Antonsdorf, bei Lötzen, Ostpreußen

mormon deutsch frieda zielinskyIch bin Frieda Zielinsky. Geboren bin ich bei Lötzen in einem kleinen Dorf mit Namen Antonsdorf in Ostpreußen. Mein Vater hieß Ferdinand Sonnenberg, und meine Mutter hieß Anna Sonnenberg, geborene Bielitz. Ich hatte eine angenehme Kindheit. Meine Geschwister waren alle etwas älter. Mein Bruder war neun Jahre älter als ich. Ich war die Jüngste zu Hause, und die Schwester, die vor mit geboren worden war, war sieben Jahre älter. Mein Bruder hieß Otto. Meine älteste Schwester, deren Name Olga war, hat nicht geheiratet und daher den Namen Sonnenberg behalten. Sie war dreiundneunzig Jahre alt, als sie starb. Auch sie hat im Westen gelebt. Meine andere Schwester, mit Namen Martha, hat einen Mann geheiratet mit Namen Jeromin. Sie haben in Bochum gelebt. Sie ist früh verwitwet und starb im Alter von fünfzig Jahren. Olga war Mitglied in der Kirche.

Meine Eltern betrieben eine Landwirtschaft. Mein Vater hatte am ersten Weltkrieg teilgenommen. Er hat unser Haus selber gebaut mit den Leuten, die er hatte. Wir hatten achtunddreißig Morgen Land. Wir hatten auch allerhand Viehzeug, unter anderem vier oder fünf Kühe. Wir hielten auch Schweine zum Mästen, die später an den Metzger verkauft wurden. Wir hatten auch Geflügel: Hühner, Enten, Gänse. Ich habe nicht viel geholfen. Ich habe eine kaufmännische Lehre in der Stadt Lötzen erhalten, die drei Kilometer von unserem Dorf entfernt lag. Nach der kaufmännischen Lehre habe ich in Lötzen in einem Schuhgeschäft gearbeitet. Dort habe ich solange gearbeitet, bis wir im Januar flüchten mussten.

Zur Nazizeit war ich damals in der Mädchengruppe, BDM – Bund Deutscher Mädchen. Wir hatten Heimabende, wir hatten Schulungsabende, es war eigentlich ganz angenehm. Zu besonderen Schulungen ging es oft auch in andere Städte. Das war in dieser Zeit eigentlich ganz schön. Ich kann mich nicht an den Ausbruch des Krieges erinnern. Aber das Schlimmste war, dass mein Vater damals auch eingezogen worden ist. Mein Bruder wurde Soldat und kam sofort an die Front nach Russland. Er ist in Russland gefallen. Er hatte aber noch geheiratet, und meine Schwägerin erhielt die Nachricht, dass er vermisst war. Mein Bruder war im Krieg Kradmelder. Er musste mit den Meldungen immer bis nach vorne an die vorderste Linie fahren. Dabei ist er verwundet worden; es war, glaube ich, bei Leningrad. Er kam in ein Lazarett, das hat meine Schwägerin noch erfahren. Aber dann haben wir nicht wieder von ihm gehört. Dass er vermisst war, das erfuhren mein Vater und auch meine Schwägerin von der Wehrmacht.

Da mein Vater schon im ersten Weltkrieg gekämpft hatte, war er jetzt natürlich nicht mehr so jung. Deshalb war er in der Zivilverteidigung und Zivilhilfe eingesetzt. Als die Front immer näher kam, da hieß es, dass wir flüchten sollten. Aber das ganze letzte halbe Jahr war schon sehr ungewiss gewesen. Mal hieß es ja, mal hieß es nein, je nach dem wo die Front sich befand. Aber jetzt gingen Schreckensmeldungen umher, was passieren würde, wenn die Russen einmarschieren.

Der Ortsgruppenleiter unseres Dorfes kam zu unserem Vater und sagte, dass wir auf dem schnellsten Wege unser Dorf verlassen müssten. Er sagte, dass wir vier Pferde und einen Wagen hätten und uns mit dem Fuhrwerk auf die Flucht begeben konnten. Es war Januar 1945. Mein Vater hat zwei Pferde aus dem Stall geholt und diese vor den Schlitten gespannt. Aber da das Wetter sehr ungewiss war, und das Wetter milder zu werden schien, meinte meine Mutter, dass wir mit dem Schlitten nicht weit kämen. Sie meinte, dass es besser wäre, die Pferde vor den Wagen zu spannen. So luden wir auf den Wagen, was wir schnell aufladen konnten an Bekleidung und an Lebensmitteln. Wir sind über das Haff gefahren. Die Soldaten mussten uns noch die Wege markieren, dass wir überhaupt zum Haff fahren konnten und dass wir auch über das Haff kamen. Und so sind wir bis nach Gotenhafen gekommen, obwohl wir auch von Tieffliegern mit Bordwaffen unterwegs beschossen wurden.

In Gotenhafen wurden wir in der Marineschule untergebracht. Einige Menschen wurden von Schiffen mitgenommen. Dann hieß es, dass wir auf Lkws weitergebracht würden weiter in den Westen. Es war ein ziemliches Durcheinander. Inzwischen war der Krieg zu Ende gegangen und es hieß, dass wir wieder nach Hause könnten. Es ging aber alles drunter und drüber. Und ich weiß bis heute nicht, wie ich wieder von Gotenhafen in die Heimatstadt Lötzen in Ostpreußen gekommen bin. Mein Vater wurde krank, er kam in Gotenhafen in das Krankenhaus. Die Pferde wurden uns von den Soldaten weggenommen. Was diese mit den Pferden gemacht haben, das weiß ich nicht. Der Wagen jedenfalls blieb stehen. Meiner Mutter ging es nicht gut. Sie war sehr stark erkältet. Ich bin dann zum Roten Kreuz gegangen, und habe gesagt, dass meine Mutter auch in das Krankenhaus müsse. Mein Vater sei schon dort. Mein Vater ist damals zu Fuß alleine in ein Krankenhaus gegangen und wurde dort aufgenommen. Meine Mutter wurde vom Roten Kreuz eingeliefert. Gotenhafen war eine große Stadt und hatte zwei oder drei Krankenhäuser. Erst beim Roten Kreuz konnte ich in Erfahrung bringen, in welches Krankenhaus sie eingeliefert worden war, so dass ich sie besuchen konnte. Dort war es furchtbar. Es fehlte überall. Auch meine Mutter hätte noch Einiges gebraucht, was aber nicht verfügbar war.

Meine Mutter war Mitglied er Kirche. Ich war neun oder zehn Jahre alt, als sie Mitglied wurde. Mein Vater hatte zwar nichts dagegen; aber meine Eltern gehörten einer anderen christlichen Gemeinschaft an und zwar den Baptisten. Missionare hatten meine Mutter belehrt, die aus Amerika kamen. Diese Missionare waren etwa zwei oder drei Monate in unserer Stadt, bis sie versetzt wurden und andere kamen.

Wie schon gesagt, wie ich von Gotenhafen nach Lötzen gekommen bin, das weiß ich einfach nicht mehr. Es war ja eine ziemlich große Entfernung zu bewältigen, aber jede Erinnerung daran ist wie ausgelöscht. Wir wollten schließlich wieder auf unseren Hof zurückkehren.

Das war alles zu viel für mich. Meine Erinnerung daran ist verwirrt. Inzwischen hatte ich geheiratet. Aber die Ehe mit meinem Mann, Joseph Zielinski, lief nicht gut, und wir trennten uns, nachdem wir in den Westen gegangen waren. Aus dieser Ehe habe ich einen Sohn, mit Namen Eckart, der mit mir ging. Er wohnt jetzt in Recklinghausen. Verheiratet ist er noch nicht. Er wohnt alleine. Er arbeitet bei der Caritas und hilft bei der Betreuung bedürftiger Menschen.

Auf unseren Bauernhof konnten wir nicht wieder zurück. Die Polen hatten ihn in Besitz genommen. Das wurde uns von Leuten erzählt, die vorher schon einmal dort gewesen waren. Denn, so hieß es, wir hatten ihn ja freiwillig verlassen. Es war ein schönes Haus, das wir hatten. Mein Vater war Schreiner und hat alles sehr gut gemacht, nicht nur das Haus, sondern auch die Möbel. Mein Vater sagte, dass die Polen uns nicht gut gesinnt sind und wir gar nicht wieder nach Ostpreußen zurückkehren sollten. Durch den Krieg haben die Polen sich das Land erkämpft, und unseren Besitz würden wir auch nicht wiederbekommen. In Gelsenkirchen hatte meine Mutter einen Bruder. Der hatte gehört, dass wir geflüchtet waren. Er hat dann dafür gesorgt, dass wir in den Westen gehen konnten.

Meine Mutter war ja ein Mitglied der Kirche. Die Versammlungen wurden in einem Hotel abgehalten. Es war der „Deutsche Hof.“ Die Missionare, die dort waren, haben die Versammlungen organisiert. Ich ging nicht mit in die Versammlungen, denn ich war noch kein Mitglied. Aber später, als junges Mädchen, habe ich mich auch taufen lassen. Ich war schon berufstätig. Das war noch in Ostpreußen.

An eine Sache erinnere ich mich besonders. Das war noch in Gotenhafen. Meine Schwester und ich waren zusammen. Da kamen einige Russen, die deutsche Frauen mitgenommen hatten, um sie nach Sibirien zu verschleppen und wollten mich auch mitnehmen. Meine Schwester begann furchtbar zu weinen, weil sie Angst hatte, dass wir auch noch getrennt würden. Da kam ein russischer Offizier und sagte: „Geht nach Hause.“ Aber wo war unser Zuhause? Wir sind dann irgendwo hingegangen und wurden dann von Polen festgehalten. Der Pole, der uns dann mitnahm, hatte ein Geschäft und ein Hotel. Er gab meiner Schwester und mir dort ein Zimmer und einen Schlüssel für das Zimmer. Der Bruder dieses Polen war Lehrer und kümmerte sich auch etwas um uns. Zum Essen durften wir dann dorthin gehen, wo sie das Lebensmittelgeschäft hatten, wo der Pole auch wohnte.

Wie schon gesagt, ein Bruder meiner Mutter, lebte in Gelsenkirchen. Er sagte, dass wir zu ihm kommen könnten und die erste Zeit dort bei ihm wohnen. So kamen wir in den Westen. In Ostpreußen hatte ich ja in einem Schuhgeschäft gearbeitet. Ich habe mich dann bemüht, auch hier in einem Schuhgeschäft eine Arbeit zu bekommen. Das ist auch gelungen. Aber es war nur für eine kurze Zeit. Die Menschen hatten ja kein Geld mehr. Es war überhaupt eine große Unordnung überall. Im Geschäft konnte ich nichts mehr verdienen, denn es wurde nicht mehr viel gekauft. Ich meldete mich dann in einem Hotelbetrieb hier in Westfalen, in Herne, Hotel „Kaiserhof“. Ich wurde angenommen und konnte dort auch schlafen und essen. Meine Mutter kam dann nach Recklinghausen. Dort hatte sie eine kleine Wohnung. Sie ist in Herne zur Gemeinde gegangen.