Prerow, Darß, Mecklenburg
Mein Name ist Heinz-Lothar Wiese. Ich bin am 8.10.1922 in Prerow/Darß geboren. Mein Vater, Alfred Wiese, ist in Berlin geboren und war in Prerow Fotograf. Meine Mutter, Gertrud Kuhl, war gebürtig aus Schildberg in Posen. Ich bin der zweite Sohn und hatte noch einen Bruder, der am 2. August 1916 geboren wurde. Ich hatte in Prerow bis zu meinem achten Lebensjahr gelebt. Aus persönlichen Gründen hatten sich meine Eltern getrennt. Meine Mutter ist aus diesem Grunde von 1931 bis1933 mit mir quer durch Deutschland gefahren, um für unseren Unterhalt zu sorgen. 1933 hat sie wieder geheiratet – einen Mann, der Schmied und Seefahrer war. Wir wohnten zu der Zeit in Born auf dem Darß. Auf der Halbinsel Darß gibt es mehrere Orte. Wir hatten erst in Born gewohnt, später in Zingst bis 1938/39. Danach zogen wir nach Barth/Ostsee.
Weil wir, wie oben erwähnt quer durch Deutschland gefahren waren, hatte ich keine gute Schulbildung in diesen Jahren. Ich konnte nicht viel lernen. Das habe ich aber in Zingst 1936/37 wieder aufgeholt und bin nach der achten Klasse mit einem guten Zeugnis aus der Volksschule entlassen worden. Meine Mutter hatte mich von Kind auf an das Beten gelehrt; sodass ich persönlich auch an Gott geglaubt hatte. Meine Mutter war erst evangelisch, wie ihre Eltern und während ihrer ersten Ehe wurde sie Baptist. Sie hing sehr streng an dem Glauben der Baptisten; aber ich war dort nicht getauft worden. 1937 war mein Schulabgang und nun musste etwas geschehen wie bei den anderen Schulabgängern. Deshalb ließ mich meine Mutter am evangelischen Konfirmandenunterricht teilnehmen. Der Pastor Krause, der später auf Grund seiner Überzeugung ins Konzentrationslager musste und auch dort umkam, sollte mich taufen, damit ich konfirmiert werden konnte. Er ging mit mir separat in die Kirche und besprengte mich wie üblich. Ich war aber sehr enttäuscht, weil ich dachte, es müsse jetzt etwas Außergewöhnliches geschehen, was aber nicht eintrat. Da wir sehr arm waren, wurde ich dann am Palmsonntag in meiner Marine-Hitlerjugend-Uniform mit den anderen Konfirmanden eingesegnet.
1938 kamen zwei Missionare unserer Kirche nach Zingst. Sie hatten ihren freien Tag. Der eine Missionar, Bruder Böttcher sagte plötzlich: „Wir werden einmal in dieses Haus gehen.“ (Nach vielen Jahren bestätigte Bruder Boettcher meinem Neffen in der Schweiz, dass sie dort in Zingst in kein anderes Haus gegangen waren.) Dort wohnte also meine Mutter und sie gingen hinein. Meine Mutter hatte in der Nacht zuvor einen Traum: Sie ging aus einem dunklen in einen hellen Raum. Jedenfalls war sie begeistert und ließ sich bald darauf am 27. August 1938 taufen. Da es in Zingst keine Versammlungen unserer Kirche gab, besuchte sie weiterhin die Versammlungen der Baptisten aber mit dem Unterschied, dass sie dort oft begeistert Zeugnis von ihrer Bekehrung und dem Buch Mormon gab, den Baptisten sagte: „Ihr müsst euch alle noch einmal taufen lassen“ und ihr Buch Mormon einigen zum Lesen anbot. Von da an hat meine Mutter versucht, mich auch zu bekehren. Aber ich fühlte mich ein bisschen bedrängt und ging nicht darauf ein. 1938 bis 1941 ging ich in die Elektrolehre bei Elektromeister Bruno Gielow in Prerow/Darß. Mein Vater hat etwas später auch wieder geheiratet – eine Frau aus Berlin; er blieb evangelisch
Am 4. Oktober 1941 musste ich in den Krieg ziehen. Ich wurde in Stettin-Podejuch eingezogen, war ein halbes Jahr in der Kaserne und wurde als Infanterie-Pionier ausgebildet. Anfang 1942 bekam ich die Masern und kam in ein Stettiner Krankenhaus (es wurde als Reserve-Lazarett geführt.) Des Nachts hatte ich immer Durst, sodass die Nachtschwester mir stets Himbeersaft brachte. Dabei erzählte ich ihr die Vision des Propheten Joseph Smith; wie ich sie durch meine Mutter wusste. Sie zeigte Interesse, sodass ich von zu Hause das Buch „Wichtiges aus der Kirchengeschichte“ ihr zukommen ließ. Ohne Kommentar schickte sie es nach geraumer Zeit zurück Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus erhielt ich noch drei Tage Innendienst, d. h. also vom Außendienst befreit. Während dieser Zeit gab es plötzlich des Nachts Alarm, wo sich alle auf dem Kasernenhof einfinden und auf LKWs platzieren mussten. Da wiederum nicht alle Rekruten außer mir Platz auf den Fahrzeugen hatten und somit wieder auf ihre Stube gehen konnten, ging ich auch hinauf und bat einen anderen an meiner Stelle den freien Platz auf dem LKW einzunehmen, denn ich meinte, dass ich ja mein Recht auf den Innendienst in Anspruch nehmen könnte. Mein Stellvertreter ging auch hinunter, meldete sich aber beim Feldwebel mit dem Vermerk: „Der Schütze Wiese schickt mich.“ Das war mein Verhängnis: Am nächsten Tag erhielt ich dafür fünf Tage geschärften Arrest bei Wasser und Brot ohne Strohsack als Lager. Seitdem hatte ich beim Spieß keinen guten Stand mehr!
Zuvor hatte ich Anfang 1942 die Fahrschule für LKW mitgemacht. Auf seltsame Weise wurde ich im Frühjahr 1942 mit fünfzehn oder sechzehn Mann nach Zielenzig in der Neumark (dem heutigen Sulecin in Polen) zu einer Werkstatt-Kompanie abkommandiert. So kam ich aus diesem ganzen Geschehen (der Versetzung an die vorderste Front als Infanterie-Pionier) heraus. Mit der Werkstatt-Kompanie zog ich aber auch an die Front nach Russland. Später erfuhr ich, dass die mit mir ausgebildeten Rekruten und auch weitere nach Stalingrad gekommen sind. Meine Werkstattkompanie reparierte zerschossene Autos, wobei ich auch andere Arbeiten auszuführen hatte. Im Wechsel waren wir kurz hinter der Front, oder etwas weiter zurück, aber im Voraus wussten wir nie, wohin es ging. Wir erlebten den Vormarsch im Süden bis Schachti, danach aber den Rückmarsch bis zum Mittelabschnitt, sowie dabei die große Panzerschlacht bei Kursk und dann zum Nordabschnitt, wieder zum Süden, später über Ukraine usw. usw. so wie dann auch der Rückzug erfolgte. Einmal waren uns die Russen ganz dicht auf den Fersen – Plötzlich hatten wir Differenzialschaden und steckten in einer Mulde fest. Alle anderen waren schon längst fort. Mein Beifahrer hatte kaputte Hände, er ging fort und wie durch ein Wunder beschaffte er das fehlende Teil. – Aber bei allem ist mir nichts passiert – Ich bin unversehrt nach Hause gekommen. Aber ich wusste nicht, dass meine Mutter immer für mich gebetet hatte. Das ist mir heute ein großes Zeugnis: „Deine Mutter betet für dich.“ Ich habe auch immer abends gebetet. Ich hatte mir aus einer Pferdedecke einen Sack gemacht, kroch auf meinem LKW dort oben hinein und betete das Vaterunser. Das war mir dann nicht genug und so habe ich dann etwas angehängt, für meine Eltern und meinen Bruder zu beten. Bei der genannten großen Panzerschlacht war ich schon ein bisschen ängstlicher.
Anfang Mai 1945 lagen wir bei Spreefurt. Wir wurden aufgefordert, Stellung zu beziehen, aber von der Front geflüchtete Soldaten lachten uns aus. Am 09. Mai erwarteten wir noch den Befehl, den Ort zu verteidigen. Inzwischen hatte man uns unsere Wehrpässe ausgehändigt gehabt. Als der Kompaniechef verschwand, taten wir es auch! Wir wollten mit unserer gesamten Werkstatt zum Westen fliehen. In der folgenden Nacht wurden wir durch russische Panzer daran gehindert. So verließen wir unsere Fahrzeuge und flüchteten in alle Richtungen. Bewaffnete tschechische Zivilisten stellten uns und geleiteten uns zum nächsten Ort, wo die Russen waren. Dort angekommen, stellte man uns an die Wand, als wenn man uns erschießen wollte. Ich ging sofort auf meine Knie, um Gott anzurufen. Es geschah darauf nichts besonders Aufregendes! Trotzdem war es unheimlich. Die Tschechen waren in großer Aufregung und schrieen wild sich brüstend durcheinander. Nach langem Verhör und der Protokollaufnahme eines jeden Einzelnen brachte man uns unter schwerer Bewaffnung an die Rollbahn, wo die Gefangenen schon zu hunderten lagerten. Das waren ca. 50 km vor Prag. Unter russischer Bewachung bewegte sich dann der Trupp hunderter Gefangener in Richtung Dresden. Des Nachts lagerten wir in abgeschlossenen Orten. In dem Ort Lauen, der als Auffanglager diente spielten sich furchtbare Szenen ab, wo man fälschlicher Weise einige zu Tode quälte, woran die Tschechen maßgeblich beteiligt waren. Es war furchtbar! Ich hatte keine Hoffnung mehr, jemals wieder nach Hause zu kommen!
Am Pfingstsonnabend erreichten wir das Lager Elsterwerda. Stalin sollte gesagt haben, dass wir alle entlassen würden. Aber am Pfingstsonntag marschierten wir um das Lager herum und durch das hintere Tor in dieses Lager hinein, wo wir dann zu den kahl geschorenen zweiundvierzigtausend Gefangenen gehören durften. Einmal am Tage gab es Rübenschnitzelwasser, ein Stück trockenes Brot und Tee, bzw. Kaffee. Ich verfeinerte mir die „Suppe“ mit taubem grünem Hafer, den ich vor einer Baracke fand und mit einem für Brot eingetauschten Messer somit abschneiden konnte. Jeden Morgen mussten wir bei den Russen bei lauter Musik antreten und wurden gefilzt. Das Einzige, was mir durch das dauernde Filzen geblieben, waren ein Neues Testament meines im ersten Weltkrieg in Russland vermissten Onkels und ein Minilexikon „Zwölftausend Worte englisch“. Wir schliefen in Zelten und Baracken. Eines Nachts hatte ich einen sonderbaren Traum, der in mir das Bewusstsein hinterließ, aus dem Lager heraus zu kommen. Am Morgen darauf wurde beim Antreten ein Elektriker gesucht. Weil ein Kumpel mich darauf aufmerksam machte und anstieß, meldete ich mich. Auf diese Art und Weise kam ich erst einmal aus diesem großen Lager heraus in ein kleineres mit nur siebzig Mann zwecks Ernte-Einsatzes. Dort durfte ich den Dreschkasten bedienen, sodass ich mich schon etwas freier fühlte. Es gab auch etwas zu essen. Die Russen hatten uns überwiegend aus Pilzen zubereitetes Essen gegeben. Das war wie Fleisch, das uns wieder auf die Beine geholfen hat.
Der Russe in diesem Lager hatte ein Auto kaputt gefahren und wir haben ihm gesagt, dass wir das nur dort reparieren könnten, wo so etwas wie eine Werkstatt ist. So brachte man uns nach Weißkollm; dort war auch ein Schloss. Man stellte uns einen Dolmetscher, der auf uns aufpassen musste. Wir reparierten zu vier Mann das Auto und zogen bewusst die Reparatur sehr in die Länge.
Eines Tages sagte einer der Kumpel zu mir: „Wir hauen ab, wir haben Papiere.“ Ich sagte, dass ich keine hätte. Jedenfalls legte sich, wie gewohnt, in der Mittagszeit der Dolmetscher hin und wir sagten, dass wir uns auch hinlegen würden. Wir hauten aber ab.
Wir sind zwölf Tage in Richtung Westen über die Elbe gewandert. Kurz vor Wurzen machten wir Halt und die anderen drei Leute sagten: „Wir gehen jetzt hier in die Stadt.“ Ich hatte Angst, weil ich keine Papiere hatte und sagte, dass ich nicht mitkomme und oben auf dem Hügel hinter der Stadt auf sie warten würde. Dort oben habe ich ein paar Stunden gewartet; sie kamen aber nicht. (Später erfuhr ich, dass sie im Ort übernachtet hatten.) So machte ich dann nach langem Warten eine Wendung um neunzig Grad Richtung Norden und sagte mir: „Also, da ist Barth, da bist du zu Hause.“ Ich bin immer querfeldein gegangen. Einmal hat mich ein Auto ein Stück mitgenommen, landete aber mitten in einer Stadt. So sah ich zu, dass ich wieder herauskam. Auch musste ich wieder über die Elbe und kam durch Torgelow. Auf der anderen Straßenseite patrouillierte ein Russe. Einmal hatte ich sogar ein Federbett und sollte bei dem Bauern bleiben, aber mich zog es nach Hause! Ein anderes Mal bot mir eine Frau ein Loch in einer Erdhöhle an; ich zog es dafür vor, auf dem daneben stehenden Heuschober mit offenem Blick zum Himmel zu nächtigen.
Im September 1945 bin ich dann in der Nacht in Barth angekommen. Bei uns zu Hause brannte noch Licht. Meine Mutter hatte eine Kerze angezündet gehabt, um ihrem zweiten Mann etwas zu essen zu geben. Er hatte im Februar Fronturlaub gehabt und war aber nicht mehr zurück gefahren und gesagt: „Der Krieg ist aus, ich gehe nicht mehr hin.“ Die Freude war nun groß und meine Mutter wollte mir auch etwas zu essen machen. Aber nur gleich darauf, es waren keine fünf Minuten vergangen, klopfte es: Es waren die Russen! Ich flüchtete in die Wohnstube, wollte noch die Glühlampen lösen und wusste nicht, dass kein Strom war. Ein Russe hat mit dem Streichholz oder ähnlichem Licht überall hinein geleuchtet, auch in die Wohnstube, wo ich inzwischen hinter der geöffneten Tür stand. Er hat mich nicht gesehen!! Am nächsten Morgen bin ich mit klopfendem Herzen zur russischen Kommandantur gegangen. Meine Mutter blieb draußen. – Ich war von den Russen ausgerissen und fragte mich, was ich denn nun sagen sollte? Damals hatte die Wahrheit für mich noch nicht solche Bedeutung, oder was es auch war, was mich bewegte, mich irgendwie heraus zu reden. Ich sagte aber, dass ich ausgerissen wäre oder so ähnliches. Der Russe, ein noch sehr junger Soldat verstand es aber so, dass ich ein Deserteur sei, als wenn ich von den Deutschen abgehauen wäre. Erleichtert konnte draußen meine Mutter mich wieder umarmen.
In den nächsten Tagen bekam ich Arbeit und fasste den Entschluss, durch eine feste Bindung mit einem Mädchen mein Leben zu ändern. Ich hatte mich gar bald verlobt gehabt und bereitete mich mit allem dazu Gehörigen auf eine E-Meisterprüfung mit außerdem guten Anfangschancen vor. So war ich bereits selbst Silvester 1947/48 über ein gutes Jahr verlobt gewesen.
Plötzlich offenbarte ich einer inneren Eingebung zufolge, am Silvesterabend meiner damaligen Verlobten zu ihrer großen Überraschung, mich von ihr zu trennen. Ich entschloss mich kurz: von da an außerdem nicht mehr zu rauchen und auch nicht mehr zu trinken! Das alles war noch bevor meine liebe Mutter schwer krank wurde!
Das zu höchst seltsame war, dass zur gleichen Zeit kurz vor Silvester meine jetzige Schwiegermutter, (die ich da noch nicht kannte) in Cottbus zu ihrer Tochter sagte: „Renatchen, im kommenden Jahr wirst du heiraten.“ Die Mutter war die Ella Rzepkowski. Die Tochter, Renate antwortete: „Wen soll ich denn heiraten, vielleicht einen Besenstiel?“
Hier möchte ich zur Vorgeschichte meiner Frau, die wir nachher auch erwähnen werden, kommen: Meine Frau Renate Gerda geb. Rzepkowski stammte aus Königsberg, aus einer großen Familie mit zehn Kindern. Die Eltern waren Mitglieder der Kirche und meine Frau hatte sich auch noch in der Jugend taufen lassen. Sie wohnten in Königsberg, dem Stadtteil Löbenicht und wurden während der Luftangriffe zweimal ausgebombt. Der Gemeindepräsident zu Königsberg hatte zu den Mitgliedern gesagt, sie sollten das Land verlassen. Meine Frau, die auch dazu gehörte und ihre Lehre gerne beenden wollte, erzählte, dass einige geblieben seien, aber wahrscheinlich seien die meisten aus Königsberg geflüchtet. Das war aber noch vor dem ersten Bombenangriff. Ihre Eltern hatten Königsberg daraufhin die Stadt verlassen. Ein Bruder war gefallen, andere waren im Krieg. So war sie also alleine von der Familie in Königsberg, als dieser große Angriff kam. So musste sie gezwungener Maßen auch raus. Die Straßen haben gebrannt, alles hat gebrannt, infolge der Phosphorbomben. Sie wusste, dass ihre Mutter in Deutschland in Annaberg ist. Renates Bestreben war, raus aus Königsberg, raus aus Ostpreußen! Sie hatte sich Soldaten angeschlossen, die versprachen, ihr zu helfen, mit denen sie nun hin und her fahren musste, um eine Lösung zu finden. Einmal musste sie selbst sogar eine Handgranate für den Ernstfall nehmen. Die Soldaten halfen ihr, nach Pilau zu kommen, während sie selbst wieder nach Königsberg zurück mussten. In Pilau gelang es ihr mit einem kleinen Schiff in der Nacht nach Danzig zu kommen, wo die vielen Flüchtlinge mit den Schiffen herausgebracht werden sollten. Dort nun standen drei große Schiffe! Eines war die „Wilhelm Gustloff“, das größte Schiff, dann die „Antonio Delphino“, das mittelgroße Schiff und noch ein kleineres! Ja, welches sollte sie nun nehmen? Voller Flüchtlinge waren alle schon, etwa fünftausend, dann dreitausend und zweitausend Menschen sollen darauf gewesen sein! Sie stieg in das mittlere Schiff, warum, wusste sie nicht!! Aber sie wusste, dass sie nie alle ansah; – und hatte nicht das Gefühl, in das riesengroße Schiff zu steigen! Alle Gänge und Ladeflächen und sämtliche Decks lagen voller Menschen. Aber durch diese inspirierte Entscheidung wurde ihr das Leben gerettet, denn die „Wilhelm Gustloff“ wurde von einem russischen U-Boot nur wenige Stunden später versenkt! Auf ihrem Schiff, der „Antonio Delphino“ sollen auch schon ein paar tausend Menschen gewesen sein.-
Das Schiff legte ab und wie sie auf der Ostsee eine Zeit unterwegs waren, hieß es auf einmal: „Russische U-Boote“. Das Licht wurde ausgemacht und die Maschinen gestoppt. Die Fahrt dauerte etwa drei Wochen. Eine Woche lang etwa lag das Schiff ganz still auf einer Stelle. Es war Nebel und Schwimmwesten wurden verteilt, soweit vorhanden waren. Zuerst hieß es, das Schiff sollte Stettin anlaufen, um die Flüchtlinge an Land zu bringen. Aber das Schiff landete dann erst in Flensburg. Dort erzählten ihr dann die Matrosen, dass die Schiffe, die in Stettin angelaufen waren, dort mit allen Flüchtlingen beschossen und versenkt worden waren! Das Schiff „Wilhelm Gustloff“ war unterwegs von U-Booten beschossen und versenkt worden! Fast alle Menschen auf diesem Schiff verloren ihr Leben, meist ja Frauen und Kinder. –
In Flensburg ist sie dann ausgestiegen und mit der Bahn zu ihrer Mutter nach Annaberg gefahren. Ihre Mutter hatte schon fast einen Herzanfall gehabt. Sie dachte: „Nun ist Ostpreußen zu und die Tochter sehe ich nie wieder.“ Jetzt war sie da und alles war in Ordnung! In Annaberg beendete sie ihre Lehre als Büroangestellte.
Ein knappes halbes Jahr später mussten alle Flüchtlinge das Erzgebirge verlassen. Der Vater im Himmel schickte nun Hilfe: Bruder Fritz Lehnig kam aus Cottbus nach Annaberg und nahm die Flüchtlinge mit nach Cottbus, er selbst hatte dort in seinem Haus eine Strickerei und er selbst wohnte auch dort. In den oberen Räumen waren die Versammlungsräume der Kirche, ein Saal und mehrere Klassenräume usw. In einigen Räumen waren Doppelstockbetten aufgestellt worden und viele Flüchtlinge hatten sich dort zusammengefunden! Bruder Lehnig und Bruder Walter Krause sorgten fürs Essen und jeder hatte seine Aufgabe zu tun, einige in der Kirche, einige zum saubermachen aller Räume usw. Es war ein großes Glück für meine Frau, dort zu sein, aber es war auch alles sehr schwer! So ein Lager mit vielen Menschen bringt schon Probleme.
Aber die Zeit fing an, sich zu normalisieren. Nach einem Jahr Lagerleben gab es dann Lebensmittelkarten, aber nur für den, der Arbeit hatte. Ein Bruder besorgte meiner Frau, der in einer Tuchfabrik in der Färberei arbeitete, eine Arbeit in der „Spinnerei“. Sie arbeitete dort an großen Spinnmaschinen und lernte schnell, die Maschinen zu bedienen. Es war eigentlich eine saubere und auch keine schwere Arbeit, aber sie mussten auch des Nachts arbeiten. So kam es vor, dass sie nachts auf dem Nachhauseweg von Russen mitgenommen wurden und am darauf folgenden Tag außerhalb von Cottbus auf einem freien Acker Bombentrichter zu schippen mussten. – Aus dem Flüchtlingslager zogen sie dann (sie, ihre Schwester und ihre Mutter) in eine kleine Wohnung. Dort war es, wo ihre Mutter eine TBC- kranke Frau pflegte, die sich kurz vor ihrem Tode noch taufen ließ. 1947 bekam sie dann durch eine Schwester eine wunderbare Stellung als Justizangestellte im Zentralgefängnis in Cottbus.
Es kam das Silvester 1947/48, wo ihre Mutter zu ihr sagte, dass sie im kommenden Jahr, also 1948 heiraten würde.-
Nun wieder zu meiner Geschichte: Meine Mutter hatte ja 1933 zum zweiten Mal geheiratet gehabt. Vor 1947/48 hatte dieser zweite Mann sie wegen einer anderen Frau verlassen gehabt Das hat meine Mutter dermaßen fertig gemacht, dass sie mit großen Herzproblemen krank wurde. Ich wusste nicht mehr, wie ich helfen sollte, denn ich musste deshalb oft von der Arbeit fern bleiben, um sie zu versorgen. Das war im Frühjahr 1948. Ich habe viel für meine Mutter gebetet, dass sie wieder gesund werden möchte. Zwei Missionare kamen auch in unser Haus: Egon Rzepkowski und Rudolf Wächtler. Sie haben sich auch um meine Mutter gekümmert, denn sie war ja Mitglied. In Barth waren zwar einige Mitglieder, aber es gab keine Gemeinde.
Trotz aller dieser Umstände interessierte ich mich durch die Missionare für die Kirche und deren Lehre. Außerdem waren das junge Leute so wie ich, die aber keine Andeutungen machten, mich belehren zu wollen, wohl war es mehr umgekehrt für mich, belehrt zu werden.
Ich wusste nicht, dass der eine Missionar, Egon Rzepkowski nach Hause an seine Schwester Renate geschrieben hatte, dass hier in Barth eine ältere schwerkranke Schwester sei, die gepflegt werden müsste. Sie solle kommen und sie pflegen! Er erwähnte dabei auch, dass da noch ein Sohn sei, der noch kein Mitglied, aber ein einhundert-fünfzig prozentiger Mormone sei. Das war mein zukünftiger Schwager, der diesen Brief an meine jetzige Frau geschrieben hatte.
Ich war auf einmal so vom Evangelium begeistert und bin darum auch mit den Missionaren von Tür zu Tür gegangen. So gingen wir von Haus zu Haus, bis einmal nach einer Weile der Missionar zu mir sagte: „So, nun bist du dran.“ Ich habe uns vorgestellt und zur Versammlung der Kirche eingeladen! Die Missionare hatten inzwischen auch Hausversammlungen abgehalten. Es machte mir Spaß! Aber ich war mir immer noch nicht ganz sicher, ob das Evangelium wahr ist, denn diese Frage beschäftigte mich sehr. Da gab es ein Prospekt oder Traktat, auf dem ein Bild der Statue des Engels Moroni dargestellt wurde. Dabei wurde die Aufforderung Moroni 10:4 erörtert. Ich fühlte mich voll angesprochen! Gebetet habe ich ja immer, das war kein Problem für mich. Ich habe also meinen Gott angerufen und wollte wissen, ob das wahr ist. Ich hatte noch nur ein paar Seiten des Buches Mormon gelesen. Ich hatte keinen Traum oder ähnliches darauf hin. Aber auf einmal wusste ich: „Es ist wahr!“
Deswegen war ich auch noch später so begeistert, mit den Missionaren mitzugehen. Gleichzeitig war auch für mich Joseph Smith der Prophet Gottes! Das war ungefähr im April 1948. Mit den Missionaren bin ich dann auch nach Rostock gefahren, um Spenden der Kirche zu holen und zu verteilen. Wir mussten hierzu zwölf km zu Fuß bis nach Velgast zum Zug gehen, um nach Rostock zu kommen. Einmal, es war an einem Fastsonntag, begaben wir uns wieder auf den Weg nach Rostock, um dort an der Versammlung teilzunehmen. Ein Bruder aus Barth war auch dabei. Früher gab es ja vor jeder Versammlung eine Gebetsversammlung. So auch dieses Mal, wo die Missionare uns mit hinein nahmen. Sie fragten mich, ob ich bereit wäre, in der Fastversammlung ein paar Worte zu sagen. Der andere Bruder wurde auch gefragt, aber er verneinte. Ich sagte: „Ja“, obwohl ich kaum wusste, um was es ging. Aber mein Gefühl sagte mir, dass er ein Mann Gottes sei und ich es tun sollte. Zu dieser Zeugnisversammlung habe ich dann mein Zeugnis gegeben aber mich gewundert, denn die Rostocker Mitglieder haben dabei geweint.
Die Schwester des einen Missionar die nun den besagten Brief zu Hause in Cottbus erhielt, ihre Arbeit sofort in Cottbus aufzugeben, erinnerte sich der Prophezeiung ihrer Mutter: „Du wirst im kommenden Jahr heiraten“. Sie sagte später dazu, noch nie in ihrem Leben war ihr etwas so eindringlich und klar als das gewesen: „Das wird dein Mann werden“. Sie hatte zugesagt, zu kommen. Bruder Fritz Lehnig, der Distriktpräsident wusste, dass sie von Cottbus weggehen wollte. Er sagte ihr, dass sie da bleiben solle, dass ihr Platz dort sei! Aber sie packte ihre Sachen. Sie hatte ja einmal in einer Tuchfabrik gearbeitet gehabt und hatte noch Stoff, den sie auch in ihr wirklich, kleines Köfferchen einpackte. (Aus diesem Stoff wurde später mein Hochzeitsanzug von einem Bruder in Barth gemacht.) Also setzte sie sich in den Zug und fuhr nach Barth. „Wie wird wohl dein Mann sein?“ hat sie sich gefragt. „Wie wird er aussehen?“ Ihre Vorstellungen waren: Hübsch und dunkle Haare. Im Zug machte man ihr Heiratsanträge, aber sie wusste, sie fährt dort hin und das wird ihr Mann sein. Sie war sehr gespannt!
Es kann sein, dass ich höchstens ein oder zwei Tage vorher von diesem Brief, ihrer Entscheidung und ihrem Kommen wusste. Am 12. Mai abends um 18.00 Uhr kam sie mit ihrem Bruder bei mir zu Hause an und war sehr überrascht, denn ich entsprach gar nicht den genannten Vorstellungen. Jedoch beim Umgang mit meiner Mutter sagte sie sich: „Wie ein Mann zu seiner Mutter ist, so wird er auch zu mir sein.“ Ich war froh, dass nun Hilfe da war! .Zu Hause, meiner Mutter ging es bald besser. Meine zukünftige Frau gefiel mir vom ersten Tage an. Wie ich mich nun ihr gegenüber verhalten sollte, in der Beziehung war ich sehr ungelenk. In den nächsten Tagen dachte ich mir, wie ich es anstellen sollte. Seltsamer Weise schrieb ich ihr zur ersten Annäherung ein kleines Zettelchen, anstatt es zu sagen, aber ich brachte es einfach nicht zuwege. Dieses Zettelchen hatte sie bis heute aufbewahrt. Es lautete: „Mein liebes kleines Schäfchen, ich hab Dich lieb.“ Der Leser schmunzelt sicher! Sie hat mich aber noch ein wenig zappeln lassen!
Was für mich bei dieser Geschichte wichtig und erwähnenswert ist, dass sie ein Mitglied der Kirche war, denn ich wollte soviel über die Kirche und das Evangelium wissen und meine Fragen fanden kein Ende. Ich habe ihr natürlich gesagt, dass ich sie gerne habe usw. Aber ich wollte doch immer wieder nur etwas über die Kirche wissen. Während des Krieges hatte ich auch Mädchen kennen gelernt mit Herzklopfen und Aufregung. Aber von meiner zukünftigen Frau ging so eine Ruhe aus! Vom ersten Augenblick an wussten wir Beide, dass wir uns schon vorher gekannt haben müssen. Wir haben uns dann über das Evangelium unterhalten bis spät in die Nacht hinein und das war so wunderbar!
Am 17. Juni hatte sie Geburtstag, das wurde unser Verlobungstag. Ich dachte, dass nun alles in Ordnung sei, aber meine Frau fragte: „Wann werden wir heiraten? Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Am 30. Juli 1948 war dann die Hochzeit. Bruder Walter Krause und mein Bruder Paul-Gerhardt waren unsere Trauzeugen. Für die Hochzeitsfeier hatte mein zukünftiger Schwager, der Missionar Egon Rzepkowski den Versammlungsraum der Baptisten in Barth gemietet bekommen. Meine ehemalige Klavierlehrerin Fräulein Hübner, die Organistin der Evangelischen Kirche war, brachte die musikalische Begleitung und Umrahmung. Von zu Hause holte uns eine weiße Hochzeitskutsche für unsere derzeit letzten dreißig Mark ab. Bei dem Largo von Händel nahmen wir als das Brautpaar gleich vorne am Eingang wie in einem Meer von Blumen Platz, was uns sehr bewegte. Außer unser beider Familien-Angehörigen waren alle Barther Mitglieder anwesend. Das Schönste an diesem Tag war somit diese Andachtsstunde in Form eines Predigtgottesdienstes. Zu Hause verlief außerdem alles sehr bescheiden ab. Einige Tage später gedachten wir in Form einer „Hochzeitsreise“ meinen Schwiegereltern einen Gegenbesuch in Cottbus zu machen. Ich hatte zwar im Betrieb vorgearbeitet, aber am letzten Tag vor der Reise bekam ich von meinem Betrieb eine Mahnung, falls ich fahren sollte, die Konsequenzen zu tragen hätte. Wir kamen von Cottbus zurück und ich war fristlos entlassen! Danach war ich über ein halbes Jahr arbeitslos.
Am 22. Juni 1948 habe ich mich taufen lassen. Kurze Zeit darauf war das Freudecho in Berlin in der Waldbühne. Mit dem letzten Geld sind meine Frau und ich mit dem Zug dort hingefahren, denn kurz zuvor war in Ostdeutschland eine Währungsreform. Meine Frau und ich gingen zu Bruder Lehnig, um mich vorzustellen, wobei ich ihm nun sagen konnte: „Ich bin getauft.“ Da war alles in Ordnung! Bruder Lehnig war ein ganz wunderbarer außergewöhnlicher Mensch!
Bevor ich mich taufen lassen wollte, forderte mich einer der Missionare auf, aus der Evangelischen Kirche auszutreten, Hierzu benötigte ich vom Standesamt eine Bescheinigung, die ich dann dem Evangelischen Kirchenamt noch vor meiner Taufe vorlegte. (Diese Bescheinigung ist noch in meinem Besitz) Noch im Sommer 1948 wurde die Gemeinde Barth neu organisiert. Ich wurde Sonntagsschulleiter, durfte Ansprachen und Themen geben. Dabei hatte ich doch kaum oder gar nicht in der Schrift studiert, aber ich war begeistert vom Evangelium. Wenn ich aufgerufen wurde und etwas zu sagen hatte, wurde mir das eingegeben. Das wurde mir zum Zeugnis! Dann habe ich gemeinsam mit meiner Frau und alleine viel studiert und gelesen.
Durch die Organisierung der Gemeinde und den Zuwachs durch Neugetaufte brauchten wir unbedingt mehrere Bibeln. So ging ich deshalb in das Büro der Evangelischen Kirche. Daraufhin bat mich der Superintendent in sein Büro, um den Grund zu erfahren. Ich hatte überhaupt keine Hemmungen und erzählte ihm dann, soweit ich es wusste, von der Vision des Propheten Joseph Smith. Er hörte aufmerksam zu, aber fast zum Schluss meiner Ausführungen ging er zur Tür, schob den Vorhang beiseite und sagte sinngemäß, dass es heute keine Offenbarungen und Engels-Erscheinungen mehr gäbe. Aber die Bibeln bekam ich unten im Büro trotzdem!
1949 bekam ich dann wieder Arbeit auf der Volkswerft in Stralsund. Wir wohnten aber in Barth. Dann bekam ich im Laufe des Sommers vom Betrieb ein Angebot, entweder nach Wolgast oder nach Rostock zu gehen. Die Hauptgeschäftsstelle des Betriebes war Rostock. Stralsund und Wolgast liefen als Baustellen. Für mich stand fest, dass ich nur dorthin gehe, wo eine Gemeinde ist. Rostock kannte ich schon und Wolgast war mir bekannt durch die Weihnachtsfeier 1948, wo zwei Geschwister aus Wolgast uns in Barth halfen, die Feier zu gestalten. Zu dieser Feier waren siebzig Personen erschienen, obwohl die Gemeinde aus nur ca. fünfzehn bis zwanzig Personen bestand. Durch mein Gefühl hatte ich mich entschieden, die Arbeit in Wolgast anzunehmen. So wurde ich auf die Baustelle in Wolgast für etliche Monate abkommandiert, um dort zu arbeiten.
Als ich im Spätsommer 1949 in Wolgast mit einer Schwester aus Wolgast aus dem Zug stieg, wurde dieselbe von einem mir bekannten Bruder Ulrich Chust abgeholt. Er fragte: „Hast du schon eine Wohnung?“ Ich sagte: „Nein.“ Er sagte: „Komm mit zu uns.“ Ich ging also mit zur Familie Chust; sie hatten fünf Kinder. Der Mann, Bruder Emil Chust hatte nicht sehr viel verdient und sein Sohn Ulrich, der Schornsteinfeger gelernt hatte, erhielt auch nur wenig Lohn. Aber ich bin dort jeden Tag satt geworden! Ich frage mich heute noch, wie das die Mutter, Schwester Luise Chust gemacht hat. Das ist mir auch ein Zeugnis geworden, wie der Vater im Himmel Gebete erhört!
Am darauf folgenden Tag meiner Ankunft in Wolgast, einem Mittwoch, war abends GFV. Ein Bruder Hans Schult gab das Thema aus der Bibel. Nach der Versammlung fragte er mich, ob ich in Zukunft das Thema geben könnte. Ich sagte zu und so wurde ich dann Lehrer im GFV. Bald danach wurde ich noch zum Gemeinde-Sekretär berufen.
Die ungezwungene und einfache Haltung Aller gefiel mir sehr. Es waren alles einfache Mitglieder; meistens Flüchtlinge oder kürzlich getaufte. Aber begeistert waren sie alle! Zu der Zeit hatte die Gemeinde Wolgast einen alten Kornspeicher der ehemaligen Jacobs-Mühle für einhundert Mark Miete monatlich als Versammlungsort sich selbst hergerichtet. Die Fenster waren klein und vergittert und zu jeder Versammlung mussten sie von Spinnweben befreit werden. Zwischen den Dielen befanden sich breite Ritzen. Wir saßen auf und an selbst gezimmerten Bänken und Tischen. Bruder Walter Krause war Gemeinde-Präsident, der uns einfach, aber sehr inspiriert belehrte. Das hat uns allen die Basis für unser weiteres Leben gegeben. Ich wusste: Der Prophet Joseph Smith hatte einen Lehrmeister, den Engel Moroni und ich hatte auch einen Lehrmeister, den Bruder Walter Krause!
Die Mitglieder waren alle willig und gehorsam. Bruder Krause belehrte uns oft u.a. über Gehorsam und Opfer, wie der Herr Jesus Christus es selbst war und tat. So war uns selbst im Laufe der Zeit kein Weg zu oft und zu weit, wenn es um das Werk des Herrn ging! Einige Brüder hatten alte Fahrräder, sodass die Entfernungen von Wolgast aus nach Greifswald, Demmin, Neubrandenburg und Barth für manchen Besuch der auswärtigen Gemeinden oder Geschwistern trotz allem Wetter kein Hindernis waren, denn wir gedachten oft der voran gegangenen Pioniere. Mir wurde immer mehr bewusst, dass die Gemeinde Wolgast seit ihrer Gründung 1947 durch Demut, durch Gebet und Fasten und durch Einigkeit entstanden ist!
Das Kuriose war, dass ich meine Frau nach meiner Ankunft in Wolgast 1949 nachholen wollte; aber zu einer bestimmten Zeit hatten wir in Barth auf einmal kein Wohnrecht und in Wolgast auch noch nicht! Mir hat aber dabei ein SED-Parteigenosse (vielleicht war er ein Kommunist) geholfen, indem er auf einem formlosen Blatt etwas aufgeschrieben hat, mit dem ich dann zum Wohnungsamt gehen konnte. So erhielten wir zu mindest wieder ein Wohnrecht in Barth. Es ist eine lange Geschichte, bis wir dann im späten Frühjahr 1950 in Wolgast so etwas ähnliches, wie eine Wohnung zugewiesen bekamen. Bis dahin waren wir beide bei liebevollen Mitgliedern untergebracht.
Wir wohnten nun in Wolgast; meine Berufung hatte ich aber außerdem noch in Barth. So fuhr ich also bis 1950 jedes Wochenende, meist mit dem Fahrrad nach Barth. Danach bekam ich von Januar 1950 bis Ende 1951 eine Aufgabe als Gemeinde-Präsident in Greifswald. Als das vorbei war, bin ich wieder ab Februar 1952 mit dem Fahrrad fast jedes Wochenende nach Barth gefahren, sonnabends einhundert km hin und sonntags wieder zurück. (Für das Jahr 1994 erhielten meine Frau und ich dann noch einmal, die Gruppe Greifswald als Distriktmissionare zu führen.)
Später gab es ein Rundschreiben von der Ersten Präsidentschaft, dass man sich nicht entlassen lässt. Und daran habe ich mich immer gehalten! Ich kenne das Lied: „Wer in des Lebens heißem Kampf ist unser größter Held . . . der niemals vom Schlachtfeld weicht!“ Ich habe mich wenigstens darum bemüht, ich habe mir gesagt: „Da wo du stehst, da bleibst du. Du hast die Berufung und da bleibst du“! Das hat man mir oft sehr übel genommen. Man sagte, dass ich mich um meine Familie nicht genug gekümmert hätte, nur die Kirche, die Kirche. Tagsüber habe ich gearbeitet. Frühmorgens habe ich Genealogie gemacht. Wir haben in ärmlichen Verhältnissen gelebt. An den Wohnungen musste zeitweilig viel gearbeitet werden, damit es einigermaßen möglich war, darin zu leben. Es ging uns nicht anders, als vielen anderen Familien im Osten Deutschlands. Die Mormonen wohnten meistens unter dem Dach. In der Woche bin ich für meine Familie da gewesen, aber wir hatten in Wolgast dreimal in der Woche Versammlung. Selbst im Gemeindeheim gab es viel Arbeit, um es zu erhalten. Sonntags habe ich meine Frau alleine mit den Kindern lassen müssen. Eine Zeit dachte meine Frau, dass ich froh sei, wenn ich weggehen konnte. Dabei hat mir das Fortfahren jedes Mal sehr weh` getan. Aber ich wusste, es ist für den Herrn und ich habe es gemacht. Meine Frau hat das dann sicher auch genauso verstanden, denn sie war von dem Evangelium wie ihre Mutter voll durchdrungen und immer begeistert.
Es ist eigentlich überhaupt nicht erwähnenswert, denn ich weiß, dass es etliche Brüder gaben, wo es nicht anders war. Und wenn ich mich heute vor die Wahl gestellt wüsste, es würde wieder genauso gehen, denn ich weiß, wie gesegnet ich selbst und meine Familie durch das Evangelium sind. Der Herr fordert das Herz und einen willigen Geist! (Von der genealogischen Arbeit bin ich seitdem auch nicht mehr los gekommen und ich bin sehr dankbar dafür!)
In Barth hatte ich noch Familien-Angehörige: Meine Mutter und meinen Bruder. Dort fand wochentags eine Versammlung des Priestertums und der FHV und des sonntags die Sonntagsschule mit anschließendem Abendmahlsgottesdienst statt. Mein Bruder wirkte eine Zeit lang als Sonntagsschullehrer. Alle Versammlungen in Barth wurden im Heim der Familie Walter Ihns abgehalten. Bruder Ihns hatte meist das Amt eines Ratgebers des zeitweiligen Gemeindepräsidenten inne. Er war ein sehr beständiger, zuverlässiger und treuer Mann im Werke des Herrn!
Meine Mutter. 1889 geboren, war voll in entsprechende Aufgaben der Kirche integriert worden. Darüber hinaus war sie fast bis zu ihrem Tode 1976 sehr rege missionarisch in Barth tätig. So lud sie z. B. alle Kinder in ihrer Straße in Barth jeden Sonntag zur Sonntagsschule mit Erfolg ein. Es gab auch für eine Zeit (zwischen 1950/1960) eine Frau, die gerne mitging, bis deren Mann es ihr verboten hatte. Obwohl meine Mutter überall, wo sie das Gefühl hatte, die Menschen anzusprechen, hatte jedoch keiner das Evangelium angenommen. Ab und zu besuchte sie uns für kurze Zeit in Wolgast; wollte dann aber auch bald wieder nach Hause. Jedoch kurz vor ihrem Tode hatte sie bei ihrem letzten Besuch das Gefühl, zu bleiben. Wir holten daraufhin einige ihrer Immobilien u. a. nach, wo sie dann im August 1976 starb und auch hier beigesetzt wurde.
Als wir, meine Frau und ich 1988/89 für zwanzig Monate auf Tempelmission in Freiberg waren, berichtete uns eine Tempelbesucherin, Schwester Gudrun Weber aus Schwerin, dass die oben erwähnte Frau und ihr Sohn kürzlich getauft worden sind. Der Sohn war auf der Suche, sich irgendeiner Kirche anzuschließen. Seine Mutter, die jetzige Schwester Schult bot ihm daraufhin das Buch Mormon an, welches sie seiner Zeit von meiner Mutter erhalten hatte.
In der darauf folgenden Nacht nach ihrer Taufe sah sie im Traum die alten Barther Geschwister, die sie in ihre Mitte aufnahmen. Sie sah ebenfalls ihren bereits verstorbenen Mann, der auf sie zuging und sagte: „Das hast du richtig gemacht! – Heißt es nicht in einem Lied: „Samen, der erst dann erblühet, wenn des Sämanns Hand schon kalt?
Von März 1953 bis November 1954 erhielt ich die Berufung als Stadtmissionar. Später bekam ich noch einmal diese Berufung. Im April 1954 war ich zum Ältesten ordiniert worden. Von Januar 1959 bis Juli 1962 hatte Bruder Emil Chust die Berufung des Gemeinde-Präsidenten in Wolgast. Ihm folgte dann in dieser Berufung bis Oktober 1965 Bruder Wilhelm Skibbe.
Im Laufe dieser vergangenen Jahre behielt die Gemeinde Wolgast eine zentrale Position für die Mitglieder im Umkreis von 150 km. Die Gemeinde Barth wurde mehr und mehr von Wolgast aus betreut und schließlich auch die Gemeinde Greifswald der Gemeinde Wolgast angeschlossen. Von November 1965 bis Juni 1977 wurde mir die Gemeinde Wolgast anvertraut, sodass ich meine Tätigkeiten außerhalb Wolgast einschränken musste. Unsere Söhne wurden in dieser Zeit mir eine große Stütze. In unserem Gemeindeheim fielen mit der Zeit immer mehr notwendige Reparaturen an, die wir als Brüder dann auch gerne übernahmen. Die Zeit hatte es so mit sich gebracht, dass wir uns auf alle handwerklichen Arbeiten spezialisiert hatten. Der Fußboden im gesamten Bereich des Gebäudes bestand aus Steinholzplatten. Die Schwestern hatten immer kalte Füße und es stand immer Wasser auf den Platten. Da mussten wir etwas ändern! Mitten im kalten Winter 1967 fingen wir im großen Versammlungsraum an, den Fußboden aufzureißen, den Magerbeton und darunter befindlichen Erdboden heraus zu stemmen und heraus zu fahren und den neuen Fußboden, bestehend aus Kiesbett, Magerbeton, Isolierung und abschließender Betonschicht herzustellen. Zum Schluss wurde dieser mit einem entsprechenden Fußbodenbelag versehen. So machten wir es ebenfalls mit allen anderen Räumen, sodass wir bis zum späten Frühjahr fertig waren. Unsere Jungens kamen freiwillig mit und auch Herr Schult, der Vater von Bruder Hans Schult, der kein Mitglied war; alle wollten helfen! So haben wir vieles gemacht, denn die Reparaturen hörten nicht auf. Es gab keine Stelle am Gebäude, oder draußen, sei es Schornsteinerneuerung, Gebäude-Außenverputzung, einschließlich Kanalisation usw. usw., die wir nicht in Angriff nahmen und zu Ende brachten, bis wir 1992 das jetzt existierende neue, schöne Gemeindeheim beziehen durften.
Durch meine Aufgabe als Gemeinde-Präsident billigten die Behörden für uns den Anschluss eines Telefons mit der Einschränkung, dass wir mit dem unter uns wohnenden bei der Staatssicherheit beschäftigten Genossen, dieses über eine elektronische Weiche bedienen durften.
So wie es in Sachsen war, wie mir Bruder Heidler erzählte, dass sie nicht mehr missionieren durften, war es bei uns nicht. Bruder Frank Apel, Bruder Handke, Bruder Hans, Bruder Schumann u. a. zu der Zeit in Mecklenburg tätigen Missionare waren uns eine gute Stütze in der Gemeinde. Ich wundere mich darüber, dass Mitglieder aus dem anderen Teil Deutschlands gesagt hatten: „Ihr müsst es in der DDR schlimm gehabt haben.“ Unsere Leitfäden waren das Buch Mormon, Lehre und Bündnisse und die Köstliche Perle. Ja, und wir kamen gut zurecht. Joseph Smith, seine Geschichte und das Buch Mormon, sowie die Lehre und Bündnisse haben mich fasziniert und mir zu meinem Zeugnis verholfen! Mir ging es zu Anfang meiner Mitgliedschaft wie einem Bruder in Freiberg, oder wo es auch gewesen sein mag. Er wurde getauft und hörte wohl im Nachhinein vom Wort der Weisheit und vom Zehnten. Jedes Mal, wenn er es noch nicht gekannt hatte, soll er gesagt haben: „Hat das Joseph Smith gesagt? Dann ist das in Ordnung!“ Mir ging es genauso! Es war für mich der Prophet Gottes! Sein Buch „Lehren des Propheten Joseph Smith“ hat mir Bruder Walter Krause zur Erinnerung unserer Zusammenarbeit vererbt.
Später bekamen wir für die Klassentätigkeit Leitfäden in Form von Ormig-Abzügen. Ich hatte einmal das Thema zu geben. Ein Bruder aus einer anderen Gemeinde bemerkte wohl den Leitfaden und sagte: „ Das darf gar nicht sein.“ Es gab dann noch mehrere Leitfäden, die sehr lehrreich waren, aber wie gesagt, sie durften nicht in der Klasse öffentlich verwendet werden. Zu Hause steckte ich sie alle darauf hin in den Ofen. Schade! In Halberstadt gab es eine ältere Schwester, die zur Vorbereitung ihres Themas in der Sonntagsschule das ganze Thema noch einmal jeweils aus dem Leitfaden abgeschrieben hatte.
Die Versammlungen in Wolgast und Barth mussten monatlich bei der Polizei gemeldet werden, wie wohl überall in Ostdeutschland. Ich schrieb diese Meldungen als berufener Sekretär und es ging in Ordnung. In unserem Ort gab es einen Abschnittsbevollmächtigten von der Volkspolizei in Zivil, der überall herum geschaut hat. Er kam so auch einmal auf unser Gemeindegrundstück des alten Gemeindeheimes. Wir waren gerade dabei, den Anbau, den einmal Oma Schade, die Mutter von Schwester Edith Krause bewohnt hatte, der dann später von Urlaubern benutzt wurde und auch uns als Klassenräume diente, so nach und nach abzureißen. Dieser Mann, Herr Piel, schaute schelmisch um die Ecke und sagte: „Macht ihr euch wieder alles schön?“ Wir hatten uns nichts dabei gedacht, wohl aber er! Gar nicht lange danach bekamen wir eine Aufforderung vom Stadtbauamt, sodass wir erst einmal aufhören mussten und einen ordnungsgemäßen Genehmigungsantrag einreichen durften, bevor wir weiter arbeiten konnten. Das alles aber hat uns nicht geschadet, wir sind nicht daran gestorben!
In den Jahren, als ich in Wolgast die Berufung als Gemeinde-Präsident hatte, wünschte meine Schwiegermutter in Salt Lake, dass eines ihrer Kinder für immer zu ihr ziehen sollte. Sie war auf Wunsch ihres Mannes, Bruder Richard Rzepkowski mit ihm übergesiedelt. Kurz darauf starb er, sodass sie nun alleine war. Sie war inzwischen alt und hinfällig geworden, sodass sie mit diesem Wunsch an uns herantrat. Ich mochte aus o. g. Grund ihrem Wunsch leider nicht nachkommen. Da noch eines ihrer Kinder hierfür in Frage kommen konnte, zog dann etwas später, im Januar 1980 mein Schwager Johannes Rzepkowski mit seiner Familie nach Salt Lake.
Im Laufe der Jahre wurden uns fünf gesunde Kinder geboren; es war die schönste Zeit, mit ihnen gemeinsam zur Kirche zu gehen, gemeinsam dort tätig zu sein. Wir hatten auch gemeinsam einen Garten und durch alles viel Freude. Es ist also nicht nur schlechthin, dass mein Leben nur aus Arbeit bestand, obwohl „Die Welt lebt von Arbeit, der Tätiger allein ist würdig und wert, dass er lebt.“ Ich habe aber durch die Kirchenarbeit viele Zeugnisse erhalten!
Noch einmal zurück auf das Jahr 1953: Bis zum Sommer hatte die Gemeinde ihre Versammlungen in dem bereits erwähnten Speicher. Das war oben auf dem Berg im Tannenkamp, wo auch mittlerweile die Familie Chust sowie auch wir für eine Zeit wohnten. Plötzlich musste die Gemeinde aus diesem Speicher raus. Warum? Weil eine Gesellschaft für Pflanzenschutzmittel eine Unterbringung für ihre Geräte brauchte. Was nun? Niemand rechtfertigte uns! So entschlossen wir uns, an der Peene einen Pfahlbau als Gemeindeheim aus Barackenteilen zu bauen. An einem Abend im Juni haben die Mitglieder erst einmal den Schutt weggeräumt, mit Schaufeln und Hacken und allem Möglichen. Auf einmal kam Bruder Walter Krause: „Aufhören, aufhören, ich habe etwas Besseres.“
Das war nach dem 17. Juni 1953. Aus einem großen Land hatte er ein Stück gekauft, das sollte unser zukünftiges Gemeindeheim werden! Er hatte von den Behörden die erforderliche Genehmigung bekommen. Das war eine Privat-Frau, die dieses Stück Land an die Kirche verkaufte. Ein ehemaliger Schafstall war schon abgerissen, aber eine große Linde stand noch dort, die mit einer Zugmaschine umgerissen werden sollte. Das misslang leider. Jedoch alle Mitglieder schafften es gemeinsam dann bei „Hau ruck:“ Es musste jedenfalls viel weggeräumt werden Bruder Krause hatte in Schwerin eine große Baracke, ausfindig gemacht, die der Kirche zur Verfügung stand. Er fuhr mit mir hin und wir haben in zwei Wochen diese Baracke abgerissen und transportfähig aufgestapelt. Es waren meistens ganze Teile von etwa zwei Meter Länge und fast einem Meter Breite und sehr schwer. So ging dann zum Transportieren dieser Teile von uns einer vorne und einer ging hinten. Ich dachte mir, dass der Walter Krause aber viel Kraft hatte. So dachte der Eine immer, ob der Andere nicht einmal los lässt. Später erzählte Walter Krause, dass der Heinz Wiese gar nicht mehr los lässt! Dabei waren es heiße Sommertage! Des Nachts schliefen wir im Zelt und die Schweriner Geschwister haben uns reichlich mit Essen versorgt. So sind wir zu der Baracke gekommen und das künftige Gemeindeheim in Wolgast konnte aus Barackenteilen aufgebaut werden. (Dieses Gebäude existiert noch. Man erkennt es als solches aber nicht wieder! Etliche Jahre später wurde es verkleidet und verputzt.)
Bruder Krause hatte eine Baufirma in Wolgast ausfindig gemacht, die uns geholfen hat, die Baracke aufzustellen. Wir hatten das Fundament mit Hilfe weiterer Geschwister aus anderen Gemeinden der Ostzone hergestellt. Alle halfen beim Aufstellen und die Baufirma hat das Dach darauf getan. Dann haben wir aber fast alles alleine gemacht. Bruder Krause hat Türen und Fenster eingesetzt und wir haben drinnen wieder alles gemacht, was so zu machen ist. Aber alle Mitglieder der Gemeinde haben fleißig mitgeholfen. Das Geld für die Materialien hat die Kirche geliefert und wir haben die Arbeit gemacht. Das Gemeindeheim war schon gebaut, aber es gab ja immer wieder etwas zu machen, weil es nicht massiv war.
Der Bruder Wilhelm Skibbe war zu der Zeit, als wir nach Wolgast kamen, nicht aktiv. Er selbst hatte in Wolgast ein Holzpantinen-Geschäft in der Langestraße 17, dem damals ältesten Haus in Wolgast. Er selbst fertigte in seiner Werkstatt die Holzpantinen mittels einer Bandsäge und div. Handwerkzeug eigenhändig an. Bruder Walter Krause hatte mit der damaligen Schwester Edith Schade, später verh. Krause oben im Haus sein Büro eingerichtet gehabt. Des Weiteren wohnten oben im Hause noch die Familie Skibbe und die große Familie Dunker.
Ich bin öfters dort im Hause gewesen, soweit es meine Zeit erlaubte. Einmal war ich bei Bruder Krause im Büro, dann mal wieder unten bei Bruder Skibbe. Ich konnte damals nicht begreifen, warum Bruder Skibbe inaktiv war, zumal er an der Gründung der Gemeinde Wolgast maßgeblich beteiligt gewesen war. Von Wolgast ist die Geschichte bekannt mit Herrn Reese. Bevor die Gemeinde gegründet wurde, hat er gepredigt und Bruder Wilhelm Skibbe und dessen Sohn Gerd waren auch dabei .Ich habe Bruder Skibbe sen. dann etwas ungelenk gefragt: „Sie müssen etwas ausgefressen haben.“ „Nein“, sagte er: „Ich habe mich geistig verrannt.“ – Ich war damals wohl noch ein bisschen zu jung, um das zu verstehen!
Jedenfalls sagte ich ihm bei diesem Gespräch: „Machen sie doch einmal Saaldienst.“ Das war noch zu der Zeit, wo die Versammlungen in dem schon erwähnten Speicher abgehalten wurden. Zu allen Versammlungen kamen vorher die Brüder, um diese vorzubereiten und u. a. die Fenster und Gitter von den lästigen Spinnweben zu befreien. Eines Tages war auch Bruder Skibbe da, um zu helfen. So wurde er wieder aktiv und hat wieder mitgemacht. Er wurde dann später auch Gemeinde-Präsident.
Kehren wir nun zu unserem ab 1953 neuen Gemeindeheim zurück: Dieses Gebäude war ja in Wirklichkeit eine Baracke die ursprünglich geteert und gestrichen war. Aber wenn im Sommer die Sonne schien, kam immer wieder der Teer durch. Der erste, der repariert, gekratzt und gestrichen hatte, war unser Bruder Wilhelm Skibbe. Trotz der vielen Arbeit, die wir fast vierzig Jahre lang zur Erhaltung des Gemeindeheimes aufwendeten, hatten wir aber auch unvergessliche, inspirierte Versammlungen und Zeiten. In den Jahren der DDR-Zeit besuchten viele Mitglieder aus anderen Gemeinden, die während der Sommermonate ihren Urlaub an der Ostsee verbrachten, unsere Gottesdienste.
Nach meiner Entlassung als Gemeinde-Präsident im Juni 1977 wurden meine Frau und ich als Distrikt-Missionare für eineinhalb Jahr berufen. Wir waren sehr bemüht, nach einem uns gegebenen Missionarsplan die Menschen zu belehren. Leider ließ sich aber niemand von denen taufen. Auch wurden unsere Gemeindemitglieder nach dem Motto „Jedes Mitglied ein Missionar“ mit vorbereitet Während dieser Tätigkeit hatten wir im Dezember gleichen Jahres einen folgenschweren Verkehrsunfall, aus dem meine Frau erst nach vier Wochen Koma wieder erwachte. Sie hatte einen Schädelbasisbruch, beidseitige Serienrippenbrüche und Schienbeinverletzung. Ich selbst erlitt starke Verletzungen im Gesicht und eine Schulterfraktur. Wir hatten jeder einen Krankensegen von unseren Söhnen erhalten.
In den Folgejahren hatten unsere Kinder alle geheiratet. Sie nahmen sich Ehepartner aus Sachsen, blieben aber in Wolgast. Wir waren dadurch sehr glücklich, weil wir hofften, dadurch die Gemeinde zu stärken. Ganz hat es aber nach der politischen Wende nicht funktioniert. Die Arbeitslosigkeit, sowie die mangelnde Studienmöglichkeit im Norden waren die Ursache, dass nun im Jahre 2008/2009 von den meisten der dreiundzwanzig Enkelkindern ihren günstigsten Wohnsitz in anderen Ländern Deutschlands zerstreut gewählt haben. Zehn der Enkelkinder waren inzwischen in England, Finnland, Kanada, Österreich, Russland und U.S.A. auf Mission gewesen. Durch die bisher verheirateten Enkelkinder dürfen wir uns zurzeit an vierzehn Urenkeln erfreuen. –
Bruder Walter Krause war ein sehr vom Herrn inspirierter Mann: Zur Zeit der Fertigstellung des Schweizer Tempels prophezeite er uns während einer Versammlung in Wolgast, dass wir alle einmal in einem Bus zum Tempel fahren werden. Daraufhin schenkten wir ihm zu Silvester einen kleinen Bus aus Holz, mit dem später sein Sohn Helaman spielte. Aber als der Freiberg-Tempel für die Mitglieder in der DDR geöffnet werden sollte, rief mein Neffe aus der Schweiz bei uns zu Hause an, dass er gerne zu diesem Tempel kommen und uns aus Wolgast dazu abholen möchte. So kam es dann, dass wir mit zwei Kleinbussen (den anderen Bus fuhr unser ältester Sohn Ruben) zum Tempel fuhren. Alle treuen und auch älteren Mitglieder aus Wolgast erhielten auf diese Weise 1985 ihre Erstbegabung! Es war der schönste Tag unseres Lebens, mit unserer Familie die Tempelbündnisse einzugehen!
Als meine Frau und ich, sowie weitere unserer Mitglieder 1977 den patriarchalischen Segen erhielten, sagte der Patriarch uns viele Dinge, die sich erfüllten, sowie auch die mit der Ahnenforschung zusammen hängenden Segnungen. Seit meiner Mitgliedschaft arbeiteten wir daran. Wir durften somit vielen der Verstorbenen unserer Vorfahren die Segnungen des Tempels ermöglichen! –
Die lieben guten, alten und treuen Mitglieder unserer Gemeinde Wolgast, die an dem Wachstum derselben durch ihre Beständigkeit im Dienst des Herrn wesentlich beteiligt waren, haben dadurch den nachfolgenden Generationen ein wunderbares Beispiel gegeben. Ihr geübter Gehorsam und ihre Opferbereitschaft sollten uns zum Nachdenken anregen! Wir sind ihnen dafür sehr dankbar!
Meine Frau und ich hatten das gleiche Rentenjahr 1987. Sie sollte im Juni aufhören und ich im Dezember. Unsere Schwiegermutter lud uns auf Besuch nach Salt Lake ein. Es gab normaler Weise für solche Besuche in das kapitalistische Ausland bei den Behörden der DDR immer große Schwierigkeiten, denn meine Frau war bereits dreimal dort gewesen. Seltsamer Weise hatte meine Frau von ihrem Betrieb aber dieses Mal eine Freistellung (unbezahlter Urlaub) für ein Vierteljahr erhalten. Auch mir wurde diese Freistellung von meinem Betrieb gewährt. So war alles in Ordnung und es gab von den Behörden kein Hindernis für unsere Besuchsreise. Wir konnten uns entscheiden, waren uns aber doch noch nicht schlüssig! Auch schien alles so seltsam freizügig zu sein.
Da wir es immer gewohnt waren, Entscheidungen dem Herrn im Gebet vorzutragen, taten wir das ohne uns abzusprechen, jeder für sich allein. Ich betete eines Morgens alleine darum, denn ich musste ja immer früher zur Arbeit. Ich wusste also nicht, dass meine Frau am gleichen Morgen den Herrn darum auch fragte, ob wir nun diese Reise tun sollten oder nicht. Ich hatte im Krankenhaus mein Arbeitsfeld als Elektriker. An diesem Morgen musste ich zufällig nach Koserow fahren. Meine Frau arbeitete in Zempin auf der Insel Usedom im Fleischerladen, der direkt an der Hauptstraße lag. Ich musste nach Koserow, wo eine Niederlassung vom gleichen Krankenhaus war. Höchstens zehn Meter vor dem Fleischerladen sagte ich plötzlich zu dem Trabant-Fahrer, mit dem ich im Auto saß: „Halte doch bitte hier einmal an!“ Ehrlich gesagt, während der ganzen Fahrt hatten wir ein ganz anderes Gespräch miteinander. Ich stieg aus dem Auto, ging über die Straße auf den bereits geöffneten Fleischerladen zu, wusste aber selber nicht warum, ging weiter im Laden auf meine Frau zu, die hinter dem Ladentisch stand, reichte ihr meine Hand und erst dann wusste ich, was ich ihr sagen sollte, nämlich: „Wir fahren nicht!“ Allerdings war ich von mir selbst überrascht, aber ebenso, dass sie meine Worte so ganz selbstverständlich akzeptierte! Sie hätte doch eigentlich fragen müssen: „Warum?“ Später erzählte sie mir, dass sie auch um diese Entscheidung gebetet hatte. Danach hatte sie das deutliche Gefühl erhalten: „Was dein Mann dir sagt, so soll es sein, denn er ist ein Priestertumsträger!
Ein paar Tage später rief unsere Mutter aus Salt Lake an und bat darum, dass wir doch nicht kommen sollten, sie fühlte sich nicht so und das würde ihr zu viel werden! Sie hatte das Gefühl – und wir hatten das Gefühl! Ist das nicht wunderbar, wie der Herr mit uns arbeitet?
Ein Weilchen später war die Pfahl-Konferenz des Pfahles Leipzig, zu dem wir zu der Zeit auch gehörten. Bruder Manfred Schütze war Pfahl-Präsident und Bruder Lothar Müller aus Halle einer seiner Ratgeber. Vom letzteren bekam ich zu diesem Zeitpunkt ein Schreiben, dass er uns nach der Konferenz zu Hause besuchen möchte. Wir wussten nicht, um was es ging. Er kam zu Hause bei uns an und fragte mich gleich, ob wir beide irgendwo hinfahren könnten, wo wir ungestört sind. Ich schlug den Strandbesuch in Zempin vor, der zu der Zeit vollkommen unbesucht war. Zeit meines Lebens war ich magenkrank und auch schon einmal bei ihm in Halle für eine Woche zur gründlichen Untersuchung gewesen. So war es verständlich, mich nach meinem Befinden zu erkundigen, ohne dass ich mir dabei etwas gedacht hatte. Bei diesem Spaziergang blieb er plötzlich stehen und sagte: „Wir hatten vor, sie und ihre Frau auf Tempelmission zu berufen, was halten sie davon? Ich antwortete ohne zögern: „Ja!“ Wir gingen ein Stückchen weiter und er erwiderte: „Wir hatten auch gar nichts anderes erwartet!“ Danach fuhren wir gleich nach Hause. Nun musste er noch mit meiner Frau alleine reden. Er stellte ihr die gleiche Frage und sie sagte ebenfalls ohne zögern: „Ja!“ Nun war uns klar, warum wir nicht für ein Vierteljahr nach Salt Lake fahren sollten. Eigentlich hatten wir ursprünglich gedacht und auch die Möglichkeit in unserem Betrieb gehabt, nach Abschluss unserer Rente zu der eigentlichen Rente noch etwas dazu zu verdienen. So hatte der Herr mit uns doch etwas ganz anderes vor!
Ab Januar 1988 sollte unsere Mission in Freiberg beginnen. Meine Frau musste noch bis Ende Juni arbeiten und dafür sorgen, im Laden alles ordnungsgemäß zu übergeben. Mir ging es ähnlich so: Mein letzter Arbeitstag müsste Ende Oktober gleichen Jahres sein. Man erwartete, dass ich einen Nachfolger benennen könnte, den ich in meine bisherigen Aufgaben im Krankenhaus einweisen konnte. Glücklicher Weise war unser jüngster Sohn Uwe, der auch Elektriker war, dazu bereit. Er kündigte in seinem bisherigen Betrieb, konnte aber erst mit Anfang November überwechseln. So ergab es sich, dass ich noch bis fast zum Jahresende arbeiten musste. Wir hatten einen großen Garten, den unsere Kinder für diese Zeit übernehmen würden, wir aber noch einiges zu tun hatten, wie Tulpen stecken usw. Wir besaßen ein Auto, einen „Trabant“, der sehr überholungsbedürftig war. Ein Kollege bot sich für diese Reparatur an. Das Dach war undicht, ein Seitenteil musste gewechselt werden usw. usw. Zum Schluss ging eine Tür nicht zu und die Frontscheibe drohte während der Fahrt wieder heraus zu fallen. Auf dem Weg nach Freiberg mussten wir noch einmal kräftig draufschlagen, damit sie einrastete. Da wir wussten, dass wir nicht so oft nach Hause konnten, waren ja auch noch persönliche Dinge zu regeln. Vielleicht könnte man sagen: „Wer seine Hand an den Pflug legt und schaut zurück.“
Durch alle diese Arbeit war ich wirklich krank und fix und fertig. Inzwischen hatten wir unser Berufungsschreiben vom Propheten Ezra Taft Benson erhalten. Meine Frau sagte dann zwischen Weihnachten und Silvester zu mir: „Wie wird das wohl werden, du bist so krank.“ Sie dachte: „Jetzt fehlt nur noch, dass er Bruder Burkhardt, den Tempelpräsident, anruft.“ In einer Nacht betete ich ernsthaft und dachte dabei an Jesus Christus. Da fühlte ich eine Veränderung in mir, obwohl ich mich am darauf folgenden Morgen noch sehr schwach fühlte. Das Telefon klingelte, es war meine Schwiegermutter. Sie fragte, wie es mir ginge und sagte: „Den Geist halte freudig, den Körper rein, so wird Gesundheit dein Leben sein.“ Wie kam sie darauf? Ich spürte, sie war inspiriert, mir das zu sagen! Da wusste ich: Jetzt fahren wir! Schwer beladen sind wir mit dem „Trabbi“ nach Freiberg gefahren und kamen gut an. Die Missionare, Geschwister Pippig und Geschwister Kaden halfen beim Abladen. Das war am Montag, dem 11. Januar 1988. Von Bruder Manfred Schütze waren wir berufen und eingesetzt worden. Im Tempel hat uns der Tempel-Präsident dann als Tempel-Missionare eingesetzt.
Wir erlebten eine wunderbare inspirierte unvergessliche Missionszeit. Es gab außer der eigentlichen Tempelarbeit viel zu tun rund um den Tempel einschließlich auf dem Tempelplatz. Zu der Zeit kamen viele Besucher auf den Tempelplatz, um belehrt zu werden, wo wir ihnen helfen konnten. Es kamen die Studenten der „Lamanit-Generation“ und vieles andere Wunderbare. Am 12. Mai wurde ich anlässlich einer Morgenandacht der „Lamanit-Generation zum Amte eines Hohenpriester im Melchisedekischen Priestertum ordiniert.
Unsere Entlassung als Tempelmissionare erfolgte nach zwanzig Monaten am 31. August 1989, nachdem wir um die leider begrenzte Verlängerung von zwei Monaten gebeten hatten. Die Missionszeit war die schönste Zeit unseres Lebens! Es war sonderbar, aber wir waren von allen Geschehnissen der Welt wie abgeschirmt.
Nach der Missionszeit wurden wir in unserer Gemeinde wieder zu anderen Aufgaben berufen. Von unserer Berufung als Tempelarbeiter erfolgte unsere Entlassung im Juni 2004.-Meine liebe Frau Renate Wiese, geb. Rzepkowski, als Mutter von fünf Kindern, dreiundzwanzig Enkelkindern und vierzehn Urenkeln ist im Alter von fast einundachtzig Jahren am 02. Juni 2008 in der Greifswalder Klinik verstorben.
Zuvor fiel sie am Abend des 21. Mai 2008 in ihrem beliebten Garten durch einen plötzlichen Hirnschlag und nachfolgender totaler Lähmung in ein Koma, von dem sie leider auch nicht mehr zu ihrem Bewusstsein zurückkehrte. Nach einem gemeinsamen Abschied von uns als Familie und weiteren Angehörigen, sowie vielen Mitgliedern unserer Kirche, die sie alle sehr geliebt hatten, wurde sie am 13. Juni 2008 auf dem Tannenkampfriedhof in Wolgast beigesetzt. Voller Optimismus, Lebensfreude und Gottvertrauen hatte sie sich noch im Jahr zuvor ein neues Kniegelenk einsetzen lassen. Sie hatte ein starkes Zeugnis vom Evangelium und war mir darin ein Vorbild gewesen.
Von ihrer Jugend auf an bis zum Ende ihres Lebens war sie von dem Evangelium Jesu Christi und seiner wiederhergestellten Kirche, sowie dem Erlösungsplan von Kopf bis Fuß durchdrungen! Wie auch außerdem aus ihren Aufzeichnungen ersichtlich, hatte sie in ihrer Treue zum Evangelium wirklich einen guten Kampf gekämpft und den Lauf ihres Lebens vollendet gehabt, so dass sie nun ihre Ruhe und ihren Frieden in den Armen ihrer vorausgegangenen geliebten Eltern und Geschwistern gefunden haben wird!
Der Leitgedanke ihres ganzen Lebens wird auf unserem gemeinsamen Grabstein davon wie folgt Zeugnis geben: „O Herr, wie groß bist Du!“ „Die Familie für immer vereint!“
Zu diesem füge ich mein Zeugnis hinzu, wie dankbar ich bin, dass ich in meinem Leben das Evangelium annehmen durfte, weiß, dass mein Erlöser lebt und mit meiner lieben Frau gemeinsam für sechzig Jahre lang dem Herrn auf dieser Erde dienen durfte! Ich weiß, dass der Herr einmal alle unsere Tränen abwischen wird!
Lieber Brd. Wiese, Ihren Bericht habe ich mit großem Interesse gelesen, er hat mich sehr bewegt. Danke für diese Gedanken, die viele Arbeit und Ihr großes Zeugnis. Bei der Beerdigung Ihrer lieben Frau habe ich Ihren starken Glauben erlebt, ich sehe Sie so kraftvoll singen und mit Tränen in den Augen Ihr Zeugnis geben. Ihr Beispiel wird mir immer ein großes Vorbild sein.
Danke, Ihr Lothar Hubert !