Ottweiler, Saar

mormon deutsch ingeborg maria sengewitzMein Name ist Inge (Ingeborg Maria) Sengewitz, geborene Hamel. Geboren bin ich am 4. August 1932 in Ottweiler/Saar. Meine Mutter, Anna Hamel geborene Bläs, geschieden Schäfer, wohnte zu dieser Zeit in ihrem Elternhaus, in dem mein Vater, Otto Hamel, seine Zahnarzt- Praxis hatte. Sie war geschieden und brachte zwei Töchter mit in die Ehe, Leni (Magdalena Theresia), 13 Jahre alt, und Mippi (Margarete Elisabeth), 11 Jahre alt.

1934 wurde meine Schwester Christel (Christine Hedwig) geboren. Und 1937 meine jüngste Schwester Ruth (Ruth Ingrid), die im Alter von 9 Jahren an tuberkulöser Hirnhautentzündung gestorben ist. 1946 waren die richtigen Medikamente gegen diese Krankheit bei uns leider nicht verfügbar.

Ich hatte eine schöne Kindheit. Wir fünf Mädchen, die Großen und die Kleinen, verstanden uns sehr gut. Ich war außerdem das Lieblingskind meines Vaters. Ich war ja seine Älteste. Er ließ mich immer wissen, dass er Freude an mir hat, und dass er stolz auf mich ist. Und ich habe ihn bewundert für seine Stärke, seine Souveränität, seinen Fleiß und seine Freundlichkeit. Von September 1939 bis zum Ende des Krieges war er als Soldat eingezogen und anschließend noch bis März 1946 in russischer Kriegsgefangenschaft. Meistens konnte er auf Zahnstationen arbeiten, auch in russischer Kriegsgefangenschaft. Er war alles andere als ein begeisterter Soldat und hat es nur bis zum Stabsgefreiten gebracht. Er hat mir sehr gefehlt während dieser Zeit.

Meine Mutter war eine liebevolle treu sorgende Hausfrau. Sie hat meinen Vater in der Praxis unterstützt, sich geduldig um uns Kinder gekümmert, fast alle Kleider selber genäht, hervorragend gekocht uns gebacken, und sie hatte sich außerdem bis zu seinem Tod 1934 um ihren verwitweten Vater gekümmert und ihm den Haushalt geführt. Sie war mir in vielem ein Vorbild.

Ich war evangelisch getauft, ging aber in den katholischen Kindergarten, weil der gerade neben unserer damaligen Wohnung war. (Meine Mutter und meine beiden älteren Schwestern waren katholisch, mein Vater und meine jüngeren Schwestern und ich evangelisch. Aber wirklich religiös war niemand in der Familie). Im Kindergarten lernte ich beten, nur hat mich die Anbetung von Maria, von Jesus, von Gott und von etlichen anderen Heiligen etwas verwirrt. Und so habe ich schon als drei- oder vierjährige beschlossen, mich nur an den lieben Gott persönlich zu wenden. In den Kindergarten bin ich sehr gerne gegangen. Ich mochte es, mich um die Kleinsten zu kümmern, zu basteln und Geschichten und Märchen zu hören. Auch als ich schon in der Schule war, bin ich so oft wie möglich mit meinen jüngeren Schwestern hingegangen.

Meine Schulbildung ist nicht besonders, hauptsächlich wegen des Krieges. In die Schule kam ich Ostern 1939. Ich hatte immer gute Noten. Nach der vierten Klasse, das war 1943, im September, besuchte ich die „Hauptschule“. Das Schulsystem war damals anders als heute. Es gab die 8-jährige Volksschule oder 4 Jahre Volksschule und anschließend entweder Lyzeum (Oberschule für Mädchen), Gymnasium (Oberschule für Jungen), beide noch manchmal nach Konfessionen getrennt, und neu dazugekommen war die gemischte Hauptschule. In Ottweiler gab es als weiterführende Schule nur die Hauptschule, und die wurde bei Kriegsende aufgelöst. Einige Monate waren die Schulen geschlossen. Ich war inzwischen fast 14, hätte in der Oberschule mindestens zwei Jahre Latein aufholen müssen, und außerdem war die nächste Oberschule nur mit dem Zug zu erreichen. Das schien meinen Eltern zu gefährlich, und so habe ich 1947 die Volksschule mit Erfolg abgeschlossen. Sehr frustrierend für mich war, dass meine Eltern mir auch nicht erlaubten, das „Lehrerseminar“ in Ottweiler zu besuchen. Ich wäre gerne Lehrerin geworden. Man brauchte damals noch kein Abitur. Ich hatte auf Anraten meiner letzten Klassenlehrerin die Aufnahmeprüfung gemacht und mit „sehr gut“ bestanden – statt dessen wurde ich „Zahnärztliche Helferin“ mit Ausbildung in der Praxis meines Vaters.

1948 sind wir umgezogen von Ottweiler in ein kleines Dorf namens Differten, bei Völklingen/Saar. Das war ein einschneidendes Erlebnis. Alle unsere Freunde waren in Ottweiler. Es gab noch nicht einmal ein Schwimmbad da. Alle Leute waren katholisch. Und die nächste evangelische Kirche, die ich gerne besucht hätte, war etwa 10 km entfernt und nur zu Fuß zu erreichen.

Im Juli 1950 schloss ich meine Ausbildung als Zahnärztliche Helferin mit Erfolg ab. Die Arbeit in der Praxis meines Vaters machte mir nicht sehr viel Spaß. Ich gab sie auf und, diesmal mit Unterstützung meines Vaters, meldete ich mich bei der Berlitz-School of Languages an um Englisch und Französisch zu lernen. Englisch gab es nur im Privatunterricht. Das Saarland war damals noch wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen und gehörte noch nicht zur Bundesrepublik. In Französisch erwarb ich ein Dolmetscherdiplom, im Juli 1953. Anschließend arbeitete ich in der Berlitz-School in Saarbrücken als Sekretariatsangestellte bis Juli 1956.

Im Juni 1955 verbrachte ich einen Urlaub mit meiner Mutter bei ihrer Freundin und deren Familie in Quedlinburg, damals DDR. Wir besuchten u.a. die Tropfsteinhöhle (Hermannshöhle) in Rübeland im Harz. Ich fühlte mich ziemlich einsam zu der Zeit. Ich sonderte mich von den anderen ein bisschen ab in der Vorhalle und betete: „Lieber Gott, kannst du mir nicht hier in der Höhle mal zeigen, wen ich einmal heiraten werde“. Aber im gleichen Moment dachte ich: Erwartest du hier eine Fotoleinwand an der Decke? Du spinnst doch!

Als die Führung durch die Höhle zu Ende war, saß der nette Höhlenführer davor auf einer Bank. Wir hatten Hunger. Ich ging zu ihm hin und fragte ihn nach einer Bäckerei. Er sagte: „Dort in der Straße ist zwar eine Bäckerei, aber um 4.00 Uhr am Nachmittag gibt es dort keine Brötchen mehr. Wir sind hier in der DDR.“ Weil ich ihm versprach, eine Ansichtskarte von zu Hause zu schicken, wenn wir doch Brötchen bekämen, schrieb er mir seine Adresse auf. Der Ehemann der Freundin meiner Mutter machte Fotos von uns. Das war das erste Treffen mit meinem lieben Mann. Mein Mann ging damals nach Hause und erzählte seiner Großmutter: „Heute habe ich in der Höhle die Frau getroffen, die ich einmal heiraten werde.“ Dabei hatte er nicht einmal meine Adresse. Was wäre gewesen, wenn ich ihm nicht geschrieben hätte!

Im Oktober des gleichen Jahres kam mein Mann ins Saarland um mich zu besuchen und auch, um in Saarbrücken zu studieren. Das mit dem Studium hat aus verschiedenen Gründen nicht so geklappt. Wir haben uns im Juni 1956 verlobt. Im Juli 1956 sind wir dann nach Mannheim gezogen, wo Hilmar nach einigen Umwegen im April 1957 eine Ausbildung als Zollanwärter bei der Bundeszollverwaltung begonnen hat. Nach 40 Dienstjahren ist er 1997 als Zollamtsrat in Pension gegangen. Ich habe in einem Möbelhaus im Büro gearbeitet. Wir hatten in unterschiedlichen Stadtteilen möblierte Zimmer Die Wohnungsnot in Mannheim war noch sehr groß. Und als Unverheiratete zusammen zu wohnen war unmöglich.

Im April 1957 haben wir in Mannheim geheiratet und unsere erste gemeinsame Wohnung bezogen, ein Zimmer, Küche, Bad, Balkon. Im Dezember kam unser Sohn Frank zur Welt. Ich hatte meine Arbeit aufgegeben. Die Wohnung war zu klein geworden, und wir fanden eine Dienstwohnung mit einem Zimmer mehr. Im September 1960 wurde unsere Tochter Ingrid geboren, und wir brauchten unbedingt ein Kinderzimmer Zum Glück zog ein Kollege von Hilmar um, und wir konnten in seine wirklich große Wohnung ziehen, in der wir bis 1978 blieben. Sie war groß genug, als im August 1963 unsere Tochter Gudrun auf die Welt kam. Und auch für unser Nesthäkchen Martina 1970 war noch genug Platz.

Im April 1963 sind wir umgezogen in die Mollstraße 30. Gleich um die Ecke, in der Sophienstraße war ein Gemeindehaus der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Eines Tages, als wir dort spazieren gingen, sagte Hilmar: „Das ist die Kirche, der mein Onkel Werner angehört.“ (Werner Schrader ist der Bruder von Hilmars Mutter. Er lebte in Hamburg und hatte sich Anfang der fünfziger Jahre mit seiner Frau und seiner Tochter der Kirche angeschlossen.) Ich wunderte mich, denn er hatte immer nur von Mormonen gesprochen. Mein Mann warnte mich vor Missionaren. Aber er hatte mich nur neugierig gemacht. Und als im März 1965 Missionare bei uns klingelten, lud ich sie für einige Tage später ein. Ich kochte Bohnenkaffee, weil mein Mann mir erzählt hatte, dass Mormonen keinen Kaffee trinken (auch, dass sie nicht rauchen, keinen Alkohol trinken und den Zehnten zahlen). Ich wollte das Mal prüfen. Natürlich tranken sie den Kaffee nicht und lehnten auch die Zigaretten ab, die ich ihnen anbot. Und auf meine Fragen erhielt ich eine wunderbare Lektion über das „Wort der Weisheit“ und die Versicherung, dass, wenn ich ernsthaft beten würde, ich auch ein Zeugnis von der Wahrheit des Evangeliums und der Kirche haben könne. Ich getraute mich nicht mehr zu rauchen, bevor ich gebetet habe. Und so kommt es, dass ich damals in Gegenwart der Missionare meine letzte Zigarette geraucht habe.

Es war ziemlich schwierig für mich, meinen Mann und auch meine Eltern, die kurze Zeit vorher nach Mannheim gezogen waren, davon zu überzeugen, dass ich getauft werden wollte. Sie waren zwar freundlich zu den Missionaren und Missionarinnen, die uns besuchten, aber von Belehrungen wollten sie nichts wissen. Endlich, am 31. Juli 1965 wurde ich in Heidelberg getauft. (In Mannheim war das Taufbecken kaputt.) Fast die ganze Gemeinde war nach Heidelberg gekommen, und mein Mann, und die Kinder, und mein Vater. Ich werde das wunderbare Gefühl, das ich bei der Taufe und danach hatte, nie vergessen. Bei meiner Konfirmation mit 14 Jahren in der evangelischen Kirche hatte ich auf irgendein Zeichen gewartet. Jetzt, bei meiner Taufe und Konfirmation in der Kirche Jesu Christi habe ich es erhalten. Ich bin bis heute voller Freude darüber. Ich weiß, dass der Himmlische Vater und Jesus Christus mich lieben, um mich besorgt sind und über mich wachen. Sie haben mir ein wunderbares reiches Leben geschenkt. Und sie haben mir so viele Wünsche erfüllt:

Ich wünschte mir schon in jungen Jahren, dass ich einmal vier Kinder haben würde. Ich wünschte mir einen Ehemann, der Beamter ist, wegen der materiellen Sicherheit. Ich wollte gerne

Lehrerin sein. — Ich war mindestens 20 Jahre Lehrerin in der PV. Wir haben 4 wundervolle Kinder, gute Schwiegerkinder, 9 reizende Enkelkinder und ein goldiges Urenkelchen. Drei unserer Kinder haben im Tempel geheiratet. Wir sind 52 Jahre verheiratet, und unsere Ehe wird von Jahr zu Jahr

erfüllter und besser.