Breitlinde, Heiligenbeil, Ostpreußen

mormon deutsch vera hanna warnckeMein Name ist Vera Hanna Warncke, geborene Thurau. Ich bin in Breitlinde, Kreis Heiligenbeil in Ostpreußen geboren. Ich war die einhundertste Person, die in diesem Ort geboren ist. Mein Vater heißt August Eduard Thurau und ist am 2. Februar 1912 in Tomsdorf, Kreis Preußisch Eylau in Ostpreußen geboren. Meine Mutter heißt Erna Thurau, geborene Fischer und ist am 30. Juli 1911 in Wilhelmshof in Ostpreußen geboren. Ich bin am 8. September 1941 geboren.

1943, als ich ungefähr drei Jahre alt war, ist mein Vater auf Besuch gekommen. Das war das erste Mal, dass ich meinen Vater gesehen habe. Er war im Krieg. Er hat sich nie befördern lassen, weil er auf keinen Menschen schießen wollte. So ist er zur Lebensmittelverteilung gekommen. Er hat oft auf sein eigenes Essen verzichtet, damit seine Kameraden genug zu essen hatten. Er war ein besonders netter und freundlicher Mensch. Als er bei uns auf Urlaub war, dachte meine Mutter daran, dass ich ihn vorher noch nicht gesehen hatte. Es war nachts und ich höre noch heute die Stimmer meiner Mutter. Sie flüsterte mir ins Ohr, damit meine Geschwister es nicht hören konnte. Sie sagte:“ Vera, wach auf, der Papa ist da”! Meine Mutter holte mich dann alleine in das Wohnzimmer, damit ich mit meinem Vater alleine sein konnte, damit ich ihn etwas kennen lernen konnte. Erst später hat sie meine anderen 4 Geschwister geholt, die alle älter waren als ich. Sie kannten und liebten ihn schon. Es war für mich eine besonders schöne Zeit. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem er wieder zurück fahren musste. Ich hatte ein wunderschönes Kleid angezogen, rosa kariert. Am Bahnhof, auf dem Arm meines Vaters, bat er mich, ich solle doch einmal ja sagen, aber ich sagte immer nur „nein“. Er antwortete dann, dass er nicht eher in den Zug steigen werde, bis ich „ja“ gesagt habe Als der Zug abfuhr, sagte ich „ja“ und mein Vater sprang auf den fahrenden Zug. Ein paar Jahre später sagten meine Geschwister zu mir, dass ich schuld daran sei, dass mein Vater im Krieg gestorben ist, weil ich „ja“ gesagt hatte.

Neun Monate später wurde mein Bruder Dieter geboren. Er war ein besonders liebes Baby. Im Januar 1945 kam der Bauer, bei dem meine Mutter gearbeitet hatte, zu meiner Mutter und sagte: „Wir müssen jetzt alles zusammenpacken und flüchten. Die Russen sind schon ganz nahe. Wir müssen uns beeilen”! Meine Mutter antwortete „Ich gehe hier nicht weg, ich bleibe. Mein Mann kommt bald wieder und wir sind dann nicht da”! Nach vielem Hin und Her ließ meine Mutter sich überzeugen. Aber sie nahm nur Essen, Kleidung und unsere Betten mit. Alle Papiere und Dokumente und Bilder ließ sie dort, weil sie meinte, wir würden ja doch bald wieder zurückkommen. Wir packten alles zusammen. Am nächsten Morgen sehr früh sind wir dann aufgebrochen. Der Bauer hatte einen Wagen für sich und seine Familie und meine Mutter musste sich mit uns und zwei anderen Frauen mit ihren Kindern den Pferdewagen teilen. Es war Winter. Es war sehr kalt, es lag viel Schnee und alles war vereist. Auf dem Wagen haben wir uns alle sehr eng zusammengesetzt. Es hat uns gereicht. Der Bauer ist vorgefahren. Meine Mutter war sehr gut im Umgang mit dem Pferdewagen, sie hat das Gespann gelenkt. Später haben sich die Frauen abgewechselt beim Fahren. Wir mussten alles über das Frische Haff fahren. Da das für die Pferde zu schwer war, mussten wir oft zu Fuß gehen. Es war eisig kalt. Die Pferde sind oft im Eis eingebrochen. Das war dann für alle sehr schwer, den Pferden samt Wagen aus dem Eis herauszuhelfen. Aber wir wurden beschützt. Wir haben es geschafft. Wir mussten zusehen, wenn andere Menschen mit ihrem Pferdewagen im Eis eingebrochen und untergegangen sind. Es war furchtbar.

An einem Tag stand ich hinter meiner Mutter, als sie den Wagen lenkte. Da sah ich, dass eine große leuchtende Kanonenkugel ganz nahe an meiner Mutter vorbeiflog. Ich hatte riesengroße Angst um sie.

Wenn wir großes Glück hatten, durften wir auf Bauernhöfen übernachten. Die Pferde wurden ausgespannt, und die drei Frauen, die mit auf unseren Wagen waren, wechselten sich ab mit dem Aufpassen auf die Pferde und unsere paar Habseligkeiten. In einer Nacht war die arme Frau übermüdet und ist eingeschlafen. Als wir aufwachten, waren die Pferde und vieles Andere, auch unsere Lebensmittel, gestohlen. Unser Bauer, mit dem wir auf der Flucht waren, war so nett und hat mich und meine Schwestern und meinen neun Monate alten Bruder auf seinen Wagen genommen. Von diesem Zeitpunkt an, mussten meine Mutter und meine beiden Brüder, 11 und 12 Jahre alt, zu Fuß gehen. Die Schuhe waren bald durchgelaufen. Es war sehr anstrengend, sehr kalt und wir hatten alle immer Hunger. Wenn wir dann abends ein Quartier hatten, bekamen wir manchmal etwas zum Essen. Öfters war das Essen schlecht oder schimmelig. Aber auch dafür waren wir sehr dankbar. Was aber noch viel schlimmer war, das war, dass meine Mutter so schwach und hungrig war, und sie dadurch keine Milch mehr hatte. So konnte mein kleiner Bruder Dieter nicht gestillt werden. Es gab für ihn nichts zu essen. Meine älteste Schwester Gretel, 9 Jahre alt, wärmte kalten Lindeskaffee in ihrem Mund auf und fütterte ihn damit. Ohne das Aufwärmen, wäre es viel zu kalt gewesen. Es war eine sehr schlimme, anstrengende Zeit, aber wir waren zusammen, das war das Wichtigste.

Als wir circa. 6–7 Wochen unterwegs waren, starb mein kleiner Bruder. Er war verhungert. Das geschah in Uelzen in Niedersachsen. Da mein kleiner Bruder beerdigt werden musste, mussten wir dort bleiben. Der Bauer mit den anderen Frauen und Kindern zogen weiter. Gleich nach der Beerdigung meines kleinen Bruders, kam meine Mutter ins Krankenhaus in Uelzen. Sie hatte Typhus, Diphtherie und andere Krankheiten nacheinander. In dieser Zeit wurden wir fünf Kinder alleine in der Oberschule untergebracht. Essen bekamen wir dort. Dort erkrankte mein zweit. ältester Bruder, Siegfried an einer schweren Blutvergiftung. Er hatte sein ganzes Bein in einem Gipsverband. Meine Mutter durften wir nicht besuchen, weil sie ansteckend krank war. Nachdem Siegfried von der Blutvergiftung wieder genesen war, wurden auch meine Geschwister, Georg, Siegfried, Gretel und ich krank, wir hatten Scharlach. Wir mussten auch ins Krankenhaus. Nur meine Schwester Helga war nicht erkrankt. Sie kam in ein Kinderheim irgendwo in Uelzen oder Umgebung.

An einem Tag im Krankenhaus gab es Fliegeralarm. Wir mussten alle über einen Gartenweg in einen Schutzraum laufen. Dabei habe ich meine Mutter, die in einem Zimmer im Keller untergebracht war, gesehen. Ich habe nach ihr geschrieen. ich wollte zu ihr, aber das ging ja nicht, weil sie eine ansteckende Krankheit hatte und auch viel zu schwach war. Ich habe mich, solange wir in diesem Schutzbunker waren, nicht beruhigt. Später hat man mich zu meinem Bruder Siegfried ins Bett gesteckt. So war ich wenigstens nicht ganz alleine.

Als wir gesund waren, kamen wir wieder in die Oberschule. Nach einem ganzen Jahr kam meine Mutter endlich aus dem Krankenhaus. In der Zwischenzeit hatte man uns noch den ganzen Rest von unseren Habseligkeiten gestohlen.

In der ganzen Zeit, seit wir im Krankenhaus waren, war meine Schwester Helga im Kinderheim. Sie war in mehreren untergebracht worden, weil eins nach dem anderen zerbombt wurde. Als meine Mutter dann endlich aus dem Krankenhaus kam, ging sie zu Fuß alle Kinderheime absuchen. Jeden Tag ein anderes, in der ganzen Umgebung. Manche waren über 20 Kilometer entfernt. An einem Tag war es das letzte Kinderheim in der Umgebung. Als meine Mutter nach ihrer Tochter Helga Thurau fragte, sagte man ihr, dass sie keine Helga Thurau kennen würden. Meine Mutter war ganz geschwächt und sie stellte sich hin und weinte. Das war das letzte Kinderheim gewesen. Sie wollte gerade weinend zu uns gehen, und ganz ohne Kraft, da rief jemand „Mutti, Mutti, hier bin ich “. So hatte meine Schwester meine Mutter gefunden. Was waren wir so dankbar, als die beiden zu uns in die Oberschule kamen, am späten Abend.

Nachdem meine Schwester wieder bei uns war, durften wir umziehen. Wir kamen nach Ripdorf, einen Stadtteil von Uelzen. Wir wurden mit achtunddreißig Personen in einen vielleicht 40 qm großen Raum untergebracht. Meine Familie hatte ein Etagenbett und ein extra Bett für meine Mutter. Zwischen uns und den anderen Betten anderer Familien war nur ein ganz enger Gang. Dort lebten wir ein Jahr lang in diesen beengten Verhältnissen. Aber wir waren zusammen! Das war das Wichtigste. Nach einem Jahr durften wir endlich in eine Baracke umziehen. Dort hatten wir zwar 3 Zimmer und eine Küche, aber keine Möbel. Dort wohnten wir mit vielen anderen Flüchtlingen, die in mehreren Baracken wohnten, zusammen Diese Baracken standen mitten auf dem Gelände der Uelzener Zuckerfabrik. Wir bekamen einfache Holzgestelle als Betten. Dann haben wir festen Stoff bekommen. Das wurde zusammengenäht und mit Stroh gefüllt. So schliefen meine beiden Schwestern und ich in einem Bett. Sie beide am Kopfende und ich am Fußende. Meine großen Brüder hatten zusammen auch ein Bett und meine Mutter hatte ein eigenes. Mehr hatten wir nicht, weil uns alles andere gestohlen worden war. Es war eine sehr schwere Zeit. Damals gab es immer für 4 Wochen Essensmarken. Meiner Schwester Gretel wurden diese Marken beim Einkaufen gestohlen. So hatten wir 4 Wochen lang nichts zu Essen. Man bekam ja keinen Ersatz dafür. So sammelten wir Brennnesseln und meine Mutter kochte dann aus diesen Brennnesseln ohne Fett, ohne Salz, ohne Pfeffer eine Suppe. Als wir davon probierten, wurde uns schlecht. Uns liefen die Trägen runter, aber essen konnten wir nichts davon. Ich weiß nicht, wie wir diesen Monat überstanden haben.

Eines Tages ging meine Mutter zur evangelischen Kirche. Wir waren auch evangelisch. Sie bat um Essen, Kleidung, Geschirr, oder irgendetwas, was wir brauchten. Sie gaben meiner Mutter gar nichts, sie meinten nur, sie solle zu Gott beten, der würde ihr schon helfen. Sie ging weinend aus dem Gebäude. Sie war so enttäuscht. Sie hatte keine Kraft mehr und stand nur weinend da. Da bemerkte sie, dass Einheimische Leute aus dem Gebäude kamen und viele Taschen voll mit Essen und allerlei anderer Dinge hatten. Seit dieser Zeit wollte sie erst einmal mit Gott nichts mehr zu tun haben. Da wir mitten in der Zuckerfabrik wohnten, wurde das große Gebäude täglich mit Kohle versorgt. Kaum war die Kohle mit einem Zug auf den Schienen geliefert worden, sind alle Leute aus den Baracken dahingegangen und haben eimerweise Kohlen für sich selbst geholt. So brauchten alle nicht frieren. Wenn die Zuckerrüben Session war, kamen viele Trecker voll Zuckerrüben. Wenn welche vom Wagen runtergefallen waren, hoben wir sie auf. Es waren viele. So hat meine Mutter den besten Zuckerrübensirup gekocht, den es gab. Er schmeckte so toll, dass der Bäcker davon hörte und meine Mutter bat, sie möge für sein Geschäft auf Sirup kochen. Sie tat es und wir durften ohne Geld bei ihm große Kuchenbleche backen. Auch sonst waren wir sehr fleißig. Wir sammelten Holz, die ganzen 6 Wochen in den Sommerferien standen wir morgens um zwei Uhr dreißig auf und gingen um drei Uhr dreißig in den Wald und sammelten den ganzen Tag bis abends um siebzehn Uhr Blaubeeren, die wir verkauften. Wir arbeiteten beim Bauern und hackten die Zuckerrüben. Wir sammelten Bucheckern für Öl. Wir stoppelten Kartoffeln usw. In der Zwischenzeit hatten wir Hühner, Gänse und Kaninchen. Dafür mussten wir jeden Tag Futter von weit her auf einer Wiese holen. Für mich war das sehr schwer zu ziehen. Es war ein großer Jutesack. Meine Mutter wollte uns zu anständigen Menschen erziehen, deswegen war sie sehr streng. Wir haben fast nie Freizeit gehabt. Wir mussten immer arbeiten. Dafür hatten wir immer zu Essen und es war immer warm. In der Zwischenzeit hatten wir auch etwas Kleidung. Wir waren zufrieden.

Irgendwann hatten wir nämlich ein Carepaket mit Tellern, Tassen, Besteck und Töpfen bekommen. Was waren wir so froh und dankbar. Es war wie Weihnachten.

Mein Bruder Georg fing dann eine Bäckerlehre an und dadurch, dass er so fleißig war, konnte er dafür sorgen, dass wir jeden Samstag ein Brot bekamen und für jeden 1 manchmal 1 oder 2 Brötchen. 1948 ging es uns immer noch ziemlich schlecht. In diesem Jahr kam ich in die Schule. Ich hatte keinen Schulranzen, und keine Schulbücher, weil die Geld gekostet haben. Ich musste in der Schule sehr aufpassen, sonst wäre ich mit dem Lernen nicht mitgekommen. Es wurde Winter und meine Geschwister und ich, wir hatten keine geschlossenen Schuhe. Wir hatten Clocks, die hinten ganz offen waren. Der Schnee lag sehr hoch und der Schnee war in den ganzen Clocks. Wir froren. Wir hatten auch keine Handschuhe und ich musste die Schulhefte und die Tafel in der Hand tragen. Wir hatten einen sehr langen Schulweg. Ich brauchte, um nach Hause zu kommen ca. fünfundvierzig Minuten. Ich hatte auch keinen richtigen Bleistift, nur einen, von anderen Menschen weggeworfenen Stummel. Einen Malblock hatte ich auch keinen. In der vierten Klasse schenkte mir mein Bruder Georg den ersten Füllfederhalter. Ich zeigte ihn ganz aufgeregt und voller Freude meinen Schulkameraden. Danach hatten wir Pause, und als wir wieder zurück in die Klasse kamen, war mein Füllfederhalter gestohlen. So war es für uns alle ein arbeitsreiches, verzichtreiches Leben.

Ich war unterernährt. Aus diesem Grund wurde ich vom Deutschen Roten Kreuz zur Erholung nach Frankreich verschickt. Dort bekam ich viel zu Essen und die Leute waren sehr nett. Drei Tage, bevor diese 6 Wochen vorbei waren, brachten mich meine Gastleute in ein Kloster. Ich fürchtete mich sehr. Morgens um fünf Uhr musste ich aufstehen und musste an der Morgenandacht teilnehmen. Ich musste mich die ganze Zeit hinknien. Eine Nonne schwenkte in einem Gefäß Weihrauch. Das habe ich nicht vertragen. Mir war sehr schlecht und ich bin fast umgefallen, man hat mich gerade noch auffangen können. An den nächsten Tagen musste ich auch an der Morgenandacht teilnehmen, aber ich durfte sitzen bleiben. Das war ein sehr beängstigendes Erlebnis, das ich lange nicht vergessen konnte. Diese Angst bezog sich seit dieser Zeit auch auf Gott.

Als ich 14 Jahre alt war, ist mein Halbbruder Peter geboren. Den habe ich nach der Schule alleine versorgt. Essen gekocht, gewickelt, spazieren gegangen und alles was dazu gehört. Als ich dann zu Hause war, ging ich weiter zur Schule, aber dieses Erlebnis im Kloster hat mich sehr geprägt. Seit dieser Zeit versuchte ich sehr oft, mit Gott zu sprechen, und ich wusste nicht, wie ich ihn ansprechen soll. Aus diesem Grund sprach ich sehr oft das Vaterunser.

Mit vierzehn Jahren kam ich in eine Lehre in einem Lebensmittelgeschäft als Kaufmannsgehilfin im Einzelhandel. Ich musste sehr viele Überstunden machen. Oftmals war ich nachts erst um halb eins, halb zwei oder halb drei zu Hause. Dabei habe ich nur 25 DM im Monat verdient. Eines Tages, an einem Samstag ging die Tür in dem Geschäft auf und zwei junge Männer kamen herein. Der eine war der Halbbruder von meinem Halbbruder Peter und der andere war sein Freund Heinz Warncke. Ich habe ihn gesehen und dachte, den oder keinen. Danach habe ich ihn lange Zeit nicht gesehen.

Nach einiger Zeit zogen meine Mutter, Peter und ich zu Peters Vater. Der wohnte im Haus von Heinz Warnckes Eltern. So haben wir uns wiedergesehen. Irgendwann sind wir dann auch mal spazieren gegangen. Das hat uns gefallen und wir taten das öfters. Daraus entwickelte sich dann ein gutes Verstehen und Liebe. Am 24. Dezember 1958 haben wir uns verlobt. Ende März 1959 hatte ich meine Lehre gut beendet. Weil es in Norddeutschland sehr wenige freie Arbeitsstellen gab, holte mich mein Bruder Georg nach Darmstadt. Er hatte mir in einem kleinen Lebensmittelgeschäft eine Arbeitsstelle besorgt. Am nächsten Tag nach meiner Ankunft in Darmstadt, am Osterdienstag 1959, fing ich gleich an zu arbeiten.

Ich fand ein Zimmer und mein Verlobter kam dann sofort nach Darmstadt. Er suchte sich Arbeit und fand sie auch. Am 1. Mai konnten wir in das kleine Zimmer ziehen und am 5. Mai 1959 haben wir geheiratet. Ein Jahr später ist unser Sohn Michael am 29. Februar 1960 geboren. 2 Jahre später, als wir endlich eine Wohnung gefunden hatten, ist unser 2. Sohn, Fred, am 20. August 1962 geboren. Wir waren sehr arm, aber wir waren eine gute Familie. Ich habe leider auch in dieser Zeit zwischendurch arbeiten müssen. Ich war darüber sehr traurig, weil ich unsere beiden Kinder in meiner Arbeitszeit in der Obhut von guten Bekannten lassen musste.

Meine Verbindung und mein Verhältnis zu Gott waren so, dass ich immer noch Furcht vor ihm hatte, aber seine Nähe habe ich immer gesucht. Sonntags ging ich oft in die evangelische Kirche um am Heiligen Abendmahl teilzunehmen, weil ich mir davon erhoffte, Gott näher zu kommen. Von dem saueren Wein bekam ich aber sofort Magenschmerzen. Trotzdem ging ich immer wieder hin. Meine Söhne wurden auch konfirmiert.

Im September 1983 wollte mein Sohn Fred aus der evangelischen Kirche austreten, weil sie ihm nichts geben würde. Ich bekam einen großen Schreck. Ich sagte ihm, dass er Gott nicht verlassen dürfe. Er meinte, dass er nicht Gott verlassen würde, sondern nur die Kirche. Das war mir nicht recht und wir haben drei Tage miteinander diskutiert und mit Worten gekämpft. Am Schluss sagte er mir, dass er mir zuliebe bleiben würde. Das war ihm gar nicht recht. In diesem September war mein Ehemann sehr krank. Er hatte große Schmerzen und Probleme mit der Wirbelsäule. Er sollte operiert werden. In der Zeit war diese Operation noch sehr gefährlich. Man sagte mir, dass er vielleicht gelähmt bleiben würde. Ich hatte große Sorge. Ich arbeitete den ganzen Tag im Finanzamt Darmstadt. Der Fußweg dorthin dauerte fünfunddreißig Minuten. Ich betete jeden Tag den ganzen Weg hin und zurück. Ich sprach immerzu das Vaterunser und merkte bald, dass das nicht genug sein würde. So fing ich langsam an, eigene Worte zu finden. So versprach ich Gott, dass ich alle, die bei mir zu Weihnachten zu Gast sind, am Heiligen Abend zur evangelischen Kirche mitnehmen würde, wenn mein Mann nach der Operation wieder laufen könne. Ich hielt mein Versprechen. Ich bat alle, es waren 12 Personen, ob sie mitkommen würden. Außer meinen beiden Söhnen, waren alle gleich einverstanden. Mein Sohn Fred sagte mir, ob er schon wieder mir zuliebe in die Kirche gehen müsse, aber er sagte schließlich zu. Mein Sohn Michael stimmte zu. Er sagte, dass der das gerne tue, um den Unterschied zwischen beiden Kirchen feststellen könne. Ich war ganz entsetzt, dass er eine neue Kirche kennen gelernt hatte. Ich fragte ihn, welche Kirche das sei und er antwortete, dass das die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sei. Ich war entsetzt und sagte ihm, dass er Gott nicht verlassen dürfe. Auf diese Art habe ich erfahren, dass er Missionare kennen gelernt hatte.

Auf jeden Fall gingen wir in die Kirche. Was ganz seltsam war, sonst war es am Heiligen Abend immer ganz schön in der Kirche, aber dieses Mal fühlte sich keiner wohl. Es war eine bedrückende Stimmung und wir gingen alle sehr still und traurig nach Hause. Am nächsten Tag ging Michael also in die andere Kirche. Er ging um dreizehn Uhr dreißig los und kam um neunzehn Uhr zehn wieder. Ich fragte ihn, was er solange in dieser Kirche getan hat und er antwortete, dass es so toll gewesen sei und gar nicht lange. Nach seinem ersten Besuch der Heiligen der Letzten Tage ging er regelmäßig dorthin. Ich war darüber sehr traurig. Aber, da wir unseren Sohn nicht alleine einen Weg gehen lassen wollten, den wir nicht kannten, redeten wir viel mit ihm und fragten vieles. Wir waren sehr erstaunt, wie viel unser Sohn in der kurzen Zeit über das Evangelium wusste. Wir waren beeindruckt.

Ich fragte meinen Sohn Fred, was er von dieser neuen Kirche hielt. Er sagte mir, er kann noch nicht mitreden, aber er werde sich ein Buch aus der Bibliothek über die Mormonen besorgen. Als ihn nach 2 Tagen danach fragte, meinte er, dass der das Buch sofort wieder zurückgebracht habe. Er habe schon nach der ersten Seite gemerkt, dass das Buch von einem Feind der Kirche geschrieben ist. Wenn er über eine Gemeinschaft etwas wissen möchte, würde er nicht zum Feind gehen, sondern direkt dahin. Das taten wir dann auch bald. In der Gemeinde war ein Tag der offenen Tür. Mein Sohn und ich gingen dahin. Unser jetziger Apostel Präsident Uchtdorf nahm sich unserer an und zeigte uns das Gemeindehaus und erklärte uns, was in den einzelnen Räumen für ein Unterricht stattfand. Wir waren sehr beeindruckt

In den nächsten Tagen hatte Michael sein Vordiplom. Wir ließen ihn in dieser Zeit in Ruhe lernen. Aber als der das hinter sich hatte, fingen wir a, bei Sparziergängen unserer ganzen Familie, viele Fragen über Diese Kirche zu stellen. Wir waren beeindruckt, aber sehr beunruhig, weil wir meinten, wenn er diesen neuen Weg gehen würde, wäre er für uns verloren. Also wollte ich mal mit in diese neue Kirche gehen. Ich sagte zu meinem Sohn, dass ich, bevor ich einmal etwas nicht so nettes über „seine „ Kirche spreche, erst einmal an einem Sonntag mitgehen möchte, damit ich sie besser kennen lernen kann. Er meinte dazu, dass ich mich aber beeilen müsse, weil er sich in der nächsten Woche taufen lassen würde. Die Alarmglocken läuteten bei mir. Also ging ich am Sonntag mit in die neue Kirche. Als ich dort ankam, wurde ich sehr freundlich begrüßt. Schwester Uchtdorf begleitete mich die 3 Stunden sehr nett und hilfsbereit. Das beeindruckte mich sehr An diesem Tag war während der Abendmahlversammlung die Videoübertragung der Generalkonferenz in eine kleinen Fernsehgerät. Aber vorher wurde das Abendmahl gesegnet und ausgeteilt. Ich nahm auch davon. Als von diesem gesegneten Wasser trank, hatte ich ein seltsames wunderbares Gefühl. Ich spürte es so, als wenn ich von reinem Gebirgswasser von innen gereinigt werde. Dieses Gefühl kann man nicht anders beschreiben. Einfach wunderbar! Alle Ansprachen trafen genau mein Herz. Das waren meine Gefühle, die da zum Ausdruck gebracht wurden. Am beeindruckendsten war für mich die Ansprachen von Elder McConkie.

Als ich nach den Versammlungen nach hause kam, habe ich meinen Mann mit meinen Freudenbotschaften überschüttet. Er war beeindruckt. Mein Sohn Michael hatte am 29. Februar 1984 seinen 24. Geburtstag. Er hat eine Leute aus der Kirche eingeladen, einige von einer Diskothek, wo er sich sein Studium verdiente und eine Kommilitonen und natürlich aus meinen Mann und mich. Wir gingen hin. Die Leute von der Uni und von der Disko hielten sich an Zigaretten und an ihren Gläsern fest und waren sehr einsilbig. Die Mitglieder der Kirche waren fröhlich, freundlich und offen. Als mein Mann und ich heimfuhren, meinten wir beide, wenn unsere Söhne einmal heirateten, müssten sie Frauen aus dieser Kirche heiraten. Trotz allem war ich der Meinung, mein Sohn ist schon als Baby getauft, er braucht keine Taufe mehr. Ich wusste auch nicht genau, wie wir uns verhalten sollten, ob wir auch erwünscht waren, bei dieser Handlung.

Eines Abends, kurz vor der Taufe, brachte unser Sohn eine junge Schwester mit, mit Namen Viola Helfenbein, jetzt verheiratete Kutschke. Ich fragte sie, wie ich mich verhalten solle und sie meinte, ganz einfach mitkommen. Es war alles neu für mich. Ich war unruhig, aber seltsamer Weise auch ein bisschen ruhig. So fuhren wir alle in ein Geschäft. Michael kaufte sich einen dunkelblauen Anzug und Fred, der nur Cordjeans getragen hatte, kaufte sich auch einen. Ich kaufte mir demonstrativ ein schwarzes Kostüm, ein Zeichen der Trauer. Am Samstag, dem achten März war der Tag der Taufe. Unsere Familie ging gemeinsam in die Kirche. Ich möchte noch erwähnen, dass Michael schon am 1. März seinen Zehnten der Kirche gegeben hatte. Er sagte auch schon vorher, dass er auf Mission gehen werde. Die Ansprachen und die Taufe werde ich nie vergessen. Als Michael wieder trocken und umgezogen zu uns zurückkam, umarmte er mich und sagte: „ Mutti, jetzt bin ich ganz ohne Sünde”! Ich habe den Geist sehr stark verspürt, mir kamen die Tränen Die Tauffeier wurde bei der Familie Uchtdorf gemacht. Das war sehr harmonisch und einfach wunderbar. Es wird immer in unserem Gedächtnis bleiben.

Von da ab gingen wir fast regelmäßig in die Gemeinde. Die Schwester Uchtdorf rief mich jede Woche zwei bis dreimal an. Im März 1984 war in Frankfurt eine große Regionalkonferenz. Mein Mann und ich fuhren auch mit. Die Familie Uchtdorf hatte uns Plätze freigehalten. Die Konferenz war für uns sehr beeindruckend. Wir spürten den Geist und spürten, wie ehrlich diese Menschen alle waren. Alles was sie sagten, war voller Verständnis und Liebe.

Am 1. Mai war der traditionelle Gemeindespaziergang der Gemeinde Darmstadt. Mit meinem Mann und mir ging ein junger Untersucher. Sein Name ist Andreas Rettig. Ich fragte ihn, ob er sich taufen lassen würde, und er verneinte. Das konnte ich überhaupt nicht verstehen. Ich sagte ihm, das diese Gemeinschaft so toll ist, er müsse sich einfach taufen lassen.

Unser Sohn Fred hatte sich seit einiger Zeit belehren lassen. Er hatte sein Taufdatum auf den 4. Mai 1984 festgelegt. Jetzt freuten wir uns mit ihm. Er ist an diesem Tag von seinem Bruder Michael getauft worden. Es war genau so wunderbar wie beim Michael. Seine Tauffeier fand auch bei der Familie Uchtdorf statt. Es war wieder wunderbar. Mein Mann und ich hatten am nächsten Tag Silberhochzeit, am 5. Mai. Als wir dann nach der Feier nach hause wollten, wurden wir daran gehindert. Bruder Uchtdorf zeigte meinem Mann das ganze Haus. Die anderen Schwestern haben sich mit mir sehr anregend unterhalten. Aber als es Mitternacht war. saß Antje Uchtdorf am Klavier und alle stellen sich um sie herum und sie sangen uns zu unserer Silberhochzeit ein wunderbares Lied. Wie waren sehr gerührt. Das war ein wunderbarer Tag.

Der junge Mann Andreas Rettich hat sich am 26. März 1984 taufen lassen. Ich wollte keine Missionarinnen im Haus haben, bevor ich nicht die Bibel und das ganze Buch Mormon durchgelesen habe. Aber Michael kannte mich sehr gut. Er meinte, dass die armen Schwestern, heute am Sonntag keinen Platz hätten, wo sie hingehen könnten, denn sie sind ganz alleine in Darmstadt. Ich hatte großes Mitleid und bat sie zu uns nach Hause. Von dieser Zeit an wurden mein Mann und ich belehrt. Bei diesen Belehrungen waren immer viele junge Leute dabei. Manchmal auch Schwester Uchtdorf und manchmal Schwester Metzner. Die amen Missionarinnen taten mir bald leid, weil ich zu viele Fragen hatte.

Nachdem wir ein paar Belehrungen erhalten hatten, fuhren mein Mann und ich für zwei Wochen in Urlaub nach Spanien. Alle hatten Angst, dass wir uns nach dem Urlaub anders entscheiden würden. Wir nahmen das Buch Mormon, die Bibel, Jesus der Christus, die Wahrheit wiederhergestellt, Grundbegriffe des Evangeliums und Traktate über die Kirche mit. In diesem Urlaub haben wir nur Kirchenlektüre gelesen, oder uns darüber unterhalten. Es war wunderbar und spannend. So wenig wie in diesem Jahr, waren wir nie am Strand, und wenn wir am Strand waren, lasen wir weiter.

Als wir nach Hause fuhren, fuhr der Busfahrer eine neue Route, sie ging durch die Pyrenäen. Wir saßen im Doppeldeckerbus vorne rechts in der ersten Reihe und konnten sehen, dass das Vorderrad, mal rechts, mal links über dem Abgrund schwebte. Wir hatten Angst. Meinem Mann ging es sehr schlecht, er war Reisekrank. Ich beruhigte ihn. Ich sagte ihm, dass der Herr weiß, dass wir uns taufen lassen wollen, und er würde nie zulassen, dass uns etwas passiert.

So war es auch. Wir kamen gut in Darmstadt an. Es war zwölf Uhr dreißig. Wir duschten schnell, zogen uns um und waren schon um vierzehn Uhr im Gemeindehaus. Es war Fastensonntag. Wir hörten, dass einige für uns gefastet hatten. Es war ein gutes Gefühl. Es war der 1. Juli. Nach den Versammlungen blieben mein Mann und ich noch im Gemeindehaus. Fast alle Mitglieder waren schon weg. Nur die Familie Uchtdorf und der Bischof Litta waren noch anwesend. Ich fragte den Herrn Uchtdorf, wann er denn im September ein Wochenende in der Gemeinde wäre, weil wir uns taufen lassen möchten. Er meinte, dass er im September kein Wochenende daheim ist. So fragte ich weiter, ob er denn im August ein Wochenende daheim wäre. Er verneinte. Nachdem ich ihn fragte, wann er denn ein Wochenende daheim wäre, meinte er, nur am nächsten Samstag.

Von da ab ging alles sehr schnell. Ich fragte meinen Mann, ob wir uns nicht schon am Samstag, dem siebten Juli taufen lassen können und er stimmte zu. Wir gingen dann schnell zu unserem Bischof Litta. Wir hatten ein Gespräch mit ihm. Das war eine anstrengende und tolle Woche, die jetzt folgte. Wir hatten jeden Tag eine Belehrung, die Taufinterviews, Verwandte einladen, aus der evangelischen Kirche austreten und vieles mehr. Bei unserer Taufe waren unsere Verwandten und fast die ganze Gemeinde anwesend.

Die Taufversammlung war für uns wunderbar. Die Taufe selbst ist unvergesslich geblieben. Mein Mann wurde von Michael und ich wurde von Fred getauft. Dieses Gefühl, als wir aus dem Wasser der Taufe herauskamen, kann ich nicht beschreiben. Wir haben uns in den Armen gelegen und die Tränen der Freude sind uns heruntergelaufen. Die Tauffeier war auch bei der Familie Uchtdorf. Es war einfach wunderschön.

In dem Jahr haben wir sehr viel dazugelernt. Mit Schwester Uchtdorf sind mein Mann und ich jeden Dienstag nach Frankfurt zum Institut gefahren. Der Lehrer war Bruder Luschin. Ich habe viel gelernt.

Im März 1985 hat mein Sohn Michael sein Versprechen eingelöst. Er ist auf Mission nach Ohio berufen worden. Er war bei der Generalkonferenz im Frühjahr dabei, als Elder Bruce R. McConkie sein letztes Zeugnis gegeben hat. Seine Einsetzung als Missionar erfolgte in einem Raum im Salt Lake Tempel.

Ein Jahr später hat unser Sohn Fred geheiratet. Er hat eine sehr liebe Frau, mit Namen Ursi geheiratet. Jetzt haben sie fünf wunderbare Kinder. Der älteste Sohn Jan dient in der Brüssel Belgien Mission als Missionar. Fred war Bischof in der Gemeinde Lübeck und später wurde er Pfahlführungssekretär. Michael kam 1986 von seiner Mission zurück. Er bekam eine Arbeitsstelle in Hamburg. Bald darauf heiratete er. Seine Frau Maria ist eine sehr liebe Frau. Jetzt haben sie sechs Kinder und leben in Norddeutschland. Bald darauf sind sie in einen anderen Ort gezogen und er wurde dann Bischof von der Gemeinde Lauenburg und später wurde er Pfahlpräsident von Hamburg. Ihr ältester Sohn Johannes ist in die München Österreich Mission als Missionar berufen worden und dient dort sehr gerne. Wir fühlen uns sehr gesegnet.