krieg aufgewachsen. Es war nichts Komisches für mich, dass wir jede Nacht durch den Luftalarm geweckt wurden und in den Keller oder noch schlimmer, zu einem Bunker gehen mussten. Es war unser Leben. Ich kannte ja nichts anderes. Stuttgart wurde sehr zerstört, auch unser Haus wurde zweimal schwer beschädigt. Mein Vater musste nicht in den Krieg weil sein Jahrgang zu alt war. Diese Männer bildeten im eigenen Land so eine Art Landwehr und halfen den Frauen und Kindern, die bei Flugangriffen obdachlos geworden waren, ihre Häuser wieder einigermaßen bewohnbar zu machen.

Die Kirche hat sehr viel für mich bedeutet. Die Mitglieder in unserer Gemeinde in Stuttgart, waren sehr darauf bedacht, zusammenzuhalten. Wir hatten unsere Versammlungen zu Hause bei den Mitgliedern oder im Sommer im Wald. Das vergesse ich nie. Es war so schön, so fantastisch. Ich erinnere mich noch deutlich an einen Sonntagmorgen, wir saßen am Waldrand an einem Abhang und ich sah über die Lichtung und die Wiese vor uns, alles war so friedvoll, und ich dachte: das hier werde ich nie vergessen. Wir haben sehr viel zusammen gemacht: Ausflüge, Theater gespielt usw. All das während des Krieges und natürlich auch danach. Trotz totaler Dunkelheit, es kam ja kein Licht von den Häusern oder gar Straßenlaternen, gingen wir aus dem Haus und trafen uns u.a. bei den Geschwistern Rügner. Die Schwestern Elisabeth und Dorle Rügner waren unsere Leiterinnen und in deren Heim trafen wir uns jede Woche trotz der Angst bei Dunkelheit aus dem Haus zu gehen. Die Angst vor der Dunkelheit ist mir bis heute geblieben und ich gehe immer noch sehr ungern alleine aus dem Haus wenn es dunkel ist. Ansonsten hat der Krieg keine Spuren bei mir hinterlassen, ich hatte fast immer das Gefühl, dass ich beschützt wurde. Nur einmal, als die Amerikaner unser kleines Städtchen besetzten und direkt neben dem Haus in dem ich gerade untergebracht war (näheres darüber weiter unten), eine Kanone aufstellten und die ganze Nacht das Nachbardorf beschossen, weil die sich nicht ergeben wollten, starb ich fast vor Angst.

Es gab zu der Zeit ein Programm, das sich Kinderlandesverschickung nannte. Alle Kinder sollten die Städte verlassen und auch ich wurde in einer kleineren Stadt, Kirchheim/Teck in Baden-Württemberg, bei einem älteren Paar untergebracht. Ich war alleine, meine Mutter war nicht bei mir, das war eine schwere Zeit. In dieser kleinen Stadt begann ich dann zur Schule zu gehen. Ich hatte niemanden, der mir helfen konnte oder mit mir zur Schule ging. Es war auch die Angst auf dem Schulweg, denn es kamen ja immer Angriffe. Man war immer dabei, sich irgendwo zu verstecken oder Schutz zu suchen. Dort habe ich dann auch das Kriegsende erlebt. Ich kann mich erinnern, dass es ein sehr schöner Frühlingstag war als unser Städtchen von den Amerikanern besetzt wurde. Die erste Begegnung mit diesen Soldaten war sehr undramatisch, sie waren freundlich und lieb und wir Kinder wurden mit Kaugummis und Cadbury Schokolade verwöhnt. Sie waren immer guter Laune, oft spielten sie Gitarre und sangen für uns, auch sie waren natürlich froh, dass der Krieg endlich zu Ende war. Trotzdem gab es auch Dinge, die sehr schlimm waren. Zum Beispiel musste ein Anschlag an jeder Haustür angebracht werden, auf dem alle Bewohner mit Name und Alter angegeben werden mussten. Und so kam es, dass die Soldaten abends durch die Straßen gingen und sich junge Mädchen und Frauen holten. Aber sie haben sie wenigstens nicht misshandelt oder geplagt wie es in den Gebieten, die von z.B. den Russen besetzt wurden, der Fall war.

Das Leben nach dem Krieg war plötzlich so anders. Während meiner ganzen Kindheit, war das Brummen eines sich nähernden Flugzeuges verbunden mit Gefahr und Angst und ich kann mich erinnern, wie geruhsam es plötzlich war und ich es richtig genießen konnte, wenn ein Flugzeug friedlich über uns hinwegflog und wir keine Angst mehr zu haben brauchten. Diese schöne „Ruhe“ kann ich heute noch empfinden, wenn ich im Sommer in meinem Garten bin und ein Flugzeug sich nähert und ruhig weiterfliegt.

Einige Jahre nach dem Krieg wurde meine Mutter inaktiv, meine Schwestern und ich blieben der Kirche treu. 1956 lernte ich während einer Jugendtagung in Wiesbaden meinen Mann, Karl Reithmeier, kennen, wir heirateten 1959 und bekamen 4 Kinder. Zurückkommend auf diese Jugendtagung: Karl war derjenige der die Verantwortung für diese Tagung hatte und er machte das so gut, dass ich richtig imponiert war. So fing es an – es war wirklich eine tolle Jugendtagung. Wir waren ca. 1000 Teilnehmer, davon etwa 350 – 400 Amerikaner (GIs). Bei den Amerikanern gab es Leute, die sehr gute Verbindungen hatten mit Kirchenmitgliedern und diese haben uns wirklich geholfen. Wir konnten alles leihen was wir brauchten: Armeezelte, Decken, Lastautos, sie halfen uns mit den Transfers usw. Ein ganzer Container mit Ballkleidern kam aus Amerika für uns Mädchen. Das war wirklich großartig.

Seit1961 wohnen wir in Schweden, Karl wurde von seiner Firma hierher entsandt, sind aber unserer deutschen Heimat treu geblieben und sind immer noch deutsche Staatsbürger.