Groß Daberkow, Mecklenburg-Vorpommern
Mein Name ist Anni Röhl, geborene Kopischke. Ich bin am 4. November 1924, in Groß Daberkow im Südosten Mecklenburg-Vorpommern. Mein Vater heißt Erich Kopischke, geboren 7. Oktober 1898 in Schönwerder/Ostpreußen und meine Mutter ist Meta Kurzhals, geboren 2. Juli 1898 in Hammerstein Westpreußen. Mein Ehemann ist Horst Albert Otto Röhl, geboren 12. Februar 1922 in Stettin
In Stettin lernten wir die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage kennen. Im oberen Stockwerk des Hauses Poststraße 39 lebte eine Familie Dreger. Dregers hatten zwei Kinder, die Irmi und den Otto. Otto war im selben Alter meines Bruders Kurt und Irmi war ein Jahr jünger als ich. Jeden Sonntagvormittag kam die Oma Kühn und holte hauptsächlich den Otto ab, zur Sonntagsschule. Kurt und Otto hatten sich angefreundet und Kurt folgte der Einladung Ottos mit in die Sonntagsschule zu gehen. Kurt kam begeistert nach Hause und überredete mich mit zu gehen. Auch mir gefiel es dort und es dauerte nicht lange, dann gingen auch meine Eltern mit. Oma Kühn hat immer begeistert von der Kirche erzählt und nun bekamen wir des Öfteren Besuch von den Ältesten, die uns belehrten. Missionare gab es damals nicht. Es war Krieg. Am 26.September 1942 wurden mein Vater, meine Mutter, mein Bruder Kurt und ich im Glambecksee in Stettin getauft und zwar von Bruder Ernst Winter. Am gleichen Abend wurden wir auch noch konfirmiert.
Bei uns waren oft die Zeugen Jehovas gewesen und meine Mutter hatte immer gesagt: „Das kann nicht das Richtig sein!“ Sie war auch diejenige, die immer viel in den Schriften gelesen hat und wie wir jetzt von der Kirche Jesu Christi hörten und mehr da mit bekannt wurden, da sagte sie: „Nur das kann die Wahrheit sein!“ Also, sie war davon felsenfest überzeugt. Ich war noch nicht ganz 17 Jahre alt und hatte noch kein eigenes Zeugnis, aber aus Liebe zu meiner Mutter, die immer behauptete: „Das ist die Wahrheit!“ haben wir uns als Jugendliche auch taufen lassen. Dann ist unser Zeugnis, weil wir immer in die Versammlung gegangen sind, gewachsen. Und das haben wir dann auch unsern Kindern weiter gegeben. Leider sind zwei unserer Kinder nicht mehr dabei, die haben sich ausschließen lassen. Aber die anderen zwei sind dabei und vier Kinder hatten wir ja. Ich bin sehr froh und dankbar darüber, dass wenigstens diese zwei die Stange wovon in Lehis Traum gesprochen wird, halten.
Aus Stettin mussten wir raus als, der Russe kam und wir wurden evakuiert. Ich habe noch ein Schriftstück meines Arbeitgebers, womit ich meine Ausreise überall begründen konnte: „Hiermit gebe ich als Arbeitgeber meine Einwilligung, dass die bei mir beschäftigte, kaufmännische Angestellte Frau Anni Kopischke, geboren am 04.November 1924 mit dem heutigen Tage aus meinem Betrieb ausscheidet zwecks Evakuierung.“ Das war im März 1945. Dann sind wir nach Strasburg Uckermark, da hatte ich eine Cousine wohnen. Da sind wir dann erst einmal mit dem Zug hin gefahren, weil damals mein Mann dort in Neubrandenburg im Lazarett lag. Und von Strasburg sind wir dann zu Fuß weiter gewandert mit einem Handwagen auf dem wir die restlichen Dinge hatten, die wir noch besaßen, in Richtung Malchin, Landkreis Demmin, am Kummerower See. Dabei wurden wir auch viel von Tieffliegern beschossen.
Das war ein ganz besonderes Erlebnis, das man nicht so leicht wieder vergisst. Wir waren auf einer Brückenbau-Kolonne der Pioniere, auf so einem großen Lastkraftwagen, die uns mitgenommen hatten, nur weil mein Mann verwundet war, aber die Bedingung stellten, dass wir all unsere Habe wegwerfen. Das haben wir dann auch getan, weil wir Angst hatten, dass wir in die Arme der Russen fallen würden. Dann sind wir, als dieser Tiefflieger-Angriff kam von diesem hohen Wagen runter gesprungen und so in einen Graben gelaufen. Mein Mann und ich haben uns dann da hingeworfen und haben die Maschinengewehrgarbe vom Flugzeug ausgehend genau auf uns zukommen sehen. Dann haben wir uns beide ganz eng aneinander gelegt und haben gedacht: „Wenn es uns jetzt trifft, dann gleich beide!“ Und kurz vor uns hörte es auf und nach uns ging es weiter – so etwas vergisst man nicht. Im Nachhinein hat man gesagt: „Warum? So etwas muss doch einen Grund gehabt haben?“ Und dann kamen wir hier nach Klein-Nordende/Pinneberg.
Zuerst waren wir noch in Plüschow-Nordwest Mecklenburg. Wir haben dort sogar auf der Flucht am 7. November 1945 noch geheiratet. Ich war gerade 21 Jahre und volljährig geworden. (Deutschland 17. Februar 1875 bis 17. Mai 1950 war die Volljährigkeit mit 21 Jahren erreicht – in der DDR ab 17. Mai 1950 mit 18 Jahren und in der BRD ab 1. Januar 1975 mit 18 Jahren).
Ich wusste nichts von meinen Eltern. Sie wohnten weiter östlich, hinter Stettin in Bad Polzin/Kreis Belgard-Schivelbein in Pommern, wo der Russe schon war, bevor er zu uns kam und alle Oderbrücken waren in die Luft gesprengt worden, sodass sie nicht mehr rüber kamen. Sie mussten wieder zurück, wir hatten keine Verbindung mehr zu ihnen und keine Ahnung wo sie geblieben waren. Jedenfalls kamen wir dann hier nach Klein Nordende.
Später erfuhren wir, dass meine Eltern etwa ein Jahr darauf von den Polen ausgewiesen wurden und nach Staßfurt, Salzlandkreis, Sachsen kamen. Von dort ging es dann weiter nach Strasburg, Uckermark, damals DDR, und noch später holten wir meine Mutter zu uns, denn Vater war am 7. November 1955 verstorben.
Erst einmal mussten wir uns hier ein Quartier suchen und das war nicht so ganz einfach. Dies war ein Dorf hier und wir suchten auch Arbeit. Dann sind wir nach Elmshorn rein und haben ein kleines Zimmer von 10 qm bekommen. Dort haben wir dann auch die ersten paar Jahre gewohnt. Über die Woche hatten wir es warm in der Wohnung schon vom Betrieb aus, denn es war die Wäscherei Ahrens hier in Elmshorn, wo wir wohnten. Nur sonntags war es kalt. Dann saßen wir da in Decken und haben es einfach ertragen. Es war ja nur einmal die Woche wo es kalt war und wir waren schon mal ganz froh darüber, dass wir es wenigstens während der Woche warm hatten.
Dann als nächstes suchten wir die Kirche, wie wir uns hier so einigermaßen eingerichtet hatten. Und zwar hatte ich in meinem Rucksack noch einen „Stern“ (Kirchenzeitschrift) von Stettin und da war eine Anschrift von Basel drauf, so habe ich nach Basel geschrieben und gebeten mir doch bitte eine Adresse zu schicken, wo wir hier die Kirche finden könnten. Darauf haben wir eine ganze Zeit nichts gehört und eines Tages klopfte der Bruder Johannes Kindt bei uns an die Tür und sagte uns, dass in Altona, in der Freimaurerloge, in der „Kleine Westerstrasse“ die Versammlungen abgehalten würden. Da sind wir dann hin gefahren.
In dem Zug, in dem wir in die Gemeinde fuhren, trafen wir zwei alte Damen. Sie waren immer so nett zu unserem Sohn Herbert und gaben ihm etwas, was sie so gerade hatten an Bonbon oder Kekse und wir waren ganz erstaunt als wir uns in Altona in der Gemeinde wieder trafen und von dieser Freundschaft berichtete ich, als ich eine Ansprache halten sollte zur Gründungsfeier der Gemeinde in Pinneberg:
Liebe Geschwister zunächst möchte ich Ihnen Zeugnis geben und sagen, dass das Evangelium Jesu Christi wahr ist. Die Wege des Herrn sind wunderbar. Nun soll ich Ihnen nun von den Anfängen der Kirche hier in Pinneberg berichten. Fünfzig Jahre sind eine lange Zeit und vor fünfzig Jahren war ich noch ziemlich jung. Da muss ich nun etwas weiter ausholen, um zu zeigen, wie der Herr mit uns arbeitet.
Im Dezember 1942 wurde ich im Alter von 17 Jahren in Stettin getauft. Auch meine Eltern und mein Bruder Kurt. Wir besuchten eifrig die Versammlungen, aber dann kam die Flucht und nach vieler Mühsal kamen mein Mann und ich nach Klein-Nordende und von dort nach Elmshorn. Die Verbindung zur Kirche und zu meinen Eltern war abgebrochen, keiner wusste, wo sich der andere befand. Zum Glück hatte ich in meinem Rucksack einen „Stern“ mitgenommen. Dort war eine Schweizer Adresse der Kirche angegeben. Ich setzte mich hin und bat um Auskunft wo in unserer Nähe die Versammlungen stattfanden. Ich bekam keine Antwort, aber eines Tages stand Bruder Johannes Kindt vor unserer Tür. Die Freude war groß und er lud uns ein, die Versammlungen in Altona in der Freimaurerloge zu besuchen. Wir wurden dort freudig aufgenommen und fühlten uns wohl.
Auf dem Weg nach Altona begegneten uns zwei nette Damen. Sie waren uns sehr sympathisch und wie erstaunt waren wir, als wir sie in der Gemeinde Altona wieder trafen. Es waren Geschwister Eitner aus Breslau. Diese Freundschaft hat ein ganzes Leben lang gehalten.
Nach einigen Jahren in Altona hieß es dann: „Pinneberg wird eine Zweiggemeinde von Altona. Im Mai vor fünfzig Jahren versammelten wir uns in Pinneberg im „Roten Kreuz Heim“. Wir waren nur eine handvoll Leute. Ich glaube keine 25 Personen. Von denen leben heute noch drei. Bruder Fritz Stank, der unser Gemeindepräsident wurde, und mein Mann, der sich inzwischen der Kirche angeschlossen hatte, waren die einzigen männlichen Wesen. Paula Grapenthien war unsere FHV Leiterin, Schwester Sanne und ich unterrichteten die Kinder. Zwei Räume standen uns zur Verfügung, also hatten wir nur zwei Klassen. Sonntags bekamen wir dann Unterstützung aus Altona, indem sie uns Bruder Imbeck oder Bruder Peters schickten. Einen Organisten hatten wir auch nicht, aber auch hier wurde Abhilfe geschaffen. Schwester Anni Jahn kam einige Jahre und spielte die Orgel. Wir haben heute noch Verbindung miteinander. Sie ist vor über vierzig Jahren nach Amerika ausgewandert. Später kam Elfi Sötje und noch später übernahm unser Sohn Herbert dieses Amt. Er hat uns viele Lieder beigebracht.
Der Versammlungsbesuch im „Roten-Kreuz-Heim“ bereitete mir immer sehr viel Aufregung, denn ab und zu befand sich der Hund in seinem Zwinger, der auf dem Grundstück stand und er war nicht gerade freundlich zu uns. Aus irgendeinem Grund stand uns das „Deutschen-Rote-Kreuz-Heim“ nicht mehr lange zur Verfügung, ich glaube es sollte abgerissen werden. Wir siedelten dann ins Gewerkschaftshaus über, aber dort war es nicht der Hund, der uns aufregte, sondern der Schnaps- und Tabakgeruch. In diesen Räumen hat uns dann aber mehrmals Bruder Uchtdorf besucht, der in Pinneberg oder Appen bei den Fliegern stationiert war.
In diesen Räumen waren wir nicht so lange und so suchten wir eine neue Bleibe. Wir hatten gerade in Klein Nordende gebaut und stellten nun unser Wohnzimmer für den Gottesdienst zur Verfügung. Dann hatten wir allen Grund zum Jubeln – die Kirche hatte eine Villa gekauft, hier ganz in der Nähe des jetzigen Gemeindehauses in Pinneberg. Es gehörte ein Großer Park dazu mit viel Obst darauf und wir hatten als FHV alle Hände voll zu tun, denn umkommen sollte ja nichts davon. Später wurde das Grundstück geteilt. Einen Teil behielt die Kirche und der andere Teil mit der Villa wurde verkauft und wir bekamen dann den schönen Neubau hier. Die Gemeinde wuchs und gedeihte erfreulicherweise schnell. Und dann riss man uns wieder auseinander. Im Januar 1991 also vor gut 15 Jahren wurde auch diese Gemeinde geteilt.
Mit gemischten Gefühlen fingen wir erneut an Pionierarbeit zu leisten, und zwar in Elmshorn, Kreis Pinneberg. Die Elmshorner versammelten sich nun und nahmen sich vor fest und treu zusammen zu halten und jede Berufung anzunehmen. Es hat funktioniert und auch diese Gemeinde ist gewachsen. Ich kann bezeugen, dass wenn wir bereit sind dem Herrn zu dienen und unser Bestes zu geben, wird der Herr Seinen Segen dazu geben, denn aus Kleinem geht Großes hervor. Der Herr segne uns weiterhin, mit Stärke und Standhaftigkeit und Treue bis ans Lebensende.
Unser Lebensende wird nicht mehr so lange auf sich warten lassen, aber ich hoffe, dass wenn wir da oben ankommen, der Herr zu uns sagen wird: „Du warst mir ein treuer Knecht, gehe ein zu meiner Freude.“
Das war zum 50 jährigen Bestehen der Gemeinde Pinneberg. Da waren wir allerdings schon hier in Elmshorn und man hatte mich gebeten zur Feier zu sprechen. Ich war damals über zwanzig Jahre FHV-Leiterin gewesen. In diesen zwanzig Jahren sind meine Kinder gekommen. Sie sind alle 6 bis 8 Jahre auseinander. Immer wieder wurde ich als FHV Leiterin abgelöst für vier Wochen wenn ich ein Kind bekommen hatte. Ich hatte eine Lungentuberkulose und bekam immer Bescheid, wenn ich mal wieder ein Baby kriegen durfte, deshalb die langen Abstände.
Es war für uns eine große Freude, dass wir vor kurzem noch alle zusammen unsere Diamantene Hochzeit feiern konnten. Unser Sohn hatte uns dazu eine sehr schöne Familienchronik geschenkt, über die wir uns sehr gefreut haben.
Der Vater im Himmel hat uns verheißen, dass wenn wir Seine Gebote halten, uns nicht fürchten müssen. Eine weitere Verheißung in Bezug auf den Zehnten lautet, dass wenn wir einen ehrlichen Zehnten zahlen, Er die Fenster des Himmels öffnen wird und Segen herab schütten wird in Fülle. Das haben wir wirklich erlebt. Als wir uns mit dem Gedanken befassten ein Haus zu bauen, kamen wir nicht weit mit unseren eigenen Mitteln, denn wovon sollte das bestritten werden? Geld hatten wir wirklich nicht zur Verfügung. So stellten wir einen Antrag an die Landesregierung, und siehe da, sie bewilligten uns ein Landesdarlehen von 7.500, DM und ein Aufbaudarlehen von 6.500, DM. Mit diesen 14.000, DM haben wir dann unser Haus gebaut. Natürlich alles in Selbsthilfe. Ganz glücklich waren wir aber, als zum Schluss noch soviel übrig war, dass wir uns einen elektrischen Kochherd kaufen konnten. Immer haben wir die helfende Hand des Herrn gespürt und im Nachhinein kann man es kaum fassen, dass alles so gut geklappt hat. Dem Vater im Himmel sei Dank für alles.
„Ich denke, wenn man sich im Nachhinein das so überlegt, wie das alles gekommen ist, dass der Herr seine schützende Hand über uns gehalten hat. Wir waren ja wohl doch dazu auserwählt mit zu helfen Sein Werk in diesem Teil der Welt mit voran zu bringen.“